molochronik
Sonntag, 20. Februar 2005

Molosovskys Beute: Klassiker der Phantastik als eText

Eintrag No. 187 – Also gut. Es kann ja nicht sein, daß ich hier nur schlechte Stimmung kundtue. Ist ja nicht so, daß ich am Boden kreuche und bleierne Depri-Eisenkugeln an meinen Fesseln hinter mir herschleife.

Die bisherigen Bücher des Lesezirkels bei SF-Netzwerk treffen ganz meinen Geschmack. Nach »Set This House In Order« (»Ich und die anderen«) von Matt Ruff gings im Februar weiter mit einem Klassiker: H. G. Wells mit seinem »Men Like Gods« (»Menschen, Göttern gleich«) aus dem Jahre 1923.

Nach einen Blick in die Wells-dtv-Ausgabe wurde ich soweit neugierig, mal im Netz nach dem Roman zu suchen. Ich wurde nicht nur fündig, ich verlohr mich geradezu in einer Flut verfügbarer Titel. Vor allem auf Englisch kann man reichlich Klassiker als eText kostenlos bekommen.

Da dacht ich mir: Was soll ich in diesem Jahr groß Geld für Bücher ausgeben? Will ich mich mal um einige Wurzeln der modernen phantastischen Literatur kümmern und sie als PDF zum Copyshop tragen, um sie nicht am Bildschirm lesen zu müssen. Entsprechend habe ich die letzten Tage mit PDF-Aufbereitung von reinen Textdatein verbracht.

Hier eine (verlinkte) Autorenübersicht, und die (unverlinkten) Titel dieser Autoren, nebst einer kurzen Begründung, warum mich das Zeug interessiert. Ich Link mir sonst die Finger krumm.

Klassiker der phantastischen Literatur (sowie einige andere Titel, die Molosovsky interessieren)

Bellamy, Edward (1850 - 1898): Looking Backward ••• Frühe SF, in der ein Mann aus dem Jahre 2000-ebbes eine Reise in die ausgehende Viktorianische Epoche macht.

Blackwood, Algernon (1869 - 1951): Prisoner in Fairyland ••• Der Titel machte mich neugierig und ich kennte bisher nur die unheimlichen Kurzgeschichten in der Übersetzung bei Suhrkamp. Blackwood war ein Vorbild vom Kult-Pessimisten H. P. Lovecraft.

Cabell, James Branch (1879 - 1958): Figures of Earth / Jurgen ••• Neil Gaiman empfiehlt immer wieder mal Cabells »Jurgen« als lesenswertern Klassiker des Genres empfohlen.

Chesterton, Gilbert Keith (1874 - 1936): Ball and Cross / Club of Queer Trades / Tales of the Long Bow / The Man Who Was Thursday / The Trees of Pride / Orhodoxy ••• Ich bin ein großer Fan von »Der Mann der Donnerstag war« und gespannt, was der Mann sonst noch herrlich Wirres schrieb. Wie J. R. R. Tolkien ebenfalls einer der durchgeknallen Katholen der Insel. Bei uns kennt man Chesterton eigentlich nur für seine Pater Brown-Geschichten (bekannt durch Ottfried Fischer und Heinz Rühmann).

Doyle, Arthur Conan, Sir (1859 - 1930): The Lost World / The Poisen Belt / The Land of Mist / The White Company ••• Durch meine Teenagerjahre habe ich alle Sherlock-Holmes-Geschichten abgegrast, und auch die ein oder andere Kurzgeschichte von Doyle. Bei Gelegenheit will ich nun die drei Jules Verne-artigen Prof. Challenger-Romane mal im Original lesen, sowie den historischen Roman »The White Company«, den Doyle selbst für sein bedeutenstes Erzählwerk hielt (und der meines Wissens nie auf Deutsch erschien).

Dunsany, Lord {Edward J. M. D. Plunkett} (1878 - 1957): Don Rodriguez / Gods of Pegana / Time and the Gods / A Dreamer's Tales / Sword of Welleran & Other Tales / Tales of Three Hemispheres / Tales of Wonder / The Book of Wonder / The Food of Death ••• Von ihm haben alle abgeschrieben, die Nachkriegsfantasy-Autoren, die neueren Comic-Schreiber a la Gaiman und Co. Alle! Lovecrafts Kosmogonie oder seine Traumwelt wäre nicht denkbar ohne Dunsany als H.P.s großes Vorbild. In den Siebzigern gabs bei Diogenes eine ganze Reihe mit Krimi-Stories von Dunsany. Heutzutage sieht es ganz finster aus um eingedeutschte Werke von Dunsany.

Hearn, Lafcadio (1850 - 1904): Glimpses of Unfamiliar Japan 1 & 2 / In Ghostly Japan / Kwaidan: Stories and Studies of Strange Things ••• Über ihn bin ich gestolpert, weil ich für Andrea über frühe Bonsai-Berichte in der westlichen Hemisphäre recherchiert habe. Die Wichtigkeit von (wahren oder erfundenen) Berichten aus fremden Weltgegenden für die entstehende moderne Phantastik wird von den heutigen Lesern zumeist grob übersehen. Hearn ist ein gutes und vor allem exellent zu lesendes Beispiel für einen Wanderer zwischen den Kulturen.

