Molos Wochenrückblick No. 37
Eintrag No. 692 — Diesmal gibt’s ne fette Nummer. Also los.
Lektüre: Haruki Murakamis »Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt« habe ich erstmal wieder zur Seite gelegt. Ist einfach zu wenig los in dem Buch, und banaler Kram wird zu breit ausgewalzt
Richtig gut gefällt mir bisher »The Windup Girl« von Paolo Bacigalupi. Am Rande hab ich mitbekommen, dass wieder mal ein neues Subgenre ausgerufen wurde, nämlich ›Biopunk‹. Und wenn man sich auf das Schubladenspiel einlässt, dann kann man »The Windup Girl« als leuchtendes Beispiel für ›Biopunk‹ nehmen. Immerhin wurde der Weltenbau gewebt aus solchen Themen-Fäden wie Ökologie, Rohstoff- & Energiekriese, gentechnisch entworfene (& patentierte) Nahrungsmittel, Fanatismus & Genozid, Vertreibung & Immigration. Nix Weltraum oder Aliens.
»The Windup Girl« wird Anfang Februar als »Biokrieg« bei Heyne erscheinen und es gibt auch eine großzügige (vierzig Seiten-)Leseprobe im Netzl. Leider ist das deutsche Titelbild ehr doof, hat nur im übertragenen Sinne Bezug zum Inhalt und erinnert merklich an ein Motiv zur ersten Staffel von »True Blood«.
Sympathisch finde ich, dass der Roman in Bangkok angesiedelt ist (wann genau, wurde bisher nicht gesagt, aber ich schätze mal in ca. 100 bis 200 Jahren), und dass die Protagonisten der vier Handlungsstränge gut ausgewählt sind: a) Anderson Lake, der Fremdländer aus den USA, Leiter einer Fabrik für Antriebsfedern, aber eigentlich Spion für einen großen Genfood-Agrar-Konzern, immer auf der Suche nach neuen Lebensmittel-Züchtungen, bzw. Genehack-Verstößen; b) Hock Seng, ehemals wohlhabender Händler in China, vor islamischen Fanatikern nach Thailand geflohen, schmeißt nun für Andersons Fabrik die Orga & Buchhaltung; c) Jaidee Rojjanasukchai, Hauptmann beim Umweltministerium und scharfer, unbestechlicher Grenz-Kontrolleur, Held des Volkes und dem sich stets auf krumme Import-Deale einlassenden Handelsministeriums ein Dorn im Auge; und d) das Titelmädchen, Emiko, eine künstliche Person, gebaut in Japan als Sekretärin, Übersetzerin und Gefährtin eines wohlhabenden Geschäftsmanns, wurde aber vom Besitzer in Bangkok zurückgelassen, wo Emiko nun als Sex-Spielzeug in einem Nachtclub darbt.
Desweiteren neu im Haushalt: Zwei Kunst-Bücher.
Einmal für zwischendurch der kurzweilige Band »Die großen Künstler und ihre Geheimnisse« von Elizabeth Lunday mit wunderbaren Illustrationen von Mario Zucca.
Zum anderen der Photobildband »Kleine Leute in der großen Stadt« des Londoner Streetartist Slinkachu. Irre Idee, kleine Eisenbahn-Figürchen irgendwo in der Stadt zu platzieren, stehen zu lassen als zu entdeckende Überraschung für Passanten und die abstrusen kleinen Szenen mit Photos zu dokumentieren.
Netzfunde
- Klaus Jarchow liefert in seinem immer lesenswerten Blog ›Stilstand‹ eine knappe und exakte Analyse der Unverschämtheit von Sarah Palin im Zusammenhang mit den Amoklauf von Arizona: Vom Täter zum Opfer.
- Unglaublich aber wahr: Im ›Focus‹ gibt es einen beherzigenswerten Text von Miriam Meckel zum Thema Wandel des Jouralismus in Zeiten des Internets und der sozialen Medien: Journalisten an der Crowdsourcing-Front. Sachliche und doch feurige »Bewegt Euren Hintern!«-Rede.
