molochronik
Montag, 4. Juni 2007

Unbekannte Gefilde

EDIT vom 14. Okt. 2007: Schöneres Cover-Img eingepflegt.

Eintrag No. 378Frank Weinreich hat mich schon beeindruckt, mit seinen umsichtigen Artikeln zu Tolkien. Klar, für mich als Tolkien-Skeptiker schreibt Frank zwar immer noch zu nachsichtig über JRR, aber dennoch gehört Frank zu den klügeren deutschen Tolkien-Exegeten und Fantasy-Erklärern.

Da freut es mich, daß im neuesten (Juno-)Magazinteil der Phantastik-Couch eine zusammenfassende Vorschau auf sein neustes Buch geboten wird, in dem es um nichts weniger gehen wird, als eine »Einführung in die Fantasyliteratur«.

Oftmals fühle ich mich wie ein querulantischer Kobold, wenn ich meine literaturgeschichliche Maximalsicht auf »Fantasy« (ich rede halt lieber von »Phantastik«) verbreite und auf dieser meiner Sicht beharre;— und es taugt mir deshalb enorm, daß Frank eine ganz ähnlich unverschämte Weitwinkelobjektivsicht auf das Genre pflegt, wenn er z.B. schreibt (Hervorhebung von Molo):

Vielleicht wäre es am treffendsten, die Fantasy als nicht geglaubte Mythen zu bezeichnen. Das zeigt dann auch, dass die Geschichte der Fantasy nicht erst mit muskelbepackten Schwertschwingern wie Conan beginnt, sondern schon mit muskelbepackten Schwertschwingern wie Achilles. Nur dass Homers Geschichten über den Letzteren allgemein als Fanal für den intellektuellen Aufschwung des Abendlandes gehalten und als erster glänzender Höhepunkt der Literatur im speziellen und der Kreativität im allgemeinen interpretiert werden, während man Conan auch ganz gerne als Symbol für kulturellen Trash empört in die Höhe hält. Und auf hohem homerischen Niveau geht es ja weiter, wenn man schaut, welche namhaften Menschen Fantasy schrieben, auch wenn man es zu ihrer Zeit natürlich nicht so nannte: Dante, Chaucer, Shakespeare, Goethe und und und. Der Autor hält sich jedoch nur kurz bei der Geschichte der Vorläufer der eigentlichen Fantasy auf und legt den Schwerpunkt der Darstellung auf die moderne Fantasy, die im 19. Jahrhundert mit den Werken George MacDonalds und William Morris´ beginnt.

Schade nur, daß in der Vorschau das Trösten und Sinnmachen für meinen Geschmack zu einseitig betont. Nix gegen den Sinnmach-Aspekt der Phantastik, aber neben dem Trösten gibts halt noch viel anderes, was »Fantasy« kann. Nicht umsonst fransen die drei Hauptgenre der Phantastik — Fantasy, Horror, SF — an den Rändern aus und werden von entsprechenden Kreativen miteinander munter verflochten.

Fantasy/Phantastik übertreibt und fuhrwerkt mit Zauberdingen, Wunderorten, Monstern, Halbmenschen und vielerlei anderen Extotismen. Sie bedient also zuallererst unsere Neugier bzw. unseren Sinn für das Wundersame (Sense of Wonder), unser menschliches Verlangen danach, das Gesichtsfeld zu erweitern, Neues zu entdecken (und dieses Neue kontrolliert zu erschließen, zu beherrschen).

Die echte Welt ist zuallermeist eben banal, eintönig und langweilig, und die Gravitationskräfe des Daseins ziehen uns alle in Richtung Vergänglichkeit und Auflösung. Die Phantastik bietet nun mit ihrem als Eskapismus übel beschimpften Moment einer raumerschließenden Horizontserweiterung eine Milderung zu dieser alles niederziehenden Schwerkraft des Daseins an. Und ohne einem entsprechenden Talent zum Selberstiften solcher Fluchtbewegungen ist keine Kultur denkbar (siehe das Nietzsche-Zitat am Ende).

Was ich aber gerne betone ist, daß so wie die Fantasy Sinn zu stiften vermag, so kann sie auch alle sicher geglaubten Sinngerüste zum Wanken bringen; und so wie sie zu trösten vermag, kann Phantastik eben auch beunruhigen. Mit Namen wie George McDonals, William Morris und JRR Tolkien wird eine bestimmte Spielart der modernen Phantastik betontz, die ihre Stimme überwiegend als kritisch-romantische Gegenstimme zur ach so bösen Moderne erhob. Bin schon neugierig, ob (und wenn wie) Frank hier einer gegen die Übel der Moderne anwetternden Fantasy das Wort redet, oder nicht. — Aber so im Großen und Ganzen macht die Vorschau auf Frank Weinreichs Buch einen guten Eindruck bei mir.

