molochronik

Jetzt lief die ›Blasphemie‹ und kein Blitz, kein Heuschreckenschwarm, keine Schrift an der Wand

(Gesellschaft) — Christenmenschen haben einen Glauben. Das ist an sich weder was grausliges, noch ist es etwas edles, denn es kommt auf den jeweiligen religiösen Menschen an, was er aus seiner Religiösität macht.

Schlimm aber gestern abend die Sicherheits-&-Diskursvorführung der kleinen, harmlosen und alberenen (und nicht kritischen) Pilotfolge von »Popetown«.

Da wurde von allen Seiten, den Fürsprechern und Gegnern der Sendung viel Wind gemacht. Eine ältere Dame, die man auf der Straße befragt hat, bringt den ganzen Medienschwurbel am genauesten auf den Punkt: Mündige Bürger entscheiden selber, ob sie sich sowas anschaun. — Ich steh ja auch nicht jeden Sonntag vor der Kirche, und protestiere gegen den hahnebüchenden Wunderaberglauben, den Transzendenzjunkies verbreiten. Die sollen da in der Kirche unter sich bleiben.

Auf einer Skala von 1 (würg) bis 10 (jubel) würd ich der Folge eine 5 geben (taugt als einmal-Gucken-Unterhaltung).

Beste Figur: Schwester Maria, weil sie so wunderbar ›in die Luft starrt‹ und nicht weiß, daß der Zahlenstrang kein Ende hat.

Größter Interpretationsfehler in der MTV-Diskurssendung: Einige meinten, daß die Folge sich über Behinderte lustig mache, Rollstuhlfahrende ›in den Dreck ziehe‹. Was wird genau gezeigt?: Jugendliche gelähmte Waisen kommen aus Leeds zu Besuch nach Popetown. Die Popetown-PR-Nonne Penelope ist genervt, weil die Kinder nicht ›arm, traurig und verzweifelt‹ sind, sondern weil die kleinen Racker quicklebendig mit ihren Rollstühlen rumkajolen, sich fibbrig aufgregt auf die Begegnung mit dem Papst freuen. Der Höhepunkt der Nervigkeit dieser behinderten Kinder ist ihr Gesang: Gitarre und falscher Kinderchor eben — ALLE Kinderklassen singen eher schief, warum sollten Gehbehinderte da eine Ausnahme bilden? Ansonsten werden eben nicht diese Rollstuhlkiddies ›in den Dreck gezogen‹, sondern die Erwachsenen, und ihre Routinen, mit denen sie sich diesen Kindern nähern, um die Kinder medienwirksam auszubeuten. Das kennen wir von Politikern und Diktatoren, wenn sie sich kleine Kinder herzend und deren Müttern Kränze reichend den Massen zeigen.

Größter Nationalchauvinismus des Diskurses: Der Popetown-Papst (¿oder Pipst, oder Popst?) verirrt sich in die unterirdischen Hostienfabriken, in denen Zwangsarbeiter schuften. Sofort brabbeln einige Diskursteilnehmer von ›abgemagerten Gestalten, wie in den KZs‹, und daß (wenn sonst schon nix) dann dieser ›Gäg‹ zu weit gehe.

—Hey, liebe deutsche Gutmenschen! Nicht alle ausgemergelten Zwangsarbeiter sind ein Verweis auf die Arbeitslager und KZs des Dritten Reiches. Schon bei den Römern schufteten Kinder in Erzminen. Die Kulturgeschichte der Menschheit verzeichnet schon lange Zwangsanstrengungsgemeinschaften, und nicht alle Arbeiter haben (wie die Pyramidenbauer) ihr rituelles heiliges Bierchen zu Feierabend bekommen. Wie freiwillig und angenehm war das mit dem Eisenbahnbau in den Alpen im vorletzten Jahrhundert?.

Gerade die katholische Kirche hat eine zünftige Beziehung zu Sklavenhandel-Gewinnlern in der Vergangenheit gepflegt. Die mutigen Christen, die gegen die Macht- und Profit-Praxis ihrer ›Klientel‹ protestierten, waren und sind in der Minderheit. Statt sich über MTVs Programm könnten sich christliche Mahner hierzulande z.B. über HARTZ IV, die Aussaht von Gen-Mais und Getreide, Kinderarmut usw protestieren. Hört man da viel? Nö. Aber den Blasphemieparagraphen verschärfen und Sendern die Lizenz entziehen wollen.

Hey, führen wir doch gleich wieder den Pranger ein, entscheiden Korruptions- und Steuerhinterziehungsschuldigkeit wieder mit Gottesbeweisen und wiederbeleben die hochnotpeinliche Befragung! — Also bitte, das nächste Mal wenn Zwangsarbeiter in einem Cartoon oder sonstwo vorkommen, ruhig auch an südarfikanische Silberminen, Baumwollfelder in Lousiana, die Zuckerrohrplantagen der Karibik denken, von mir aus auch an Schwabenkinder, und nicht immer und exklusiv nur über Nazi-KZs lossirenen (das ist nämlich auf Dauer supereitel, alle Übel der Welt immer nur auf die eigene National-›Spitzenleistung‹-Leistung in Sachen Unmenschlichkeit zu beziehen!).

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