Gott: Versager, Soziopath oder schlicht ein Trugbild?
(Eintrag No. 405; Gesellschaft, Großraumphantastik, Gottesfrage) — Weil’s so schön ist, präsentiere ich heute mal Epikurs (ca. 341 bis 270 v.d.Z.) in »Von der Überwindung der Furcht« gereichtes Rätsel, welches knapp und schön auf den Punkt bringt, weshalb herkömmlicher Gottesglaube schlicht Quatsch ist.
Wie so oft bei kritischen klassischen Texten, findet sich diese Epikur-Schrift weder auf Deutsch noch auf Englisch im Netz (obwohl das folgende Rätsel oft zitiert wird). Lediglich der Text »Dialogues Concerning Natural Religion« in dem David Hume (1711 bis 1776 n.d.Z.) Epikur anführt, findet sich als englisher eText.
Hier die englische und dann von mir übersetzte Fassung dieses Rätsels über die Nutzlosigkeit der Vorstellung vom allmächtigen und gütigen Gott:
If He is able, but not willing Then He is malevolent.
If He is both able and willing Then whence cometh evil?
If He is neither able nor willing Then why call Him God?
Wenn Gott willlens ist das Böse zu verhindern, aber nicht fähig, dann ist er nicht allmächtig.
Wenn er fähig sein sollte aber nicht willens, dann ist er bösartig.
Wenn er sowohl fähig als auch willens sein sollte, woher kommt dann das Böse?
Ist Gott weder fähig noch willens, warum sollten wir ihn dann Gott nennen?
frankweinreich
... ist das! Die Theodizee (Rechtfertigung Gottes, von griechisch theos (Gott) und dike (Gerechtigkeit)) ist meiner Meinung nach für Gott nicht möglich.
Entweder gibt es keinen Gott oder er/sie/es ist unfähig oder böse, denn für den Zustand ganz, ganz vieler Dinge und Eriegnisse inder Welt kann es keine Rechtfertigung geben. Es gibt echte Unschuld und die sterben oder leiden zu lassen ist unentschuldbar!
Okay, es gibt Gottesideen wie den Gott bei Hans Jonas, die gehen dem aus dem Weg, aber an diesen und ähnliche Götter wird kaum geglaubt und wenig spekuliert (was natürlich nicht gegen ihre Möglichkeit spricht), so dass sie im Allgemeinen nicht in der Theodizeediskussion auftauchen.
ciao
Frank
molosovsky Besitzerin
Ich finde es höchst erstaunlich, dass es immer noch halbwegs bis völlig ernsthafte Verteidigungen von diesem klassischen »allmächtig, allgegenwärtig, allwissend, gütig und gerecht«-Gottesbild gibt. Wenn man auf Epikur aufbaut, erledigen sich eigentlich auch die Vorstellungen von der Existenz eines tatsächlichen Bösen (z.B. Manichäismus) im Gegensatz zu den diskreteren Gedanken zum Bösen (z.B. Boethius).
Weil Du Hans Jonas erwähnst, Frank, bring ich hier mal von dessen deutschem Wiki-Eintrag die Zusammendampfungen von dessen Gottesbegriff:
Kurz: teleologisches Denken, dass sich auf größenwahnsinnig vorgestellte Zeiträume bezieht, ist eh zum Vergessen.
simifilm
Ich bin zwar ein überzeugter Atheist, aber diese Argumentation scheint mir ein bisschen zu simpel, weil Du damit Gott eben auf menschliche Logik reduzierst. Wenn wir aber davon ausgehen, dass Gott irgendwas Allmächtiges ist, dass sich dem menschlichen Verständnis völlig entzieht, dann versagt letztlich auch dieses Rätsel. Natürlich kann man argumentieren, dass das nur ein fauler Trick ist. Aber wenn Gott etwas wäre, was sich mit menschlichen Begriffen vollends erklären und verstehen liesse, wäre er im Grunde überflüssig.
