molochronik

Otto Kallscheuer: »Die Wissenschaft vom Lieben Gott«

Eintrag No. 353 — Was die für mich bisher und ansonsten vorzügliche Reihe »Die Andere Bibliothek« angeht, so dachte ich bis jüngst, dass es da weder Mittelmäßiges noch gar Schlechtes gäbe. Nun aber bin ich eines besseren belehrt worden, denn zur Jahreswende habe ich mir »Die Wissenschaft vom Lieben Gott« von Otto Kallscheuer (wenn auch nur als Taschenbuch) gegönnt.

Vergnügt hat mich das Buch schon, auch und gerade indem es mich uffgeregt und genervt hat. Kallscheuer babbelt die meiste Zeit derart flappsig und kalauernd daher, dass ich mich frug, ob ich es hier mit einem (Möchtegern-)Komiker zu tun hab. Den glaubensverteidigenden Humorleistungen eines G. K. Chesterton kann Kallschauer jedoch nicht das Wasser reichen und so wirkt die Witzischkeit von »Die Wissenschaft von Lieben Gott« desöfteren mehr wie aufgesetztes Ornament, nicht wie tragende Struktur. Die besteht leider aus jenem (für mich Ungläubigen mal zutiefst unheimlich, mal putzig anmutendem) kirrem, sturem und treuherzigem Postulieren von Absolutismen, also ›Überdrübergehtnixmehr‹-ismen, welche unter dem exotisch und ehrwürdig klingenden Namen Theologie angeredet werden dürfen.

Theologie geht ja so: verleibe Dir möglichst viel von der Konkurrenz ein (antiker Philosophie, Heidentum, Volksaberglaube), steigere all das dann zum Besten, Größen, Herrlichsten, Mächtigsten usw. und wenn jemand dann auf die Fehler, Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten aufmerksam macht, redet man sich raus mit dem Hinweis, dass über GOtt zu reden oder ihm gar mit Vernunftargumenten beikommen zu wollen eh eine Knieschußaktion ist, weil unsere menschliche Sprache zu unvollkommen, unser menschlicher Verstand zu begrenzt, unsere menschliche Existenz zu beschränkt seien, um sprechend, denkend oder seiend IHM, DER DA IST wirklichend gerecht werden zu können. Nur wer wahrhaft glaubt, kann der Gande zuteil werden, irgendwie und ungefähr GOtt zu erfahren und SEINE HERRLICHKEIT ein izzi-bizzi-wenig aber mystisch zu schauen.

Wer sich ordentlich über die Geschichte theologischen Denkens informieren will, kann sich das Buch sparen, denn es bietet weder eine historische noch eine thematisch sinnvolle Aufbereitung des monotheistisch-theologischen Denkens und Glaubens. Vor allem aus den ersten zwei Dritteln kann man aber durchaus erfahren, aus welchen Legosteinchen der Glaube an einen absoluten persönlichen Eingott zusammengesteckt wurde.

Die Verstiegenheit des Buches fasst sich im letzten Absatz selbst ganz prächtig zusammen, wenn es heißt, dass die Globalisierung, also die ethisch-politische Vereinigung zu einem Königreich, ein Projekt Gottes sei, inklusive der wissenschaftlich-technischen Erforschung und Durchdringung der Welt. — Das ist richtig gruselig, denn durch das Buch zieht sich als ein roter Faden (oder als Achse des Westlich Guten™???) die Lobpreisung eines gewissen Bildes vom geistig-philosophischen Westen (für Kallscheuer eben die Essenz der drei Monotheismen Judentum, Christentum und Islam). Hiermit ist eine Denkart gemeint, bei der es noch EINE höhere Zielgerichtetheit, EINE teleologische Schöpferabsicht in der Welt und für uns Individuen, eben EINE Wahrheit gibt. Entsprechend hat das Buch nur Spott und Schimpf für antike und moderne Phantasmen-Vielfältigkeiten übrig (ganz nach dem Gebot: »Du sollst kein Trugbild haben neben mir«), grämt sich über die Popularität von fernöstlichem, weichgewaschen-christlichen und pokulturll-beliebigen Glauben. Diskurse die wahrhaft kritisch zu werden drohen sind Kallscheuer abhold.

Zudem: Ulkige Fehler lassen sich finden. Kallscheuer zitiert zwar alle möglichen obskuren Katholen mit Inbrunst, aber aus dem ägyptischen, einen Falkenkopf tragenden Gott Horus macht er einen ›Stiergott‹ (S. 161), und aus Hergé, dem Schöpfer von Tim & Struppi, wird ›Hervé‹ (S. 386).

Das Buch bietet auch Lobenswertes: da ist als erstes der dialogische Aufbau des Textes zu nennen, welcher im Großen und Ganzen für eine lockere Lesbarkeit sorgt (ein paar Kapitel gehen trotzdem wegen ihrer eintönigen »GOtt ist groß«-Formelhaftigkeit schwer runter); dann ist der Spott und die Schimpfe, die Kallscheuer den ganz engsternigen (Un-)Glaubensgenossen angedeien läßt, erfrischend zu lesen, und so genoß ich die verbalen Kopfnüsse und Brennesseln gegenüber Kreationisten, Wohlfühl-Esotrikern und Bequemlichkeits-Atheisten; und drittens amüsiert das Buch streckenweise mit seinen begeisterten Science Fiction- und Fantasy-Einlagen, wenn zum Beispiel quantentheoretische Multiversum-Spekulationen, oder freakige Jesutien-SF über den Omegapunkt der Evolution referiert werden.

Am meisten auf den Wecker gegangen ist mir allerdings die Art, wie Kallscheuer sich selbst in seinem Dialog immer wieder das Wort verbietet, ja geradezu anherrscht, nur bis hier und nicht weiter zu spekulieren, zu fragen, und also das Maul zu halten:

»Lassen wir das! Das wäre schon wieder eine andere Debatte {…} Ihre Frage ist ja sinnvoll, aber hier muß ich die Notbremse ziehen {…} Darum lassen wir hier die Finger davon, mon cher {…} Halt! Zu diesem Punkt entziehe ich Ihnen (und mir) das Wort {…}«

Nene, von einem guten Sachbuch erwarte ich anderes.

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Otto Kallscheuer: »Die Wissenschaft vom Lieben Gott. Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten« 486 Seiten, XVIII Kapitel; Die Andere Bibliothek, 2005 (gebunden), ISBN: 978-3-821-84561-6; — Piper, 2008 (Taschenbuch) ISBN: 978-3-492-25221-8
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