molochronik

Hans-Peter Siebenhaar: »Die Nimmersatten – Die Wahrheit über das System ARD & ZDF«, oder: Aus der Kirche kannste austreten, aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht.

So sehr ich dem Autor auf fast jeder Seite zustimme bei seiner Abrechnung mit dem degenerierten System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands, muss ich leider gestehen, dass sein Buch auf mich den Eindruck macht, kaum mehr als ein schneller Rundgang durch die vielfältigen empörenden Probleme der ›Nimmersatten‹ zu sein. Das kreide ich dem Autoren nicht an, sondern glaube, dass dies der Größe des Themas bei begrenztem Umfang des Buches (240 Seiten) geschuldet ist. — Anders gewendet: kompakter, gut zu lesender Überblick darüber, dass etwas schwer nicht stimmt bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Es gibt nun mal so viel galoppierenden Schwachsinn bei den Öffentlich-Rechtlichen, dass Siebenhaar auf kaum mehr eingehen kann, als die logistischen, finanziellen und politischen Missstände. Was leider weitestgehend fehlt, sind Wortmeldungen oder kritisches Abklopfen, wie bei ARD und ZDF Programminhalte und -entscheidungen versemmelt werden (und warum das Programm so schlecht ist; wie Drehbücher verpfuscht werden; warum Gemmen im Spätprogramm versauern).

Aber die Lektüre der Generalkritik lohnt sich, und zusammengedampft und um eigene Gedanken ergänzt klaube ich folgende Kernforderungen und Reformvorschlägen heraus:

  • Bevölkerung wendet sich vom ÖR-System ab, vor allem jüngere Zuschauer bleiben fern (Es gilt bei ARD und ZDF schon als sportliches Ziel, den Altersdurchschnitt der Zuschauer auf 60 {sic!} zu senken). Wie auch die Politiker-Kaste haben sich die Macher & Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlichen von den Lebenswelten der Bevölkerungsmehrheit entfremdet. Ein bitterer Umstand, Wirtstier für einen Parasiten zu sein.
  • Da inzwischen die Rundfunkabgabe für jeden Haushalt einheitlich als Pflichtabgabe gilt, ist die ehemalige GEZ gesonderte Organisation nicht mehr notwendig. Als Rundfunksteuer kann diese Aufgabe das Finanzamt übernehmen.
  • Erstaunlich, dass die Landesmedienanstalten der Länder, zuständig für die Kontrolle der privaten Sender, ebenfalls von der Rundfunkgebühr finanziert werden. Zudem sollte eine Bundesmedienanstalt reichen. (Problem erinnert an die Kultusministerkonferenz und Bildungspolitik.)
  • ARD und ZDF betreiben einen undurchschaubaren Dschungel privatwirtschaftlicher Tochtergesellschaften. Größte Brocken sind hier Bavaria Studios und Studio Hamburg. — Mich stört zum einen, dass einige dieser privatwirtschaftlichen Vorstöße von Töchtergesellschaften in weiter Ferne zum eigentlich Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen agieren (Information, Bildung, Unterhaltung) & stattdessen die vom Gebührenzahler gestellten Mittel als quersubentionierendes oder gar spekulierendes Kapital verwenden (haarsträubendes Beispiel: ZDF beteiligt sich via ›ZDF Enterprises‹ und ›Mainstream Media Aktiengesellschaft‹ an ›Romance TV Polska‹).
  • Öffentlich-Rechtliche sollten sich auf Qualität und gesellschaftlichen Nutzen, sowie Unterhaltungsformate konzentrieren, die sich vom stromlinienförmigen Populärmarkt abheben. Damit meine ich nicht nur gut ›klassisch‹ Bildungsbürgerliches sondern auch das, was da inzwischen dazugehört: anspruchsvolle Genre-Ware. In den Siebzigern und Achtzigern konnten die das noch! — Man stelle sich z.B. vor, welch großartiger, wirkungsvoller investigativer, kritischer Journalismus bei der ARD möglich wäre, gäbe man deren Reportern ein Budget in der Höhe der derzeitigen jährlichen Lizenzkosten für Fußballbundesliga (420 Millionen €, macht ca. 8,07 Millionen € pro samstaglicher »Sportschau«).
  • Kompletter Verzicht auf Werbung. Wer wie ich jeden Tag auf der Arbeit beim Hören von HR3-Radio mit jeder ›Mömax‹-Werbung an den Rand eines Amoklaufs getrieben wird, versteht wohl, welch einzigartiges Alleinstellungs- und Qualitätsmerkmal dies im Vergleich zu den Privatsendern wäre.
  • Öffentlich-Rechtliche müssen aus ihrer Abhängigkeit von und Gängelung durch die Politik befreit werden. Statt nach Parteiengefälligkeit gehören Kontroll- und Aufsichtsratsgremien mit unabhängigen Personen besetzt. Auch ist nötig, die eigentlichen Geldgeber (= Gebührenzahler) gegenüber den Sendeanstalten in eine kontrollierende Machtposition zu versetzten (Vorstellbar ist ein von der Hauptversammlung der Gebührenzahler eingesetzter Aufsichtsrat). — Transparenz und Auskunftsrecht müssen dringend ermöglicht werden (Schaffung eines mit richterlichen Befugnissen ausgestatteten Ombudsmannes der Zuschauerinteressen vertritt wäre löblich).

Kleines Extralob gebührt Siebenhaars Augenmerk für die Lokalitäten, an denen sich Entscheider, Beweger und Schüttler der Öffentlich-Rechtlichen zum Plausch und Stelldichein verkehren, und was da so gereicht wird. Teure Hotels, Restaurants, Hinterzimmer, Sekt, edle Häppchen.

Gelesen als eBook. Vier von fünf zornesroten Goodreads-Sternchen.

ZUCKERL:

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Siebenhaar, Hans-Peter: »Die Nimmersatten – Die Wahrheit über das System ARD & ZDF«: Acht Kapitel auf 240 Seiten; e-Book; Eichborn Verlag, 2012; ISBN: 978-3-8387-2027-2. Auch als Taschenbuch erhältlich. ISBN: 978-3-8479-0518-9.

Dietmar Dath: »Pulsarnacht«, oder: Überforderung schafft Lustgefühle

Dath ist ein Autor, den zu besprechen für mich sehr schwer ist.

Einerseits: seine Sprache & seine Ideen bezaubern mich; ich finde toll, welche Probleme in seinen Romanen verhandelt werden; ich mag seinen Humor (auch wenn ich nicht immer sicher bin, ob ich den auch korrekt erkenne). — Andererseits: bei wenigen Autoren habe ich derart große Probleme was die Handlungsstruktur angeht; manche Abschnitte (vor allem ruhige, die Zwischenmenschliches schildern) gehen mir bald gehörig auf den Zeiger, obwohl sie für sich selbst genommen eigentlich sehr schön sind, aber innerhalb des Romangefüges wirkt dieses Raunen im Imax-Format, diese mit großem Ernst vorgetragenen ›poetisch-zwischenmenschlichen‹ Bemühungen, diese Handlungsstillstandzonen ohne entsprechend geschickt platzierte Aussichten, blöderweise wie sommerliches Auf-dem-Fleck-Wanderungen durch Weichkäsefelder.