- Eine ergiebige Seite zum Stöbern bei Langeweile ist das Kuriositätenkabinett der Wikipedia.
- Ergreifend berichtet Stefan Weber für ›Telepolis‹ in Ein Online-Zahlsystem will wissen: Ist mein Geld sauber? von seinem Leid mit PayPal (ich selbst kann — noch — nicht klagen).
- Die bisher erste (& zur Schande der deutschsprachigen Feuilleton-Landschaft) und einzige Rezension zu dem großartigen Buch »The German Genius« von Peter Watson bietet die ›Frankfurter Rundschau‹, wenn Arno Widmann loben darf …
So anregend hat lange niemand mehr einen Panoramablick auf die deutsche Geistesgeschichte der vergangenen zweihundertfünfzig Jahre geworfen. {…} Zur Moderne gehört die Kritik an ihr. Nirgends ist das, wie Watson zeigt, deutlicher zu sehen als in Deutschland. Genau darum aber empfiehlt er, die deutsche Erfahrung genau zu studieren: »Was die Modernität betrifft, so ist Deutschland nicht nur eine ›verspätete Nation‹, es ist auch eine zögerliche Nation. Aber vielleicht birgt dieses Zögern eine Lehre. Wenn Wissenschaft und Kapitalismus … die Zerstörung unserer Umwelt, ja unserer Erde, nicht verhindern können, wenn sie sogar der primäre Auslöser für diese Zerstörung sind, dann wird nur eine Veränderung von uns selbst, ein Wandel unseres Willens etwas bewirken können. Die Deutschen erklären uns, dass der Weg aus unserem Dilemma weder ein technischer noch ein wissenschaftlicher, sondern ein philosophischer ist: eine Frage unserer Lebenseinstellung.«
(Deutschsprachige) Phantastik-Funde
- Endlich hole ich mal nach, auf den neuesten Kurzgeschichten-Wettbewerb von ›Fantasyguide‹ aufmerksam zu machen: SCIENCE FICTION — Die nächste Generation.
Einsendeschluss ist der 31. März. Mitmachen dürfen alle, die höchstens 18 Jahre alt sind.(Zur Jury gehört auch so ein Spinner namens Molosovsky.)
- Jubel ist angesagt, denn endlich endlich endlich geht es weiter auf der Hauptseite der Bibliotheka Phantastika. Vor allem die wunderschöne neue Gestaltug von moyashi gefällt mir. Es gibt neue Sächelchen, z.B. ein Blog, ein überarbeitetes Genre-Schubladensystem (mit ›Weird Fiction‹!), und eine Fibel mit Essays. Und 1000 Dank, dass der Molochronik auf der Link-Seite so weit oben ein Plätzchen eingeräumt wurde!!
- Große Diskussion über die Lage der Fantasy in unseren Landen. Stein des Anstoßes war eine Erregung von Petra Hartmann im Fandom Observer 259 über die Schwemme an seichtem Fantasy-Lulu, dass die Buchhandlungen verstopft. Der Herr Breitsameter von SF-Fan hat daraufhin einige Leuts um Stellungnahmen gebeten (auch mich, aber meine Antwort fiel aus Zeitmangel zu kurz aus) und so gibt es die Antworten von …
… Markus ›Pogopuschel‹ Mäurer (Redakteur von ›Fantasyguide‹ und ›Phase X‹) :
Was mir persönlich ein wenig auf dem Buchmarkt fehlt sind einzelne, abgeschlossene Fantasy-Romane. Die unzähligen Reihen mit ihren Trilo-, Quadro-, Deka- und Kein-Ende-In-Sich-logien hängen mir inzwischen zum Hals raus. Hier wünsche ich mir etwas mehr Mut bei den Autoren und den Verlagen, aber auch bei den Lesern. Denn die Masse der Fantasyleser scheint ja leider das Bekannte (in Form von Endlosreihen) zu bevorzugen… Adrian Maleska (Redakteur von ›Fantasybuch‹): Seine Meinung ist mir etwas zu vorsichtig und versöhnlich. Wertvoll finde ich seinen Tipp, sich als Leser doch mal zu bewegen und bei Verdruss nach neuen Weidegründen umzusehen. … und Michael Scheuch (einem meiner beiden Redakteur-Cheffes von »Magira – Jahrbuch zu Fantasy«). Er hat die Cochones, auf einen der fatalsten Zustände hinzuweisen:Im Buchhandel haben Thalia und Co. großen Einfluss auf die Gestaltung der Verlagsprogramme, und der rein optische Eindruck des Einerlei kommt auch von den Büchertischen und der Stapelware in den großen Läden.(Fett-Hervorhebung von Molo.)
