Cerebus in der F.A.Z.
Eintrag No. 76 — Vormittags Einkaufen, heim, auspacken wegsortieren und dann Perlentaucher gucken. Staune ein wenig, denn laut Feuillitonrundschau hat ein Herr Dietmar Dath in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wohl ein paar Zeilen dem großartigen Comic »Cerebus« von Dave Sim und Gerhard wirdmen dürfen. Neugierig schau ich mal im F.A.Z.-Inhaltsverzeichnis nach und staune etwas mehr, denn der Artikel ist wohl eine satte Bleiwüstenseite lang. Also nochmal Schuhe und Schal angezogen und los eine F.A.Z. zu erstehen.
Die F.A.Z. ist sicherich nicht meine Lieblingszeitung (empfinde sie als verklemmt, umständlich und herrisch, vergleichbar dem Verhältnis der von Glenn Close und Julian Moore dargestellten Frauen in »Cookies Fortune« von Robert Altman), aber ich möchte an dieser Stelle einmal außdrücklich loben, daß diese Zeitung sich bisweilen überraschend aufgeschlossen gegenüber Phantastik und damit verbundenen Genre-Quatsch zeigt … mit nicht mal der sonst im Feuilliton üblichen Ahnungslosig- oder Überheblichkeit.
Schön sehr fein in der Überschrift…
…die Verwendung des Begriffs Bildliteratur.
Herr Dath schreibt also zum Beispiel…
- …daß die Bezeichnung graphic novel wohl ein ähnliches Schicksal widerfährt, wie Rock-Symphonie (für gewisse Dudelplatten: Herr Dath meint wohl Yes und Konsorten) und Eistheater (für Schlittschumusical);
- …über den ja eigentlich anmaßenden allseitigen Totalitätsanspruch der Form Roman; daß diese Form nichts wird ohne Einfühlungsvermögen und Sinn für das menschliche Dilemma. Lustig illustriert durch eine übersetzte Szene aus Cerebus (Sammelband No. 11 Guys S. 110ff), in der das barbarische Erdferkel und ein Barkeeper über das Saufenaufhören reden;
- …liefert eine sehr feine grobe Zusammenfassung des großen Bogens der schier uferlosen Cerebusgeschichte (die immerhin von Dezember 1977 bis März 2004 in 300 monatlichen Portionen von je ca. 20 Seiten erschien), die mit der wunderbaren Feststellung schließt:
»Gulliver nimmt sich neben dieser Vita wie ein Eckensteher aus, und so soll' s sein, sind wir doch seit dem Gestrandeten von Liliput ein paar hundert Jahre weiter«
- …und gleich weiter, daß dieses Weitersein, genauer, der Fortschritt in den narrativen Künsten eine permanente Akkumulation neuer Formen, Auswahlkriterien, Vorbilder und Masterplane bedeutet;
- …und als Abrundung zum Ende des Artikels: wie Dave Sim mit Cerebus seine Verfolger weit zurückläßt, bei dem Wettbewerb die greifbaren Mittel des Romans anzuwenden, ein atemloses (ca. 150 Jahre alte) Rennen, bei dem der Romans auf die mediale Moderne (Zeitung, Film, Fernsehen) reagiert, seinen Totalitätsanspruch zu verteidigen trachtet.
Einmal Rundumjupp von mir zu diesem Gedankenstrang.
Das alles zu einem Werk, daß keine Chance hat, jemals ins Deutsche übersetzt zu werden: zu umfangnreich, zu teuer wären die Bücher, ein guter Übersetzter (der sich mit Slang und exzellenter Stimmenimitation von u.a. Hemingway, Wilde, King James Bibel herumschlagen müßte) müßte für jahrelange Arbeit gewonnen werden und der in Aussicht stehende Konsumentenkreis ist abschreckend klein … obwohl vielleicht die Zweitausendeins-Kundschaft sich für dieses Comic erwärmen könnte.
{Ich stehe dennoch gerne zur Verfügung, falls ein Verleger jemanden suchen sollte, um Cerebus auf Deutsch zu machen.)
Also, vielen Dank Herr Dath und meine Komplimente für wer auch immer im Gefüge des F.A.Z.-Feuillitons dafür sorgt, daß solch erfreuliche Artikel und notwendigen Relativierungen über moderne Bildliteratur erscheinen.
Für alle, die keine Ahnung haben, worum es geht, hier ein Link zu einer guten (englischsprachigen) Übersicht zu <a href="www.geocities.com" target=_blank">Cerebus.