molochronik
Donnerstag, 4. Dezember 2008

Max Brooks: »Weltkrieg Z. Eine mündliche Geschichte des Zombiekrieges«

Eintrag No. 528

Für die Sammelrezi »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik« in »Magira 2009« überarbeitet und erweitert worden.

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Manche Medienwerke sind bewundernswert, weil sie sehr gut gemacht sind. Ein Gemälde kann inhaltlich fad sein, und doch bereiten Komposition und Farbhandhabung Genuss. Ein Film kann mau dahin dümpeln, aber die Kameraarbeit, oder die Musik oder die Darstellungskunst eines Schauspielers vermögen zu beeindrucken. Ein Buch mag nur eine belanglose, flache Geschichte erzählen, jedoch versteht es die Sprache uns zu fesseln.

Umgekehrt gibt es Werke, die zuallererst durch eine brillante, umfassende, neue Perspektiven eröffnende Idee auffallen. Der Amerikaner Max Brooks (1972) hat es mit seinem »World War Z – An Oral History of the Zombie War« vollbracht, mich dementsprechend umzuhauen, meinen respektvollen Neid und somit meine Begeisterung zu entfachen, indem er die in den letzten Jahren schier unübersichtlich angewachsene Epidemie von Zombiestoffen um ein grenzgeniales Meisterstück bereicherte.

Wermutstropfen und Grund zu Uffregung über hiesige Lektorat- und/oder Vermarktungsentscheidungen: Der deutsche Titel, »Wer länger lebt, ist später tot – Operation Zombie«, mit dem der Goldmann-Verlag das Buch bei uns in die Läden schickt, legt irrigerweise nahe, dass man es zuvörderst mit einem locker-schwarzhumorigen Schmunzel-Witzebuch zu tun hat. Auch wenn Humor in Max Brooks Zombie-Buch durchaus hie und da durchschimmert (kein Wunder, ist er doch der Sohn von Mel Brooks und Anne Banecroft), handelt es sich dabei doch mehr um bitter-galligen Humor.

Zombies: diese herzig-schaurigen Mob-Monster haben sich etwa mit dem Beginn des neuen Milleniums wunderbar zu einer Großmetapher für Spannungen und Probleme der so genannten Globalisierung gemausert. Wir erinnern uns: die ›klassischen‹ Zombies ab den Fünfzigern/Sechzigern waren ziemlich träge und ließen sich prima als phantastische Horror-Illustration für willenlose Konsumenten- und Konformationsträgheit deuten.

Die moderne Zombies seit der Jahrtausendwende aber rennen geschwind den lebenden Hirnträgern nach (wie im Remake von »Dawn of the Dead«, in »28 Days Later«), und entwickeln sogar Ansätze von Kooperation und Deduktion (wie in »Land of the Dead«). Verschiedentlich wurden diese flinkeren, wütenden Zombies durchaus einleuchtend als Metapher für ebenso zornige Globalisierungskritiker gedeutet. Jedoch, finde ich, liegt darin eine interessante Doppel- wenn nicht Vieldeutigkeit, denn Zombies können eben für alles mögliche stehen: willenlose Hinterherläufer (»Keiner will denken, aber alle wollen Menschenfleisch fressen. Ich auch.«), wütende Rebellen (»Wir sind die ehemaligen Konsummondkälber die wegen schlechter Arthaltung jetzt mit Tollwutgeifer zurückbeißen«), entmenschlichte Egoisten (»Schießt ruhig. Hauptsache, ich krieg Menschenfleisch«) und und und.

Zwar bleiben die Zombies bei Max Brooks dem klassischen Zombiebild treu, aber seine dolle Idee, mit der er dem Genre enorm viel Neues abgewinnt, wiegt das locker auf (wobei ich zweifele, dass es bei Brooks’ Buch überhaupt einen gröberen Makel gibt, den es wett zu machen gilt). Normalerweise spielt die große, nation-, kontinent- oder weltweite Untoten-Pandemie eine dekorative Rolle im Hintergrund von Zombiegeschichten. Üblicherweise begleitet eine solche Geschichte über einen kurzen Zeitraum eine Handvoll Menschen, wie die sich eher schlecht als recht in einer Welt durchschlagen, -ballern, und -schnetzeln, in der plötzlich die Toten mit großem Hunger herumwackeln.

Max BrooksBrooks erklärt im Vorwort von »World War Z«, dass er nach dem großen Zombiekrieg von den Vereinten Nationen beauftragt wurde, einen Bericht über selbigen zu schreiben. Allerdings haben seine Vorgesetzten gemosert, sein Manuskript enthielte zu viel »menschelnde Anteile«, man wolle nur die harten, kalten Fakten, die Zahlen. Mitnichten wolle man es aber Brooks verbieten, das Material seiner Interviews in einem eigenen Buch zu verarbeiten. Dieses Buch halten wir Leser nun in Händen. Brooks nimmt sich selbst zurück und präsentiert uns in 58 Studs Terkel-artigen Interviewtranskripten[01] eine ungewöhnlich facettenreiche Geschichte des weltweiten Zombiekrieges.