Die eigentliche Schwierigkeit für mich einen Dath-Roman zu besprechen rührt aber daher, dass ich gegenüber diesem Autor einen ansehnlichen Minderwertigkeitskomplex schiebe, weshalb ich auch schnell zu der Annahme neige, dass ich schlicht zu doof bin, um wirklich was Gescheites zu seinen Büchern von mir geben zu können (egal, ob im Guten oder Schlechten). Aber trotzig hält mein Instinkt dagegen, dass Dath zwar ein brillanter Essayist, auch ein bewundernswerter Prosalyriker ist, aber als Erzähler vor lauter Programmatik und Hirn sich selbst dabei im Wege steht (oder ganz eigenwilliger Künschtler: stehen will), einfach nur ein wirklich souveräner Romanautor zu sein.

Der Plot, die Handlung von »Pulsarnacht« war für mich nur mäßig spannend. Es gibt viele Figuren die für mich kaum Profil entwickeln, da sie sich überwiegend alle sehr ähnlich sind. Die paar Figuren, die sich wunderbar als Protagonisten geeignet hätten, werden nach dem ersten von sechs Teilen zum Hintergrundensemble degradiert (absoluter Höhepunkt für mich: Weltraumsoldatin Saskia verbringt nach einem Einsatz einige Zeit mit Hardcore-Entspannung, also Saufen, Ficken, Schlägereien. Das kommt in Daths kräftiger, biegsamer und köstlicher Sprache so doll rüber, dass ich hoffe, Dietmar möge doch bitte irgendwann einfach einen – für seine Verhältnisse – ›platten‹ Abenteuergarn liefern. Braucht ja kein langes Großwerk zu sein. Ein kleines 200-Seiten Romänchen würde mir vollends reichen zum deutschsprachigen Genre-Glück.)

Eine gut geknüpfte Handlung ist für mich nicht allzu deutlich zu erkennen, denn auf der einen Seite wird das, was sich eigentlich als typische Space Opera-Handlung anbietet (siehe Titel: »Was ist die Pulsarnacht?«) mit zu viel Geheimnisgetue und zu vage dargeboten, um für mich zugänglich oder spannend zu sein. Zudem wird die zweite wichtige Handlungsebene, die ich erkennen konnte, welche sich um die Beziehungen ehemaliger politisch-militärischer Gegner eines Bürgerkrieges rankt, von der zugrundeliegenden Theorie-Pflicht, die der Autor sich abgesteckt hat (und die er in einem Nachwort offenbart, was ich für ein heikles Unternehmen halte, und deshalb zu schätzen weiß) erstickt.

Dennoch gebe ich »Pulsarnacht« gerne 4 ›Goodreads‹-Sterne, weil Dath zu lesen auch diesmal bei mir zu interessanten rauschartigen Zuständen geführt hat. Die Denkanregungen welche »Pulsarnacht« bietet, gefallen mir, und ich habe mich oft amüsiert, auch wenn ich nicht durchwegs sicher bin, ob ich mich mit dem Autoren oder über ihn, oder an ihm vorbei amüsiert habe.

Wenn es um Weltenbau-Ideen geht, und wie man diese mal mit sprachlicher Wucht, mal mit schon lyrischem Schillern, mal mit kalaueraffinen Witz, mal mit grüblerischer Seelenschüferei zum Ausdruck bringt, kann es wohl derzeit keiner mit Dath aufnehmen. Das Gesamtgefüge mag nicht mein Gefallen finden, aber es gibt so viele einzelne glänzende Facetten – Stadtbeschreibung, Kampfsequenz, Dialog, eingestreutes Märchen, Schildung wirtschaftlich-politischer Geflechte, Technik-Babbel –, dass es mir schwer fällt, ignorant gegenüber der Errungenschaft des Romans zu bleiben. Womöglich werde ich ihn mir beizeiten schlicht ein zweites Mal vorknöpfen müssen, wissender darum, auf welche Details ich mein Augenmerk richten muss, um den größeren Zusammenhang der Handlung ergiebiger würdigen zu können. — (Spontane Schlussnotiz: »Es ist für mich 100 x vergnüglicher, mich mit den Romanzumutungen von Dath abzurackern, als Spaß zu haben mit den mundgerechten Schreibformel-Ergebnissen eines Eschbach«)

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Dath, Dietmar: »Pulsarnacht«; 34 Abschnitte in sechs Teilen, inkl. Glossar & Nachwort des Autoren auf 431 Seiten; Broschierte Erstausgabe, Heyne Verlag, 2012: ISBN: 978-3-453-31406-1. Auch als eBook erhältlich.

Thomas Ziegler: »Sardor – Der Flieger des Kaisers«, oder: Mit dem Doppeldecker gegen das mahrisch-kosmische Grauen

War überrascht, wie sehr mich dieser schmale Band (erster Teil einer Trio) plätten und begeistern würde.

Düsterer Fantasy-Pulp um einen eigentlich behämmerten (weil platt-patriotischen) Kampfflieger des Deutschen Kaiserreiches – Dietrich von Warnstein –, den es bei einem Sturm mit seinem mascheinengewehrbestückten Doppeldecker in eine fremde Welt verschlägt, wo er mit der Seele eines seit zwanzigtausend Jahren schlummernden Gottkriegers – des titelgebenden Sardor – verschmilzt, um die Menschen (genauer: unchristliche Heidenvölker) beim Anbruch des Zweiten Kosmischen Krieges gegen mannigfache monströse Schrecken zu verteidigen. Sozusagen Portalfantasy a la »Unendliche Geschichte« für Fans von »Heavy Metal«-Comics (und Mukke), den heroischen Kämpfern und bestialischen Viechern von Frank Frazetta, den finsteren Bizarrerien eines Philippe Druillet, der »Chroniken des Schwarzen Mondes« und der Art von Warhammer-Fetzerei als Warhammer noch cool war (also etwa die Zeit der Erstveröffentlichung dieses Romans, 1984). — Kurz: Lovecrafts kosmischer Grusel trifft Howards Barbaren-Bratz.

Sprachlich stellenweise mitreissend, Dank eines dick aufgetragenen Pathos, der sich seiner Überspanntheit bewusst ist und entsprechend ungehemmt auf die Spitze zu treiben traut. Erzielt dabei einige Male – absichtlich! – wunderbar humorige Effekte, eben wenn das Grauslige, Eklige, Böse ins Komische kippt (man denke an entsprechende Momente in frühen Terry Gilliam-Werken wie »Jabberwocky«, oder die Harkonnen in David Lynchs Verfilmung von »Dune«).

Nur selten wird der Bogen überspannt mit einem Tacken zuviel Wiederholungen (Merke: beispielsweise ›Myriaden‹ und ›infernalisch‹ sollten nur alle 50 Manuskriptseiten verwendet werden). Ansonsten wunderbare rohe, lyrische Qualität. Viel Handlung wird nicht aufgeführt, dafür immer wieder Weltenbau-Ausflüge veranstaltet. — Ganz großartig fand ich, dass es in einem der frühen Kapitel eine richtiggehend mit Worten geschilderte Karte gibt, wenn eine Figur von der Höhe auf die weitere Umgebung guckt, die den Schauplatz dieses Romanes liefert.

