molochronik
Sonntag, 11. September 2005

»Her mit dem Schwert, ich muß die Welt retten!«, oder: Diana Wynne Jones und ihr »Tough Guide to Fantasyland«

Eintrag No. 230Diana Wynne Jones wird in England seit vielen Jahren als Fantasy-Autorin geschätzt. Mit der diesertage in unseren Kinos laufenden Verfilmung von »Das wandelnde Schloß« durch die japanischen Ghibli-Animationsstudios von Meister Miyazaki wird Diana Wynne Jones nun wohl auch bei uns mehr zu einem geläufigen Geheimtip unter Jugendbuch- und Fantasy-Kennern (wer immer das sein mag). Sie hat selbst noch Vorlesungen von J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis besucht, und gibt dennoch (oder gerade deshalb) mit »The Tough Guide to Fantasyland« (etwa: »Der herbe Reiseführer nach Fantasyland«) ein humorgeballtes Kontra auf all die zu liebgewonnenen Versatzstücke des Fantasy-Genres.

Lob und Jubel von mir nachträglich für den Bastei-Verlag, der das Buch 2000 unter dem Titel »Einmal zaubern, Touristenklasse« verlegte.

Wir erinnern uns: In den Fünfizigerjahren des letzten Jahrhunderts erschienen die drei Bände der »Herr der Ringe«-Trilogie von Tolkien. Erwartet hatte man eine Fortsetzung des erfolgreichen Kinderbuches »Der Kleine Hobbit« und bekommen hatte man eine überbordende Super-Queste nach einem Ausweg, um der sich alles unterwerfenden Macht der Moderne zu entkommen. Nicht viel geschah, bis die Hippies in den Sechzigern den zum Großmärchen aufgeblasenen Kriegs-Epos des Kampfes zwischen Gut und Böse für sich entdeckten. Der Meister von Mittelerde selbst war entsetzt über seine neue Leserschaft, die er als ›langhaarige Irre‹ bezeichnete.

Wer jemals den Disco-Song »Where there is a whip, there is a will« aus der Zeichentrickfassung des »Herren der Ringe« gehört hat, wird Tolkien verstehen können. Hier in Deutschland ist dieses Lied aus der TV-Fortsetzung von Ralph Bashkis Kino-Fassung kaum bekannt.

Wie man's auch nimmt, hat Tolkiens Mittelerde einen enormen Einfluß auf die populäre Kultur. Dieser exzentrische Linguist hat das Erfinden einer eigenen Welt mit einer Ernsthaftigkeit durchgezogen, die es bis dahin nicht gab. Frühere Phantasie-Welten sind im Vergleich zu Tolkien ehr oberflächlich und unverästelt. Niemals zuvor hat ein Autor in diesem Umfang zuerst Kosmologien, Landkarten, Genealogien, Geschichts-Chroniken, Legenden, Lieder, Verse und verschiedene Sprachen erstellt, um erst dann seine Geschichte in dieser Welt zu erzählen. Vor Tolkien blieb entsprechend veranlagten Lesern nur, die Felder der echten Geschichte, der Religionen, Großideologien und der Esoterik zu besuchen, wenn sie sich einer umfassenden literarischen ›Wirklichkeit‹ zwecks Selbstergänzung hingeben wollten.

Bis heute wird diese mächtige Sinnmachmaschinen-Qualität der ›Fantasy‹ von den Hardcore-Verfechtern der sogenannten ›richtigen und ernsthaften‹ Literatur scheel beäugt. Kein Wunder: Haben doch mit dem Fortschreiten des von Tolkien selbst so verachteten Moloch Moderne — der alles in kleine Konsumier-Portionen für Club-Urlaube abpackt — mehr oder weniger geschickte Pauschal-Reiseveranstalter Routen ins Tolkien'sche Terrain etabliert, auf denen die Touristen immer-tröstliche Helden- und Märchengeschichten genießen können.

<a href=""www.amazon.de"">Bereits 1996 hat Diana Wynne Jones ihren »Tough Guide to Fantasyland« in England veröffentlicht, der in fast 500 alphabethischen Einträgen von ›Adept‹ bis ›Zombies‹ die typischen Eigenheiten dieser Literatur kenntnisreich aufzählt, und spöttisch analysiert.

So ist keine ›Tour‹ vollständig ohne eine ›Karte‹. Touristen gelangen oft mittels eines ›Portals‹ an ihren ›Ausgangsort‹, zum Beispiel der kleinen Stadt Gna'ash.

Tja, mancher Leser wird bereits von derartig exotischen Ortsnamen wie Gna'ash verwirrt. Von solchen Irritationen rührt viel des schlechten Rufes der Fantasy und Phantastik. Wie gut, daß bereits zu solch grundlegenden Dingen wie ›Apostophen‹ und ›Namen‹ der »Tough Guide« den Fantasy-Unkundigen Verständnishilfe reicht. So gibt es drei Theorien zur Aussprache eines Ortsnamens wie Gna'ash.

