molochronik
Dienstag, 17. November 2009

Dietmar Dath: »Sämmtliche Gedichte«, oder: Der Dichter als Psychowaffenlieferant

Eintrag No. 594 — Leider leider leider taugt mir »Sämmtliche Gedichte« immer weniger, je weiter das Leseerlebnis zurückliegt. Trotzdem gefällt mir der Roman insgesam(m)t ganz gut. Und so geht es mir nun schon zum dritten Mal mit einem Roman von Dietmar Dath (nach »Dirac« und »Die Abschaffung der Arten«).

Das Buch beherbergt zweierlei Textsorten:

Zum (GOttseidank) größeren Teil erzählende Prosa über den (fiktiven) deutschen Dichter Adam Sladek, welcher vermittelt von Dath (hier sich selbst als Romanfigur auf den Arm nehmend; ein Kniff, den ich durchaus mag und zuletzt bei Douglas Couplands »JPod« mit großem Vergnügen erlesen durfte) für den krösusreichen Lebenswissenschaftler Colin Kreuzer einen Band Gedichte schreiben soll. Sladek ist dabei selbst ein Versuchstier in einem Ambiente-Experiment und die Gedichte, die er für Kreuzer anfertigt, sind wichtiger Teil eines Bevöllkerungskontrollprojekts (das wiederum von griechisch-antiken Zauberformeln inspiriert ist; kurz: Meme-Paranoia-SF). — In Rückblenden werden die unglücklichen Beziehungen von Sladek zu verschieden arg gestörten Frauen, sowie seine derzeitige Idylle bei/mit der (aus anderen Dath-Romanen bekannten) Malerin Johanna Rauch geschildert. — Beim Prosateil wechseln sich zum Teil betörend-beeindruckende Beschreibungen und (überwiegend) faszinierende, flotte Dialoge (bzw. Monologe) ab. Höhepunkte sind für mich die Schilderung eines dekandenten Clubs (dem ›Fundbüro‹), sowie eine längere Fickerei mit Sladek und Johanna (auch wenn, verdammter Kitsch, diese Sexszene durch mehrmaligen Tiermetapherngebrauch für mich fast versaut wurde).

Die zweite Textsorte sind die Gedichte Sladeks. Alter Schwede, was habe ich mich abgemüht mit dem lyrischen Raune-di-fuchtel der meisten dieser 29 Poeme. In meinen milde gestimmten Augenblicken mutmaßte ich, dass (der echte) Dath sich einen ganz fiesen Scherz erlaubt und gnadenlos bis zum Zahnschmerz bildungshuberischen Empfindlichkeitstralala parodiert hat und sich nun ins Fäustchen lacht, wann immer eine Rezi diese Gedichte lobt. In meinen gleichmütigen Anwandlungen spielte ich mit dem Gedanken, den knartzig-albernen Gedichtekram einfach zu überblättern. Und tatsächlich habe ich mich meistens tapfer-entnervt einfach durch die Zeilen gefräst, so wie man als Kind blödes Gemüse aufisst um den Tischfrieden zu wahren. — Tut mir leid, aber mit solchen Gedichten gewinnt man bei mir keinen Blumentopf. Außer im Falle von »Sexual Rights«, das fand ich okey (wahrscheinlich wegen der feinen Gartemmetapher).

Baff bin ich über den Zwiespalt, den dieser Roman in mein Empfinden hackt. Einerseits bin ich mit dem Plot (also der Art, wie die Geschichte erzählt wird) totaaal unzufrieden. So unzufrieden, dass ich mich frage, ob es Dath nicht besser kann, oder ob er absichtlich diese Art von unspannenden und zugleich undurchschaubaren Makromanagement betreibt (Kunscht muss wehtun und/oder öde sein!). Andererseits bin ich hingerissen vom Mikromanagement der Beobachtungen und der Könnerschaft, mit der Dath das Arno Schmidt’sche Projekt fortzusetzten scheint, allüberall wie selbstverständlichst animistische Sprachbilder herumblühen zu lassen.

Weiterhin werde ich Dath zuvörderst wegen seiner brillianten Essays verehren, wie der Streitschrift »Maschinenwinter«. Seine Romane waren für mich bisher, leider leider leider, ›nur‹ vergnüglichste Enttäuschungen auf höchsten Niveau.

Wer als Orientierung eine positivere Rezi eines Dath-Erstlesers zum Vergleich heranziehen mag, dem empfehle ich das OliBlog.

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Dietmar Dath: »Sämmtliche Gedichte«; 32 Kapitel, 29 Gedichte in fünf Abschnitten, 282 Seiten; Gebunden: Suhrkamp 2009; ISBN: 978-3-518-42110-9.
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