molochronik
Donnerstag, 26. Oktober 2006

Der Urahn des Brit-Pop: John Dowland

(Eintrag No. 307; Alltag, Musik) — Vor ein paar Wochen hörte ich auf Deutschlandradio einen kleinen Bericht darüber, daß Sting sich der Lieder des von mir hochverehrten John Dowland angenommen hat. Als jemand, der vor lauter Begeisterung für diesen Renaissance-Barden Dowland-Lieder mit Akkordeonbass-Begleitung singt und Texte des englischen Orpheus zum Spaß an der Freud übersetzt, bin ich freilich ziemlich hingerissen. — Nun kann man zu Sting stehen wie man will, aber ein Popmusiker der weiß, wer die wahren Meister sind und sich entsprechend an diese zwecks Respekt heranwagt, kann nicht ganz verwerflich sein.

Diese Woche hat Andrea (totz unserer knappen Haushaltslage) zugeschlagen und die CD »Songs from the Layrinth« mitgebracht. Ein Hoch auf die Deutsche Grammaphon, daß sie sich ›traut‹, einen U-Musiker, der sich an Gemmen der Weltmusikgeschichte ›vergreift‹, zu verlegen. Einziger Makel: mit nicht mal 50 Minuten und 13 Liedern wird natürlich nur ein kleiner Ausschnitt von Dowlands Werk geboten. Bonus: Sting liest auch schön aus einem Brief, den Dowland aus dem Exil dem Geheimdienstchef von Elisabeth I. geschickt hat (Geoffrey Rush spielt diesen Sir Walsingham hinreissend im Bio-Pic über die Golden Age-Königin von Shakar Kapur.)

Auf der Platte sind einige der besten Lieder Dowlands in Sting'scher Interpetation zu finden (besonders schön: »Five knacks for ladies«; »Can she excuse«; »In Darkness let dwell«). Sting versucht gar nicht erst, die Lieder ›stil- und fachgerecht‹ zu singen, so mit Countertenorstime oder eben klassisch-sauberem Ton. Er gibt die 400 Jahre Lieder vielmehr als Pop- oder ruhige Kneipensongs zum besten, ZU locker und rauchig für strengste Klassikohren, erfrischend und eben angemessen lässig, für Leute mit Ohren ohne Reinheitswahn. Das tut den Stücken nicht schlecht und Dowland wird (hoffentlich?—bestimmt!) Dank Sting viele neue Hörer finden. Gut so, denn Dowland macht glücklich und erzieht zu einem souveränen Umgang mit den Widrigkeiten der Existenz. Dowlands Mischung von Traurigkeit und Ironie, von Leidenschaft und Kalkül hat Ewigkeitsanspruch, ist ganz große Kunst, sowohl auf dem Gebiet der Musik, wie der Lyrik (auch wenn so mancher Text nicht von Dowland sondern einem seiner adeligen Gönner stammt).

Ich freue mich, daß Sting und der Über-Lautist Edin Karamazov zusammengefunen haben. Nebenbei: im Beiheftchen der CD entpuppt sich Herr Summers für mich als sehr netter Plauderer darüber, wie er diesen musikalischen Fingerakkrobaten kennenlernte und überhaupt von seiner Dowland-Beschäftigung.

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ZUGABE: Im ersten Beitrag meiner Dowland-Übersetzungs-Fingerüberunen habe ich schon mal kurz auf die in meinen Ohren besten Dowland-Aufnahmen hingewiesen. Jetzt will ich Links nachliefern:

»John Dowland – The Collected Works«: The Consort of Musicke unter der Leitung von Anthony Rooley; Editions de L'Oiseau-Lyre, Decca. — Ensembleaufnahme der Olympierklasse. Nicht ganz billig, aber dafür gibts auf 12 CDs findet sich alls, was der Meister hinterlassen hat. Historisch korrekte Aufnahme. Edin Karamazov meint ja, daß »In darkness let me dwell« das großartigste Lied englischer Sprache ist. Aber die Consort of Musicke-Aufnahme von »Tell me true love« aus »A Pilgrims Progress — Forth Booke of Songs« schlägt für mich so ziemlich alles, was es an Liedgut gibt. Heute noch so aktuell wie annodazumals.

»A Musical Banquet«: Andreas Scholl, Markus Märkl, Christophe Coin; Decca. — Solo-Gesang-Aufnahme von unserem Meister Scholl, und auch hier glänzt Edin Karamazov an der Laute. Sehr dramatische und sehr berührende Aufnahme. Andreas Scholl ragt für mich heraus, weil er wie nur wenige Präzision und (im guten Sinne) Sentiment vereint. Wenn er diese Lieder singt, hat das trotz aller musikalischen Raffinesse immer auch einen ausgeprägt erzählerischen Tonfall. Gute CD zum Einstieg in die Dowlandwelt, denn diese Aufnehm gibts immer wieder (wie eben auch bei JPC) als 9 €-Schnäppchen!

»In Darkness Let Me Dwell«: John Potter, Stephen Stubbs, John Surman, Maya Homburger, Barry Guy; ECM. — Moderner, expressiverer Ansatz mit Saxophon und Zupfbass. Die Neu-Jazz-Variante, insofern sicherlich am stressigsten für Freunde der alten Musik. Vielleicht aber der beste Einstieg für Leute die sich a) sowieso auf die Jazz-Klassik-Melange von ECM stehen, oder b) sonstwie vom Jazz kommen. Die »In darkness let me dwell«-Version auf dieser CD ist sicherlich die unheimlichste und gothicste (im Sinne der Kunst- und Literaturepoche, nicht im Sinne der heutigen Lifestyle-Modeschublade).

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SCHLUSSHINWEIS: Es freut mich freilich, wenn durch »Songs from the Labyrinth« Begeisterte, auf der Suche nach deutschen Übersetzungen der Dowland-Texte, hier bei der Molochronik landen. Aber meine Amateurüberstzungen sind freilich nicht so gut, wie die Übertragungen, welche die Deutsche Grammophon auf der Website zur CD anbietet. Wer wegen schlechen Augen oder sonstigen Gründen das Passwort für das herunterladen der PDFs mit den deutschen Beiheft- und Textübersetzung nicht gefunden hat: es lautet Dowland.

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