molochronik
Mittwoch, 17. Januar 2007

Der ›Erfinder‹ des Totenkopfsees hat den Planeten verlassen

Eintrag No. 325 — Robert Anton Wilson ist am 11. Januar mit 75 Jahren gestorben. Die Meldung erreichte ich via Volltext-Newsletter erst Anfang dieser Woche. Der Co-Autor der berüchtigten »Illuminatus!«-Trio und markanter Pionier der ›Sex, Drugs & Rock'n Roll‹-Phantasik der Siebziger ist (zumindest für mich) einer der schillernsten Autoren des Informationszeitalters.

Okey, es ist nicht ganz leicht sich Wilsons Werk zu nähern. Zuviel Deviantes, zuviel mittlerweile als haarsträubend geltende Alternativ- und Subkultur-Wüstheit macht seine Bücher zu einem verwirrenden Labyrinth.

Gottseidank aber war Wilson kein köchern-ernster Kerl und so wurde die flirrende Buntheit und Schrillheit vieler Aspekte seiner Bücher durch seinen anachristischen Humor ausgeglichen. Er ist ein Vorbild der These, dass man ruhig alle noch so durchgeknallten Ideen auf den Tisch legen kann, wenn man sich selbst nicht allzu ernst nimmt.

Herausragend finde ich, dass Wilson in seinen Büchern nicht nur ›aufregende‹ Ideen zuhauf unterbrachte, sondern daß er einer der vielseitigsten Formen-Spieler der phantastischen Literatur war (wenn man mal seine Sachbücher hintanstellt, weil deren Thesen eben zu ›abgefahren‹ für einen gepflegten Diskurs sind).

Hier zwei Feuillitonmeldung zum Tod von R.A. Wilson (soll keiner sagen, daß der deutsche Blätterwald die Genre-Phantastik völlig ignoriert):

  • »Wie die Welt wohl zu retten wäre«: Brigitte Heberling für die »Berliner Zeitung« — Schöne Stellen:
    Von Anfang an liebte ihn die intelligente, wenig sportliche, überwiegend männliche Jugend: die Nerds, die Garagenbastler, diejenigen, die uns Microsoft und Apple brachten und heute die Welt retten wollen. Und wie viel Anteil daran trägt wohl Wilson? {…} Wilson hat die Gründung von mindestens zwei Sekten inspiriert, man hat ihn den James Joyce der Kinderschaukel-Bauanleitung und den Arnold Schwarzenegger des Feminismus genannt, auf seiner Website ruft er in einem letzten Eintrag dazu auf, Kriege abzuschaffen und an ihre Stelle "selektive Attentate" zu setzen. "Mir fällt es schwer, irgendetwas noch ernst zu nehmen", so Wilson über die Folgen von Alter und Krankheit.
  • »›Illuminatus!‹-Autor Robert Anton Wilson gestorben«: Holger Kreitling für »Die Welt« — Schöne Stellen:
    Die Stadt Ingolstadt verdankt ihren Ruhm in der Weltliteratur eindeutig dem amerikanischen Autor Robert Anton Wilson. Es ist allerdings ein in mehrfacher Hinsicht zweifelhafter Ruhm. {…} Und Ingoldstadt? Nun, Adam Weishaupt, Gründer der bayerischen Illuminaten, stammte tatsächlich von da. Am Ende des Romans findet ein riesiges Woodstock-Festival am Ufer des nahe Ingolstadt gelegenen Sees statt, und aus der Tiefe des Wassers kommt ein Bataillon todeswütiger Nazis herauf, die dort Winterschlaf gehalten hatten.
  • Wer neugierig ist, kann sich in dem ordentlichen Wikipedia-Eintrag zur »Illuminatus!«-Trio informieren (sei aber gewarnt, daß es dort viele Spoiler gibt).

Und hier noch ein Bildchen der (im Vergleich zu den Vorgängerauflagen) wunderfeinen neuen Taschenbuchausgabe bei Rowohlt.

Und hier noch ein paar nette Zitate aus dem ersten Band, die gleichzeitig schön ›Selbstbezüglichkeit in der Literatur‹ illustrieren (ich hab die alten Ausgaben von Rowohlt; entsprechend stimmt Seitenangabe der Zitate wohl für die neuen Ausgaben nicht):

  • Wahrlich, es werden noch wundersame Dinge geschehen.

    (S. 10)

  • Romanhelden holen sich keinen runter, wenn die Wogen der Handlung höher schlugen, besann er {George Dorn} sich. Zum Teufel damit, erstens war er kein Held, zweitens war das hier keine Literatur.

    (S. 80)

  • Und das Buch macht sich selbst nieder. Die (wie ich annehme fiktive) New Yorker Kritikerin Epicene Wildeblood soll ein Buch (eben »Illuminatus!«) besprechen und in ihrer Mitteilung an den Redakteur lästert sie:
    Es ist ein gräßliches Monster von einem Buch … und die Zeit ist viel zu kurz, es ganau zu lesen; aber ich werde es gründlich durchblättern. Die beiden Autoren halte ich für völlig inkompetent — nicht eine Spur von Stilgefühl oder für Gliederung. Es fängt als Kriminalroman an, springt dann über zur Science-Fiction, gleitet anschließend als ins Übernatürliche und ist überladen mit den ausführlichsten Informationen über Dutzende von entsetzlich langweiligen Themen. zudem ist der Zeitablauf völlig durcheinander, was ich als anmaßende Imitation von Faulkner und Joyce werte. Am allerschlimmsten aber ist, es hat het die obzönsten Sexszenen, die du dir vorstellen kannst. ich bin sicher, daß es nur deshalb verkauft wird. Sowas spricht sich am schnellsten rum. Und ich meine, die beiden Autoren finde ich einfach unmöglch; kein bischen guten Geschmack; stell dir vor, die beziehen tatsächlich lebende politische Figuren ein, um, wie sie einen glauben machen möchten, eine echte Verschwörung aufzudecken. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich keine Minute vergeuden würde, einen solchen Schrott in die Hand zu nehmen … aber, naja, bis morgen mittag werde ich eine niederschmetternde Kritik für dich haben.

    (S. 261 f)

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