molochronik

Was Krimis und Phantastik gemeinsam haben

(Eintrag No. 556; Woanders, Genre & Literatur) — Ausführliches, interessantes Interview mit dem Krimiblogger (»Watching The Detectives«) & Krimiautor (»Menschenfreunde«) Dieter Paul Rudolph gibt’s in Thomas Klingenmaeiers »Propellerinsel«-Blog zu lesen.

Mir ist aufgefallen, dass einiges von dem, was D. P. Rudolph über das Krimigenre (und seinen Werdegang als Krimifreund) erzählt, auch auf die Phantastik (und meinen Werdegang als Phantastikfreund) zutrifft:

  • Die jugendliche Lesebegeisterung wurde durch ›triviale‹ Stoffe entfacht. Es folgte eine ›Hochliteratur‹-Phase und anschließende Rückkehr zum ›Trivialem‹.
  • Erkenntnis: Jeder bedeutende Autor des 20. Jahrhunderts (ich sage: nicht nur des 20 Jahrhunderts) ist auch zutiefst trivial. Döblin, Faulkner, Joyce, Nabokov, Arno Schmidt usw. haben mindestens so viel von den Trivialliteraturen gelernt, wie diese später von ihnen.
  • Krimi ist noch lange nicht ausgeschöpft, wenn man die Grundannahme der Kriminalliteratur akzeptiert, dass wahrscheinlich alle Gesellschaften auf Verbrechen fußen. — Molos Paraphrase: Phantastik ist noch lange nicht ausgeschöpft, wenn man die Grundannahme der Phantastik akzeptiert, dass wahrscheinlich alle Gesellschaften auf Phantasiegebilden fußen.
  • Durch die Genre-Klammer ›Krimi‹ werden die ambitionierten und literarisch fruchtbareren Krimiwerke schnell mal übersehen, und oft wird irrig von den platteren Genrewerken auf alle Genrewerke geschlussfolgert.
  • In der deutschen Krimifreundekultur gibt es zwar ein Bewusstsein dafür, dass man die Kräfte mal bündeln müsste um die ernsthaftere Kriminalliteratur auszuloten, aber das wird als unmöglich zu verwirklichendes Vorhaben abgetan.

Flucht- und Fliehmomente, oder: Wieder Mal Fantasy und die Medien

(Eintrag No. 549; Alltag, Woanders, Literatur, Phantastik) — Erstmal einige Links zum Blog von Thomas Plischke (ja, dem Mann, dessen »Die Zwerge von Amboss« mich so (wenn auch nicht ganz vergnügungslos) ›verstört‹ hat). Seit einiger Zeit führt Plischke die quixot’sche Lanze der (ab und zu arg spöttisch-flappsigen) Erwiderung gegen Flachdenk-Artikel der großen Medien & des Feuilleton in Sachen Fantasy und Phantastik.

Ich bin (als mehr oder minder unfreiwiller Phantastik-Elitarist) zwar mit Plischkes Polemiken gegen dumme phantastik- und fantasyskeptische-Artikel nicht immer ganz glücklich, da Plischke darin Autor(innen) wie Stephenie Meyer verteidigt (die hat eh (zu)viel Erfolg, liefert aber Bücher von – für mich – äußerst zweifelhafter Qualität). Dennoch hier eine kleine Übersicht der Dummschwätzartikel und der Erwiderungen von Thomas:

  • »Susanne Weinhart, die Fantasy und wir« (16. März ‘09): Der dümmste Spruch aus dem Weinhart-Artikels in der »Süddeutschen Zeitung« lautet:
    Die Gegenaufklärung hält sich: Fantasy-Literatur und Computerspiele erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit.
  • »Es geht schon wieder los« (26. März ‘09): Erwiderung auf einen Artikel von Armgard Seegers im »Hamburger Abendblatt«.
  • »Titus Arnu, die Fantasy und wir (diesmal mit einer Extraportion Vampir)« (3. April ‘09): In diesem Kontra zu einem abermaligen Text der »Süddeutschen Zeitung« steigert sich Plischke am Ende in eine ›Apologie‹ und Lobpreisung der Fantasy rein, die ich für als Fürsprache für dieses Genre für unzuträglich erachte. Was also machen mit dem Eskapismusvorwurf, der so oft gegen die Fantasy und Phantastik erhoben wird? Plischke bietet da folgendes:
    Der Eskapismusvorwurf an die Fantasy ist schlichtweg unfair, denn etwas umformuliert lautet er ungefähr: Warum lasst ihr euch durch das Bunte, das Exotische – und ja, auch durch das Rückwärtsgewandte und Vereinfachende – so leicht verführen?
    Meine Antwort sähe unter Umständen so aus: Weil gute Fantasy ein Versprechen abgibt, das sie erfüllt.
    Sie verspricht den Tumult eines Basars statt der Ordnung einer Aldi-Filiale.
    Das Spaßbad mit zwölf verschiedenen Rutschen statt des einfachen Freischwimmerbeckens.
    Den Vollrausch anstelle eines Angeschickertseins.
    Die Achterbahn mit vier Loopings, nicht das Kettenkarussell.
    Gut möglich, dass man kotzen muss, falls man es übertreibt – und manche Menschen haben einen empfindlicheren Magen als andere oder leiden unter diversen Unverträglichkeiten –, aber das ist ein Risiko, das jeder mit sich selbst auszumachen hat. Mit dem Bluttrinken ist das übrigens ähnlich…

