molochronik
Sonntag, 13. Juni 2004

Gott ist rund und der Pöbel will ihn getreten sehen.

EDIT 28. Januar 2008: Um Skribbel-Illu ergänzt.

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(Gesellschaft) - Heute will ich mir gönnen, meiner Intoleranz freien Lauf zu lassen, und tue deshalb offen kund: ich hasse Fußball als Phänomen der Massenunterhaltung; die dieser Tage allgegenwärtige Europameisterschaft widert mich an; nichts zwingt mir so heftig ein Winston Smith-Lebensgefühl auf, wie diese mich umgrindende Volksbegeisterung fürs runde Leder. Der Leser weiß nicht, wer Winston Smith ist, und was für ein Lebensgefühl ich meine? Na dann google mal, lieber Nichtkenner von Orwell.

Dieser Eintrag ist also nur für meine Brüder und Schwestern im Leiden und der Angenervtheit, für jene, die Fußball ebenso ablehnen wie ich. Für eure Erheiterung hier ein paar schöne Zitate aus Sphären II - Globen von Peter Sloterdijk:

»Die Faszination von Turnieren {…}: Bei ihnen wird, analog zur Tierzucht, das Eliminationsverfahren zu einer menschgemachten Selektion. Er oder ich, wir oder sie – das wird in der Arena wie in einer Versuchsanordnung künstlicher Selektion eingeübt.« •••Seite 330

Die einzigen Turniere, die ich ertrage zu gucken, sind Schach- Golf und Snooker-Wettkämpfe, weil sie so unaufgeregt verlaufen, meditative Gegenstimmung zum Daumen rauf-, Daumen runter-Spiel bieten. Schön wären auch Dart-Wettkämpfe im Fernsehen; hats aber nie gegeben in meiner Zeit als Fernsehgucker. Dabei ideal fürs Fernsehen mit Splitscreen: links die Scheibe mit einschlagenden Pfeilen, rechts der Werfer im Bild. Tja, bleiben als Ersatz nur die seltenen Bogenschießenübertragungen bei den Olympiaden.

»Wenn das griechische Leitwort lautete: Erkenne dich selbst, so heißt das römische: Erkenne die Lage. {…} Als Theater der Selektion appellieren die römischen Spiele methodisch an die Notwendigkeit, einzusehen, daß die Grausamkeit immer recht hat. {…} Die Götter selbst sind zum Opportunismus verdammt; ihre Gläubigen müssen lernen, sich den Resultaten von Spielen, im Kleinen wie im Großen, wie Offenbarungen zu fügen. Nichts anderen meint Fatalismus als Religion: die Bereitschaft, in die vulgärsten Zufälle den Götterwillen involviert zu sehen.« •••Seite 334

Take what you can. Give nothing back … diese Weisheit liegt all dem Zugrunde, und wir kennen diese Worte als das Motto der Piraten aus dem Johnny Depp-Film. Ich fühle mich bei so was nicht wohl. Auf der Realschule als Teen habe ich beobachten können, daß, wo wir zum Spaß an der Freude Fußball kickten, noch alles fair und gesittet verlief. Vor den Ferien war es üblich, statt Zirkeltraining oder kompliziertem Gehüpfe, die ganzen drei Sportstunden durch ein Turnier abzuhalten, und das Spiel der Wahl war natürlich meistens Fußball. Hierbei sprangen dann bei denen aus der Klasse, die auf ihrem jeweiligen Dorfkaff in einer Jugendmannschaft spielten, die Profikonditionierungen an, die ihnen dort als Esoterik der Vereinsgemeinschaft antrainiert wurden. Faule, schubse wie wild und wage überhaupt jedes unfaire Manöver, reize den Handlungsraum hin zum Regelverstoß aus, soweit es möglich ist, lerne dann die Rüge durch den Schiri als behämmerte kleinmütige Ungerechtigkeit aufzufassen, und schleife dein Mitleid für den humpelnden Gegener, erst recht, wenn du selbst ihn getreten hast.

»Ohne Zweifel liegen in den Unterhaltugsexzessen der römischen Theater die Ursprünge der Massenkultur: mit ihm entstand eine frühe und komplette Form von Faszinationsindustrie, die gereizte oder dekadente Gesellschaften mit Erregung versorgt und in Verzauberung bindet. Der Amüsierfaschismus {…} nimmt funktional zahlreiche Merkmale der modernen Massenregie durch Erregungsmedien vorweg.« •••Seite 334/335

Mir ist die entsprechende Arena des Lichtspielhauses lieber, denn wenigstens muß ich hier nicht dem Zufall beim Schußern zuschaun, sondern habs mit einer (mehr oder weniger) durchdachten, komponierten, gestalteten Sache, ja sogar Narration, zu tun. Wirklich rätselhaft ist es mir, wie man sich als Fußballpublikum auch noch mit den Dingen jenseits des Rasens beschäftigen kann: mit den Ein- und Verkäufen der Vereine, der Tages-, Wochen- und Saisonverfassung von Spielern, Trainern und Ehefrauen, den Analysen vor und nach den Spielen, dem Gewese über Gruppenpsyche der Mannschaft, der Starspieler, der Fans, der Betreuer usw.

Früher, zu Breitners und Rummenigges Zeiten habe ich selbst noch mit dem naiven Interesse des Kindes neben meinem Vater jeden Samstag mitgeschaut und die Genervtheit meiner Mutter, daß das Abendessen wieder mal vorm Fernseher verzehrt wird, zuerst abgelenkt übersehen, später willentlich verdrängen müssen. Als junger Teen verflog mein Interesse für Sport dann und ich wandte mich Büchern und Kultur zu.

Nur Nick Hornby war fähig, mir in seinem Fever Pitch unterhaltsam von dem Wahnsinn der Fußballfans zu erzählen, ohne daß mein Ekel mir dabei dazwischenfunken konnte. Das wars aber auch schon an Fußballaufmerksamkeit bei mir, in den letzten 20 Jahren.

Nein, gar nicht wahr: Bei der letzten WM habe ich mich mit einem Weizen in Frankfurts Sachsenhausen in eine Kneipe gesetzt, und irgendein Deutschlandspiel (gegen England glaub ich) inmitten der Begeisterungsgruppe angeschaut … aber mehr der Athmo eines Sommertags wegen, wo mir das WM-Pahöö als Grund für ein Mittagsweizen zupaß kam. Außerdem kann ich, trotz dem ich ein Fußballverachter bin, sagen, daß ich dieses ganze taktische Finkelgedribble öde finde und den Spielstil, wie er als Klischee den Engländern und Schotten zugewiesen wird, als Zuschauer bevorzuge: Vorbolzen, nachlaufen, unterwegs rempeln wie Rammbock. Alles andere ist doch so unharmonisch, wie Achaier im Tütü vor Trojas Mauern, oder als ob Sturmtruppen mit Teekannen einen Bunker stürmen wollten.

WARNUNG: Alle Apologien des Fußballs, oder gar Erwiderungen gegen meine Fußballverachtung, wird nicht geduldet als Kommentar zu diesem Beitrag. Dieser Beitrag ist nur für Leidensgenossen. Dies ist mein hunderster Molochronik-Eintrag, und da will ich mal so'ne Arschigkeit zugestehen. Aber nur dieses eine Mal, sonst werde ich natürlich jeden Kommentar belassen wie er ist (so er nicht rüd die hochzuhaltenden Grenzen des Rechts auf freie Meinungsäußerung überschreitet).

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