molochronik
Sonntag, 5. Februar 2006

Zehn Etüden: Nr. Zwei — Das Geständnis

Stücke für narratives Improvisationsklavier

»Von Dissonanzen, über Dissonanzen zu Dissonanzen.«
— Robert S. über Frederic C.

Das Geständnis

Ja, ich gebe zu, daß ich der Künstler bin, der für dieses Chaos verantwortlich ist, aber ich kann mir das Ganze nicht erklären, ich weiß nicht… ich kann nicht… es ist mir unbegreiflich, was da mit der Welt geschehen ist, was ich da angerichtet habe, doch will ich versuchen, alles zu erklären.

Es begann damit, daß ich diese wunderschöne Frau kennenlernte, diese Muse, nach einem Skrijabinkonzert im Musikverein, wir waren in diesem exklusiven Feinschmeckerrestaurant — dem da Capo — plauderten über Musik, das Konzert, den Dirigenten, da saß sie mir gegenüber, es hat keinen Sinn sie zu beschreiben, der Hals, eine Versuchung, ihr atmender Busen, lächelte, alles an ihr war fleischliche Harmonie, aber geben Sie sich keine Mühe, sie sich vorzustellen, diese kaum zwanzigjährige Grazie, es war der höllische Himmel sie anzuschauen, so jemandes kann man nicht beschreiben, nur anbeten.

Magie knisterte in der Luft, die Götter waren mir hold, La Poeme de L´Extase wallte noch durch uns, geleitete uns zusammen, ich lernte besser kennen, erzählte von meiner Arbeit, oh Wunder: Sie wollte mein Modell sein, sie war ganz versessen darauf, mit mir zu arbeiten, ach was, sie sprach von hingeben, wir fuhren also in mein Atelier, berauschten uns aneinander, verbrachten gierige Stunden der Hingebung, dann, wir waren ja schon nackt, hatte ich die Idee, sie nicht nur zu malen, sondern sie als Malgrund zu verwenden, eigentlich entstand dies mehr oder weniger bei der Zweisamkeit aus dem Affekt heraus, sozusagen, ich begann also, ihre weiße Haut zu bemalen, mit Pinsel und schöner feuchter Farbe, sie hatte sich auf einigen Tüchern ausgestreckt, sich entspannt und sich mir und meinem Pinsel anvertraut, dort können wir die Wirklichkeit noch finden, wenn sie noch schläft, mit einem behaglichen Grinsen schlief sie dann nämlich ein, meinte noch, ich solle ruhig weitermachen, sie hätte einen tiefen festen Schlaf, wenn sie erwacht, können Sie sicher sein, finde ich diese Augen wieder, und da sind die Tücher, die noch zur alten Wirklichkeit gehören: ihre Augen und die Stelle, wo sie liegt.

Mein Pinsel raste über sie hinweg, ich hatte Skrijabin noch im Kopf, ihre Schönheit unter mir… ich kann es nicht in Worte fassen… malte wie wild, das Tuch um sie herum wurde bemalt, der Boden, die Wände, mein ganzes Atelier, die Farbe wurde knapp, aber meine fleischgewordene Muse trieb mich zum Unmöglichen, ich entwickelte spontan die Fertigkeit und das Wissen, in größter Eile alles als Material zu verwenden, alles in das Gemälde einzucollagieren, und nun, da Sie mich erwischt haben, da kann ich das Gemälde von der Welt darunter auch nicht mehr unterscheiden, auch wenn ich der Künstler bin, gerade deswegen: Für mich ergibt das nun alles einen Sinn, fragen Sie nicht welchen, der Rahmen für ihre Schönheit vielleicht, fragen Sie mich auch nicht, wie ich vollbrachte, das Wasser zu bemalen, die Luft und den leeren Raum, jede kleine Ameise mit Pinseltupfern zu Kunst zu machen, jeden Fußgänger, Radfahrer, sogar Autos und Zügen nachzulaufen, wie ich fliegen konnte um Vögel, Wolken und Flugzeuge dem Bild einzuverleiben, aber wie ich schon sagte, ihre Vision peitschte mich, mein Pinsel wurde zum Zauberstab, sie trieb mich gnädig aber erbarmungslos, strikt und sanft, nicht eher den Pinsel aus der Hand zu geben, bis ich die Welt zu meinem Bild machte, es ist mir ein vollkommenes Rätsel, wirklich, es tut mir aufrichtig leid, wenn Sie sich alle nicht mehr in der Welt zurechtfinden, daß Sie sich ständig fragen müssen, was Wirklichkeit und was Bild ist, denn anscheinend bekommt man meine Farbe nicht mehr ab, läßt das Collagengeflecht sich nicht mehr aufzwirbeln, aber wie gesagt, sobald Sie mich wieder freilassen, werde ich sie sicherlich nicht lange suchen müssen, um den Glanz ihrer Augen zu finden, und dann kann ich Ihnen allen noch zwei Stellen der alten Wirklichkeit zeigen: ihren Rücken, und das Tuch auf dem sie schlief.

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