Wunderbar auch, wie prall aufgepumpt die Überzeichnungen der eigentlich bekannten DüsterFantasy-Typen und -Kulissen rüberkommen. Da stimmen schon die Namen: die Krograniten-Berge, die Seufzerschründe, der Geborstene Berg, die Schmerzarchen der Eisernen, die Gehörnten, die Nachtmahre, der Bosling, der Schwarze Mirn, die Hainvölker (die Nurn unter Fürst Caliman; die Myrten unter Fürst Tur; die Anger unter Fürst Gorrenhart; die Woyden unter Fürstin Lidinya).

Im Grunde ein großes Wimmelbild, ein Panorama aufgemotzer Heere, exquisiter Grausamkeiten, titanischer (Alp)Traumlandschaften & Architekturen und morbider Verwesungsdioramen. Simpel und doch detailreich. Deshalb leicht lesbar (auch unterwegs) und dennoch sehr anregend.

Absolute Leseempfehlung (vier Sterne) vor allem für alle deutschsprachigen Fantasy-Fans und Autoren!

Band 2 gleich vorgenommen, und Band 3 steht bereit.

Bonus:

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Ziegler, Thomas: »Sardor – Der Flieger des Kaisers« (Sardor #1); Deutsche Erstauflage 1984; 10 Kapitel auf 184 Seiten; Broschierte Neuauflage Golkonda Verlag 2013; ISBN: 978-3-942396-51-6. Auch als eBook erhältlich.

Lee Child: »Killing Floor« (Jack Reacher #1), oder: Der Gestank abgegriffenen Geldes

Angefixt durch den Film (Super-Grusel: »Die Toten Augen von Werner Herzog!«. Sonst: Klassisch ruhig und mit Geduld inszeniert. Die wenige Fressenschläge- & Autohatz-Äktschn kommt um so kraftvoller).

Freund David, großer Fan der Bücher, beglückt mich bald darauf mit dem ersten Roman als Geschenk per Post. Also reingeschnuppert in Originalfassung. Sehr bald vom Stil (die Massen kurzer Sätze; immer und immer wieder Rekapitulationen auch in kurzer Folge nach Erstinfo; stupides Ausbuchstabieren aller Handgriffe und Kleinkramigkeiten) eher angewidert.

Aber … (!) … eben doch auch reichlich schöne kleine Beobachtungen, Ideen, Wendungen, Originalitäten um mich bei Stange zu halten. Die Art der Faszination einem Porno nicht unähnlich (der Kurzsatzstil knetet Hirn halt doch weich; da kann höheres Ästhetikbewußtsein nicht lange gegen an). Feiner, kräftiger Männerkitsch (als Kompliment zu verstehen, denn ich habe mich ja vergnügt). Einsamer Wolf. Nerven aus Titanium. Reueloser Schädlingsbeseitiger von widerlichen egoistischen Sadisten und skrupellosen Opportunisten. Schöne Träume der gerechtfertigten Gewalt. Frust-Therapeutikum. Dann auch: angemessene weibliche Mitstreiterin in Gestalt einer Polizistin. Dezent geschilderter Sex. Verherrlichung des Hinterns.

Nicht zu vergessen: interessantes Setting. Kleinkaff. Fälschung. Alle geschmiert oder willig oder eingeschüchtert. Überraschend: Ausflüge in Schilderung menschliche Nähe und Anteilnahme. Am besten gelungen: die alte schwarze Sängerin. Ach ja: Reachers Liebe für Blues! Ein harter Kerl mit Jukebox-Fähigkeit im geistigen Ohr (sehr sympathisch). Kurz: Bravouröse Lösung der Problematik, wie man so übergroße Alphamännchenfastschonsuperhelden Feingefühl und humanen Respekt zeigen lassen kann (Hut ab dafür).

Fazit: Als Ganzes eigentlich nicht wirklich hoch gezielt, aber eben souverän getroffen. Also solide Unterhaltung und somit unerschütterliche drei Sterne. (Vier Sterne, wenn man das Buch ›nur‹ als schnelle Arbeitsweg-Bespaßung nutzt.)

Hab mir den zweiten Reacher-Thriller (»Die Trying«) schon als englisches eBook besorgt. Allein schon, um zu gucken, ob ich die Erzählperspektive aus 3. Person besser abkann, als (wie bei »Killing Floor«) aus 1. Person.

Danke David! Ein dolles Geschenk. Überlege nun Revanche.

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Lee Child: »Killing Floor« (Jack Reacher #1); US-Ersterscheinung 1997; 34 Kapitel auf 525 Seiten; Bantam Books Paperback; ISBN: 978-0-553-50540-5.

G. Willow Wilson: »Alif the Unseen«, oder: Urban Oriental Fantasy trifft auf Computer-Thriller

Habe »Alif the Unseen« als eBook gelesen, nachdem unter anderem Matt Ruff den Roman in seinem Blog empfohlen hat. Nach zwei stilistisch und strukturell ziemlich bis sehr anspruchsvollen Romanen (»John Saturnall’s Feast« und »The Pope’s Rhinoceros« von Lawrence Norfolk) war »Alif the Unseen« eine willkommene Abwechslung. Sprachlich klar und locker erzählt bleibt die Erzählerperspektive immer in der Nähe der Hauptfigur, Alif, einem Hacker in einem fiktiven Stadtstaat am Persischen Golf.

Alif bietet seine Hacker- und IT-Dienste allen an (egal ob Islamisten, Kommunisten, demokratischen Bürgerrechtlern ect.), die sich vor der staatlichen Überwachung des Emirates verstecken wollen. Nachdem seine große Liebe aus besseren Kreisen, Intisar, mit ihm Schluss machen muss/will, weil sie sich dem Druck ihrer Familie beugt, einen wohlhabenden und einflussreichen Mann zu heiraten, schreibt Alif ein mächtiges Programm, mit dem er sich für Intisar im Internet unsichtbar machen kann. Dieses Programm ist in der Lage, jede Person anhand ihrer Sprache und Art, wie sie auf der Tatstur schreibt zu erkennen, egal, mit welchem Zugang oder welcher Anmeldung sie sich im Netz bewegt. Fatalerweise kann sich der fieseste Überwachungsagent des Emirates, die ›Hand Gottes‹, dieses Programm aneignen und für seine Zwecke nutzen. Zudem lässt die verzweifelte Intisar Alif ein altes handgeschriebenes Buch zukommen, das der Legende nach als Gegenstück zu »1001 Nacht« von Djinns geschrieben wurde und mächtiges Geheimwissen enthält.

Bald schon befindet sich Alif zusammen mit seiner Nachbarschafts-Freundin Dina auf der Flucht vor der Sicherheitspolizei und der ›Hand Gottes‹ und stolpert dabei in eine magische Welt voller Djinns, Marids, Ifrits und anderen Wesen der arabischen Mytholgie. Dabei steht mehr als nur Alifs eigene Sicherheit auf dem Spiel, denn die ›Hand Gottes‹ ist dabei, sich zum allmächtigen und allwissenden Unterdrücker aufzuschwingen, vor dem sich niemand mehr weder ›In Real Life‹ noch im Internet verstecken kann, womit die letzten Reste an Handlungs- und Meinungs-Freiheit im Emirat zu verschwinden drohen .