1. Man ignoriert den Apostroph und einfach nur das Wort aus. (Dann Gna'ash = Gnash.) 2. Man läßt eine Pause oder Lücke an der Stelle des Apostrophen. (Dann Gna'ash = Gna-ash.) 3. Man macht eine Art Gluckslaut für den Apostrophen. (Dann Gna'ash = Gnaglunkash.) Personen mit unsicher sitzenden Mandeln sollten mit einer der ersten beiden Theorien vorlieb nehmen.

Hat man in Gna'ash das örtliche ›Wirtshaus‹ gefunden, sucht man dort seine Tour-›Gefährten‹ zusammen, ißt seinen ›Eintopf‹, mietet eine ›Kammer‹ für die Nacht und nimmt (wers braucht) an einer ›Kneipenschlägerei‹ teil. Am nächsten Tag kauft man auf dem ›Marktplatz‹ seine ›Kleidung‹ — zu der unbedingt ein ›Kapuzenumhang‹ gehört —, sein ›Schwert‹, ›Pferd‹ und den ganzen anderen Krempel für eine ›Queste‹. Bevor man aufbricht, sollte man noch den ansäßigen ›Magier‹ wegen des Schwertes konsultieren. Immerhin ist der längste Einträg des »Tough Guide« diesen Erz-Gadgets der Fantasy gewidmet.

Nun gehts auf zur großformatigen von ›Mystischen Meistern‹ moderierten Schnitzeljagd durch alle Gebiete die auf der ›Karte‹ zu finden sind. Gewürzt wird diese Schatzsuche nach einem ›Quest-Gegenstand‹ durch schwieriges Terrain und den ›Finsteren Herrscher‹. Hat man nach verschiedenen ›Zwischenfällen‹, ›Konfrontationen‹ und ›Kämpfen‹ das ›Quest-Objekt‹ gefunden, geht man daran, den ›Finsteren Herrscher‹ zu besiegen und/oder packt die ›Weltrettung‹ an. Wie auch immer: im dritten (oder auch fünften) Teil der Trilogie kommt es zum ›Abschluß‹ der Geschichte, siehe ›Geburtsrecht‹, siehe ›Verschollener Thronfolger‹.

Diana Wynne Jones kratzt mit ihren Einträgen zu ›Wirtschaft‹ (Ökonomie, siehe auch ›Stickereiarbeiten‹), ›Umwelt‹ (Ökologie, siehe auch ›Läuse‹) und ›Import/Export‹ an der oberflächlichen Daumenlutscher-Komplexität vieler Fantasy. Die zusammenkonstruierten Handlungen nimmt sie auseinander, indem sie darlegt, daß in ›Fantasyland‹ eben ›Legenden‹, ›Prophezeiungen‹ und ›Träume‹ als Informationsquelle für die ›Helden‹ weitaus zuverläßiger sind als ›Geschichtsschreibung‹. Sprach- und Stilkritik übt sie, wenn sie uns das ›Management‹ der Tour, sowie deren ›Formelle Bezeichnungen der Reiseveranstalter‹ (Official Management Terms) vorstellt. Eine Pest sucht eine Gegegend eben heim und hat Städte im Griff.

Kenner und Liebhaber von Genre-Fantasy können sich über die vielen geistreichen Beobachtungen und trockenen Kommentare abhärten oder aufregen, lachen oder grollen. Allen, die sich selbst in der Kunst der Fantasy-Schriftstellerei und Weltenerfinderei versuchen, empfehle ich den »Tough Guide« zur inniglichen Beherzigung. Jones legt umfangreich die verbreitesten Handgriffe (Fehler) für öd-gewöhnlichste Fantasy-Topffrisuren dar. Der »Tough Guide« ist eine praktische Bürste, mit der man seine eigenen Fantasy-Entwürfe gegen den Strich bürsten kann.

Ein Zuckerl des Buches sind die das Alphabet unterteilenden ›Gnomenworte‹ (nebst einem Barbarenlied). Die gebundene Auflage des Jahres 2004 des englischen Gollancz-Verlages (ISBN 0-575-07592-9) wird neben einer ›Karte‹ von Dave Senior durch acht feine Bleistiftzeichnungen (und Umschlagszier) von Douglas Carrel geschmückt.

Wenn du deine eigene Tocher an Banditen verkaufst, und dafür selbst mit deiner Tocher freigelassen wirst, das ist dann Politik. Ka'a Orto'o, Gnomenworte, XXXI ii

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Dieser Artikel ist zugleich mein erster Beitrag für das Phantastik-Portal FictionFantasy.

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