molosovsky Besitzerin
Freut mich, Dich in dieser kleinen Philosophenrunde zum Epikur-Rätsel zu lesen! Ich weiss und mag ja an Epikur Sprücherl grad, dass es so erschlagend simpel daherkommt. Zack zack zack, simpler Gottesbegriff kaputt. Staun. — Logik entspringt der Menschenwelt. Insofern frage ich mich ja auch oft, was nichtlogische oder überlogische Gottesbegriffe sein sollen und lande zumeist beim Himmelshaken. — Ich glaube aber auch richtig verstehen zu können, worauf Du deutest: was, wenn es da etwas Göttliches im Universum gibt, dem wir mit unserer Menschenlogik noch nicht beikommen können, oder niemals auf den Pelz rücken können? Deshalb unterscheidet man ja zwischen Wissenserkenntnis und Glaubensoffenbahrung. Da kann ich wieder kommen mit meiner Ansicht, dass es nun mal Grenzen der menschlichen Erkentnis gibt, und sobald wir diese Grenzen überschreiten – ob denkend, entscheident, handelnd, schöpfend – kommt mehr oder weniger der Glaube ins Spiel.
Wenig erscheint mir so machtlos wie ein vollends erklärter Gott (kann aber auch enorme Schönheit bergen, so eine Gottesentzauberung). Ich kann gut verstehen, wenn sich entsprechende Götter vor Scham, Empörung oder Panik in Logikwölkchen auflösen :)
pille
Das war für mich die richtige Frage! Nicht allgemein: Könnte Gott dies oder das sein?
Erst als ich mich damit beschäftigte: Was bedeutet Gott für mich? kam ich - wieder nur für mich- zu einer Erkenntnis.
Ich habe damit begonnen, mein bisheriges Leben unter diesem Gesichtspunkt zu analysieren. Innere Inventur nennen wir das bei AA (den Anonymen Alkoholikern).
Dabei stiess ich auf viele Ereignisse, die mich tief drinnen erschüttert haben. Nur einige davon:
Als Kind wollte ich einen rollenden, voll beladenen 3-Achser-LKW-Anhänger mit dem Fuß aufhalten - es hat mir nur den Schuh ausgezogen.
Als Jugendlicher einen Absturz beim Klettern, der glimpflich verlief.
Als Erwachsener einige Unfälle.
Als Betrunkener weitere Aktionen, die ich alle ohne Schaden überstanden habe.
Ich sagte es schon, diese Aufzählung ist unvollständig.
Zuerst sagte ich mir: Zufall. Es waren aber so viele Zufälle, dass ich nicht mehr an Zufälle glaube.
Ich weiss heute für mich, dass meine Höhere Macht auf mich Acht gibt, so wie sie immer schon auf mich Acht gegeben hat. Mir ist egal, wie sie aussieht, ob sie wissenschaftlich beweisbar ist, oder nicht. Ich kümmere mich auch nicht weiter um Religionen. Ich nenne meine Höhere Macht heute der Einfachheit halber Gott.
Und aus Dankbarkeit - ich könnte auch sagen als Antwort auf seine bisherige Hilfe - bin ich heute trocken. Bis zu dieser Erkenntnis war ich vorwiegend aus Angst trocken, weil ich nicht mehr dorthin zurück wollte, wo ich hergekommen bin. Diese Änderung hat meine Lebensqualität entscheidend verbessert.
schnappüber
Erst mal hallo. Ich bin der neue. *wink*
Ich habe jetzt schon ein Weilchen mitgelesen und, da mich das Thema Religion/Gott selbst sehr interessiert, entschieden, auch selbst mal etwas zu schreiben.