In dreierlei Hinsicht finde ich diesen Romans ausserordentlich gelungen:

  1. Das große Geschick, mit dem die Autorin G. Willow Wilson moderne, städtische Fantasy (auch ›Urban Fantasy‹ genannt) mit orientalischem Hintergrund vermengt mit Aspekten des Computer- / Hacker-Thrillers. Atemberaubend z.B. eine Sequenz, in der Alif völlig in Trance vor lauter Programmieren auf Dämonen trifft.
  2. Gerade als Atheist bin ich immer erstmal skeptisch, wie Religion und Glaube in Fantasy-Werken behandelt werden. Aber ich kann nichts einwenden gegen die Art, wie in »Alif the Unseen« verschiedene spirituelle und religiöse Positionen aufeinandertreffen. Clever fand ich z.B. wie ein tiefgläubiger alter Imam, der sich mit der modernen IT- und Internetwelt null auskennt, die theoretischen Grundlagen von Quantencomputern dennoch nachzuvollziehen vermag, dank seiner Koran-Kenntnisse (jedes Wort hat 7000 Bedeutungen, die alle zugleich widerspruchsfrei gültig sind). — Die zum Islam konvertierte amerikanische Autorin G. Willow Wilson vermeidet es vorbildlich, ihre Leser bekehren zu wollen. Vielmehr versteht sie es zu zeigen, auf welch unterschiedliche Weise Gläubige und Ungläubige verschiedenster Ausprägung sich Fragen zum richtigen und falschen Handeln nähern, woran man die Stimme seines Gewissen erkennt, welche Haltung man gegenüber dem Unbekannten einnimmt, wie man Hoffnung schöpft.
  3. Enthält der Roman eine wunderbare Liebesgeschichte, die sich um Alif, Intisar und Dina dreht.

Allen Fantasy-Lesern zu empfehlen, die zum Beispiel Matt Ruff, Neil Gaiman oder Martin Millar mögen. Ich hoffe, ein deutscher Verlag wird dieses Buch bald für den deutschen Markt aufgreifen.

Supertoll: Auf der Website des britischen Verlegers Allan & Unwin gibt es Bonusmaterial zum Buch, u.a. Erklärung der wichtigsten Begriffe, Essay zu fünf verschiedenen Djinn-Arten, sowie die im Buch enthaltene Karte des Handlungsortes.

Und: G. Willow Wilson hat einen feinen Webauftritt.

Hier noch ein Interview mit der Autorin bei ›Well Read‹:

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G. Willow Wilson: »Alif the Unseen«, Englische gebundene Ausgabe bei Grove/Atlantic 2012; 320 Seiten mit Karte; ISBN: 0802120202. Taschenbuchausgabe bei Corbus Books, 432 Seiten; ISBN: 0857895672. Auch als eBook erhältlich.

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Lawrence Norfolk: »Ein Nashorn für den Papst«, oder: Historischer Roman als abenteuerliche Herausforderung

Es hat ›nur‹ 16 Jahre gedauert diesen verschlungenen zweiten Roman von Norfolk fertig zu lesen. Ich habe ihn damals, 1996 als er auf Deutsch erschienen ist, gekauft und im Laufe der Jahre mehrmals angefangen, bin aber stets irgendwo am Ende des ersten Viertels versackt.

Weil: Kein leicht zu lesendes Buch, vor allem nicht zu Beginn. Man muss sich daran gewöhnen, dass Norfolk in Kreuzstich-Manier zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her springt. Auch die überbordende Figuren-Anzahl macht die Sache nicht leichter, vor allem, da oftmals nicht gleich klar ist, wer gerade die im Zentrum stehende Person ist, oder über wen berichtet, oder wer von wem beobachtet, belauscht wird. Genauer: Norfolk ist nah an seinen Figuren dran, so dass man manchmal einige Zeilen & Absätze nicht so recht wei0, wo und wann etwas stattfindet, ob geträumt, halluziniert oder erinnert wird.

Nun aber habe ich die englische Originalausgabe rasch verschlungen, direkt im Anschluss auf Norfolks neuestem, vierten Roman »John Saturnall’s Feast« (»Das Festmahl des John Saturnall«, Deutsch von Melanie Walz, im November bei Albrecht Knaus Verlag) der mir ebenfalls sehr gut gefallen hat.

Die Handlung von »The Pope’s Rhinoceros« (»Ein Nashorn für den Papst«) verzweigt sich in vielerlei Gefilde, aber im Zentrum steht der Streit zwischen Spaniern und Portugiesen um die Aufteilung der neuen Welt, und zu wessen Vorteil sich der spaßhungrige Papst Leo X. (= Giovanni di Medici) entscheiden wird. Die Gunst des Papstes soll für sich verbuchen können, wer ihm zuerst ein Nashorn beschaffen kann (ganz Plinius’ Naturgeschichte folgend, wonach das Nashorn der natürliche Feind des Elefanten ist, und einen Elefanten hat der Past schon in seinem Vatikanischem Zoo.) — Erstaunlich, wie viel von diesem Aberwitz tatsächlich geschichtlich verbürgt ist.

Eigentliche Hauptfigur ist jedoch der Heide und Söldner Salvestro, Sohn einer der letzten Überlebenden der von der Nordsee verschlungenen Stadt Vinetta. Im ersten von sieben Teilen geht es um ihn und seinen Söldner-Gefährten Bernardo, die auf Usedom nach den Schätzen der versunkenen Stadt tauchen wollen, von abergläubischen Einheimischen bedrängt und schließlich von Mönchen eines Klosters, das teilweise von den bröckelnden Klippen ins Meer gestürzt ist aufgenommen werden. — Im zweiten und längsten Teil stehen die Ränke im Vatikan im Zentrum. Zudem sind die Mönche von Usedom angekommen. Geleitet von Salvestro und Bernanrdo hatten sie sich aufgemacht haben, den Papst zu bitten, beim Wiederaufbau ihres Klosters zu helfen. Und Spanier und Portugiesen bereiten ihren Schiffsexpeditionen vor. — Der dritte Teil behandelt die Fahrt eines Schiffes der Portugiesen von Goa nach Europa mit Nashorn als Fracht. Ein Zwischenspiel mit neuen Figuren. — Der vierte Teil widmet sich der Fahrt des spanischen Schiffes, mit Salvestro und Bernardo an Bord, angeheuert, ein Nashorn aus Afrika zu beschaffen. Mit an Bord ist der Soldat Don Diego und eine afrikanische Prinzessin, die es einst nach Rom verschlagen hat, wo sie die Dienerin der Liebhaberin des spanischen Botschafters war. — Der fünfte Teil spielt im Königreich der Nri (heutiges Nigeria). Während die einheimischen Stämme ein großes Palaver dazu abhalten, wie man auf die immer zahlreicheren weißen Eindringlinge reagieren soll, irren Salvestro und Co durch den Dschungel. — Im sechsten Teil kehrt Salvestro mit einem Nashorn nach Rom zurück. Großes Finale mit für den Papst und sein Gefolge arrangiertem Kampf zwischen Elefant und Nashorn. — Der sehr kurze siebte Teil dient als Epilog: einer der Usedom-Mönche schildert die Rückkehr in den Norden, und was aus Salvestro geworden ist.

