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Bernhard Viel: »Egon Friedell. Der geniale Dilettant«

Große Chance, voll verschenkt. Leider wurde meine Erwartung nicht erfüllt, dass der Hausverlag von Egon Friedell, C. H. Beck, endlich eine schon seit langem klaffende Lücke schließt, indem er eine lesenswerte Biographie über den von mir für seine Kulturgeschichten der Neuzeit & des Altertums hochverehrten Autor bietet.

In mancherlei Hinsicht schürt die von Bernhard Viel vorlegte Biographie bei mir den Verdacht, eine nicht sehr sorgfältig & mit nur wenig Gespür für den Gegenstand verfertigte Auftragsarbeit anlässlich der 75. Jährung von Friedells Freitod zu sein. Die Absicht an sich ist ja löblich, das Ergebnis aber nervt wegen der Zusammenkunft unter anderem folgender Mängel:

  • Friedell bleibt in der ihm gewidmeten Biographie eher eine Nebenfigur, verglichen zum breiten Raum, den Zeitgeschichte, Milieu-Schilderungen & biographische Ausflüge zu anderen Personen einnehmen. Das kann nur ein Stück weit entschuldigt werden durch den Umstand, dass die Quellenlage zu Friedell karg sein mag. Insofern verständlich, wenn z.B. Carl Zuckmayer seitenweise das Wort gegeben wird (was für sich schön zu lesen ist), um Österreichs Anschluss ans Dritte Reich zu schildern. Peter Altenberg, Lina Loos oder eben Zuckmayer treten als farbigere Protagonisten ihrer Zeit hervor, als der im Titel genannte Biographierte.
  • Mir scheint, als wollte Viel hie & da mit dramaturgischen Tricks die im Großen und Ganzen schmerzlich oberflächlich wirkende Biographie aufmöbeln. Ein ganzes Kapitel lang (»Jung Wien stellt sich vor«) raunt Viel absatzlang über auftretende Personen, bevor er sie beim Namen nennt. Soll das ein Quiz sein? — Ein andermal erdichtet Viel sich einen Tag Friedells, was in Maßen vielleicht ein gelungener Kniff gewesen wäre, um z.B. Beschreibung von Alltag, Wohnung & Stadtviertel nicht zu trocken geraten zu lassen; doch traut sich Viel zu, bis ins Kleinste Friedells Seelenregung & Mimik beim Alleinsein & Sinnieren zu beschreiben. Ich dachte, die Zeiten, in denen eine seriöse Biographie sich zu solchen Taschenspielertricks hinreissen lässt, seien vorbei.
  • Am schlimmsten fand ich unnötige Wiederholungen & Rekapitulationen, das nicht enden wollende Name-Dropping und die geistlose Aufzählerei. Diese Unarten kommen fast stets dann zum Zuge, wo ich mir besser recherchierte Details gewünscht hätte. So ziemlich jede damals prominente Person wird von Viel wichtigtuerisch als ›der angesehene X‹, oder ›die berühmte Y‹ vorgestellt, und das nicht nur einmal, sondern desöfteren, wenn die entsprechende Person nach einigen Seiten oder Kapiteln Abwesenheit erneut erwähnt wird. Schmerzlich substanzlos sind vor allem die Schilderungen zum Theater- & Kabarettleben von Friedell. Hier verkommt die Biographie oftmals zu einem reinen Datenfluss ohne Elan. Spielte auf Bühne X, unter Regiesseur Y, zusammen mit den (später durch Film Z berühmt gewordenen) Schauspieler L. So geht das formelhaft am Leser voll vorbei.
  • Als Freund der Phantastik kann ich nicht umhin, ganz besonders zu tadeln, dass Friedells offensichtliche Begeisterung für literarische Phantastik lediglich anhand der ›Glacial-Kosmogonie‹ Hanns Hörbigers veranschaulicht wird; — dass Friedell in bester (heutzutage sogenannter) Fan Fiction-Manier eine Fortsetzung zu H. G. Wells »The Time Machine« verfasst hat, wird nur beiläufigst erwähnt. Wells selbst wird nicht genannt & kommt somit noch nicht einmal im Namensindex vor! (Nebenbei: Kein Sach-Index?! … »Fuck you!«, gebundenes 25 Euro/350-Seiten-Buch!)
  • Kleinigkeiten:
    • Viel kennt den Unterschied zwischen Utopie & Dystopie nicht (schreibt ersteres, meint zweiteres).
    • Selten, aber dann heftig, unterlaufen ihm Stilunfälle (die auch das Verlagslektorat nicht zu korrigieren wusste) wie (kursive Hervorhebung von mir):
      »{…} die Zeit, in der Friedell aufwuchs und seine Prägungen erhielt, war von wachsender Judenfeindlichkeit geprägt {…}«
    • Immer wieder schreibt Viel ›Knaster‹, wenn er das bezeichnet, was Friedell in seiner Pfeife rauchte, und verweist auf eine ganz spezielle Sorte, die nur eine bestimmte Trafik in Wien führte. ›Knaster‹ bezeichnete damals häufig durchaus sehr spezifisch THC-haltiges Hanfkraut. Ist das gemeint, ja oder nein? Sollte geklärt werden, um entsprechend verbildete Besserwisser wie mich nicht unnötig zu verwirren.

Leider war es nicht möglich, oder man sparte sich die Mühe, unter die Abbildungen wenigstens eine Kostprobe von Friedells Handschrift beizugeben, am besten einer Manuskriptseite oder eines Briefes. Das erachte ich bei Schriftstellerbiographien eigentlich als Standard.

Knapp bei Kasse muss ich sagen, dass ich etwas verärgert bin, denn die ca. 25 € für das gebundene Buch ausgegeben zu haben reut mich nun schon. Jede Rowohlt-Monographie die ich kenne ist besser & wäre zudem preiswerter gewesen.

Ich gebe zwei Sterne — was laut Goodreads euphemistisch »Ist in Ordnung« bedeutet — also einen Stern unter neutralem Mittelmaß, und das, obwohl ich gutmütig bin und anrechne, dass Friedell sicherlich kein einfacher Gegenstand ist, und ich mich grundsätzlich freue, dass nun endlich eine Biographie zu ihm vorliegt … wenn auch eine enttäuschende.

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Bernhard Viel: »Egon Friedell. Der geniale Dilettant«, 27 Kapitel in sieben Abschnitten auf 352 Seiten; 82 Abbildungen; gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag & Lesebändchen, C. H. Beck 2013; ISBN: 978-3-406-63850-3.
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