Ich denke, dass Epikurs Rätsel vor allem für "herkömmlichen Gottesglaube" ein schweres, aber nicht unlösbares Problem darstellt. Immerhin kann der Gläubige sich immer noch damit trösten, dass Gott allwissend und allmächtig ist und damit für den endlichen und unwissenden Menschen unverständlich sein muss. Oder, wenn ein gewisser Mangel an philosophischem Interesse besteht, das ganze als durch Gott gesandte Glaubensprüfung abtun. Worauf ich hinaus will: Gottesglaube ist per Definition unlogisch und irrational, weshalb es keine sinnvolle Religionskritik geben kann.
Worauf man Epikurs "Rätsel" nicht beziehen kann, ist die Frage, ob es überhaupt einen "Gott" gibt. Ich zumindest bin der Meinung, dass man Religion/Glaube und "Gott" voneinander trennen muss. Religion und Glaube ist der Versuch, Gewissheiten zu erlangen, wo es keine Gewissheiten gibt. "Gott", als eine uns unendlich überlegene Wesenheit, ist aber vom Glauben und damit vom Menschen unabhänig und entzieht sich unserem Verständnis. Dieser "Gott" stimmt nicht notwendigerweise mit irgendeiner der zahlreichen menschlichen Vorstellungen überein (es ist sogar sehr unwarscheinlich, da in allen diesen Fällen Menschen etwas beschreiben, das sie nicht verstehen können), sondern zeichnet sich einfach durch sein Allmacht aus. Es gibt keinen Beweis, dass eine solche Wesenheit exestiert, aber auch keine Gegenbeweise. Somit muss man, wenn man ehrlich ist, eingestehen, dass sowohl Bestätigung als auch Leugnung dieses Wesens unmöglich ist. Lange Rede, kurzer Sinn: der Gott der menschlichen Religonen ist höchstwarscheinlich ein Trugbild (obwohl man das nie genau wissen kann), die Frage ob Gott exestiert, kann nicht beantwortet werden. Das nur als kleine Spitze für euch Atheisten von einem überzeugten Agnostiker.
Grüße Schnappüber
aka Truhe -> Bibliotheka Phantastika
P.S. Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausgedrückt. Ich habe manchmal etwas Probleme, meine Gedanken auszuformulieren.
simifilm
Das liegt nun mal in der Natur der Sache. Menschen können nur denken, was Menschen denken können.
Wenn wir die Sache mal abstrakt betrachten, dann hat gut in den meisten Religionen ja die Aufgabe, jene Lücken zu füllen, die wir nicht verstehen können - warum ist die Welt so, wie sie ist, was kommt nachher, was war vorher etc. Wenn man davon ausgeht, dass Gott jene nichtwissbaren und nichtverstehbaren Lücken füllt, dann liegt ja durchaus eine gewisse Logik darin (sic!), dass er selbst auch unverständlich ist. Wenn er verständlich wäre, bräuchte man ihn nicht mehr.
Dass Gott zum Bereich des Glaubes gehört, ist ja wohl unbestritten, oder?
molosovsky Besitzerin
@pille: Freut mich ganz besonders, Dich antville-Nachbar hier bewillkommnen zu dürfen.
Die Offenheit, mit der Du Deine Erfahrungen als AA teilst, verpflichtet mich freilich zu einem Mindesmaß an Ernsthaftigkeit. Interessant finde ich, daß Du sozusagen konvertiert bist, vom Glauben an den Zufall, zu dem was Du Gott nennst (was man aber auch den Dich beschützenden Genius oder Schutzengel nennen könnte). Und Du schreibt von Dankbarkeit, einem, wie ich finde, wenn schon denn schon schönen Grund für einen persönlichen Gottesglauben. Ich gebe zu, in Zeiten großen Jammers und Jubels auch immer wieder (mehr oder weniger) in Versuchung zu geraten, an einen persönlichen Gott/Genius zu glauben, aber zum ›Schritt des Glaubens‹ (siehe »Indiana Jones und der letzte Kreuzzug«) reicht's dann doch nie. — Das nur als meine Erfahrung mit diesen Dingen. Ich will mich nicht mit Dir vergleichen, und damit besser/schlechter stellen, pille.
