Klappentext-Variationen mit Ju Honisch und »Die Quellen der Malicorn«
Ju ist nicht ›nur‹ (eine irre gut kochende!) Nachbarin & seit einigen Jahren meist meine Mitfahrgelegenheit zum BuCon im nahen Dreieich, zudem ist sie eine erfahrene Fantasy/SF/Filk-Haudegin (die ganz früher, wie ich auch, bei einem lustigen Fantasy-Verein war, der das »Fest der Fantasy« der Völker Magiras ausrichtet) die u.a. als studierte Anglistin & Historikerin richtig was auf dem Kasten hat, und durch ihre Verbindungen zu Kreativen & Fans des englischsprachigen Raumes über ein erkleckliches Maß an Genre-Weisheit gebietet.
Was mich darüber hinaus auf ganz besondere Weise mit ihr freundschaftlich und literaturleidenschaftlich verbindet, ist der Umstand, dass ich als Beta-Leser ihrer ersten beiden historischen Fantasy-Romane fungieren durfte (»Das Obsidianherz« und »Salzträume« {Band 1 / Band 2}).
Viel Vergnügen mit ihrem Beitrag über Wohl & Weh von Klappentexten. Cheers Alex / molo
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Vielen Dank an Molo, der mich auf sein Blog losgelassen hat, während ich weitere Ecken der Blogosphäre bereise.
Richtig? Falsch? Oder anders?
Klappen- oder Werbetexte sollen Anreize schaffen. Der potentielle Leser soll drauf gucken und sagen: »Ui, das klingt interessant! Das will ich unbedingt lesen!«
Aber Bücher lassen sich nicht gar so einfach in ein paar wenige Sätze zusammenfassen, schon gar nicht, wenn sie über 600 Seiten und mehr als nur einen Handlungsstrang haben. So ist es kaum verwunderlich, dass die meisten Autoren mit den Klappentexten, die die Verlage für verkaufsfördernd halten, oft nicht so ganz hundertprozentig konform gehen. Manchmal liest man sie und erkennt sein Buch nur in Bruchstücken wieder. Dann steht man vor den glatten Worten und möchte sagen: »Aber … aber … aber … es geht doch eigentlich um was ganz anderes?« — »Doch nur so verkauft sich’s«, sagt dann der Verlag. Und das ist schließlich ein Argument.
In »Die Quellen der Malicorn« geht es u.a. um Macht und Machtmissbrauch. Damit verkauft man natürlich keine Phantastik. Und es ist ja tatsächlich nicht so, als würde einem irgendeine ›Lehre‹ um die Ohren geschlagen. Das Buch beschreibt ein Abenteuer, das mit wechselnden Personen in zwei verschiedenen Welten stattfindet, in unserer (in der Jetztzeit in Irland) und in Talunys, einem mythischen Reich, zu dem die geheimen Zugänge auf einmal wieder offen sind.
In der Phantastik ist Magie eine feste Größe. Sir Terry Pratchett schreibt
Anmerk Molo: Auf Deutsch etwa »Jede hinreichend fortschrittliche Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden«, was freilich eine sinnreiche Umkehrung von Arthur ›2001‹ C. Clarkes Gesetzt No. 3 ist: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.«
Damit gibt er dem Möglichen mehr Raum. Und er hat recht. Ein Flugzeug wäre einem Mittelaltermenschen als Magie erschienen. Und was uns magisch anmutet, mag wiederum nur eine Technik / Geistestechnik sein, die wir noch nicht ge- oder erfunden haben.
Was aber, wenn es in einer Welt Wesen gibt, die Magie beherrschen, und solche, die sie nicht beherrschen? Man kann schon davon ausgehen, dass es sehr schnell zu einer Zweiklassengesellschaft käme. Der Konflikt, der daraus entsteht, bietet mannigfaltige Möglichkeiten, ›Abenteuer‹ unterzubringen — auch in Harry Potter wird das schließlich thematisiert. Dennoch steht in keinem Klappentext:
Die Bücher von J.K. Rowling behandeln das Problem von Macht und Machtmissbrauch in einer modernen Gesellschaft, in der unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedliche Technologien und Fertigkeiten zur Verfügung stehen, um Macht auszuüben und zu missbrauchen oder ein bestehendes soziales Gefüge so wie es ist zu erhalten, um die Rechte des Einzelnen zu sichern.
Mit dem Klappentext hätte niemand HP gekauft.