Über das Buch verteilt gibt es einen in der Vergangenheit spielenden Handlungsstrang zu der Belagerung und Plünderung der Stadt Prato durch Truppen unter der Führung von Giovanni di Medici (als der noch nicht Papst war) sowie der Ermordung der dort ansässigen Adelsfamilie Tebaldo. Hier sind sich Salvestro, Bernardo, Diego und andere Figuren bereits begegnet und haben Schreckliches erlebt oder vollbracht.

Einige Merkmale machen den Roman zu einer die anfänglichen Hürden enlohnenden Lektüre:

  1. Schöne, fast malerische Beschreibungen von Natur, Stadt-Gewimmel, Gebäude-Eigenheiten, großen geschichtlichen Zeiträumen. So beginnt der erste Teil des Romans, »Vinetta«, mit einer langen Sequenz über das Baltische Meer … buchstäbliche eine geologische Erzählung. Und der zweite Teil, »Roma«, hebt an mit einem viele Seiten beanspruchenden Sonnenaufgang über der Stadt, wobei das Grundthema lautet: das Licht ist das Antlitz Gottes.
  2. Grillige Abschweifungen, ungewöhnliche Perspektiven. Da wird ein Tauch-Fass schon mal aus Sicht eines Hering-Schwarms oder seitenlang der Kampf verschiedener Rattenkolonien der Stadt Rom beschrieben.
  3. Knackige Sex-Szenen, unerschrockene Schilderungen von Kriegsgreul. Sehr vielfältiges Dialog-Register, von derb über förmlich, losem Daherreden bis hin takierenden Sticherln, ect.
  4. Kuriose Typen ohne Ende. Und auch: Namen über Namen. Norfolk ist sehr gut darin, Tiefe zu beschwören, indem er irre viele Namen anführt. Man kann sich dann die urigen Typen dazu selbst ausmalen.
  5. Immer wieder mal, aber nicht gerade selten, Situationskomik oder Seltsamkeiten die sich bis zum Aberwitz steigern kann. Zwergenwerfen! Ein Blinder, die nicht merkt, dass er seine Historie mit eingetrockneter Tinte auf dem Papier ›schreibt‹.
  6. Kurzweilige Schilderungen komplexer Sachverhalte. Wie Geldwechsler in Rom arbeiten, wie Schiffs-Segel verarbeitet werden, wie Papst-Audienzen ablaufen, wie man im Dschungel Bronze-Figuren gießt.

Nun, endlich fertig, bin ich sehr zufrieden mit dem Buch, das mich — wie es sich für einen historischen Roman, der weit ausholt gehört — mit einer staunenden Melancholie und amüsiertem Respekt zurücklässt. Den fünften Stern (siehe mein Eintrag bei Goodreads) halte ich zurück, weil das Buch zu lange braucht, bis man sich zurecht- und wohl findet mit seinem Fluss … eben einen Tacken zu umständlich strukturiert ist. Dennoch absolut empfehlenswert für alle, die gerne etwas schwitzen, um reichlich beschenkt zu werden.

Hier geht es zur Website von Lawrence Norfolk (der mittlerweile auch unter die Blogger gegangen ist)

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Lawrence Norfolk: »The Pope’s Rhinoceros«, englische Erstveröffentlichung 1996; Taschenbuchausgabe bei Vintage/Minerva; 753 Seiten; ISBN: 0749398744. Aktuell auch als eBook erhältlich.

Deutsch derzeit nur antiquarisch: »Ein Nashorn für den Papst«, gebundene Ausgabe bei Albrecht Knaus; Übersetzung von Gisbert Haefs, Hanswilhelm Haefs, Gerald Jung und Gisela Stege; 815 Seiten; ISBN: 3813519201. Deutsche Taschenbuchausgabe bei btb, 1998; ISBN: 3442724066.

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Jakob Arjouni: »Chez Max«, oder: Let’s crush the motherfuckers before they crush us

Eintrag No. 691 — Aufmerksame Molochronik-Leser haben womöglich mitbekommen, dass ich hie und da erwähnte, ein Fan von Arjounis in Frankfurt angesiedelten Kayankaya-Krimis zu sein. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass »Chez Max« das erste Nicht-Kayankaya-Buch von Arjouni ist, das ich mir vorgenommen habe. Warum hab ich zuschlagen? Weil es sich hierbei um einen waschechten Science Fiction-Roman handelt, und ich neugierig war, was ein bewährter Krimiautor aus diesem Genre rauskitzelt. Logo, dass Arjouni keine SF von der Art liefert, wo der Technobabbel-, Aliens- und Äktschn-Punk abgeht, sondern — da bleibt der Autor sich treu — kriminalistische Social-SF, bei der die Figuren und ein bissiger Blick auf die Gesellschaft im Zentrum stehen.

Drei Attraktionen kann ich benennen:

Erstens ist der Roman so schnörkellos geschrieben, dass ich die 222 Seiten in eineinhalb Tagen wegschlürfen konnte. Arjouni lässt alles Überflüssige beiseit, hält sich nicht mit ausufernden Stimmungs- & Umgebungsbeschreibungen auf, sondern liefert knapp und pragmatisch die Infos, die man zum Verständnis der Handlung, des SF-Weltenbaus und der Zwickmühlen der Figurenkonstellationen braucht. Dialoge nehmen dabei viel Platz ein, und die sind so flockig zu lesen, dass es sich anbieten würde, aus diesem Buch einen feinen Fernsehfilm oder auch ein Theaterstück zu machen. — Mit Bewunderung habe ich verfolgt, wie Arjouni ohne Verwirrung zu stiften geschickt Gegenwart-Ereignisse mit Erinnerungen und Erläuterungen verschachtelt. Die Komplexität dieser Verschachtelungen drängt sich weder auf, noch hemmt sie den Lesefluss. Kurz: strukturell makellos und vorbildlich gebastelt.

Dann ist da zweitens natürlich die SF-Spekulation, die schildert, wie es im Paris des Jahres 2064 wohl zugehen mag, wenn Entwicklungen, die seit IX.XI im Gange sind, oder durch dieses Ereigniss verstärkt wurden, sich zum Alltag verfestigen; als da wären insbesondere der ›War Against Terror‹, die allgegenwärtige Bespitzelung der Bürger, die scharf gehütete Einzäunung und Grenzkontrolle der Wohlstandszonen, sowie die durch militärische Truppen aufrecht erhaltene wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd. De fakto herrschen in »Chez Max« beispielsweise auf den Zuckerrohrplantagen des Südens wieder Zustände, wie zur knackigsten Sklavenausbeuterzeit. — Das Szenario ähnelt in vielerlei Hinsicht dem, das Jean-Christophe Rufin bereits 2004 in seinem SF-Thriller »Globalia« geschildert hat, und zu dem Rufin Anfang der 90-er das Sachbuch »Das Reich und die neuen Barbaren« vorlegte.

