molochronik
Montag, 15. Oktober 2007

Entwicklungsstufen von Genres

Eintrag No. 414 — Kurz mal zur allgemeinen Bildung aus dem Buch »Hollywood Genres« (1981) von Thomas Schatz zitiert, gefunden in »Superhero – The Secret Origin of a Genre« (2006) von Peter Coogan.

Zur Einstimmung für alle, die sich unsicher mit dem Begriff ›Genre‹ sind, empfehle ich, sich mal Daniel Chandlers »Introduction to Genre Theory« anzutun (englisch).

Vier Phasen, die eine Genreform durchschreitet, unterscheidet Thomas Schatz:

  • Zuerst gibt es das Gebrodel der experimentellen Phase, in dem sich die genre-typischen Konventionen herauskristallisieren und verfestigen (etabliert werden);
  • Darauf folgt eine klassische Phase, in der die Konventionen ein Gleichgewicht (›equilibrium‹) erreicht haben, das von Machern und Publikum gleicherwiese verstanden wird;
  • In der anschließenden Phase der Verfeinerung werden bestimmte formale und stilistsche Einzelheiten der Genre-Form ausgeschmückt;
  • Schließlich mündet die Entwicklung in eine barocke Phase, wenn die Genre-Form und ihre Verfeinerungen in einem Ausmaß betont werden, so dass sie selbst zum ›Gegenstand‹ oder ›Inhalt‹ des Werkes werden.

Coogan klappt diese Stufen auf die bekannten Epochen der Superheldencomics um, und ergänzt Schatz’ Modell um eine nullte und fünfte Phase der Genre-Entwicklung:

  • 0. ›Vorsindflutliches‹ Zeitalter (Antedeluvian Age): Bestimmte Charaktere, Motive, Ikonen und Themen kommen auf, die später entscheidende Rollen bei der Entwicklung des {Superhelden-}Genres spielen (»Frankenstein« 1818, der Science Fiction-Übermensch; »Nick of the Woods« 1835, die zweigeteilte Identität, verbrechensbekämpfender Rächer-Vigilant; »Tarzan of the Apes« 1912, der Pulp-Übermensch).
  • 1. Goldenes Zeitalter: Die Konventionen des {Superhelden-}Genres kristallisieren sich heraus und werden etabliert (»Action Comics Nr. 1« 1938, erster Auftritt von Superman; bis »Plastic Man Nr. 64« 1965, das Ende der simpleren und humoristischeren Herangehensweise zu Superhelden).
  • 2. Silbernes Zeitalter: Die Konventionen des {Superhelden-}Genres haben einen Gleichgewichtszustand erreicht, der gleichermaßen von Produzenten und Konsumenten verstanden wird (»Showcase Nr. 4« 1956, erstes Auftreten des Erde-1 Flash {Roter Blitz}; bis »Teen Titans Nr. 31«, 1971, plötzlicher Wandel weg von Relevanz hin zur Formel).
  • 3. Bronzenes Zeitalter: Bestimmte formale und stilistische Einzelheiten peppen die Genre-Form auf (»Superman Nr. 233« 1971, Kryptonit neutralisiert, Supermans Kräfte halbiert; bis »Legion of Super-Heroes Nr. 259« 1980, Superboy verläßt die Legion of Super-Heroes).
  • 4. Eisernes Zeitalter: Die Genre-Form und ihre Verfeinerungen werden so weit betont, dass sie selbst zum ›Gegenstand‹ oder ›Inhalt‹ des Werkes werden (»DC Comics Presents Nr. 26« 1980, erster Auftritt der New Teen Titans; bis »Justice League of America Nr. 261« 1987, das Ende der ursprünglichen JLA; und bis »Heroes Reborn/Heroes Return« 2000, dem Versuch Marvells die Comics von Image zu imitieren).
  • 5. Zeitalter der Renaissance: Die Konventionen des {Superhelden-}Genres werden erneut etabliert (»Justice League Nr. 1« 1987, das Debut der wiederhergestellten Justice League; »The Sentry Nr. 1« 2000, Marvel nimmt sich alternativer Comic-Ästhetiken an).

So. Nach dieser Lektion möcht ich niemanden mehr leichtfertig und ohne Begründung davon schwätzen hören, dass Werk X oder Y ja gar nicht dem Genre A oder B angehören. Oftmals stellt sich die Frage: welcher Entwicklungsphase eines Genres entspricht ein Werk.

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