- In zwei Teilen referiert Stefan Höltgen für ›Telepolis‹ ausführlich über den Computer als göttliche Maschine: Teil 1: God Modes, und Teil 2: Der göttliche User.
- Auf den Comic-Seiten des ›Tagesspiegels‹ empfiehlt unter dem Titel Schnüffler mit Schnauze Lars von Törne die Tierfabel-Noir Krimis »Blacksad« von Juan Díaz Canales und Juanjo Guarnido.
- Für die ›TAZ‹ hat Zoé Sona unter dem Titel Der Horror und das Mädchen der Essay-Sammlung »Horror als Alltag. Texte zu ›Buffy the Vampire Slayer‹« des Verbrecher Verlages eine wohlwollende und verständige Rezi angedeihen lassen. Der Band enthält auch Beiträge des von mir geschätzten Dietmar Dath, sowie der Schlotzen & Kloben-Mitglieder Jakob Schmidt & Jasper Nicolaisen.
- Ein Hoch auf Rupert Schwarz, der für ›Fictionfantasy‹ eine Rezension zu Tim Burtons Meisterwerk Mars Attacks liefert … auf Marsianisch!
Zuckerl
- Web-Comic: Hochgradig durchgeknalltes Projekt, wenn bei Axe Cop der 29-jährige Zeichner Ethan Nicolle die Stories seines 5-jährigen Bruders Malachai Nicolle umsetzt. Richtig wilder Stoff in bisher knapp 60 Folgen.
- Beeindruckende Photoserie von Francois Robert: Stop the Violoence. Aus den Knochen menschlicher Skelette zusamengesetzt Symbole, Worte und Waffen, sehr schön und zugleich spooky. Die Motive wurden aufgegriffen für eine Kampagne der ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹.
- Viel zu wenige Künstler liefern bratzige Brutalo-Hasen. Abhilfe schaffen aber die mutierten Roughneck Rabbits von Kai Spannuth.
- Sehr elegenate Ansichten von Catwoman von Bengal, gefunden im ›Trixie Treats‹-Blog. Jummie!
- Nase voll von den immer gleichen Kravatten-Knoten? Mit 5 New Creative Ways to Wear a Tie zeigt Caldwell Tanner von ›College Humor‹, wie Mann sein Repertoir aufbrezeln kann. Für Cthulhu-Acolyten natürlich besonders toll: ›The Lovecraft‹.
- Bezaubende Phantastik-Gemälde von Julie Heffernan zeigt ›Escape to Life‹.
- Zur Hebung der Laune präsentiert das ›Clockworker‹-Portal den kleinen Musikfilm Herr Ober, zwei Mocca mit Henry de Winter, begleitet von den Bratislava Hot Serenaders.
- Zuletzt ein Schmankerl des von mir verehrten ›Distressed Watchers‹, der eine gloriose Top Ten der Antihelden erstellt hat. Ich bin sehr einverstanden damit, dass der »Unforgiven«-›Held‹ von Clint Eastwood Platz 1 belegt.
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