Euer Mann. Der Schmerz. Mein Wunsch.
Eintrag No. 223 – Ich kann nicht mehr. Seit Jahr und Tag schwillt mir die Galle, wenn irgendwelche Kaugummiknochen den THOMAS MANN bis zum Zenit loben. Der MANN ist nun seit fuffzich Jahren tod und am verrotten, aber die sich an ihm labenden Maden singen immerfort im Chor Loblieder auf ihn, nein, sie haben ihn mit ihren Begeisterungs-Hymnen und Ehrfuchtsseufzern bestimmt schon apotheotisiert.
»THOMAS MANN, das ist ein zu schwacher Name für dieses Genie«, so wird wohl ein Satz in der Pettition lauten, mit dem die Fans den Namen des Dichters in THOMAS GOTT ändern werden.
»Unser täglichen Spruch gibt uns heute, und vergieb uns unsere Kritiken, wie wir dir vergeben deine Homophilie.« So beten wohl einige in den redaktionen hierzuland.
Mir hauts jetzt bald den letzten Hirnbatzen raus, in dem noch Geduld mit den MANN-Acolyten zu finden war. Jeden Tag irgendwo etwas über MANN, manchmal mehrmals, fast immer mit Bild.
Liebe Kritiker, Feullitioninhaltsbeiträger und Kulturprogrammzuzsammenwurschtler. Heute feiert ihr noch das Verwesen eueres Idols, dann bitte damit mal für 50 jahre mit MANN-Berichterstattung und Belobhudelung Pause machen.
Ich überlege einen Anti-MANN-Web-Button zu entwerfen. Hat jemand einen passenden Spruch?
P.S.: Heinrich Mann dagegen, ein guter Schriftsteller. Schrieb im gegensatz zu seinem Bruder relevantes Zeug (»Die kleine Stadt«, »Der Untertan« sind beide je mehr wert und bieten besseres Zeitverständnis und sind spannender als das werk des eitlen Bruders) und nicht so Hascherl-Geschichten über Gemüthslemuren.
P.P.S.: Walter und Inge Jens spreche ich den Titel ›Ehrfurchtsgestörte THOMANNiker‹ zu. Wegen Thommie schrieben sie ein Buch über dessen Frau, und nun schieben sie ein Buch über deren Mutter nach.
Ich warte bangend auf das buch: »Die Haustiere und Pflanzen der Familie Mann«. Und ich prophezeie euch, dieses buch kommt noch.
david ramirer
der auch feuletonistisch höchstgelobten breloer-dreiteilig-biographie glauben darf, war thomas mann ein familiäres 1A-arschloch und selbstverliebter ultrabösewicht. manche seiner bücher sind vielleicht ganz ok, mir gefällt der roman seines sohnes klaus "mephisto" sehr gut.
Hella
Heinrich zu mögen und Thomas nicht bleibt jedem unbenommen. Aber: daß TM zum staatstragenden Dichter hochstilisiert wird, besagt genausowenig gegen ihn wie die Rudi-Dutschke-Straße gegen Rudi Dutschke oder der stalinistische Zirkus um Karl Marx gegen diesen. Die Herrschenden wußten nämlich schon immer, daß man 'gefährliche' Denker am besten unschädlich macht, indem man sie politisch vereinnahmt. Genau deshalb haben wir den Zirkus um TM, von dessen Amerika- und Kulturkritik bezeichnenderweise kaum jemals die Rede ist. Wer glaubt, dieser Mann sei nur ein selbstverliebter Bürger gewesen, der irrt. Er hatte Scharfblick; gerade weil er sich besser kannte als die Feuilletonschreiber ihn oder auch nur sich selbst je kennen werden. Und anders als so viele seiner Kritiker hat er es sich, allem äußeren Luxus und all seinen Macken zum Trotz, nie geistig bequem gemacht. Eben deshalb auch ist er weder auf Hitler noch auf Stalin hereingefallen; und auch nicht auf das nachkriegsdeutsche Getue um seine Person. Den jetzigen Medienzirkus würde er zutiefst verachten. Er, der vermeintliche bürgerliche Musterdemokrat, war nämlich unangepaßter als unsere jetzigen Berufsnonkonformisten oder Damen wie Frau Radisch, die den Tonio Kröger nur so furchtbar bürgerlich finden, weil sie ihn nicht verstanden haben.