@Schnappüber/Truhe: Freut mich enorm, dass Du mit Deinen vielen Beinen hierher gefunden hast.
Beim letztlich irrationalen und unlogischen Gottesglauben sprichst Du natürlich vom finalen Bollwerk des Glaubens, dem Creda quia absurdum (Ich glaube, weil es unsinnig ist), einem in seiner Trotzigkeit faszinierenden aber auch unheimlichen Glaubesbekenntnis. Dem muss nicht so sein, es gibt auch logische Gottesbeweise (auch wenn die alles andere als wasserdicht sind). — Du sprichst von der Trennung von Religion und Glaube. Ich selbst gebrauche da gern den Begriff ›Spiritualität‹, der sozusagen unformatierten Glauben bezeichnet. Mehr oder weniger spirituell sind alle Menschen, immerhin sind wir eben das ›sich Vorstellungen machende, das spekulierende, phantasierende Tier‹.— Über den Unterschied ›Agnostiker‹ und ›Atheist‹ zu streiten lohnt sich meiner Meinung nach kaum. Auf die perfide Spitze, die hinter dem Begriff ›Atheist‹ steckt, hab ich ja schon hingewiesen. Aber was die politisch-gesellschaftliche Gestaltung angeht, komme ich in den letzten Monaten mehr und mehr aus meinem Einsielderkrebshäuschen raus. Mal vom ganzen Übernatürlichen abgesehen, haben die Religiösen einfach noch zu viele Privilegien, sowohl bei uns, als auch global (ich würd zum Beispiel gerne herausfinden, was ›Eremitenhäuser‹ sind, für die der Staat allein in Bayern pro Jahr etwa eine Millionen locker macht).
@simi: Natürlich gehört Gott ins Reich des Glaubens, wenn auch nicht in gleicher Weise wie z.B. mein Glaube an die tatsächliche Existenz der Stadt Buenos Aires (ich verlasse mich auf die Behauptung anderer, dass es diese Stadt tatsächlich gibt, denn selbst war ich noch nie dort), oder mein Vertrauen darauf, dass gewisse historische Geschenisse tatsächlich stattfanden (Mondlanung). Gott als Lückenfüller zur Vorbeugung von Einfällen aus dem Bereich des Unfassbaren ist für mich zwar nachvollziehbar, aber persönlich doch unbefriedigend. Immerhin geht es da immer um Dinge, zu denen ich mich als Laie verhalte: Weltentstehung, Weltziel usw. Trotz meiner im kleinen gallopierenden Egomanie erachte ich mich als zu nichtig und unwichtig, um solche Dinge nur aus meinem Hirn und Fühlen heraus ernsthaft zu verhandeln. Als Phantast hab ich Sympathie für derartige Spekulationen, aber bei gesellschaftlichen Argumentationen haben solche Glaubenssachen aussen vor zu bleiben. — Teleologisches Denken entspringt immerhin auch erstmal unserem Kopf. Die Natur kommt ganz wunderbar ohne solche aus menschlicher Perspektive interpretierten Absichten aus.
simifilm
@molo: Dass Gott als Lückenfüller für Dich unbefriedigend ist, kann ich gut verstehen, geht mir genau gleich. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass Du der Sache mit Epikurs scheinbar so zwingender Logik nicht beikommst.
molosovsky Besitzerin
Hier ein altes Witzebildchen von mir, passend zum Thema »Aus dem Gefühlsnähkästchen eines jungen Ungläubigen« mit dem ich anno 1994 meinem Frust über das Todschlagargument des absurden Glaubens Ausdruck verlieh.
londo
...er hat mich inspiriert zu ein paar Ideen :) Hier der manuelle Trackback:
http://www.eoraptor.de/2007/11/gott-als-paradoxon-in-der-molochronik.html
molosovsky Besitzerin
Bitte bitte, lieber Eroaptor.
Ein paar Ideen gleich? Bin ja neugierig. Halt mich auf dem Laufenden!