molochronik
Sonntag, 5. Februar 2006

Zehn Etüden: Nr. Sieben — Eine Biographie

Stücke für narratives Improvisationsklavier

»Von Dissonanzen, über Dissonanzen zu Dissonanzen.«
— Robert S. über Frederic C.

Eine Biographie

Geboren im März 1972 in einer Stadt, begann Jochen Molosovsky schon im zarten Kindesalter sein expressives Künstlertum auszuleben. Mit vier beendete er seine erste Laufbahn als Kleingeigenzersäger und widmete sich nacheinander dem Klavier, der Flöte, der Mundharmonika, dem Schlagzeug, der Maultrommel und zuletzt dem Gesang, bis man im Alter von acht dazu überging, Jochen besser eine der stillen Künste aufzuzwängen.

Zusammen mit seinen Aufenthalten in verschiedenen Labors in Paris, Genf, Wien, Berlin, London und St. Petersburg gedieh seine Konzentration und Fähigkeit, keinen empfindlichen oder dauerhaften Schaden in seiner Umgebung anzurichten. Mit von seiner Familie finanzierten Operationen, ausgeführt von den fortgeschrittensten Wissenschaftlern, mit ihren hochentwickelten Prototypen und unter den geschlossenen Augen der Industrie, Nationen und Sicherheitsorgane überstand Jochen Molosovsky die ersten Schübe der Pubertät.

Der damit einhergehende Charakterwandel des jung berühmten Künstlers brachte es mit sich, daß er seine Sprache in Schrift sublimierte. Bis zur Erschöpfung spie er Worte auf kleine Zettel, bis er im Laufe der Zeit dazu überging, industrielle Papierrollen, trotz deren hoher Umdrehungszahl zu füllen.

Die langsam heilenden Narben der erschöpfenden Eingriffe, der schleichende Wiederaufbauprozess der Biostruktur und der Haut brachten es mit sich, daß Jochen als Sechzehnjähriger einen starken Drang hatte, sich auf visuelle Art mit sich und seiner Umwelt auseinanderzusetzten. Die ersten Früchte dieser Arbeit wurden im Lokal seines Vaters ausgestellt und ernteten in der Ausgelassenheit der Gesellschaft reichliche Zustimmung und Freude. Die ersten Aufträge verlangten von Jochen, daß er sich mit der Jagd nach geeignetem Arbeitsmaterial beschäftigte. Auf seinen ersten Streifzügen durch die Köpfe der Massen fand er viele Gelegenheiten für Gewaltanwendung und spielerische Übung. Später verfeinerte er seine Streifzüge und erweiterte seine Kenntnisse bezüglich des Ruhigstellens, Konservierens und Zubereitens seines Materials. Unvergeßlich blieben seine Dioramen im da Capo. Noch heute beleben Schmerzreflexmuster die Kronleuchter des Restaurants. Auch seine Möbiusbandskulptur mit ihren zehn Einzelorganismen windet sich immer noch in wohlabgestimmter Qual.

Zugleich wurden seine Jugendschriften in einer neuen Werksausgabe publiziert, zusammen mit seinem weiterhin quellenden Schatz an Abschweifungen über menschliches Bewußtsein und Vorstellungsvermögen. Doch dieser erste Ruhm sollte nicht lange ungetrübt bleiben. Als Jochen Molosovsky mit 23 begann, neue Ideen für seine Kunst aufzugreifen, fand er sich mit massiven Protesten seines Gönnerkreises und erregten Entrüstungen seiner Fangemeinde konfrontiert. Die Situation eskalierte, bis die Angelegenheit dem Rat der Musen vorgelegt wurde, der über Inhalte wie Gnade, Trauer, Trost, Freundschaft und vor allem Liebe beraten sollte. Jochen bliebt standhaft und fuhr mit seinem neuen Stil fort.

Zwei Jahre dauerten die Verhandlungen des Rates über Molosovskys Kunst, und in dieser Zeit wurde er immer wieder mit einem Ausübungsverbot gebannt. Doch immer, wenn man ihn einmal gewähren ließ, war man von den Ergebnissen seines Schaffens schockiert und verurteilte Jochen wieder zur Untätigkeit. In seinem 25 Lebensjahr einigte man sich auf einen Kompromiß. Jochen sollte sich auf die Ebene der Menschen zurückziehen, wo er seiner Kunst uneingeschränkt nachgehen dürfe, nicht ohne eine Unannehmlichkeiten ausräumende Verbindung mit seiner Herkunftswelt. Seitdem lebt er in unserer Welt. Seine Enttäuschung muß maßlos gewesen sein, als er feststellte, daß seiner neuen Kunst auch von den Menschen kaum Beachtung geschenkt wurde, und resigniert begann er wieder mit seiner alten Technik, den Leuten zu geben, wonach sie verlangen.

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