molochronik
Freitag, 21. März 2008

Septapack der Transzendenz

Eintrag No. 486 — Derzeit stöbere ich in Peter Sloterdijks neuestem Buch »Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen«. Sloterdijks Bücher lese ich sehr gerne, denn abgesehen von den Stellen, wo er mir mit Fremdworten, die ich in keinem meiner heimischen Wörtbuch finde, vor’s Hirn haut, bereiten die mir einfach Spaß. Da ich in meinem Alltag umgeben bin von lauter Menschen, die seufzend den Kopf schütteln, wenn ich Sloterdijk erwähne, muss ich mein Blog als Überlaufventil nutzen und ein bischen Begeisterung ablassen. Vorsicht, denn was ich hier nun folgt, ist ein Remix vermengt mit eigenen Gedanken, keine Rezension.

Dabei reicht es mir schon, nur über’s erste Kapitel von »Gottes Eifer« zu faseln. Das dreht sich um die Prämissen (›das Vorausgeschickte‹) des Buches, worum es so geht, was man als Leser beachten sollte, um sich nicht das Gemüt zu stossen. Richtig gehend fetzig fand ich dort eine Unterteilung der Phänomene, die mit dem Transzendenten, dem Heiligen zu tun haben.

Da gibt’s zuerst mal vier Phänomene, die sich mittlerweile ohne große Umstände auf weltliche Art und Weise beschreiben lassen, und wo also (sag ich jetzt mal) heiliges und sakrales Getue vielleicht eine nette Folklore darstellt, aber mehr auch nicht. Sloterdijk beschreibt entsprechend diese Transzendenz-Phänomene als ›Verkennungen‹.

  • 1—Verkennung des Langsamen: Praktischer Aspekt: Wie bewerkstelligt man die Koordinierung, wenn es gilt, über Generationen hinweg an einem Projekt zusammenarbeiten? Hier braucht’s Leute, die sich der langsamen Verwaltung widmen, und diese Leute nutzen dazu orientierende Ideal-Phantasmas. — Erkenntnis-Aspekt: Menschen im Lauf der Zeit immer besser gelernt, die langsamen Prozesse um sich zu beobachten und richtiger zu deuten, siehe z.B. die Evolutionstheorie. Also nix mit einem im Über oder Außen thronenden Schöpfer und Planer. Wir Menschen müssen uns selber organisieren, bzw. blubbert das Evolutionstreiben allein Geschöpfe hervor, ohne großen himmlischen Knetmeister.
  • 2—Verkennung des Heftigen: Superkrasse Wut-, Zorn- und andere aus der ›Wildnis von Innen‹ auflodernden heftigen Erregungszustände (inkl. ihrer Umkehr in sich selbst wegmachen wollende Scham) sind derart überwältigend, dass, wer von ihnen ergriffen wurde, sich als von etwas erfüllt wähnt, das von Woanders, von Oben, von Außen in ihn gefahren sein muss. Siehe Amoklauf und Berserker.
  • 3—Verkennung der »Unerreichbarkeit des Anderen«: Mein persönlicher Schwachsinns-Favorit. Weil ›etwas‹ nicht auf mein Zetern, Klagen, Bitten usw. reagiert, muss ›es‹ höher sein als ich oder die Welt. Sehr fein ist aber Sloterdijks prächtiges Resummee, wenn er schreibt:
    Selbst wenn hier also eine von Verkennung markierte Konzeption der Transzendenz vorliegt, sollte man »Gott«, sofern das schlechthin Andere gemeint ist, als ein moralisch fruchtbares Konzept würdigen, das Menschen auf den Umgang mit einem unmanipulierbaren Gegenüber einstimmt.
    Weitergedacht, invertiert und ein klein wenig übertrieben: zum »Gott« steigt man denen gegenüber auf, die einem nicht ans Bein pinkeln können, egal was man anstellt.
  • 4—Verkennung von Immunitätsfunktionen: Bei Immunitätsfunktionen geht’s um die Instanzen zur Abwehr von schädlichen Einflüssen (biologisch), zum Ausgleich von Dingen die außer Balance geraten sind (juristisch) und zum Motivieren in Situationen, wo es nach menschlichem Maßstäben nicht weitergeht (Chaosüberwindung).
    • a—Verarbeitung von Integrationsstörungen: Um mit solchen fiesen und piesakenden Naturkräften wie Tod, Zufall, Leiden fertig zu werden, hilft ritualisiertes Trösten, Mutmachen, Trauern usw. und aus dem narrativem Drumherum der entsprechenden Rituale lassen sich symbolisch gebastelte Weltbilder machen. Wenn man aber das aus den ›ritualisierten Sprechakten‹ zusammengefügte Weltbild verwechselt mit der höchsten Wahrheit, wird’s fatal, denn dann wird das helfende Mittel (die Lindernden Wirkungen der tröstenden Mumbojumbo-Rituale) zur Gottheit und fertig ist die Kulturhaltung eines Junkies, nur dass dort, wo dieser seinen Rausch-Kick braucht, der fundamentalistische Gläubige seinen Recht-behalten-Kick braucht.
    • b—Kanalisierung & Kodierung von Exzessbegabungen: Junge, was kann der Mensch auszucken! Gerade dann, wenn es durch das Zusammenleben von Menschen immer mehr Menschen besser geht und sie sich etwas gönnen oder sie sich ausruhen oder feiern oder Blödsinn anstellen können, werden Überschüsse frei und man will, muss, darf was anstellen. Besser also, man bändigt diese frei flotterenden Tatenergien, bevor sich allzu viele weh tun, die sich nicht weh tun wollen! Die einen Kasteien im religiösen Kontext sich selbst, andere peitschen sich mit lustigen Lederklamotten im sado-masochistischen Kontext, und der gemeine Proll verabredet sich zur großen Post-Fußballspiel-Prügelei irgendwo am Waldrand.