    Für mich wird hier ›das Vergnügen‹ oder ›die Leselust‹ welche Phantastik- und Fantasyliteraturen zu bereiten vermögen zu knallig-einseitig auf ›Spaß, Gute Laune, Halligalli‹ verkürzt. Es ist ja mitnichten so, dass Fantasy und Phantastik nur von Anhängern einer ›unreflektierten‹ Spaßfraktion mit Genuß goutiert werden kann.

  • »Der Spiegel und die Fantasy« (4. Mai ‘09): Hier bietet Thomas einen zurückhaltender tönenden und solide durchdachten Leserbrief zu einem Artikel von Urs Jenny (dessen Text über den Fantasy-Boom zwar auch durch einige der üblichen Recherche- und Denkschwächen gezeichnet ist – z.B. dass der Amerikaner Ire C. S. Lewis wieder Mal zum Engländer mutierte –, der aber schon mal um einige Tacken besser ist, als die oben verlinkten Artikel von Weinhart, Seegers und Arnu.

Der Höhepunkt aber, der sich in dieser ganzen Angelegenheit in Thomas Plischkes Blog ereignet, findet sich in dem Linksammlungs-Eintrag »Es regt sich Widerstand«. Vor allem beim Wortwechsel zwischen dem von mir geschätzten Literatursachverständigen Ralf Reiter (vom »Inklusorium«-Blog) und dem Journalisten Thomas Klingenmaier (Autor des »Hauptfilm, Trailer, Extras«-Blogs für die »Stuttgarter Zeitung« und als tkl auch kommentierender Molochronik-Leser) wird sehr klug und erhellend das ganze seltsame Phänomen besprochen, warum es die Phantastik und ihre Genre (vor allem eben die Fantasy) immer noch so schwer haben in der Medien- und im Feuilltonlandschaft. Vor allem die analytische Zusammenschau von Klingenmaier ist es wert, zur Kenntnis genommen zu werden, wenn er diese sechs Punkte zusammenfasst: (1) die Konkurrenz der Themen; (2) die Konkurrenz der Autoren; (3) die Zugewinnrechnung; (4) die Themen-Redundanz; (5) das Schreckbild vom unreifen Leser; (6) die Wertungsungewissheit.

Zum anderen möchte ich darauf verweisen, dass es nun in der Bücherrundschau bei »Perlentaucher« auch eine Kategorie für Fantasy- und Science Fiction gibt. Ich habe vor einiger Zeit eine Leser-eMail an die Perlentaucherredaktion geschrieben, ob sie sich prinzipiell vorstellen könnten, neben ihrer Krimikolumne »Mord und Ratschlag« auch eine Phantastik-Kolumne anzubieten. Die Antwort lautete, dass man durchaus gerne machen würde, aber leider nicht genug Kapazitäten dafür hat. Naja. Vielleicht ändert sich das ja mal.

Zum Abschluss zitiere ich (wieder Mal) aus Umberto Ecos »Der Name der Rose«, wo gezeigt wird, dass Eskapismus und nerdiges Geektum keineswegs allein eine Sache von jugendlichen (oder nicht erwachsen gewordenen) Fantasy-Fans ist. — Bei einer der nächtlichen Exkursionen in der geheimnisvollen Bibliothek meint William von Baskerville zu seinem Schüler Adson (S. 399):

»{…} es waren finstere Zeiten, in denen sich die Grammatiker mit abstrusen Fragen vergnügten, um eine schlechte Welt zu vergessen. Einmal, so heißt es, diskutierten die beiden Gelehrten Gabundus und Terentius vierzehn Tage und vierzehn Nächte lang über den Vokativ von ego. Am Ende griffen sie zu den Waffen …«
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