Das kontrafaktische, fabulatorische Preisausschreiben zu Thomas Pynchons »Gegen den Tag«
Eintrag No. 470 — Am 01. Mai 2008 wird bei Rowohlt die deutsche Ausgabe von Thomas Pynchons neuestem Wahnwitz-Schmöker »Against the Day« (2006) auf Deutsch unter dem Titel »Gegen den Tag« erscheinen. — Nikolaus Stingl (Übersetzer von u.a.: John Irving, Cormac McCarthy, Neal Stephenson) und Dirk van Gunsteren (Übersetzer von u.a.: Philip Roth, T.C. Boyle, Jonathan Safran Foer, Oliver Sacks) haben den 1760 Seiten starken Roman übersetzt, und für mich steht jetzt schon fest: da kommt ein wahrhaft alle einfachen Rahmen sprengendes Prosaspektakel über uns.
Thomas Pynchon gilt ja als einer, der sich sich noch nie groß um die tradierten Grenzen zwischen hoher Kunst und niederen Popkulturgelfilden gekümmert hat, und der deshalb wohl zurecht den unausgesprochenen Titel ›wildester Nobelpreis-Anwärter‹ verdient. — Zum ersten Mal hat der Autor selbst einen orientierenden Klappentext verfasst, der in gekürzter Form auch verschiedentlich auf Deutsch vorliegt. Ich habe mir erlaubt, diesen ›Waschzettel‹ um die gekürzten Stellen (= blau) zu ergänzen.
Während sich die weltweite Katastrophe schon am Horizont abzeichnet, beherrschen hemmungslose kapitalistische Gier, falsche Religiosität, tiefe Geistlosigkeit und böse Absichten an hohen Stellen das Bild. Verbindungen zur Gegenwart sind weder beabsichtigt, noch sollten sie gezogen werden.
Das umfangreiche Figuren-Ensemble umfasst Anarchisten, Ballonfahrer, Spieler, Industriekapitäne, Drogenenthusiasten, Unschuldige und Dekandente, Mathematiker, verrückte Wissenschaftler, sowie Bühnenmagier, Spione, Detektive, Abenteurerinnen und gedungene Schützen. Es gibt Gastauftritte von Nikola Tesla, Bela Lugosi und Groucho Marx.
In einer Zeit, da eine Epoche der Sicherheit ihnen mit Getöse um die Ohren fliegt und eine unvorhersagbare Zukunft anhebt, versuchen diese Leute lediglich ihrem Leben zu folgen. Ab und zu bleiben sie am Ball; manchmal ist es ihr Leben, das sie verfolgt.
Derweil treibt der Autor sein übliches Spiel. Figuren unterbrechen ihr Tun, um größtenteils alberne Liedchen zu singen. Seltsame und abseitige Sexualpraktiken werden ausgeübt, obskure Sprachen gesprochen, und das nicht immer idiomatisch richtig. Kontrafaktische Ereignisse finden statt. Vielleicht ist dies nicht die Welt, aber mit ein, zwei kleinen Änderungen könnte sie es sein. Einigen zufolge ist dies eine der Hauptaufgaben von Fiktionen.
Die Leser mögen entscheiden, und Vorsicht walten lassen. Viel Glück. — T.P.
AUFGABE:
Es ist eine feine Sache, wenn Romane — also ausgedachte Geschichten die mitunter bestrebt sind, die ganze Welt und das menschliche Leben in toto in eine erzählende Form zu pressen — sich geflissentlich bemühen, als realistische Spiegel der Gegenwart bzw. der Vergangenheit und etwaiger Zukunft zu dienen. Doch in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Illusion und Wahrheit, zwischen Propaganda und Bescheuklapptheit durch den tobenden Informationskrieg durcheinander geraten sind, erscheint (mir zumindest) es für das packende Erzählen bisweilen angebracht, das allzu enge Beet des Tatsächlichen zu erweitern um die Gefilde des spekulativ Phantastischen. Das »Literaturwelt«-Blog und die »Molochronik« rufen daher alle mutigen Fabulierer auf, eine knappe jedoch möglichst tolldreiste Schau auf die Weltenläufte der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft einzureichen.
Alles ist erlaubt! — Vermengt Faktisches mit Fiktiven, erfindet unmögliche, wundersame Gadgets und Monster, skizziert haarsträubende Intrigen und Konflikte zwischen echten und erfundenen Fraktionen, schildert die Übergänge von den Reichen des Tatsächlichen zu denen des Unmöglichen.
••• EDIT-Ergänzung zur Art der einzureichenden Wettbewerbs-Beiträge: Da alles erlaubt ist, gibt es keine bestimmten zu erfüllenden Kriterien, was für eine Art von Text eingereicht werden muss. Erlaubt ist also alles, was sich ausdenken und niederschreiben läßt, egal ob dabei ein Expose (für einen fiktiven Roman), ein Langgedicht, eine dramatische Szene, eine Kurzgeschichte herauskommt, oder noch exotischere Textsorten, wie z.B. Klappentexte einer (fiktiven) x-teiligen Serie, die Schaltplanskizze eines Möglichkeitsbaums eines Abenteurspielbuches, eine Auswahl von Einträgen eines fiktiven lexikalischen Werkes — wie gesagt: ALLES ist bei diesem Wettbewerb erlaubt.