Daraufhin folgen zwei Transzendenz-Phänomene, die sich aufgrund ihres schon geheimnisvolleren Charakters ein bissi gegen eine Umsetzung in rein weltliche oder naturalistische Zusammenhänge sperren:

  • 5—Die höhere Intelligenz: Zu den selbstbezüglichen Seltsamkeiten des menschlichen Bewußtseins gehört die Fähigkeit, sich ›etwas‹ vorzustellen, das intelligenter ist als wir Menschen. Meine persönliche Vermutung ist ja schlicht, dass wir hier einfach unser Verhältnis zum Nutz- und Haustier umkehren, wenn wir uns in bangen Museaugenblicken fragen, ob wir selbst zum Nutzen für ›etwas‹ oder zu dessen Vergnügen gehalten werden, so wie wir uns einen Hamster, einen Hund oder ein Pferd halten. Bei Katzen gibt es ja bekanntlich eine große Fraktion, die annimmt, dass wir die Haustiere und Dosenöffner-Büttel der Viecher, und diese die eigentlichen Chefs der Tier-Mensch-WG sind. — Wie dem auch sei: Sloterdijk verweist am Rande darauf, dass es die Welt der Bücher ist, in der man seine entsprechenden Bedürfnisse nach Kontakt mit höherer Intelligenz weltlich ausleben kann.
  • 6—Das Reich der Toten: Ja wo tummeln sie sich denn alle, die von uns gegegangen sind? In einem idylischen Arkadien, in schrecklichen Höllenpfuhlen? Warten unvorstellbare Fremdartigkeiten jenseits der Schwelle des Todes auf uns, oder hinterfotzige Bürokratien einer vogonengleichen Karma-Recycle-Wirtschaft? Wir können es nicht wissen, bzw. was wir sicher wissen, ist nicht so wahnsinnig ermunternd (Wümer, Bakterien usw.) und deshalb stellen wir uns da halt von Herzen gerne etwas Erbaulicheres, storymäßig Griffigeres vor (statt dem Verdacht zuzustimmen, dass da eben nix kommt) und so haben sich Menschen anderwoige Jenseitse in manigfachen Varianten ausgesponnen.

Und zuletzt das siebte Transzendenz-Phänomen, das so heikel ist, dass hier, so Sloterdijk, derweil noch beim Deutungsspiel zwischen Wissen und Glauben letzter meistens siegt.

  • 7—Offenbahrungen: Woher kommen diese Stimmen in meinem Kopf? Wer flüstert mir die dollen Ideen, Weisungen, Befehle ein, die ich hab? Und freilich ist meine innere Stimme die einzig wahre und richtige und mit universeller Authorität ausgestattete, und deine innere Stimmen ist nur eine dämonische Irreleitungen, Truggebrabbel, Rückbänklergemurmel. — Jau, wie übersichtlich wird die Welt, wenn man sich vorstellt, es gäbe wirklich irgendwo in der Weltenmitte einen absoluten, über und in und jenseits von allem thronenden Herrscher, und manche von uns habe eine gute Antenne um seine Mitteilungen zu empfangen, ein exklusiv durch Gnade freigeschaltetes Free-Prophetie-Abo, während andere leider leider leider nur taube Hirne und Herzen mit so primitiven Kugelspielen haben, damit sie was zum in der Hirnschale Hin- & Herklappern haben.

Orientierende und dicht gepresste Kompaktversion von »Gottes Eifer« bekommt man in folgenden Rezensionen gereicht: Die harte Variante im aufzählendem Notat-Stil liefert Martina Wagner-Egalhaaf für »Literaturkritik.de«; eine weichere, erzählende Version bietet Hans Jürgen Heinrichs für »Die Welt«.

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