molochronik
Mittwoch, 28. März 2007

Der Herr Pofalla bringt mich auf was…

… das ich schon lange mal loswerden will.

(Eintrag No.358; Gesellschaft, Woanders) — Heute hat’s in der »TAZ« ein Interview mit dem CDU-Generalsekretär Pofalla. Es geht um’s Leitbild und das Konservative. Erstmal: zu konservieren ist ja nichts per se schlechtes. Nur: was lohnt sich bewahrt zu werden, und was nicht? Wie sagte Gustav Mahler mal so schön:

»Tradition soll das Weiterreichen der Fackel sein, nicht die Anbetung der Asche.«

Aber ich will mal nicht so pessimistisch sein und also gutmütig annehmen, daß auch der Herr Pofalla sich in seinen Musestunden solches vielleicht schon gedacht hat.

Nehmen ich mal die Moderne, den Aufbruch der Neuzeit samt ihrem Sich-Befreien von traditionellen, ständischen un hierarchischen Vormoderne-Gesellschaftformaten. In allen möglichen Geschichtsbüchern findet sich in etwa die Ansicht wieder, daß in Deutschland das Erblühen der Demokratie und der ›offenen Gesellschaft‹ von herben Rohrkrepierzwischenfällen verhunzt wurde (gescheiterte Revolutionen, Bismark … auch der unseelige Umstand gehört hierzu, daß Deutschland vom Selbstverständnis ein ›Kulturstaat‹ und kein ›Verfassungsstaat‹ ist).

Nehmen wir die Katholen in Deutschland: Sind Privilegien (wie Konkordatslehrstühle) für diese (patriarchalische) Parallelgesellschaft, die sich nicht selbst fortpflanzt, sondern ihren Nachwuchs parasitär aus aller Herren Länder rekrutiert eine bewahrenswerte Tradition? Oder sind deren Privilegien nicht vielmehr hartnäckige Restposten aus vormodernen Zeiten, die man gemäß einer eigentlich anzustrebenden Trennung von Staat und Kirche hinter sich lassen sollte?

Ist das Militär nicht eine Parallelgesellschaft? Der Geheimdienst? Ich sage: immer wenn Deutungs- und Gestaltungsmächtige hinter verschlossenen Türen entscheiden, greift eine kleine Parallelgesellschaft unbotmäßig in das Leben der Vielen ein.

Folgendes nun gehört für Herrn Pofalla zur Leitkultur (ein wie ich übrigens finde gar nicht so unpraktisches Wort; siehe Leitplanke) :

Das klingt ja ganz nett.

Nun aber, was mir schon seit einiger Zeit auf der Zunge liegt. Die beiden ersten Parallelgesellschaften, die sich in jeder Menschengroßgruppe bilden sind:

  • die Herrschenden (nebenbei: der edelste Euphemismus für ›Parallelgesellschaft‹ lautet ›Elite‹)
  • und die Außenseiter (nebenbei: das hässlichste Synonym für ›Parallelgesellschaft‹ lautet ›Abschaum‹)

Dazwichen befindet sich die sogenannte ›normale Gesellschaft‹, die Masse in der Mitte, die nach unten die Freaks abdrängt, und von denen sich von oben her die Mächtigen abgrenzen.

Politiker bilden eine solche Paralellgesellschaft, VIPs (Very Important People, also Promis) ebenfalls. In einer Parallelgesellschaft leben also alle, die mit der Gesellschaft nur indirekt über viele dienstbare Helferlein Kontakt pflegen, die mehr mit z.B. Presse- und Lobbymenschen als Normalbürgern zu tun haben, die schützend von Leibwächtern umringt werden, die mit Selbstverständlichkeit an Orten mit erhöhter Immunolgie ein- und ausgehen.

Alle Menschen die dank ihrer Verbindungen und Mittel die Möglichkeit für Konten in Steueroasen haben, kann man als Angehörige einer fiesen Parallelgesellschaft bezeichnen (vulgo: Solidaritätsdeserteure). Es sind die Parallelgesellschaften des Klüngels, des Dünkels und der ›besseren Gesellschaft‹, in denen Korruption und Vorteilsnahme am wildesten grassieren. Kurz: Buissnes-Class, Premiummitgliedschaften und Privatkunden von Banken, Priviatschulen, Rotarier, Scientology, Fußballfansclubs … all das sind ›strenggenommen‹ Parallelgesellschaften, nur eben solche, die unter einer Art Wahrnehmungschutz stehen. Die vulgäre Selbstabgrenzung von Parallelgesellschaftsangehörigen lautet: »Leck mich am Arsch«; die vornehme aber geht so: »Kein Kommentar«.

Was die deutsche Sprache betrifft: z.B. in den Werbe-, PR- und Power Point-Vortragsmilieus soll ja dem Vernehmen nach teilweise ein so arges denglisches Geschäftsspeak verbreitet sein, daß man zweifeln möchte, ob die entsprechenden Maker & Shaker noch der Leitkultur unserer lieben Muttersprache fröhnen. Auch wenn ich Stellenanzeigen lese und Berufsbezeichnungen stöbere, muß ich annehmen, daß Deutsch in der Berufsbegriffswelt (auch an deutschen Unis) nicht mehr Leitkultur ist.

Aber in die Richtung, GEGEN das ›Establishment‹ hört man Politiker der C-Partein seltenst anwettern. Mit Parallelgesellschaft ist also immer erstmal der Moslem, der Ausländer, der Nazi-Ork-Proll usw gemeint. Nicht jene Kreise, die vor lauter Komfort und Exklusivität schon lange nicht mehr wissen, wie das ›normale Volk‹ lebt und empfindet. Insofern: Buisness as usual bei der CDU.

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