molochronik
Freitag, 13. September 2002

Kann sein, ich bin kopfkrank oder Übungen im optimistischen Nihilismus.

Eintrag No. 11 — Zum Einjährigen der IX.XI-Anschläge hatte ich kein großes Vergewisserungsbedürfnis; hab also nicht herumgefernseht.

Ausnahme: zufällig die Doku über die Architektur des WTC auf Phoenix erwischt und mich amüsiert. Gut, die Bauweise war damals innovativ, aber Technik ist halt nicht gegen Zeitraspel und Kreativität gefeit, auch wenn die architektonischen Werke der Technik zuweilen solange in der Gegend herumstehen, daß die kurzlebigen Menschleins gerne glauben möchten, es hätte irgendwas Menschgemachtes in dieser Welt doch so was wie einen Ewigkeitsfreischein.

Insofern bekenne ich ein Apokalyptiker zu sein, der das Kleinklein menschlichen Tuns größtenteils als eitel Tand einstuft. Da ist mein Zeitfokus sicherlich zu unmenschlich weit gefaßt, um im Alltagsleben praktikabel Meinung geben zu können. (Aber: Freudvoll vertraue ich dem Nichts.) Seltsamerweise hat mich der Anschlag gelassener gestimmt. Die Welt hat sich (mir zuliebe) zur Abwechslung mal auf der Bühne so aufgeführt, wie sie es meiner Einschätzung nach jenseits der zivilisatorischen Scheuklappenkulissen eh die ganze Zeit tut.

Die Naivität des Gemensches geht mir aber zuweilen doch sehr gegen den Strich. Dann setzte ich meine Misantrophenkappe auf und Wünsche mir einen Holocaust gegen die Dummheit. Natürlich gibt es Ausnahmen. Die Bewohner New Yorks im Besonderen und die Amerikaner allgemein haben bei mir sozusagen emotionellen Kredit, bevor ich sie für vollkommen naiv und ignorant halte. Sollen sie Trauern, sollen sie an einer Neuformatierung ihres Kollektivgemüths arbeiten (Reboot America, wie die wunderbare Seite Unamerican Activities fordert). Es gibt ja inzwischen erkennbare Anzeichen dafür, daß die Amerikaner lange nicht so einseitig und unkritisch auf die Ereignisse reagieren, wie es das Verhalten von Teilen der US-Regierung suggerieren und sogenannte antiamerkanische Panikhanseln diagnostizieren.

Nun aber mein derzeitiges Weltanschauungsexperiment: Versuchen, Prezel-Bush, Ashcroft, Cheny, Rice und Co. wirklich und wahrhaftig für DIE GUTEN zu halten. Wie muß ich mir die Welt der Menschen denken, damit daß, was diese Mächtigen anstellen, als DIE praktikabelste und weiseste Option erscheint?

Zum Beispiel die letzte Bush-Rede, mit der die Uno (und andere) unter Druck gesetzt werden: Schon einen Tag nach der Rede macht sich die Arabische Liga auf, mal ein ernstes Wörtchen mit Hussein bezüglich der Waffeninspektion zu reden. Na bitte. Das lenkt zwar den Blick nicht wesentlich deutlicher auf das eigentliche Problemland des arabischen Kontinentes - die Saudis - aber es bringt doch begrüßenswerte politische Bewegung in die Region. Zugegeben ist mein Experiment zumindest aus deutscher Befindlichkeitsperspektive recht abseitig.

Zwischenschritt: Weil es uns (1. Welt) zu gut ging und geht, weigert sich der Pelbs, die Wirklichkeit zu sehen wie sie ist: sinnlos, zufällig und unbequem bis wir mit unserer Sinngebung eingreifen. Zu letzterem gehört aber Engagement, und das geht einer Gesellschaft, die sich auf Konsum ausrichtet natürlich pö-a-pö abhanden. Bleibt Eigenintiative im kleinen aus, werden die großen Verhältnisse mehr und mehr von Entropie infiziert.

Angewandt auf mein Gedankenspiel: Die Bush-Regierung (und die US-Tradition des Unilateralismus) setzt nun genau das, machtpolitische Eigeninitiative, auf die Tagesordnung.

Das Problem ist uns vom deutschen Besitzstandswahrunghickhack bekannt. Die Mehrheit sieht die Notwendigkeit zu Erneuerungen, aber niemand will dafür auf Bequemlichkeit verzichten oder etwas riskieren. Aber der Gürtel schnallt sich materiell bedingt auch ohne unsere Zustimmung enger. Die Chance selbst dabei gestaltend einzugreifen wird vertan. Und das wollen sie Bush-Krieger nun nicht ertragen. Lieber machen sie sich unbeliebt, nehmen die Buh-Rufe aus der Staatengemeinschaft in Kauf. So denke ich mir, muß man mal versuchen das zu sehen.

Märchen für die Neuzeit halt.

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