molochronik
Montag, 2. Oktober 2006

Buchmesse 2006 (2): Die »Cicero«-Bestenliste 2006

(Eintrag No. 298; Literatur, Gesellschaft) — Drei Damen und vier Herren die ›wichtigsten {…} exponiertesten deutschen Literaturkritiker‹ haben für die jüngste Nummer des Berliner Stucksalon-Magazins eine fünfzigstufige Bestenliste zusammengestellt. Von links nach rechts, obere Reihe: Auffermann, Greiner, Hage, Isenschmidt; untere Reihe: Radisch, Schmitter, Weidermann.

Man darf überrascht sein, denn für die drei Medaillien-Ränge wurden Botho Strauß, Peter Handke und Peter Rühmkorf auserkoren. Strauß und Handtke, weil sie ›wahlweise für Verblüffung oder Verdruss {sorgen}, verwandt im Gestus mit Interventionen, die die Spielregeln der Konsensgesellschaft glanzvoll verletzten‹. — Nun ja, die Spielregeln einer durch gegenseitige Blockade formatierten Konsensgesellschaft zu verletzten ist meiner Ansicht nach keine große Kunst. Ängstlich und verwirrt-widerwillig Aneinanderkauernden zu attestieren, daß sie kein hübsches oder würdiges Bild abgeben, ist nu' wirklich nicht knifflig. Wäre unsere zurecht geschmähte Konsensgesellschaft eine konviviale Gemeinschaft, deren Zusammenhalt auf Überzeugung und Vergewisserung beruht (und nicht auf kuschenden Komfortkalkül), dann wäre es schon um einiges schwieriger für Literaten, gegen den Grundbass dieser Konsensgesellschaft anzuschreiben. Desweiteren erklärt sich Christine Eichel für »Cicero« die drei Erstplatzierten damit, daß diese für die Jury dadurch konsensfähig wurden, weil Werk und Wortmeldung der Sieger ein Spannungsverhältnis auszeichnet, das (wohl im vorbildlichen Sinne) Adornos Diktum folgt, dementsprechend sich ›die Größe von Kunstwerken {daran} bemesse, »dass sie sprechen lassen, was die Ideologie verbirgt«.‹ — Auch hier wundert sich der Korinthenschubser in mir, WELCHE der vielen flottierenden Ideologien denn bitte schön gemeint sein könnte. Frau Eichel schwurbelt dann einen Absatz lang über den nur zögerlich (also gar kaum) stattfindenen Generationswechsel, wie ihn die Bestenliste zeichnet. Tatsächlich: nur fünf der fünfzig Aufgeführten sind unter vierzig Jahre alt. Dass die Konsensauen des vorgeführten Literaturbiotops die tatsächliche Altersverteilung der Bevölkerung wiederspiegeln, nehm ich als Omen, daß auch weiterhin den Gegenwarts- und Zukunft-Torf lieber von Autoren trockenlegen und stechen läßt, deren Denke und Sprache in der Vergangenheit in ähnlichen Mileus & Begriffsunterhölzern geformt wurden, wie die der Juroren. Unterm Strich darf ich als 34-Jähriger wohl mosern: Man wählt sich (wieder mal) selbst.

Listen dieser Art arbeite ich fast schon zwanghaft ab, und kritzle kleine Grinsegesichter für Nennungen die mich freuen, Schmollfratzen für Platzierungen die mich ärgern, und mach einfach nur einen neutralen waagrechten Strich, wenn ich nicht genug affektiert wurde (oder zu uninformiert bin), um kommentierend Stellung zu nehmen. Die Neutralen lass ich mal weg, sonst artet dieser Eintrag hier ja vollends aus. • Die in meinen Augen akzeptablen Genennten (in Klammern die Platzierung): Rühmkorf (3), Enzensberger (9), Goetz (10), Grass (11), Mora (14), Ransmayer (18), Kracht (26), Manesse (27), Kempowski (28), Biller (29), Kirchhoff (32), Händler (35), Jelinek (45); • Die in meinen Augen überschätzen Blender & Langweiler: Handke (2), Walser (5), Rothmann (23), Hürlimann (34), Maier (37), Treichel (39).

Völlig schrill auflockern durften noch sieben Beilagenkritiker mit je fünf Empfehlungen in super-originellen Eigenbaukategorien: Mein derzeitiger LitKrit-Held Denis Scheck hat als einziger »Cicero«-Meinungsschieber den Mumm, in seiner Auswahl (›für Donald-Duck-Leser‹!) einen Trash-Autoren (Schätzing) zu nennen, anständigerweise bezüglich dessen helleren Werkes (»Nachrichten aus einem unbekannten Universum«). — Desweiteren werden erwähnt und kratzen mich wenig bis kaum: die ›unerträglichsten Heuchler‹ (coole Sparte, Herr Seligmann!); die Besten ›über Familie und das Ende der Familie‹ (von Frau Salamander); die ›politischsten‹ (Herr Schreiber) und ›besten Rezitatoren‹ (Herr Wittmann). — Eine feine Fünferreihe der ›besten Stilisten‹ fährt Maxim Biller auf: Goetz, Kehlmann, Süskind, Maron und Ajourni; da schlafen mir mal nicht die Füße ein. — Henryk M. Broder kanns wieder mal nicht lassen und gibt sich in der Rolle des über-chuzpigen Lausbubs, indem er sich (wenn auch als letzte Nennung) selbst mit seinem »Hurra, wir kapitulieren!« auf seine Liste der ›besten Protagonisten angewandter Vernunft‹ platziert. Vielleicht meinte er ja ›Unverschämtheit‹ und in der Redaktion gabs einen Verleser.

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