Ricardo Pinto: »Der Steinkreis des Chamäleons«, Band 1 & 2 oder: Vertriebene im ummaurten Garten der Götter
Eintrag No. 262
•••
— Die Gebieter herrschen schon seit langer Zeit über die ›Drei Lande‹. Laut ihren Legenden stammen sie von den Sternen. Ihre Macht gründet sich auf den Fleischtribut den die Bevölkerung entrichtet und auf eine erbarmungslose Justiz, die nicht knauserig mit Verstümmelungs-, Blendungs- und Kreuzigungsurteilen ist. Nur unter ihresgleichen dürfen die Gebieter, die Auserwählten, ihre Gold- und Schmuckmasken ablegen. Erblicken Untergebene ihre unverhüllten Gesichter — … siehe Justiz. Reinheit und Makellosigkeit der Abstammung ist für die Gebieter von zentraler Bedeutung, so tragen sie die Blutwerte ihrer Eltern (Seriennummer läßt grüßen) als Narben auf dem Rücken, was auch zur rituellen Indentifizierung dient.
Soweit empfiehlt sich »Der Steinkreis des Chamäleons« schon mal als Lektüre für alle, die in der Fantasy gerne und ausführlich die Schattenseiten menschlicher Kultur durchgespielt bekommen (und denen z.B. die Kulturbeschreibung in Michael Moorcocks »Elric von Melniboné« zu flüchtig war).
Angesiedelt in einer vorgeschichtlichen Zeit (mit Dinosauriern), begleitet der Leser die Bildungsreise des jugendlichen Karneol aus dem Hause Suth. Mit einem Teil seines Gefolges hat sich Karneols Vater auf eine Insel im Eismeer ins Exil begeben, fern vom paradiesischen Machtzentrum des Vulkankraterpalastes von Osrakum. Doch andere Gebieter kommen über das Meer und bewegen den Vater, eine wichtige Rolle bei der anstehenden Wahl des neuen Gottkaisers einzunehmen. Mit dem Verlassen der Insel endet Karneols behütete Kindheits- und Jugendwelt abrupt. In schmerzlichen Lektionen lernt er auf dem Weg nach Osrakum halbwegs, was seine Stellung als Gebieter eigentlich bedeutet; was dieser ›Job‹ an Distanziertheit, Selbstkontrolle und grausamen Kalkül verlangt. In Osrakum schließlich setzt er unwissentlich eine alte Prophezeiung in Gang.
Ricardo Pinto war lange Zeit ein Designer für Computerspiele (unter anderem des Klassikers »Carrier Command«), und das ist den aberwitzigen Landschaften, bombastischen Architekturen und der perfide ausgeklügelten Gesellschaftshierarchie von »Der Steinkreis des Chamäleons« anzumerken. Pinto verfügt über viele originelle Ideen für seine Welt; weniger innovativ ist der Aufbau und Stil des Buches. So gerät manche Wegstrecke der beschwerlichen Reise(n) etwas langatmig und auch Karneols beständige Weigerung, sich gemäß seiner Stellung als Gebieter zu verhalten, zeitigt Längen. Da bin ich nun mal durch klassische Reiseberichte und alte Meister anspruchsvoll geworden im Lauf der Zeit. Doch werden diese etwaigen Längen durch intensive Abschnitte vollends ausgewogen, wenn Karneol neue Bauten und Stätten der Drei Lande ›besichtigt‹ (Panoramen!) oder anderen Gebietern begegnet (Mischung aus Duell und Konversation!).
Zwei Beispiele für wuchtige Phantastik-Bilder: So wird das Ausmaß der grausamen Gebieterkultur Karneols bei seiner Ankunft in Osrakum deutlich, wenn er erkennt, daß der Kieselstrand am Eingang des Hauses seiner Familie aus Abermillionen kleiner handgeschnitzten Figuren besteht. Oder die Bibliothek der Weisen — einer bis auf den Tastsinn verstümmelten Priesterkaste — in Osakum. Fenster und lichtlos (die Weisen orientieren sich in der Bibliothek anhand von Markierungen auf dem Steinboden), bewahrt sie das Wissen hunderter Generationen auf Perlschnüren; Größe, Form, Gewicht, Oberflächenstruktur und Temperatur (Koralle ist wärmer als Metall) einer aufgeschnührten Perle bestimmen dabei die Bedeutung des ›Schrift‹-Zeichens.
Bemerkenswert aber ist noch etwas ganz anderes. Ricardo Pinto selbst bekennt sich offen zu seiner Homosexualität und scheut sich nicht, sie zu einem bedeutenden Thema seiner Trilogie zu machen. Bei seinen Erkundigungen in Osakrum trifft Karneol auf Osidian, einen der beiden Gottkaiseranwärter. Zusammen tollen sie vergnügt durch die verbotenen Gärten von Osrakum, bis üble Intriganten sie aus der Machsphäre des Hofes entfernen und mit diesem Cliffhanger endet der erste Band »Die Auserwählten«.
In »Die Ausgestoßenen« finden sich der milde und mitfühlende Karneol und sein hochmütiger und grausamer Geliebter Osidian unter Wilden in dem von gigantischen Maueranlagen umspannten und unterteilen Bewachten Land wieder. Mit der Verschleppung aus dem Garten Eden endet die unbeschwerte Liebe der beiden. Osidian ist nicht wie Karneol gewillt, sich den Sitten des sie aufnehmenden Stammes anzupassen. Der verhinderte Gottkaiser sinnt vermehrt auf Rache gegen seinen nun inthronierten Bruder und macht sich nur insofern Gedanken um die Menschen des Stammes, wie er sie für seine Zwecke einsetzten kann.
Auch wenn Pinto als Stilist und Dramaturg mehr hergeben könnt, als Weltenbauer überzeugt er mich. Auf seiner Homepage bietet er interessante Einblicke in seine Notizen und Skizzen zur Welt der Drei Lande. Ob die Geschichte den ganzen Aufwand und die ca. 1800 Seiten wert sein wird, wird sich erst mit dem Erscheinen des dritten Bandes zeigen. Mit vielen kenntnissreichen Anlehnungen an alte und (sogenannte) primitive Kulturen schafft es Pinto, eine magische Vorwelt (ohne Magie) zu erschaffen, die sich nicht hinter klassischen Phantasien von vergessenen vorgeschichtlichen Reichen verstecken muß.
•••
- »Die Auserwählten« (The Choosen, 1999): 603 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2001; ISBN: 978-3-608-93241-6
- »Die Ausgestoßenen« (The Standing Dead, 2002): 624 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2002; ISBN: 978-3-608-93242-3