Auch beim Weltenbau kann ich genussvoll anerkennen, nämlich, mit welch glücklichen Händchen Arjouni viele kleine Ideen platziert und mit ihnen gegenwärtiges Zeitgeschehen kommentiert. — Knapp ein paar Beispiele für Spekulationen, die ich für plausibel halte, und deren Präsentation mich schmunzeln (und / oder auch schaudern) ließen: Die USA sind pleite und haben sich überwiegend zu einer Agrarnation zurückentwickelt. Fernost (vor allem China) und die Kernstaaten der EU, haben die USA aufgekauft. Abkommen zwischen Fernost und der EU führten zu großen Einwanderungswellen, so dass es z.B nun in Paris ganze Bezirke gibt, in denen überwiegend aus China stammende Menschen wohnen. — Es gibt elektronische Simultanübersetzer zum ins Ohr stöpseln, aber nur bestimmte Sprachen der EU und Asiens sind erlaubt, gewisse andere Sprachen bleiben geduldet, der Rest (vor allem arabische und afrikanische Sprachen) sind verboten, und ihre Verwendung steht unter Strafe. — Filme können in den Himmel projiziert werden, was aber eigentlich nur die Spanier mögen, denn die bleiben gerne bis in die Puppen auf. In Paris wird die Technik dagegen unter großem Jubel gerade zum ersten Mal dafür verwendet, die Bürger mit einem künstlichen Regenbogen zu beglücken. — Es gibt Sex-Simulationsanzüge. Mit speziellen Kameras kann man beliebige Personen aufnehmen und somit zum Avatar für die virtuelle Schnackselei machen. — Landkarten! Nur die ›demokratische, zivilisierte & aufgeklärte‹ erste Welt darf auf offiziellen Karten gezeigt werden. Alle außerhalb des Wohlstands-Schutzzaunes gelegenen Weltgegenden werden ausgeblendet und als Ozean dargestellt.

Die dritte Attraktion muss ich — um nicht zu viel von den Twists des Buches zu verraten — umständlich schildern. Erst aber ein paar Worte zu den ersten Takten der Handlung. Max betreibt seit vielen Jahren ein feines Restaurant in Paris. Das dient aber vor allem als Fassade für seine Überwachungstätigkeit als Mitarbeiter der Ashcroft-Behörde. Diese versucht, Verbrecher dingfest zu machen, bevor sie ihre Taten begehen. Max ist ziemlich frustriert, a) weil seine Aufklärungsquote merklich gesunken ist, seit er die ungehobelte Intelligenzbestie Cheng zum Partner hat; b) weil der letzte Übeltäter, den er melden konnte, sein einziger Kumpel Leon war, ein Maler mit Schaffenskrise, der immer noch raucht (total verboten) und vorhatte, sich mit Drogenschmuggel über Wasser zu halten. Im Zusammenhang mit einem Haus, in dem sich mutmaßlich illegale Einwanderer verstecken, und das genau auf der Grenze der Bezirke liegt, für die Max und Cheng zuständig sind, ergiebt sich für Max eine Möglichkeit, seinem verhassten Partner am Zeug zu flicken. Ein Katz und Maus-Spiel beginnt.

Der Roman hat mich sehr belustigt, ist spannend, und bietet eine fiese & erstaunliche Bespiegelung verschiedener Charaktere. Womit ich bei der dritten Attraktion bin, die ich nicht en detail schildern will. Soviel sei verraten: Wer überraschende Wendungen mag (die z.B. Filme wie »The Sixth Sense«, »Fight Club« oder den Roman »Drood« von Dan Simmons zu solch grandiosen Erlebnissen machen), also Handlungen, die einen geschickt auf eine falsche Fährte lotsen, wird bei »Chez Max« wahrscheinlich auf seine Kosten kommen. — Das ›an der Nase herumgeführt‹-Werden, welches Arjouni seinen Lesern angedeihen lässt, liefert ein kritisches und doch vergnügliches Vexierspiel dazu, wer der eigentliche Unsympath des Romanes, wer der moralisch integere Typ, und wer der Depp ist.

Fazit: »Chez Max« überzeugt mich, weil der Roman vorbildlich zeigt, dass zugängliches und kurzweiliges Erzählen nicht im Widerspruch dazu stehen müssen, dem Leser knifflige Bewertungs-Herausforderungen zu stellen. — Schließlich freut es mich, dass Arjouni sich zu den Kreis der deutschsprachigen Mainstream-Autoren gesellt hat (siehe z.B. auch Christian Kracht, Thor Kunkel und Cord Hagen), die gute SF vorlegen, welche geeignet ist, das Ansehen des Genres jenseits der SF-Szene zu mehren.

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Jakob Arjouni: »Chez Max«; Sieben Kapitel auf 222 Seiten; Diogenes Verlag; Gebunden 2006; ISBN: 3-257-06536-1. — Taschenbuch 2007; ISBN: 3-257-23651-4.

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Joe R. Lansdale: »Kahlschlag«, oder: Finde deine Mitte (Plus: einem Gedankensprung zum Fantasy-Genre)

Joe R. LansdaleEintrag No. 681 — Ein wunderbarer Stolz wärmt mich dieser Tage, der Stolz, einen (wenn auch kleinen) Teil zu einem richtig guten Buch beigetragen zu haben. Wie bereits hier berichtet, habe ich Joe R. Lansdales Roman »Kahlschlag« (neben Tobias O. Meißners »HalbEngel«) als Belegexemplar vom Golkonda-Verlag erhalten, weil die hintere Broschurklappe ein von mir erstelltes Autorenportrait ziert.

Der Roman kam mir gerade recht, denn ich habe schon lange nichts mehr von Lansdale gelesen. Dass der Mann richtig was auf dem Kasten hat, weiß ich durch seine »Jonah Hex«-Miniserien (den vielleicht besten Stories über diesem unheimlichen Western›helden‹: hier gibts mehr über »Two Gun Mojo« und »Riders of the Worm and Such«); seinen Kurzgeschichten in den ersten beiden Ausgaben der »Borderlands«-Anthos von Thomas F. Monteleone; seiner (Robert E. Howard-Homage-)Story »Jiving with Shadows & Dragons & Long, Black Trains« aus dem dritten Band mit Hellboy-Kurzgeschichten »Oddest Jobs«; sowie (last but not least) seiner Drehbucharbeit für den grandiosen ›Elvis & JFK als alte Knacker im Kampf gegen einen miesen Mumien-Motz‹-Film »Bubba Ho-tep«.

Außerdem bot sich »Kahlschlag« als Kontrastprogramm zu meiner derzeitigen Großlektüre von Arno Schmidts »Zettel's Traum« an, a) weil ich den Lansdale-Roman (anders als das A3 große »Zettel's Trumm«) unterwegs lesen kann; b) weil »Kahlschlag« flott und grad heraus erzählt, während das Großwerk von Schmidt schon auf unverschämte Weise höchste Konzentration einfordert.

Jon R. Lansdale: »Kahlschlag«, Golkonda Verlag.Worum es geht: »Kahlschlag« spielt ›nur‹ in einer kleinen Welt, der Sägewerksiedlung Camp Rapture und dem boomenden Ölfeld-Ort Holiday, irgendwo im Ost-Texas der 1930-Jahre. Äktschn-mäßig passiert zwar viel, und Lansdale versteht es, mit einem abwechslungsreichen & starken Figuren-Ensemble aufzuwarten, aber die Handlung dreht sich eben ›lediglich‹ darum, dass Menschen mit den harschen Bedingungen des ländlichen Lebens und den Widrigkeiten, die sie sich einander antun, zurande kommen müssen und versuchen, so gut es geht Recht und Ordnung zu wahren. Die provinziellen Lebensumstände und die von ihnen geprägten Leut sind bisweilen drastisch, was das erste Kapitel bereits verdeutlicht: Gerade als ein Frösche regnen lassender Tornado übers Land fegt und das Haus der Jones abträgt, will der in seiner Trunkenheit grobe Deputy Jones mit Gewalt seine Frau Sunset gegen deren Willen besteigen, die im Handgemenge den Revolver ihres Mannes zu fassen bekommt. Blam! Gattentod durch Selbstverteidigung bei versuchter Vergewaltigung, was einiges in Bewegung und das Machtgefüge im Bezirk Camp Rapture in Unruhe ver-setzt. Zu den unmittelbaren Folgen gehört, dass Marilyn, die Mutter von Deputy Jones, seine Teenager-Tocher Karen und der Ort damit zurecht kommen müssen, dass ihr Sohn, Vater und Deputy tot ist.

