molochronik
Freitag, 19. November 2004

Fremden Finanzdienstleistungen andrehen?!?

(Alltag) – Neues aus dem Erwerbslosendasein.

War ich gestern bei einem Vorstellungsgespräch im Osthafengebiet. Gut, fieseliger Fusselregen und meine enorm verspannte Rückenmuskulatur hat nix mit der einladenden Firma zu tun … dennoch kann ich mich mit dem Gedanken nicht ganz anfreunden, per Telefon und Computer zu Fremden Kontakt aufzunehmen, um ihnen was von den günstigen Konditionen und vermögensmehrenden Möglichkeiten der Firma van Horne Bank zu erzählen.

Es wäre ein Kravatten-Job mit Mobiltelefon und Laptop von der Firma. Mit Kravette sehe ich IMMER aus wie ein Konzentrationslageropfer, das sich nochmal fein herrichtet für den Fluchtversuch oder die nächste Selektionsrunde.

Der Mann – ich nenn ihn mal Cornelius – mit dem ich gesprochen habe, war nett, hat für mich auf seinem Laptop eine Stunde lang ne Power Point-Schau abgeklickt: die Partner des Unternehmens, Versicherungen, Privatbanken und internationale Finanzhäuser … das Pyramidensystem der Aufstiegsmöglichkeiten, sowie das mit Anteilspunkten funktionierende Vergütungssystem. Cornelius ist 26, also sechs Jahre jünger als ich, strahlt immer ein wenig von der Zufriedenheit eines Buddhas aus, und rechnet mir vor, daß ich im ersten Monat mit einem Einkommen von so ungefähr 3000 Euro (Brutto) rechnen könne. Er selbst hat auch von ganz unten angefangen, wo auch ich anfangen würde, wenn ich mich zur Mitarbeit entschlösse, und er Cornelius verdient an die 8000 bis 9000 Euro, und das nach nur 6 Monaten bei der Firma! Er zeigt mir ein Programm, mit dem man flugs jedem klarmacht, daß seine alte Krankenkasse, Bausparereinlage oder Vermögensanlage aber so was von gigantisch ungünstiger ist, als die Kniffe und Tricks, welche die van Horne Bank für jeden Kunden auf Lager hat.

Doof nur, daß die ganzen Instinkte und Resonanzen meines Gemüts zu archaisch-unpraktisch sind und ich bei dem Themenfeld Finanzen so furchtbar schnell bis zum Kreislaufkollaps gelangweilt bin. Zudem müßte ich mich um einen ganzen Haufen Kram kümmern, der mir zutiefst abhold ist, wie Kravatten, Schufa-Auskunft und Führungszeugnis. Demnächst gibts ein Fortbildungsseminar in einem feinen Edelhotel in einem Kurort, und schon kommendes Wochenende einen kleinen Vortrag von 11 bis 17 Uhr, den ich mir auf jeden Fall anschauen soll.

Was ich noch rausgehört habe ist, daß Cornelius seine ersten Finanzdienstleistungen an Verwandte, Freunde und Bekannte vermittelt hat. Er hat sicherlich einen besseren Ruf als ich, denn all meine Verwandten, Freunde und Bekannten wissen um meinen Ekel vor, und meinem Ungeschick mit Geld. Wenn ich auf jemanden mir bekanntes zugehen würde mit den Worten »Ich habe da eine interessante Finanzanlage für Dich«, würde er oder sie sich vertdatzt am Kopf kratzten oder herzlich losgiggeln, oder beides. Nun, ich werd mir am Wochende mal dieses Sonntagsseminar anschaun. Vielleicht taugt das versprochene Buffet ja was.

Verkaufen kann ich ohnehin nur, womit ich mich auskenne, und wovon ich überzeugt bin. Schade, daß ich weder den Knabberkramthekenjob in einem (normalen) Lichtspielhaus-, noch wenigstens den Beate-Uhse-Kinoaufsicht-Job in den letzten Monaten ergattert habe.

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Namen wurden von Molosovsky geändert.

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