So zum Beispiel, wenn er sich auf das Übernatürliche als Definitionsfundament beruft. Gespannt bin ich auf das kommende Buch, denn schon bei der Aufdröselung des für die Fantasy grundlegenden Übernatürlichen bekomme ich ein wenig Schwindelgefühle, wenn es heißt (Hervorhebung von Molo):

Meist wird das Übernatürliche in Form von drei charakteristischen, ebenfalls auf der inhaltlichen Ebene zu findenden Motiven in Szene gesetzt: durch das für die Geschichte bestimmend wirkende Vorhandensein von Heldinnen und Helden (die können auch mal negativ gezeichnet sein), durch eine imaginäre Welt als Haupthandlungsort (dies kann auch ein irrealer Teil der realen Welt sein, wie die Zauberschule Hogwarts) und durch die Ausübung von Magie (im Sinne von Praktiken, die den Verlauf von Ereignissen auf übernatürliche Weise beeinflussen) als für die Erzählung selbstverständliches Faktum.

Magengrummeln bereiten mir die Helden, bzw. daß pauschal alle Protags der Fantasy gleich als Held bezeichnet werden. (Andereseits kann man freilich alle Protagonisten aller Genre-Felder als Helden bezeichnen. Hat sich halt so eingeschliffen.) Aber wahrscheinlich bin ich da voreingenommen, weil ich nun mal den Begriff Held mit großer Vorsicht und Skepsis nehme. Helden sind die Figuren der großen Taten, sind die Burschen und Mädels, die der Welt ihre Meinung/Haltung aufprägen müssen. Helden sind zwielichtige/zweischneidige Figuren, was deutlich wird wenn man beobachtet, daß die eigenen Krieger, Beschützer, Eroberer und Trickser gefeiert & verehrt, die Helden der anderen aber als Monster, Unholde und Kriegsverbrecher gefürchtet & verachtet werden.

Weiter: gern les ich, daß Weinreich sich in seinem kommenden neuen Buch mit den literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Helmut Pesch und Northrop Frye auseinandersetzten wird. Ersterer (Pesch) hat die bis heute ergiebigste deutschsprachige Arbeit zu Geschichte und Wesen der Fantasy (1982/2001, »Fantasy—Theorie und Geschichte«) geschrieben; zweiterer ist ein englischer Literaturwissenschaftler, der für die Güte seines Buches »Analyse der Literaturkritik« (1957, »Anatomy of Criticism«) hierzulande sträflich-beschämend unbekannt ist (Meine Meinung lautet ja, daß die Germanisten den Anglisten und Amerikanisten was Literaturbeschäftigung betrifft ca. 20 Jahre hinterherhinken. Allein wie die bereichernden Entwicklungen der Genre Studies und Cultural Studies hierzulande nicht in die Puschen kommen {¿dürfen?}, läßt mich wähnen, in einem kirchturmfixierten Dorf zwischen Runkelrüben und Kühen zu weilen). — Aber ich gräme mich, daß auch Weinreich den unsäglichen, zu nichts außer zur Abschreckung zu gebrauchenden Tzvetan Todorov aus der Mottenkiste verschwurbelter Siebzigerjahredenke vervorzerrt (1970, »Einführung in die fantastische Literatur«), in der Todorov einem die entweder/oder-Pistole auf die Brust setzt, und für die Phantastik nur einen ziemlich kleinen Raum übrig läßt, der von kläglich wenigen Genre-Texten eingenommen werden kann. Klassisches Beispiel einer Theorie, die am Gegenstand vorbeitüdelt und damit vielleicht als Denkschwulst beeindruckt, aber als Leitfaden und Werkzeug völlig versagt.

Gespannt bin ich auf Weinreichs Behandlung des innigen Zusammenhangs von Phantastik und Mythos. Immerhin kannten die alten Griechen schon zwei Begriffe für Wort: einerseits nannten sie die vernünftige Rede, das Be-sprechen Logos, das ›unnüchternde‹ Reden in Sagen- und Legendenformat aber nannten sie Mythos. Man sieht also: so neu ist das Alternativkultur-Thema des ›Wilden Denkens‹ (und Fabulierens) gar nicht. Und es ist, wie Nietzsche so trefflich sagte, ein ›umhüllender Wahn‹ der Kulturgemeinschaften bindet. Phantastik ist nicht zuletzt wegen seiner Auseinandersetzung mit diesen Wahn ein so wertvolles und wohl auch heikles Genre.

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Zuckerl:

Nietzsches Wort vom ›umhüllenden Wahn‹ findet sich in seinen »Unzeitgemäßen Betrachtungen«, 1974):

Aber selbst jedes Volk, ja jeder Mensch, der reif werden will, braucht einen solchen umhüllenden Wahn, eine solche schützende und umschleiernde Wolke; jetzt aber hasst man das Reifwerden überhaupt, weil man die Historie mehr als das Leben ehrt. Ja man triumphirt darüber, dass jetzt »die Wissenschaft anfange über das Leben zu herrschen«: möglich, dass man das erreicht; aber gewiss ist ein derartig beherrschtes Leben nicht viel werth, weil es viel weniger Leben ist und viel weniger Leben für die Zukunft verbürgt, als das ehemals nicht durch das Wissen, sondern durch Instincte und kräftige Wahnbilder beherrschte Leben.
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