molochronik
Sonntag, 31. Juli 2005

»Kniet nieder vor Maria Magdalenas Gebeinen«, oder:Dan Brown: »The Da Vinci Code«

EDIT: Neu formatiert und 1x überarbeitet.

Eintrag No. 222Prolog: Im Louvre mordet nächtlings ein bleicher Schreckensmönch den Kurator. Der Mörder flüchtet, das Opfer stirbt mit zwanzigminütiger Verzögerung und hat noch die Fassung, sich selbst zum Anfangsrätsel einer Schnitzeljagd zu drapieren. Das Abenteuer eines amerikanischen Historikers Landon und einer (jüngeren) fränzösischen Polizeikryptologin Sophie — deren Großvater das Mordopfer war — kann beginnen. Die Hatz wird ca. 24 Stunden dauern, und nach 105 knappen Kapiteln (oder 487 Seiten) im Epilog mit einem Kniefall enden.

Nach all dem Gewese über »The Da Vinci Code« bin ich als den gehypten Narrationen gegenüber skeptisch Veranlagter baff, wie vergnüglich sich der Roman in knapp zwei Tagen wegschlürfen ließ. Keine tiefsinnige Lektüre, aber eine kurzweilige.

Der ganze Spannungs-Aufbau folgt der Tradition der Schatzssuche mit Rätselspielen. Stark erinnert hat mich das Gegrübel über Verse die einen mit ›thee‹ anreden an Justus, Peter & Bob (»Die drei ???«, »The Three Investigators« im britischen Original) — in z.B. »Geheimnisvolle Erbschaft« oder »Schreiender Wecker«. Einige der Rätselantworten habe ich vor den Schatzsuchern erraten (z.B. das Isaac Newton-Rätsel); genervt hat mich lediglich, wieviel Gedöhns um das Erkennen von simpler Spiegelschrift gemacht wird. Wobei ich nichts dagegen habe, wenn Leser rätseln sollen und auf die Folter gespannt werden. Aber ich finde es lächerlich, wenn ein Autor dem Leser ermöglicht, besserwisserisch über den Figuren zu stehen.

Die Polizei folgt der falschen Spur, denn der ermittelnde Kommissar hält Langdon für den Kurator-Mörder und ist eine Bedrohung für die Helden, die wiederum wissen, daß ihre Schatzssuche ein Rennen gegen den wahren Mörder des Kurators ist. Konventionell aber gut gemacht, wie das Zusammenspiel von Schatzsuche und Flucht Spannung erzeugt. Allein bis der Historiker und die Kryptologin der Hochsicherheits-Mausefalle des Louvre entkommen, verstreichen 146 Seiten. Dann gehts aber auch schon zu den Gnomen von Gringots, ähh, Zürich, die einen Schatz freigeben: freilich nur ein weiterer codierter Puzzlestein.

Das Fruchtfleisch des Romanes und der Intrigen bilden nun christliche Wahrheits-Streitigkeiten und Geheimverschwörungen (es gibt auch ›öffentliche Verschwörungen‹, wie H. G. Wells-Kenner wissen): Das Christentum wurde von machtfixierten Männern — noch dazu römischen Heiden wie Kaiser Konstantin — verhunzt. Alles Allzu-Menschelnde wurde aus der Bio von Jesus getilgt. Nix da, von wegen, daß Jesus der Rabbi mit Maria Magdalena verheiratet war, und schon gar nicht hatte er Kinder (Sarah) mit ihr, also eine menschliche Familie, die nach der Kreuzigung in Südfrankreich untertauchten konnte. Die Messias-Familie als ›Heiliges Blut‹, vulgo: DER GRAL, gehütet von seinen Untergrund-Gralsritten. Soviel geschichtlicher Hintergrund ist für den armen Langdon aus den USA freilich zuviel, da ist es trefflich, daß nahe Paris Sir Teabing lebt, ein reicher, exzentrischer britischer Historiker und Experte in Sachen Gralslegende, bei dem Langdon und Sophie Unterstützung finden. Nun können die beiden akademischen Geheimnis-Nerds die verwirrte Sophie zutexten mit Infos. Das Mädel wird auch sowas von geplagt von visionsartigen Erinnerungen an ihre letzte Begegnung mit ihrem Großvater {SPOILER markieren: •••Kultsex auf subterranen Altar•••}.

