»Blumengarten vor der Seele« — Zitate von Jean Paul … und Uffreschung über ›Christen‹-Schmarrn
Eintrag No. 267 — Vor einiger Zeit hab ich mir die Hanser-Box mit den Werken Jean Pauls billig aus dem Ramsch gezogen. Jean Paul ist sicherlich ein geistvoller Autor, aber er ist auch ein großer gewundener Schwätzer vor dem Herren. Dennoch, lohnt sich bei ihm reinzulesen. Schöner alter Stil, mit Strichpunkt und Bandwumsätzen, die ganz fein und lebendig das echte ›Vor sich hin Denken‹ abbilden.
Was mich nervt an Jean Pauls Schreibe, ist, daß der Mann nicht zu Potte kommt. Da gibts Einleitungen und Vorwörter bis zum Abwinken, so richtig auf Handlung bin ich noch nicht gestoßen. Ist aber vielleicht auch egal, denn ich genieße die muntere Sprache und Gedankenspielerei, wenn ich beim Querblättern darüber stolpere, auch ohne daß sich 'ne Story bietet.
Gestern abend bin ich über das ›Jus de Tablette für Mannspersonen‹ Nummero Eins gestolpert, daß mich als Phantast freilich brennend interessiert, da es darin »Über die natürliche Magie der Einbildungskraft«‡ geht. ‡ In der dritten Abteilung des »Quintus Fixlein«, Hanser 1975, Band 7, S. 195ff.
{…} So zieht das Fernrohr der Phantasie einen bunten Diffusionsraum um die glücklichen Inseln der Vergangenheit, um das gelobte Land der Zukunft.
{…} Noch größer ist die phantasierende Kraft, wenn sie auswärts reicht und die Gegenwart selber zum Marmorblock oder Teige ihrer Gebilde macht.
{…} Im Rausche dringen die Wolken der innen brennenden Räucherkerzen hinaus und legen sich außen an den Gegenständen an und geben ihnen eine vergrößerte, abgeründete, zitternde Gestalt.
{…} In der Liebe ist das Amalgama der Gegenwart mit der Phantasie noch inniger. … eine geliebte Person hat den Nimbus einer abwesenden — einer gestorbenen — einer dramatischen. —
{…} Leute, deren Kopf voll poetischer Kreaturen ist, finden auch außerhalb desselben keine geringern. Dem echten Dichter ist das ganze Leben dramatisch, alle Nachbarn sind ihm Charaktere, alle fremde Schmerzen sind ihm süße der Illusion, alles erscheint ihm beweglich, erhoben, arkadisch, fliehend und froh, und er kommt nie darhinter, wie bürgerlich-eng einem armen Archivsekretär mit sechs Kindern — gesetzt er wäre das selber — zumute ist.
{…} Wir denken das ganze Jahr weniger mit Bildern als mit Zeichen, d. h. zwar mit Bildern, aber nur mit dunklern kleinern, mit Klängen und Lettern: der Dichter aber rücket nicht nur in unserem Kopfe alle Bilder und Farben zu einem einzigen Altarblatte zusammen, sondern er frischet uns auch jedes einzelne Bild und Farbenkorn durch folgenden Kunstgriff auf. Indem er durch die Metapher einen Körper zur Hülle von etwas Geistigen macht (z. B. Blüte einer Wissenschaft): so zwingt er uns, dieses Körperliche, also hier »Blüte«, heller zu sehen, als in einer Botanik geschähe.
{…} der dramatische Dichter überwältigt uns durch die Verwandlung der Wochen in Minuten und erweckt, indem er die tragische, vielleicht über Jahre hingesponnene Geschichte in wenige Stunden zusammenzieht, unsere Leidenschaften bloß darum, weil er ihnen gleicht, da sie auch wie Taschenspieler und Heerführer uns durch Geschwindigkeit berücken.
Weiter bin ich gestern abend beim Zu-Bett-gehen-Lesen nicht gekommen. Komisch. Warum hat dieser Jean Paul vor 200 Jahren (genauer: 1796 ist Quintus Fixlein erschienen) klüger, unverkrampfter und anregender über Phantastik schreiben können, als die ärgsten Fantasy-, SF- und Horror-Liebhaber heute (von den ›Literatur‹-Experten und bezahlten Meinungsschiebern mal ganz abgesehen)? Oder bin ich nur mal wieder schlecht drauf ohne es zu merken?
— Kann sein, die gegenreformatorische De-Sekularisierung durch unsere Grinse-Familien-Ministerin und der Posse vom geheuchelten C, und die »Popetown«-Hysterie von Menschen die nie MTV schaun, und die Überlegungen zur Verschärfung des Blasphemieparagraphen, mich nicht gerade ›happy‹ machen dieser Tage. Zu letzterem, der Blasphemie, hätt ich aber 'nen Büschel Gedanken anzubieten.
