molochronik
Sonntag, 11. Juni 2006

Religion als natürliche Sache
Daniel C. Dennett: »Breaking the Spell«
PLUS: Erste Molochronik-Umfrage

Eintrag No. 275{Hiermitz beginne ich mal, mehr von meinen Sachbuchausflügen zu berichten. Immerhin pendel ich mit Vorliebe zwischen allen möglichen Textsorten bzgl Phantastik herum.}

Kennengelernt habe ich Daniel C. Dennett als Mitherausheber (neben Douglas R. Hofstadter) von »Einsicht ins Ich«, einer munteren Esaay- und Kurzgeschichten-Antho über Fragen & Spekulationen zum menschlichen Bewußtsein.

Gefreut hat mich, daß Dennett als respektabler Wissenschafts-Philosoph seine Sympathie für Phantastik und dessen Genre zeigt, z.B. indem er zu den Dokumentationen über Philosophie und technisch-gesellschaftliche Wurzeln der »Matrix Experience«-DVD beitrug.

Aus Daniel C. Dennett »Breaking the Spell – Religion as a Natural Phenomenon« (448 Seiten incl. Anhang, Fußnoten, Bibliographie & {ordentlicher!} Index; Viking, 2006, ISBN gebunden: 0-670-03472-X):

Fünf Thesen über den gegewärtigen Stand und die kommenden Entwicklung von Religion/Wissenschaft. Hemdsärmelig (aber hoffentlich nicht unkorrekt) von mir übersetzt (Seite 35 f). — Freilich gibt es noch mehr Annahmen über die möglichen Entwicklungen von Religion, aber Dennett meint, daß die folgenden fünf Szenarios die extremsten Positionen gut umreißen.

RELIGIÖSE WENDE Die Aufklärung {Enlightenment} ist lang vorbei: die schleichende ›Sekularisierung‹ der modernen Gesellschaften verpufft vor unseren Augen. Szenario: Gezeitenwechsel. Religion wird wieder wichtiger denn je. Religion nimmt bald wieder die herrschende gesellschaftliche und moralische Rolle ein, die sie inne hatte, vor dem Aufstieg der Wissenschaften seit dem 17. Jhd. Während die Leute sich von Technologie und materiellen Komfort erholen, steigt die spirituelle Identität zur meistgeschätzten Eigenschaft einer Person auf. Gesellschaften teilen sich schärfer gemäß der Zugehörigkeit in Christen, Moslems, Juden, Hindus usw. Schließlich wird — erst in vielleicht 1000 Jahren, oder durch große Katasthrophen schon früher — eine einzige Religion den Planeten umspannen.

ABSTERBEN DER RELIGION Religion liegt in den Todeszuckungen; die gegenwärtigen Ausbrüche an Inbrunst und Fanatismus sind Symptome des Übergangs zu einer wirklich modernen Gesellschaft, in der Religion höchstens noch eine zeremonielle Rolle spielt. Szenario: Obwohl es zeitliche und örtliche Wiederbelebungen und gewaltätige Katasthrophen geben mag, werden die großen Religionen genauso aussterben, wie heute hunderte von Religionen schneller verschwinden, als Anthropologen sie verzeichnen können. In der Lebenszeit unserer Enkel wird aus dem Vatikan das Europäische Museum für Römisch-Katholisches Christentum, und Mekka wandelt sich zu Disneys Magisches Königreich Allahs.

TRANSFORMATION DER RELIGION Aus Religion werden Institutionen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat: größtenteils uneigennützige Zusammenschlüsse die Selbsthilfe anbieten und moralische Gemeinschaftsarbeit ermöglichen. Zeremonien und Tradition dienen um Beziehungen zu festigen und ›Langzeit-Fan-Treue‹ zu schaffen. Szenario: Mitglied einer Religion zu sein, wird immer mehr dem ähnlich, heute ein Bayern München- oder HSV-Fan zu sein. Es gibt dann verschiedene Farben, Lieder und Jubelrufe {cheers}, unterschiedliche Symbole und lebhafter Wettbewerb — würden Sie Ihre Tochter einen Frankfurter Eintracht-Fan heiraten lassen? — doch von ein paar renitenten Wenigen abgesehen, weiß jeder die Wichtigkeit von freidlicher Koexistenz in der Globalen Liga der Religionen wertzuschätzen. Religiöse Kunst und Musik blüht auf, und freundliche Rivalität führt zu abgestuften Spezialisierungen. Eine Religion mag wegen ihrer Anwaltschaft für die Umwelt {enviromental stewardship} berühmt sein, und Millionen mit sauberem Wasser versorgen. Eine andere Religion mag für die Verteidigung von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Ausgeglichenheit bekannt sein.

MARGINALISIERUNG DER RELIGION Das Ansehen und die Sichtbarkeit von Religion schwinden. Wie Rauchen wird es zwar toleriert, da es immer welche gibt die behaupten nicht ohne leben zu können. Doch man ermuntert nicht dazu. Kindern, die leicht beeindruckbar sind, Religion zu lehren wird in den meisten Gesellschaften scheel beäugt, in einigen wird es sogar verboten. Szenario: Politiker die immer noch praktizierend religiös sind, müssen ihre Ämtertauglichkeit durch andere als religiöse Verdienste um die Gemeinschaft beweisen; nur wenige Politiker würden mit ihren religiösen Überzeugungen hausieren gehen. Die Aufmerksamkeit auf die Religion eines Menschen zu lenken, wird als ungehobelt betrachtet, wie auch öffentliche Kommentare über das Geschlechtsleben, oder Fragen danach, ob jemand geschieden ist oder nicht.

WELTENDÄMMERUNG Das Jüngste Gericht ist da. Die Gesegneten steigen leibhaftig gen Himmel auf, alle anderen bleiben zurück und erleiden die Qualen der Verdammnis, wenn der Antichrist unterliegt. Szenario: Wie die Prophezeiungen der Bibel weissagen, sind die Geburt des Staates Israel im Jahre 1948 und der fortwährende Konflikt um Palestina deutliche Zeichen für das Weltenende, wenn wie Wiederkehr von Christus alle anderen Hypthesen vom Tisch wischt.

•••• Und weils so schön ist …

Was meint der Molochronik-Leser: Welche der beschriebenen Entwicklungsmöglichkeiten in Sachen Religion wird wohl am meisten die Zukunft prägen?

Religiöse Kehrtwende
37,5% (3 Stimmen)
Absterben der Religion
0% (0 Stimmen)
Transformation der Religion
50% (4 Stimmen)
Marginalisierung der Religion
0% (0 Stimmen)
Weltendämmerung
12,5% (1 Stimme)
Summe: 8 Stimmen

Die erste Stimme {Transformation} entspricht meiner bescheidenen Pi-mal-Daumen-Wahl.

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