Gedankenspiel: Als in sich abgeschlossene Einheiten stehen Bücher nur im Regal schön brav nebeneinander. Im Kopf von Lesern, vor allem in einem solchen Flipperkasten, zu dem mein Schädel zuweilen wird, kommen Bücher miteinander ins Gespräch, kommentieren und bespiegeln sich gegenseitig. — »Kahlschlag« hat mir wieder Mal deutlich vor Augen geführt, was mir bei vielen Fantasy- und SF-Genrestoffen prinzipiell missfällt: nämlich, dass phantastische Genre-Stoffe allzuflott mit der großen Schicksalskeule aufwarten und sich bei ihnen die Handlung mindestens um die Rettung der Welt und den Kampf gegen das absolute Böse dreht. Ich finde, dass die Genre-Phantastik viel von ihrem Potential verschenkt, wenn sie thematisch so hoch pokert. Wie ich in »Abenteuer Phantastik« schrieb, machen uns alle Romane, egal ob realistischer oder phantastischer Weltenbau, das Angebot, uns aus dem eigenen Alltag auf eine Reise in andere Welten aufzumachen. Ich halte es bei dabei für nebensächlich, ob diese ›entführende Verzauberung durch Sprache & Handlung‹ uns nun in phantastische oder realistische Gefilde versetzt. — Die Tugenden, mit denen mich ein realistischer Genre-Roman wie »Kahlschlag« (oder auch »Mitten in Amerika« von Annie E. Proulx, »Manituana« von Wu Ming oder »Sunnyside« von Glenn David Gold) begeistert, sind, sei's Zufall oder tieferes Sinnmuster, genau die, welche ich bei Genre-SF & -Fantasy oftmals vermisse oder eben als Un-Tugenden wahrnehme:

  1. Die Details des AlltagsLebens, die vielleicht auch, vor allem was Landschaft und Wetter angeht, in vorsichtiger aber athmosphärisch kraftvoller Dosierung mit einer Priese Poesie dargestellt werden;
  2. Figuren, die erst in zweiter Instanz Funktionen erfüllen um eine (spannende, romantische, komische ect.) Handlung voranzutreiben, sondern die vor allem erst mal eben Charaktere, Typen, Personen sind die sich eben durch ihr jeweiliges Leben wurschteln. — Gerade die konservativ-naive Einfallslosigkeit, der folgend viel Genre-Phantastik (vor allem Fantasy & Space Opera) durch stark kontrastierte Gut- & Böse-Verteilungen geprägt wird, muss mit funktionalen Figuren operieren und es ist kein Wunder, wenn zumindest ich das dann meist unglaubwürdig finde und/oder mich schnell langweile.

»Kahlschlag« sei also sowieso allen empfohlen, die Lust auf ein kurzweiliges gutes Buch haben, dass sich durch seinen makellosen Stil, glaubwürdige & überraschende Figuren und eine spannende Handlung auszeichnet; ganz besonders aber möchte ich es Freunden der Genre-Phantastik zur inniglichen Beherzigung anraten, damit sie ein Gespür für Dinge entwickeln können, deren Mangel viele (Epic) Fantasy & Space Opera zu einer mauen Lektüre macht.

Zudem sei hervorgehoben, wie wunderschön diese broschierte Ausgabe geworden ist, abgefangen vom schönen Satz, über den Buchschmuck, bis hin zur sauberen Bindung und Verarbeitung.

Link-Service: Es freut mich ganz besonders, dass »Kahlschlag« von ausgewiesenen Kennern mit großem Lob bedacht wurde.

Christian Koch von der Krimibuchhandlung Hammett jubelt:

Trotz aller seiner "kleinen Schicksale" und Lebensgeschichten spannt "Kahlschlag" so insgesamt doch einen sehr weiten Bogen. Für nachfühlende Leser/innen reicht die Bandbreite der Emotionen dann auch von Staunen bis Lachen, man fiebert förmlich mit und erschauert, es kommen einem manchmal sogar fast die Tränen. – Wer einen derart in ein Wechselbad der Gefühle versetzen kann, der muss eigentlich schon der höheren Erzählkunst befähigt sein ...

Und Dieter Paul Rudolph schreibt für die Krimi-Couch:

Lansdale nimmt das Triviale ernst, degradiert es nicht zum neckischen Beiwerk für »Kunstkrimis«, die sich krampfhaft darum bemühen, gestenreich an die Kolportage- und Pulpwurzeln des Genres zu erinnern, und in aller Lächerlichkeit scheitern. Bei Lansdale bedeutet trivial nicht minderwertig, sondern steht für die künstlerische Rückführung eines an sich sehr komplexen Stoffes auf seine populären Wurzeln.

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Joe R. Lansdale: »Kahlschlag« (»Sunset and Sawdust«, 2004); aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla; 37 Kapitel auf 361 Seiten; Golkonda Verlag 2010; ISBN: 978-3-942396-01-1.

Dirk van den Boom: »Tentakelschatten«, oder: Ich mach Dich zur Schnecke!

Eintrag No. 664 — In meinem Wochenrückblick No. 23 habe ich bereits meine Überraschung verkündet, dass ich nach der Hälfte der Lektüre mit diesem Roman ziemlich zufrieden bin, lasse ihm aber gerne einen richtigen Rezi-Eintrag angedeihen. Ich wiederhole hier, was ich im Wochenrückblick schon vorausgeschickt habe: zum ersten, dass Militär-SF eigentlich nicht so mein Ding ist, und zum zweiten, dass, obwohl ich viel Lob für »Tentakelschatten« von Leuten hörte, denen ich einen guten Geschmack bescheinige, ich hin und her gezögert habe, ob ich den Kauf wagen soll, zu einem Gutteil deshalb, weil mir bisweilen Dirk van der Booms Selbstinszenierung mittels seiner Kommentare in einigen Genre-Foren kreuzunsympathisch ist (man möge mir diese Antipathie-Bekundung nachsehen, aber ich finde, solche Dinge spielen eine wesentliche Rolle bei der Lektüre von Romanen, sei es, dass derartige Vorurteile den Lesegenuss vergällen, oder, wie nun, zu unerwarteten, angenehmen Überraschungen führen. — Womit stießen mir Dirks Kommentare bisweilen vor’s Gemüt? Na-ja, mit gewissen, für mich nicht vollends eindeutig als ironisch {oder doch nicht-ironisch?} kenntliche Macho-Attitüden, Geld- & Schnelle-Auto-Verherrlichungen. Damit mag ich mich als Simpel zu erkennen geben, aber so bin ich nun mal.)