Auch ohne Zombies böte Brooks Buch genug Grusel, denn es scheut sich nicht, konkrete Mißstände zu beschreiben, die auf enthemmtem Nutzen des globalen Handels- und Kommunikationsnetzwerkes gründen. So hat die Zombieseuche markanterweise ihren Ursprung irgendwo im Herzen Chinas. (Regelmäßig trachten Apokalyptiker danach, uns Erstweltbürgern heiligen Schrecken vor einem gedankenlosen »Weiter so!« unseres Zivilisationsstandarts einzuflößen, wenn wir uns der schrecklichen Konsequenzen gewahr werden sollen, dass die lebenstragenden Qualitäten von Mutter Erde schnell gänzlich erschöpft würden, sollten die Menschenmassen Chinas fortfahren mit ihrem Anliegen, unseren Konsum- und Verschwendungslebensstil nachzuahmen.) Die ersten Untoten steigen aus den Wassern eines Stauseegebietes, einem jener künstlichen Fortschrittsgewässer, die den wachsenden Energiebedarf Chinas sichern sollen. Die Chinesen halten die Zombies, wie die gegen sie gerichteten Säuberungsaktionen, natürlich erstmal fatalerweise streng geheim. Auch im weiteren Verlauf des Romanes ist Kritik an bisherigen Praktiken der materiellen und informellen Ressourcehandhabung ein Dauerthema. Die Schattenseiten einer entgrenzten und unzureichend überwachten Logistik schildert ein bald folgendes Interview, in dem ein Assistenz-Arzt erzählt, wie auf der anderen Seite der Welt, in Rio, ein tiefgefrorenes, chinesisches Zombievirus-tragendes Spenderherz (für einen riechen Österreicher über eine Schwarzmarkt-Connection aufgestöbert), für den ersten Zombie in Brasilien sorgt.

Freilich wäre es überspannte Verlobudelung zu behaupten, dass jedes der 58 Interviews eine Gemme für sich ist. Aber richtige Nieten gibt es keine, ja nicht mal seichtes Mittelmaß. Zu den Höhepunkten zählt aber sicherlich die eine kleine Reihe an Gespräche mit dem US-Army-Veteran Todd Wainio, der verschiedene Phasen des vieljährigen Überlebenskampfes gegen die Zombies mit seinen Berichten anschaulich schildert: vom desaströsen Versagen der noch unerfahrenen Streitkräfte beim ersten Kontakt mit einem womöglich millionenköpfigen Zombieschwarm, der sich von New York aus ins amerikanische Landesinnere bewegt, über seine Beurteilung der einige Jahre später erheblich verbesserten Taktik der Antizombiekampfverbände, bis hin zum zähen Wiedererschließen beim langsamen Säubern der aufgegebenen Städte. — Atemlos habe ich die Erlebnisse des als Jungen von der Hiroshimabombe geblendeten Japaners Sensei Tomonaga Ijiro gelesen. Alleine schafft er es trotz seiner Blindheit mittels Bewahrung eines kühlen Kopfes und Vertrauens in die Naturgötter eines Naturschutzgebietes zu überleben. Wahrhaft un-glaub-lich.

Sicher ist, dass Brooks für alle Horror- und Zombiefans exquisite Schock- und Gruselpassagen bietet. Erstaunlich jedoch, dass die typischen Gruseleien eigentlich recht rar (wenn auch geschickt) gesetzt sind. Im Laufe des Buches tritt deutlicher eine andere Art von Grauen in den Vordergrund, die Konfrontation mit den von Brooks vorgeführten menschlichen Abgründen, sowohl individueller wie institutioneller Art. Zum Beispiel, wenn in seinem Arktis-Exil ein gerissener Geschäftemacher zu Worte kommt, der die Furcht vor den Zombies ausnutzte um mit wirkungslosen Impfstoffen noch schnell Geld zu scheffeln bevor alles zusammenbrach; oder wenn die Sträflingssoldaten russischer Zombiesäuberungstrupps die unmenschlichen Disziplinierungstyrannei in ihren Lagern schildern. — »World War Z« gelingt es, dass sich im Hintergrund ein Grauen zusammenballt, wenn so manche dunkle Ahnung und Stimmung beschworen wird, wie es zuginge, (oder in absehbarer Zeit zugehen wird), wenn die zivilisatorischen Polster und Zügel verschwinden, und unzählige Menschenmassen sich wegen virulent ausbreitender Fanatismen, knapper werdenden Rohstoffen und rapide schrumpfenden Überlebensräumen, panisch gegenseitig an die Gurgel gehen.

Kurzum: Ein vielseitig unterhaltsamer Zombietitel, der wegen seiner Sensibilität für gesellschaftliche Probleme und gerade durch sein Augenmerk ›menschlichen Faktor‹ auch für Nicht-Zombiefreunde empfehlenswert ist. Ein wundervolles Beispiel dafür, wie man mit phantastischen Großmetaphern spielerisch und zugleich engagiert über die tatsächliche Welt sprechen kann.

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ANMERKUNGEN:

[01] Studs Terkel (1912-2008) erwarb sich als Gesprächspartner in unzähligen Interviews den Ruf (ab 1952 fürs Radio, dann auch in Buchform), der Mann zu sein der Amerika interviewte. Als Pionier der »Oral History« veröffentlichte er Gespräche, überwiegend mit »einfachen Menschen« zu Themen wie Jazzmusik, den Zweiten Weltkrieg, alltäglichen Rassismus, die »Great Depression«, Grenzerfahrungen, Ängste, Wünsche und Hoffnungen. ••• Zurück

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Max Brooks: »World War Z – An Oral History of the Zombie War« (2006), 342 Seiten; 52 Interviews in 8 Abschnitten mit einer Einleitung und einer Illustration von John Petersen. Paperback Edition, Three Rivers Press; ISBN: 978-0-307-34661-2.
Max Brooks: »Wer länger lebt, ist später tot – Operation Zombie« (2007), übersetzt von Joachim Körber, 448 Seiten. Goldmann Taschenbuch; ISBN: 978-3-442-46539-2.
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