Kurz: Der Kult um TM wird seiner Person und seinem Werk nicht im geringsten gerecht. Und diejenigen, die politisch davon profitieren, werden sich über jeden freuen, der einen Bruder gegen den andern oder die Kinder gegen ihre Eltern ausspielt. Teile und herrsche. Darauf aber sollten wir nicht hereinfallen.
In diesem Sinne grüßend und für die schöne Zeichnung dankend:
Hella
molosovsky Besitzerin
…das Mediengezirpe gibt mir derzeit schlicht nur noch den Rest.
Liebe Hella.
Gerne würde ich knackige Texte von ihm lesen. Für einen Hinweis (welches Buch, welche Essays) auf TMs Amerika- und Kulturkritik wäre ich aufrichtig dankbar.
Aber: Ich hab den Felix Krull durch, die Königliche Hoheit, den Tonio Kröger, bin in Vendig gestorben und kenne den Zauberberg besser als mir lieb ist. Alles (für mich) ›schräcklich‹ gespreitzes, plattes Zeug ohne Äktschn. TM lesend verwandelt sich mein Gemüth schleichend in so etwas wie F. W. Bernsteins ›Wanderer im Weichkäse‹. Als einziges dulde ich noch die Joseph-Fantasy-Quadlogie in meinem Zimmer, weil ich mich halt besonders für Phantastik interessiere. Es ist also ›leider‹ nicht so, daß mich der Medien- und Vereinnahmungszirkus um TM nervt, und ich nix von dem Kerle kenne.
In letzter Zeit neigt sich meine Meinung über so einige Klassiker zum Nörglerischen. A.Schmidt, Robert Walser, Kafka, Jahnn, Musil, Bernhard, Proust (ist zwar kein hiesiger, aber ich denunziere ihn gerne als für einen Oberöden zu einflußreichen) … alles Autoren die irre hochgejubelt werden, aber entmutigend fad sind. Vielleicht les ich zu wenig (fiktionale Prosa) auf Deutsch in letzter Zeit und verkomme zu einem dummen Trashleser (siehe mein Dan Brown-Ausflug). TM im Radio, oder in der Zeitung und ich verwandle mich in einen Homer Simpson: in meinem Kopf hör ich dann seine Stimme »Laaaang-weilig« rufen und n'Gusto auf Bier keimt.
Vielleicht ist es aber schon TMs Mimik, Stimme, Körperhaltung die mich so gegen ihn aufwühlt, denn ich gebe zu, daß mich all das an ihm herzlich abstößt. Ja ich finde sogar Photographien seines Arbeitszimmers unsympatisch. — Soweit zu Deiner Fürsprache für TM.
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Allen Molochronik-Leser kann ich die drei TM-bezüglichen Einträge von Hella empfehlen (ich kann auch die nicht-TM-bezüglichen Einträge von Hella in ihren Höhrenwelten empfehlen; siehe rechts die Links).
• Zu Thomas Manns 50. Todestag
— Was heutige Schriftsteller über TM meinen.
• Orgelschall, Orgelschwall
— Über den Festakt zum Todestag.
• Völlig mißverstanden
— Über M.R.R. Gedenkrede.
Hella
man muß das ja alles nicht so ernst nehmen. Wenn du schon TMs Sprache nicht magst und mehr Äktschn willst als in seinen Büchern, dann magst du ihn eben nicht: und mußt deshalb auch nicht seine Tagebücher ab 1945 lesen, aus denen hervorgeht, wie unsympathisch ihm die Politik von Truman & Co war.