Meine ›schlimmste‹ Kritik betrifft nur einen Punkt und kann hier gleich zu Beginn schnell abgehandelt werden: aus dem Buch sind, und ich las die dritte Auflage, immer noch nicht alle Tipp- und Satzfehler ausgemerzt. Etwa ein halbes Dutzend sind mir noch aufgefallen.

Zur Story: Diese besteht aus der einfachen und SF-Fans allseits vertrauten Standardsituation, dass fremdartige Außerirdische — etwa zwei Meter große Schneckenmonster, die Menschenhirne als Dünger für ihren Nachwuchs nutzen — mit ihren vielen vielen Schiffen eine von dieser Erstkontakt-Invasion völlig überforderte Menschheit überrumpeln.

Handlungsstrang No. 1 bietet die militärische Perspektive mit Raumschiffen. Da ist am Rande der menschlichen Einfluss-Sphäre ein abgenudeltes Patrouillenschiff unterwegs. Die Menschheit hat vor nicht allzu langer Zeit einen Bürgerkrieg (Kolonien gegen Zentrum, und die Kolonien haben verloren) hinter sich gebracht, und die Besatzung der Malu besteht aus während des Bürgerkriegs in Ungnade Gefallenen und Karriere-Verlierern, angeführt vom moralisch aufrechten aber desillusioniert-verbitterten Jonathan Haark. Schon hier kann ich van den Booms Tugend der pfiffigen Details lobend erwähnen, wenn er schildert, wie der Schiffskoch mit zweifelhaften Rationen umgeht; warum es besser ist, einem Säufer am Pult zwischendurch eine Pause zu gönnen; und unter wessen Pult entsorgte Kaugummis pappen.

Handlungsstrang No. 2 liefert die militärische Perspektive von der Planetenoberfläche. Die Marinesoldatin Rahel Tooma hat sich nach ihrem Rückzug aus der Truppe auf der Farmkolonie Lydos niedergelassen. Lydos ist einer der ersten Planeten, der von den Tentakeln angegriffen wird, und Rahel organisiert zielstrebig die Flucht und Verbunkerung der Bedrängten in die ausgedehnten Dschungelgebiete. — Natüüürlich ist hier erwähnenswert, dass Rahels lesbische Orientierung nicht nur eine flüchtige Nebensächlichkeit bleibt, sondern anhand einer etwa 2 Seiten langen Sexszene schön veranschaulicht wird (a la ›Entspannung & Belohnung für die tapfere Überlebenstrupp-Anführerin‹). Hier kann ich auf das m. E. nach vorhandene ›Klischee‹-Verwertungsgeschick van den Booms hinweisen, denn Sexszenen sind ja berüchtigt heikel zu schreiben (und zu lesen). Ich hab geschmunzelt, aber nicht über das Ungeschick des Autors, sondern weil Sex, sobald man ihn mehr als ein paar Zeilen lang beschreibt, mich immer zum voyeuristischen Schmunzeln bringt, vor allem, weil die deutsche Sprache hier schnell lächerlich wirkt. (Und solch Schmunzeln ist dann vergnüglich, wenn die Sach nicht bricht, einknickt, platzt oder hintüberkippt, sondern eben schmatzt und flutscht wie hier … dann passt mir das durchaus in den Kramlechz).

Handlungsstrang No. 3 konzentriert sich auf die informations- und nachrichtendienstlichen Aspekte der Bedrohung. Der geniale Autist De Burenberg auf der Station Thetis puzzelt als erster aus der Datenflut zusammen, dass der Menschheit eine große Bedrohung aus dem Unbekannten zu Leibe rückt. Sehr amüsant, wie er und sein Verbindungsoffizier in weiterer Folge im vierten (dem politischen) Handlungsstrang ihre liebe Not damit haben, TrottelBürokraten und IntrigenHengste von den Fakten zu überzeugen. Mit dem politischen Handlungsstrang lernt der Leser zudem auch die Zustände der höchsten Machtzirkel auf Terra kennen.

Der einzige Handlungsstrang, mit dem ich etwas, aber nicht allzu unzufrieden war, schildert die Invasion aus Sicht des ersten Tentakelscouts. Für mich kann ein Text kaum zu exotisch oder zu exzentrisch werden, wenn es gilt, etwas wahrhaftig Un-Menschliches und Außerirdisches darzustellen. Dass van den Boom auf Nummer Sicher geht, mag ich ihm nicht objektiv ankreiden, ist doch meine leichte Enttäuschung bedingt durch meine Vorlieben für, und mein Verlangen nach Abwechslung stiftenden, richtig befremdlichen Alien-Seltsamkeits-Passagen. — Um genau zu sein: ich finde es ›schade‹, aber nicht ›schlecht‹, dass Dirk hier nicht versucht, dem Fremden eine höchst-eigene Sprache, Perspektive und Erzähl-Struktur zu verleihen.

Die Lehre, die ich Lesern und Autoren aus meinem Gefallen an »Tentakelschatten« liefern kann, lautet: mir ist ein gradliniger, einfacher Reisser lieber, wenn er schreibhandwerklich solide verfasst ist, meine Zeit nicht mit nervig vielen Wiederholungen bereits gelieferter Infos vergeudet, als ein ambitionierteres Werk, das mit inkonsequenten Stil und zu fahrig gestricktem Erzähl-Gewebe stresst. — Van den Boom versteht es, Äktschn, Hintergrundinfos, Charakterentwicklung mundgerecht strukturiert kurzweilig aufzufädeln. Meine Sympathie kann der Autor aber insbesondere mit einem ständig präsenten Hintergrundthema für sich gewinnen, wenn er darlegt, wie Korruption, Vetternwirtschaft, Bequemlichkeit und Misswirtschaft die logistische, personelle und nachrichtendienstliche Effektivität der Menschensphäre schwächt (die heraus lesbare Ähnlichkeit mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft stiftet einfach zu wohl tuendende Effekte). — Am Ende des Buches, nach vielen bitteren Niederlagen und nur wenigen hoffnungsstiftenden kleinen Siegen sieht der Leser die Menschheit denkbar schlecht gegen die Übermacht der fremdartigen Tentakelschnecken-Invasoren aufgestellt.

Ich bin mehr als geneigt, in den kommenden Monaten auch zu den Folgebänden »Tentakeltraum« und »Tentakelsturm« zu greifen, wenn mich in Zeiten besonderer Anforderungen durch meinen Brotjob das (hoffentlich verzeihliche) Verlagen überkommt, schlicht eine ›nur‹ vergnüglichen ›Eskapismus‹ fördernde Arbeitsweglektüre genießen zu wollen. — (Und Dirks mich empörende Foren-Entgleisungen werde ich fürderhin mit größerer Milde zu lesen verstehen, eingedenk meines nun vorhandenen Respekts für ihn, dass der Mann eben Ahnung hat, wie man das ›wenige‹, was man sich als Unterhaltungsautor vornehmen kann, befriedigend umsetzt.)

Interessant und damit lesenswert ist der Lesezirkel zum Buch bei SF-Fan.de.

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Dirk van den Boom: »Tentakelschatten«; 33 Kapitel auf 208 Seiten; Atlantis Verlag 2007 (Dritte Auflage 2008); ISBN: 3-936742-82-0.
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