molochronik
Dienstag, 29. März 2005

Will ich umziehen oder pendeln?

(Gesellschaft) – Die Zeitung »Die Welt« hat Infratest dimap tausend Arbeitslose befragen lassen. Ergebnis: die meisten wollen nicht in andere Städte oder Bundesländer umziehen oder größere Distanzen pendeln, wenn ihnen das einen Job einbrächte.

Diese Einstellung kann ich gut verstehen. Ich bin ebenfalls nicht bereit Frankfurt zu verlassen, denn ich habe keinen Bock auf eine Fernbeziehung, meine Partnerin hat keinen Bock auf eine Fernbeziehung. Alleinlebende Arbeitslose mögen da flexibler sein. Leider erwähnt die »Die Welt« nicht, wie viele der Nicht-Umzugswilligen in Partnerschaft leben. So schnell kehrt man menschliche Seiten von Sozial-Kybernetik unter den Tisch. Zwischen den Zeilen vermittelt die »Die Welt« (für mich) folgende Botrschaft: Wer arbeitslos ist, hat keinen Anspruch auf seinen Freundes- oder Verwandtenkreis vor Ort. Wer arbeitslos ist soll sich aufmachen in die Fremde.

Pendeln. Ich habe keinen Führerschein und hasse Autos. Nicht einmal wenn mir ein potentieller Arbeitgeber den Führerscheinkurs spendierte, würde ich einen machen. Welcher Arbeitgeber würde mir schon entsprechendes Extra-Gehalt für Fahrkarten gewähren oder Verständnis zeigen, wegen dem Verspätungsgewirks bei verpaßten Anschlüßen, Oberleitungsschäden ect. pp.? Da gehts ja bei den Arbeitgebern wieder los mit dem Gejammer: »Diese Nebenkosten, die Fahrpreise!« – Und ich kann die Arbeitgeber gut verstehen, denn ich würde da auch jammern: »Diese Nebenkosten, diese Fahrpreise!« – Fragt sich also, wer den entscheidenden Entlastungsmotivationsschubser leisten soll, damit mehr Menschen bereit sind dafür zu bezahlen, sich in übervollen, lärmreichen Zügen von Mobilphon-Barbaren und sich besauffenden Untermenschen belästigen zu lassen.

Für den entsprechenden Job wär ich bereit, jeden Tag eine Stunde – einfache Strecke – zu pendeln. Nur: ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, was das für ein Job sein könnte. Grundsätzlich: ich weiß ja schon hier in Frankfurt nicht, als was ich mich wie bei wem bewerben soll. Ich weiß ja nicht mal, an wen ich mich zwecks Bewerbungshilfe/Training wenden soll, denn mir fehlt das entsprechende Vertrauen. Die Agentur hat keine Zeit und Kenntnis zu entsprechender Beratung, staatlichen, gewerkschaftlichen oder arbeitgeberverbandsverbundenen Trägern traue ich nicht mehr über den Weg. Zwei Jahre unkompetentes »Machen'se mal, damit Sie ein Gefühl dafür kriegen«-Ausbildung zum FAMI beim Bildungszentrum des Hessischen Handels lassen mich heute noch schweißgebadet aus klaustrophobischen Träumen erwachen. Private Berater kann ich mir schlicht nicht leisten. Zudem: für »Sie müssen sich nur trauen«-Zusprachen bin ich zu intellektuell und allotopisch veranlagt. Dummerweise bin ich ein Aufrichtigkeitsfanatiker, es fällt mir nicht leicht, andere willentlich zu manipulieren, wehalb ich mittlerweise meine Tätigkeitsfreude für jegliche Kreativität eingebüßt habe. Viel Phantasie bringt eben viel Angst mit sich, und blöderweise habe ich ehr eine alberne, apokalyptische Phantasie, und keine pragmatische oder optimistische.

Das von der »Die Welt« umrissene Problem läßt sich also zu der Frage eindampfen: Wie kann man den Verzagten und Hoffnungslosen den Mut und die Entschlossenheit einhauchen, daß sie sich für fähig und zäh genug halten, um Umzug oder Pendelei zu wagen? – Denn: ich bin kein Anhänger des umgekehrten Verfahrens, bei dem mit Leidensdruckerhöhung die Betroffenden zu Kraftakten des Sich-selbst-aus-dem-Sumpf-Ziehens inspiriert werden sollen.

Und nein: zumindest ich bin nicht gelassen, wegen meiner Blödheit und Gehemmtheit, den richtigen, bzw. überhaupt einen Job zu finden. Die Medien verbreiten gerne das Bild vom lässigen Arbeitslosen, und andere Kreise kontern damit, eine allgemeine soziale Kälte anzuprangern. Ich weiß mich bei diesem Deutungshickhack nicht zu positionieren, denn ich wage es nur für mich zu sprechen. Ich kann also nur offen zugeben, daß ich kein gelassener Arbeitsloser bin, der es sich mit ruhigem Gefühl in der sozialen Hängematte bequem macht.

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