Ich mache mir also jetzt den Spaß und poste hier ein paar Klappentexte: alle für das gleiche Buch. Ich sage nicht, welcher es über den Verlag ins Internet geschafft hat, welcher auf dem Buchrücken steht oder welcher (meiner) in der Versenkung verschwunden ist:
Klappentext-Variation #1: »Abiturientin Una ist gerade von ihrem Freund verlassen worden, und statt des Party-Sommers in Spanien ist nun Urlaub mit den Eltern in Irland angesagt. Verständlich, dass sich Unas Begeisterung in Grenzen hält. Doch in Irland, der Insel der Mythen und Sagen, ist nichts unmöglich, und so findet Unas Langeweile bald ein Ende, als sie auf einer ihrer ausgedehnten Radtouren Kanura begegnet, der Una mit in seine Welt nimmt — die Welt der Einhörner und Nymphen. Dort entdecken die beiden nicht nur ihre Gefühle füreinander, sondern kommen auch einer Verschwörung auf die Spur, die beide Welten für immer zerstören könnte …«
Klappentext-Variation #2: »Nach Jahrhunderten bricht in der Welt Talunys erneut Krieg aus. Hier herrschen die friedliebenden Einhörner, das kunstsinnige Gestaltwandler-Volk der Tyrrfholyn. Im Kampf verschlägt es den Fürstensohn in die Menschenwelt, von wo er Una mit zurücknimmt. Una, eine emanzipierte, junge Menschenfrau mit Witz und Verstand, findet sich in einer Welt wieder, in der ein grausames Regime sich anschickt, alles zu unterwerfen, was es für minderwertig hält. Plötzlich geht es in diesem Krieg auch um ihr Leben und nicht nur um das eines Mannes, der sehr viel mehr ist als — einfach nur ein Mann.«
Klappentext-Variation #3: »Einst waren sie ein fester Bestandteil unseres Lebens, weise, friedvoll und verehrt: Einhörner. Doch sie verschwanden und wurden zur Legende. Das dachte auch Una, bis sie eines Tages an einer Quelle in Irland einem jungen Mann begegnet, der von sich behauptet, aus einer anderen Welt zu kommen und ein Einhorn zu sein. Bevor Una weiß, wie ihr geschieht, zieht er sie mit in sein Reich und damit in einen gefährlichen Kampf zwischen der guten Magie der Einhörner und der ihrer dunklen Gegner.«
Klappentext-Variation #4: »Irland hat Hunderte von gut verborgenen ›Heiligen Quellen‹. Seit der Christianisierung sind sie jeweils einem Schutzheiligen zugeordnet. Doch es gab sie schon vorher, und sie galten in jenen altkeltischen Tagen als Übergänge in die Anderwelt. In ›Die Quellen der Malicorn‹ sind sie das auch wieder, und die deutsche Touristin Una wird in eine andere Welt verschleppt, während mythische Wesen von dort nach Irland kommen. Gemeinsam mit Irene, einer irischen Musikerin aus Deutschland, und einer übriggebliebenen Göttergestalt des keltischen Mythos’ suchen sie nach der Lösung des Geheimnisses, das hinter all den rätselhaften und erschreckenden Ereignissen steckt.«
Lesern von 15 bis 95, so hatte der Verlag es sich gewünscht, sollte dieses Buch gefallen. Das ist eine eher weite Kategorisierung des Zielpublikums. Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich den Geschmack eines so weiten Feldes getroffen hätte.
Ob das überhaupt geht? Und ob man all diese jungen und nicht ganz so jungen LeserInnen mit ein und demselben Klappentext ›kriegt‹, ist auch noch die Frage. Vermutlich hat der Verlag schon recht, wenn er etwas auf den Buchrücken schreibt, dass der ›großen Masse‹ am ehesten gefallen mag. Doch wer — um Himmels Willen — ist eigentlich diese viel zitierte große Masse?
Ich erlaube mir also zum Abschluss noch den üblen Streich, hier einen Klappentext zu verfassen, wie er vielleicht dem akademischen Bildungsbürgertum das gleiche Buch näher bringen und ihm gleichzeitig die Angst nehmen könnte, man würde das Abitur aberkannt bekommen, wenn man etwas liest (und auch noch zugibt!), in dem das Sagenhafte eine Rolle spielt. Ich weiß nicht mehr, welche deutsche TV-Liesl es war {Molos Link-Hinweis: ›Hust-hust‹}, die ihr wohlfundiertes Talkshow-Halbwissen dadurch aufwerten wollte, dass sie öffentlich erklärte, sie würde grundsätzlich nichts lesen, in dem so was wie Elfen, Hexen, Dämonen o.ä. vorkommen. Tja, Johann Wolfgang, da hättest du das mit dem Faust wohl besser lassen sollen. Das konnte ja nichts werden.
Klappentext-Variation #5: »Das Sagenhafte ist in uns angelegt. Seine Archetypen leben in unserer Seele und prägen unser Denken und Fühlen. Doch was, wenn sie einer fernen Realität entspringen und plötzlich und unvermutet in unser Leben treten? Die junge Deutsche, Una, macht Urlaub in Irland, als sich die Tore zur Anderwelt — wie in der keltischen Mythologie — plötzlich öffnen. Das, was auf der anderen Seite ist, ist keine rosa Märchenwelt, sondern ein geteiltes Land, in dem es Krieg gibt, ein Reich mit unterschiedlichen Herrschaftsstrukturen, mit Rassismus, Unterdrückung und einer — ganz wörtlich — schweigenden Minderheit, die ihre Sprachlosigkeit als Rettung vorm Untergang versteht. Von einem Wesen verschleppt, das zugleich Mann und Einhorn ist und das dennoch so gar nicht dem christlichen Symbol für Reinheit entsprechen will, erfährt Una, dass man an seine Grenzen gehen kann und jenseits dieser Grenzen immer noch etwas ist, das schön sein mag oder grausam, das man überwinden oder an dem man zugrunde gehen kann.«
Viel Spaß beim Lesen von »Die Quellen der Malicorn«! Eure Ju Honisch
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Die bisherigen Stationen der Blogtour
- (12. Sept. 2013) Darkstars Fantasy News: »Liebe Frau Honisch, Einhörner — echt jetzt?!?«;
- (15. Sept. 2013) Wortwellen: Irland — Schauplatz von »Die Quellen der Malicorn«;
- (20. Sept. 2013) Phantanews: Das Einhorn als Unterdrücker;
- (22. Sept. 2013) Biblio Fantastica: Über Covergestaltung;
- (01. Okt. 2013) Fantastische Bücherwelt: Heilige Quellen & Kraftofte — Esoterik & Religion in »Die Quellen der Malicorn«.