Kipling, Rudyard (1865 - 1936): Plain Tales from the Hills / Traffics and Discoveries / Puck of Pook's Hill / Actions and Reaktions / Rewards and Fairies ••• Sehr dankbar bin ich Gisbert Haefs, daß er damals im Haffmans-Verlag begonnen hat, die Werke von Kipling endlich mal unverstümmelt herauszubringen. Leider erscheinen schon seit Jahren keine weiteren Bände dieser Werksausgabe mehr (Hallo Zweitausendeins, Herr Haffmans und Herr Haefs! Was geht?). Und bitte keine unnötige Scheu vor dem Geheimagenten und Kolonial-Praktiker Kipling, der vor hundert Jahren dabei war, als die Region Afghanistan zum Desaster für die Britten wurde (siehe Veteran Dr. Watson in den Holmes-Geschichten von Kollege Doyle), und das heute noch andauernde ›Great Game‹ um diese Weltgegend anhob. Und: Kipling gilt als der erste Autor, der Filmschnitt-Techniken in Prosa nachahmte.

Lytton, Edward Bulwer Lytton, Baron (1803 - 1873): The Coming Race ••• Neben Charles Dickens und Wilkie Collins einer der einflußreichsten viktorianischen Genre- und Erfolgsautoren. »Coming Race« ist ein Klassiker der abseitigen Hohlwelt-Literatur. Am bekanntesten ist wohl sein »Die letzten Tage von Pompeii«, und Arno Schmidt-Leser kennen seinen Namen vielleicht (»Was wird er damit machen?«). Und Bulwer Lytton saß als Politiker im englischen House of Lords!

MacDonald, George (1824 - 1905): Lilith / Phantastes / The Princess and the Goblin / There and Back ••• Ein schottischer Landpfarrer der Märchen für Gläubige schrieb. Neben William Morris ein wichtiges stilistisches und ideologisches Vorbild für Tolkien. Mal schaun, vielleicht heißt der Nebentitel von »The Hobbit« nicht von ohngefähr »There and Back Again«.

Morris, William (1834 - 1896): News from Nowhere / The Well at the World's End / The Wood Beyond the World ••• Morris war ebenfalls ein wichtiges Vorbild für Tolkien. Lustig find ich die sprachliche Nähe der Prosa von Morris, MacDonald und Tolkien. Ansonsten war Morris ein Phänomen in der englischen Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Künstler, Idealist, Sozialist, Handwerker, Dichter. Ein Mann mit einer Mission. Seine Tapetenmuster sind heute noch top.

Orwell, George (1903 - 1950): Fifty Essays ••• Ich weiß ja nicht, warum es so schwer ist, mal alle Essays von Orwell ins Deutsche zu übersetzten. Les ich die halt auf Englisch.

Stevenson, Robert Louis (1850 - 1894): The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde / Essays in the Art of Writing / Fables ••• Hab bisher viel zu wenig Stevenson gelesen.

Irving, Washington (1783 - 1859): The History of New York / Scetch Book of Geoffrey Crayon ••• Irving ist so ein gewichtiger Klassiker der burlesken Phantastik, der auf Deutsch so gut wie unübersetzt und deshalb unbekannt ist. Das »Scetch Book« enthält neben anderen die einflußreichen Geschichten »Rip von Winkle« und »The Legend of Sleepy Hollow«. Und die »History of New York« ist ein frühes Beispiel für eine komplett aus der Nase gezogene Enzy.

Wells, Herbert George (1866 - 1946): The Time Machine / The Island of Dr. Moreau / The Invisible Man / The War of the Worlds / When the Sleeper Awakes ••• Vielleicht immer noch der einflußreichste SF-Autor bisher. Hab ich wie Doyle als Teen schon einiges auf Deutsch gelesen.

Woolf, Virginia (1882- 1941): Common Reader / Essays / Short Stories / The Waves ••• »Orlando« auf Deutsch fand ich vor ca. zehn Jahren ziemlich öde, den Film aber schlicht brilliant. Letztes Jahr hab ich das Buch englisch aufm Klo gelesen und war begeistert. Derzeit hab ich »Mrs. Dalloway« immer in der Manteltasche dabei und freu mich schon auf weitere Lektüre ihrer Texte.

Abschluß-Zuckerl: Runciman, John F. (1866 - 1916): Purcell ••• Wenigstens ein kleiner Text über einen meiner absoluten Lieblingskomponisten.

Klassiker über Römische Geschichte für umme? Bitte schön. Gibbon, Edward (1737 - 1794): History Of The Decline And Fall Of The Roman Empire Mommsen, Theodor (1817 - 1903): Römische Geschichte ••• Gibts alle Bände als eText, den Mommsen sogar auf Deutsch. Gut, es ist etwas mühselig, das Zeug so unaufbereitet zu lesen, so wie die Fußnoten versteckt sind, aber immerhin: so kommt man als arme Sau, für die auch die Taschenbuchausgaben dieser Werke zu teuer sind, wenigstens zu seinem Stoff. Und: der Gibbons war immer wieder mal Steinbruch für die Macher von großen galaktischen Imperien. Prominentester Verwurschter: Isaac Asimov mit seinem Psychohistoriker-Zyklus.

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