MODALITÄTEN:
Mindestens zwei, maximal vier Din-A-4-Seiten (mindestens 4000 Zeichen, maximal 8000 Zeichen inkl. Leer- & Satzzeichen.)
Einzureichen als PDF, als RTF oder als Text in einer eMail. Formatierungen sind erlaubt. Zur Sicherheit sollten jedoch fette Passagen mit Unterstrich, und kursive Passagen mit Sternchen markiert werden.
Text oder Text-datei per eMail einschicken an:
Zu gewinnen gibt es eine englische US-Taschenbuchausgabe von »Against the Day«. — Zugegeben: das Exemplar krankt an einem leichten Knickschaden des vorderen Umschlages (wurde halt aus dem Ramsch gefischt), aber als Gutmachung für diesen Makel wird dem Exemplar eine von Molosovsky selbst erstellte Kapitel- und Abschnitt-Übersicht beigegeben, die zugleich als Lesezeichen dient.
Vergesst nicht, Eure schneckenpostalische Adresse anzugeben, damit Euch (falls Ihr gewinnt) das Exemplar von »Against the Day« zugeschickt werden kann.
Als Jury fungiert Molosovsky selbst, der aus den eingesendeten Fabulations-Skizzen die ihm am besten gefallende küren wird. Die Teilnehmer stimmen mit dem Einsenden ihres Textes zu, dass ihr Text sowohl im »Literaturwelt«-Blog, als auch in der »Molochronik« veröffentlicht wird. Auf Wunsch des Gewinners kann sein Realweltname geheim bleiben und durch ein entsprechendes pseudonym ersetzt werden. Und so die Musen mir hold sind, werde ich den Gewinnertext illustrieren und die Originalzeichnung ebenfalls als Preisgabe stiften.
Also auf auf, wagemutige Phantasten. Hals und Beinbruch und viel Vergnügen wünscht
Alex / molosovsky
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EINIGE WEGWEISENDE LINKS:
- Eine umfassende, kommentierte Übersicht zu den deutschen Berichten zu »Gegen den Tag« findet sich auf den erstaunlichen Webseiten von Otto Sell.
- Zu einem interessantem Briefwechsel von »Literaturwelt«-Kollege Alban Nicolai Herbst mit ›lh‹ über Pynchon, Dietmar Dath und Delf Schmidt bezüglich »Against the Day« in Albans wundervollem »Die Dschungel«-Blog.
- Das englische Leser-Wiki zu »Against the Day« mit erhellenden Anmerkungen, Bildmaterialien, Rat für Pynchon-Neuleser und vielen hilfreichen Artikeln.
- Die umfangreiche »Spermaticus Logos«-Abteilung über Thomas Pynchon und sein Werk auf den englischen Seiten von »The Modern Word«.
simifilm
Bist Du tatsächlich der Ansicht, dass dies je anders war? Dass es einmal eine Zeit gab, in der es einen unverstellte(re)n Blick auf die Wirklichkeit gab? Ich nicht ...
molosovsky Besitzerin
zu Zeiten, als man noch nur mit Orakeln, Läufern, Bieftauben, Buchstaben-Twists und was weiß ich, halt ohne elektronische Medien, Überwachugstechnik, Satelliten und hastunichtgesehen ausfocht, war’s auch nicht wirklich heller in Sachen Infowar. — Aber heutzutage macht ja wirklich jeder Popel mit bei diesem Conspirations-Wettdeuten. Manchmal sogar kleine ungestüme Blogger wie ich.
Also sag ich’s mal so: wir leben in finsteren Zeiten, in denen zudem mittlerweile ständige White Noise-Orkane toben :)
Ach ja: mit Deiner Sicht bringst Du freilich m.E. die besten Gemüts-Voraussetzung mit, einen feinen Teilnahmebeitrag zu verfassen. Trau Dich! Ich würd mich narrisch freuen.
merzmensch
Oje, schon wieder habe ich etwas kreatives versäumt... Hpffentlich, kommen bald die neuen Aufgaben :-)
Der *zumkreativenbereite* Merzmensch
molosovsky Besitzerin
Habe ich doch (noch) gar keine in Aussicht gestellt, merzmensch. — Aber vielleicht hast Du aus der Ferne meine Gedanken gelesen, denn ich habe tatsächlich vor, weitere Molochronik/Literaturwelt-Wettbewerbe vom Zaun zu reissen. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Bücher aus meinem Fundus an die Leut bringen, und die Molochronik-Leser animieren, kreativ zu werden.
Der Gewinner des »Against the Day«-Bewerbes wird bis Sonntagabend bekannt gegeben.
molosovsky Besitzerin
besser: die Gewinner sind …hier nachzulesen.