So eine Verschärfung der Blasphemieahndung könnt' ich akzeptieren, wenn dabei neutral ALLEN Glaubensrichtungen eine entsprechende Kartätsche gegen ALLE ANDEREN Glaubensrichtungen zugestanden wird, also: • Rückwirkende Verhandlung der Zerstörung religiöser Symbole, Orte und Einrichtungen der Heiden durch die Christen (Entschädigung für gefällte Eichen, zerstörte Heiligtümer, Rückgabe heiliger Orte an ihre ursprünglichen Religionsgemeinschaften); • Rückwirkende Verhandlung des Bauernlegens durch die Zisterzienser usw; • Zudem: Wenn Christen gegen andere klagen können sollen, wenn sie ihren Glauben ungebührlich arg in den Dreck gezogen wähnen, warum sollten dann nicht auch Nicht-Religiöse dieses Recht erhalten. Dann könnte ich als an die Evolution ›Glaubender‹ wegen Blasphemie gegen jeden Christenphantasten klagen, der mit seinen Wahnwitzmärchen vom Intelligent Design oder Kreationismus über ›meine geheiligte Naturwissenschaft‹ abketzert.
Und wie sieht es aus mit einem Blubberblasenstatement der Frau Ursula von der Leyen (›C‹DU)
Das kann, ja das muß man als Blasphemie deuten. Christen haben das Feuer und das Rad erfunden, ja ja. Wie naiv muß man eigentlich sein, um so ein Leyen-Geschwätz zu glauben? Arrg, mein Pessimismus raunt mir, daß allzuviele Leut gern bereit sind an so eine Vereinfachung zu glauben. Mein innerer Schelm tröstet mich, und erinnert mich daran, daß diese christlich-politischen Propagandaschlümpfe auf ihre Art lustig sind. —Forward christian soldiers…
londo
..dürfte schwer durchzukriegen sein. Aber auch dafür gibt es einen Ausweg:I n diesem Fall den Kult des "Flying Spaghetti Monsters" (FSM). Dann kannst du postulieren, dass das Universum vom Seiner Nudligkeit, dem FSM, erschaffen wurde und jeder Gedanke daran, jemand/etwas anderes als das FSM könnte das Universum erschaffen haben, ist pure Blasphemie :-D
andreaffm
Ach, christliche Selbstüberschätzung ist eine Pest sondersgleichen. Aber dabei immer schön von Demut faseln - wobei die ja nur gegenüber dem Herrn gilt, allen anderen Lebewesen und Phänomenen kann man dann mit Überheblichkeit begegnen.
Ich habe im Moment wirklich so gar keine Lust, mich mit dieser Politikblase überhaupt zu befassen, das verhagelt mir nur die Laune. Sollen die doch ihre Wirklichkeit regieren, ich regier mir meine, so wie ich sie brauche.
Wenn in Hessen jemals bayerische Verhältnisse aufkommen, dann hätte ich gern wieder die freie Reichsstadt Frankfurt. Die könnte ja dem Bundeshorst als Kaiserersatz unterstehen, unter Umgehung sämtlicher rasender Rolande und Schmerzensmütter. Könntma auch über zünftige Krönung nachdenken, für den Horst, mein ich. Unabhängigkeit rulez. Und die Taunusdeppen müssen bei jedem Stadtbesuch Zoll, nein: Maut entrichten, das saniert dann auch gleich die Stadtkassen. Yo, back to the roots, man.
molosovsky Besitzerin
Danke londo für die willkommene Erwähnung des Spaghetti-Gottes hier. In der Tat ist das eine Art auf den Hurz von ›Gläubigen‹ zu reagieren, die ich nur großartig finde.
@Andrea: Du hast ja selbst erlebt, mit welcher Geduld und Neugierde ich diese Woch zwei Mormonen begegnet bin. Im persönlichen Umgang bin ich ja um einiges zahmer mit religiösen Menschen. Dir hab ich's schon vorgelesen, aber den Molochronik-Lesern möcht ich auch noch zwei Aussprüche von meinem ›Heroen‹ Egon Friedell kredenzen, die meinen ›Glauben‹ sehr schön auf den Punkt bringen. Nur scheinbar ziehe ich den Moderne-Vormoderne-Kontrast vom anderen Ende auf, wenn ich folgende Zitate als Zeige verstehe, daß Spiritualität das gemeinsame Vermögen von Religion UND Wissenschaft ist:
Alle Theorie, bis hinauf zu unseren Ionen und Alphastrahlen, ist Mythologie. — Aus »Kulturgeschichte des Altertums«.
Wenn man eine Wissenschaft ernst nimmt, so ist sie ebenfalls ein Glaube, eine Religion. —Aus »Von Dante zu d’Annunzio«.
Angesichts der ungeheuren Komplexität der Welt, und der Tatsache, das die Probleme von denen wir wissen, bzw. die wir verursachen täglich mehr werden, finde ich es grotesk, wenn Religionen sich dermaßen Deutungshoheit anmaßen. Als ob Beten und Messebesuch allein schon helfen würden. Kann man angesichts der Widrigkeiten an denen der afrikanische Kontinent knabbert die katholische Position zu Ollas als etwas anderes verstehen, denn als brutalen Zynismus?