Im übrigen: Als ersten TM-Roman sollte ein jeder die Buddenbrooks lesen. Findet er die schon unerträglich, braucht er keinen anderen mehr anzurühren, jedenfalls nicht in den nächsten 10 Jahren. (Krull & Kgl. Hoheit find ich übrigens unbedeutend; ich hätte dir davon abgeraten, diese Bücher zu lesen. Und TiV eignet sich nicht als Einstieg in die Erzählungen. Lieber Luischen, Der kleine Herr Friedemann, Tobias Mindernickel etc. - Und nicht Die Hungernden! Das'ss ne peinliche Brotarbeit. Aber: kein Mensch muß TM lesen ...)
molosovsky Besitzerin
Danke Hella für den Tip mit den 45ger-Tagebuch. Ich hatte gehofft, es gibt von ihm auch einige damals erschienene Reden, Aufsätze, Essays zum Thema Medientyrranei usw. Leider sind einige Bände (gerade solche mit Reden un Aufsätzen) der 13-teiligen TM-Werksausgabe in der Stadtbücherei Ffm geklaut. Aber der politische Mann interessiert mich durchaus noch.
Die »Buddenbrooks« aber hatte ich vergessen. Seit 20 Jahren lese ich so 1 bis 4 Mal im Jahr in dem Buch und ›ver-ste-he es nicht‹, was daran lesenswert sein soll. Ich empfehle es als Einschlaflektüre.
Aber der Rummel um TM(s Todestag) ist ja nun erstmal wieder vorbei und meine Nerven beruhigen sich nun auch schön langsam wieder. Als nächstes kommt ein Jubiläum über uns, daß mir auch was sagt: 400 Cervantes, jau!
aesthet
Heute musste ich eine 7-Stunden-Zugfahrt bewältigen, was ich für einen glücklichen Anlass hielt, mich endlich an Thomasens "Tod in Venedig" zu wagen, welcher an unserer Schule Pflichtlektüre ist (tolles Weihnachtsgeschenk unserer Deutschlehrerin, als hätte man nichts anderes zu tun und lesen).
Geschlagene, an die Fensterscheibe geschmierte drei Stunden kostete es mich, die paar Duteznd Seiten mit wenig Text drauf umzublättern. Ich entschuldige mein Lahmlesen einfach mal mit den Satzungetümen, die mich jeweils über halbe Seiten zerrten, was beim steten Geruckel der Eisenbahn recht fordernd sein kann...
Die Geschichte selbst vermochte mich eigentlich ebenso wenig zu begeistern. Ein alternder Ruhmsüchtling/Neurotiker liebt ein Kind, was ich (zumindest in dieser Form) nicht unbedingt lesen muss/will. Sicher war die ein oder andere Sequenz mal ganz erträglich, aber größtenteils hatte der Lesende (ich) angestrengte Zweifelsfalten auf der Stirn.
Reiße mich also vorerst nicht darum, mehr TM-Kram zu lesen.
Frohes neues Jahr, hoffentlich mit vielen Worten von dir, lieber Molo.
molosovsky Besitzerin
Und »Tod in Venedig« ist noch ein knackiger Mann-Text. »Felix Krull« fand ich auch noch ziemlich witztig, so ein Mordsklemmi ist der Text (bin ich nicht sicher, aber ich glaub ich habe mich ›gegen den Strich lesend‹ mit Krull durchaus vergnügen können).
Wie die streibar Mann-verteidigende Kollegin Hella ja schon ausdeutete, sind Manns non-fiktive Texte (Briefe, Tagebücher, Essays) durchaus lohnende Lektüre.
Ach ja: wenn'de mal abgespreizten Teetassenhaltfinger höhren willst, empfehle ich Tommies eigene Lesung von »Tonio Kröger«. Wenn da unterm Walnußbaum die Quelle sprudelt geht dem Guten fast einer ab. Köstlich!
aesthet
...wir haben nun gute 10 Deutsch-Leistungskurs-Stunden über den TiV gesprochen, ihn in verdauliche Häppchen zerlegt und ein bisschen darüber nachgedacht. Was da so alles an Verstecktheiten zu Tage kam, all die hintergründigen Anspielungen und Tricks, das war schon faszinierend. Auch offenbart sich seine Sprache hier und da als beeindruckend geschliffen, wenn man sie nur oft genug durchkauen muss.
Dennoch, ich möchte schließlich nicht völlig von meinem Ur-Standpunkt weichen, ist Mann-Man für mich nicht der Tollste, und ich werde in der Bücherei sicher nicht nach seinen anderen Schriften greifen.