Das alles bleibt für mich größtenteils unspannend, denn populäre ›Sachbücher‹ zum Thema (z.B. »Der Tempel und die Loge«, wuhaa) kenne ich seit Teenagerzeiten, wie auch die von Dan Brown erwähnte Gral-Tarot-Connection. Um mir zu denken, daß mit der katholischen Kirche (oder dem Christentum) was nicht stimmt, brauche ich weder einen Krimi, noch den ganzen Eso-Schmonzes aus dem Verschwörungstheorienbegiet. (So kann die hiesige Literatur sich rühmen, einen seriöseren Historien-Bespiegler und Fabulatur wie Karlheinz Deschner zu haben, der mit seiner »Kriminalgeschichte des Christentums« weitaus profunder den kirchlichen Nimbus entzaubert.) Die Früh-Katholen wollten, daß Jesus mehr Gott als Mensch ist und entsprechend Superhelden-mäßig empfangen (durchs Ohr) wurde sowie von uns ging (Himmelfahrt). Die Gralsjünger aber wissen, daß es eine Jesus-Familie gab, mit Jesus-Familien-Stammbaum und Nachkommen, die bis heute als gut gehütete Exilanten im Verborgenen leben. Soll von mir aus beides stimmen — meine Privatspinnerei zu Jesus geht gaaaanz anders: mir bereitet es Vergnügen, einiges von »Ben Hur« mit der Bibel (inklusive den Apokryphen) zu vermengen.

FIKTION:

Jesus war womöglich der Sohn eines mächtigen Römers und einer adeligen Jüdin (oder umgekehrt: Vater mächtiger Jude und Mutter adelige Römerin), der es als Revoluzzer-Prediger schafft, die Menschengesetzte der New World-Order-Imperialen und der starr-konservativen Lokal-Theokraten zu einem tragischen Knoten um den eigenen Hals zu schlingen. Christus hatte eindeutig einen zu heftigen Todeswunsch als Brennkern seiner holistischen Weltliebe.

FIKTIONENDE

Aber ich komme vom Thema ab. Moment — hmm, wundert mich, daß die Katharer nicht erwähnt werden. Sei's drumm — immerhin: Templer (Freitag der 13.), Troubadure und die Merowinger finden sich alle ein in »The Da Vinci Code«.

Die stärkste Figur ist für mich Sir Teabing, und ich freue mich schon auf Ian McKellen in der Rolle, wenn er (hoffentlich) meint: (»My friends, I am far more influencial in the civilized world than here in France«S. 309).

Die Abschnitte mit dem mordenden Albino-Mönch (komplett mit dornengespickten Kasteiungsgürtel; also ein Intimbereichs-St. Sebastian) mag im Roman manchen unheimlich und packend am Ende sogar »Das Parfüm«-artig tragisch anmuten — ich fands zu routiniert. Wer charakterlich gut entwickelte Fanatiker lesen mag, dem empfehle ich z.B. die ›H.E.I.N.Z.‹-Islam-Jungs in »Zähne zeigen« von Zadie Smith. — An sowas arbeiten wir noch, gell Mr. Brown.

Nett zu lesen ist der Roman auch noch als Touristik nach Paris und London, inklusive Bildbetrachtung von Leonardo-Gemälden, sowie Kirchen-und Louvre-Besichtigung. Die korrekte Genre-Bezeichnung lautet ungefähr: Krimi-Fantasy. (Nicht zu verwechseln mit einem Fantasy-Krimi wie den Lord Darcy-Geschichten von Randell Garrett.)

Dan Browns »The Da Vinci Code« ist ¿neben/vor? »Das Fouccaultsche Pendel« von Umberto Eco der wohl erfolgreichste Verschwörungs-Roman der letzten 20 Jahre. Darüberhinaus kann man beide Bücher kaum fair vergleichen, denn das Pendel ist für geduldigere Gemüther geschrieben, als der schnellgeschnittene Code. Das Pendel ist was für ›literarischere‹ Leser, wer zum Code neigt, bevorzugt schlicht ›'ne flotte Story‹. Wenn es Charakterklassen für Leser gäbe, würd ich sagen, daß Browns modernes Indiana Jones-Szenario für Erstlevel-PCs taugt, wohingegen Eco was fürs Experten-Set ist.

Die Seitenangaben beziehen sich auf die amerikanische Taschenbuchausgabe.

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