molochronik
Mittwoch, 2. Januar 2008

»Ihr habt alle recht obwohl Ihr nicht diskutieren könnt!«

(Eintrag 429; Gesellschaft, Medien, Deutungshickhack, Alltag) — Hierzulande läßt sich in letzter Zeit desöfteren ein ›Krach-Peng‹ und ›Ka-Wumms‹ vernehmen, wenn die Animösitäten von Vertretern der etablierten (Old School-)Medien und frischfrommfröhlichfrei daherschreibender Blogger aufeinanderkrachen.

»Ihr seid raunzender, Dummgrütze verbreitender Pöbel, ohne Relevanz, ohne Qualitätsansprüche, ohne Hirn und Geschmack oder Anstand und kritzelkratzelt den lieben langen Tag eierschaukelnd und chipsverschlingend die Klowände der Öffentlichkeit voll«, so in etwa die bescheidene Kritik der Etablierten an den Bloggern, Forums- und Chitchat-Parasiten.

»Ihr brutzelt, saturiert und gepuderzuckert mit’m Rüssel am Schwanz des Vorderelephanten in Eurem an der Tatsächlichkeit der Verhältnisse vorbeitüdelnden Klügnelpool und maßt Euch an, die Lahmarschigkeit Eurer Weltsicht als Qualitätsjournalismus zu postulieren«, so dreckschleudert es aus der Blogosphäre zurück.

Die Wahrheit liegt wie immer wohl irgendwo zwischen diesen beiden Refrains des Deutungshoheits-Watschentanzes. So lästig und verwirrend das alles sein mag, das Vielerlei an hysterisch-behämmerten Extremmeinungen ist eine Schau.

Als Überblick zu diesem Ringelreih seien Andreas Einträge »The Poesiealbum strikes back« und »Dekadente Artefakte«, sowie (etwas allgemeiner) »Bärtige Prinzessinen und seltsame Geweihe« empfohlen. — Sehr schön ist auch die lustige von Florian Steglich zusammengestellte Liste, mit den 50 exemplarisch Schwachsinnsröhrern über das Internet des Jahres 2007.

Meine Meinung? — Nun, ich lese gerne Zeitungen, höre gerne Radio, auch wenn ich mich ärgere, dass die etablierten Medien so gleichgeschaltet sind. Ich les auch gerne manche Blogs, und tummle mich auch gern in einigen Foren. Gottseridank kann ich Englisch, denn das deutschsprachige Internet würde meinen Bedarf an Qualitätsbeiträgen (egal ob etablierte Medien oder Blogger und Co) nicht zu decken vermögen.

Zur allgemeinen Auffrischung hier noch ein kleiner Auszugs-Remix aus dem Buch »Praxis Internet – Kulturtechniken der vernetzten Welt«, Hrsg. von Stefan Münker und Alexander Roesler (edition suhrkamp, 2002 {sic}), Essay »Vom Mythos zur Praxis« (Beitrag der Herausgeber), S. 15 bis 17. (Fette Hervorhebungen von Molo.)

Medien sind nicht neutral. Was sie sind, wird bestimmt durch das mehr oder weniger offene Wechselspiel dreier Faktoren: ihrer technischen Beschaffenheit, ihrer mythischen Aufladung und ihrer pragmatischen Verwendung. {… es ist} die mythische Aufladung, welche durch phantasiereiche Erzählungen und eingängige Bilder den kollektiven Willen unterstützt, das neue Medium in der Gesellschaft umzusetzten. {…} Die Parallelität von Entwicklung, Mythos und Verwendung des Internet läßt sich beispielhaft an drei ebenso grundlegenden wie folgenreichen Prinzipien illustrieren, die der technischen Struktur des Mediums implementiert sind, sich in seinem pragmatischem Gebrauch immer wieder fortschreiben und Ausgangspunkt aller utopischen Aufladung sind: Den Prinzipien der Dezentralität, der Unabhängigkeit und der Interaktivität.
Soweit, so gut. Auf S. 21 dann etwas wichtiges über die Natur des Internetes:
Die Kommunikationsstruktur, als welche das Internet entwickelt wurde, ist — Resultat der strategischen Erfordernis der Flexibilität — von Anfang an und unwiderruflich so realisiert, daß theoretisch jeder User Sender und Empfänger in einer Person sein kann. {…} Klassische Verbreitungsmedien und Archive aber sind gerade nicht interaktiv. {…} Der Verzicht auf Interaktivität ist die Bedingung der Möglichkeiten von Massenmedien.
Und jetzt hineingezoomt in das Hin- und Her bzgl. Zähmung des Internets (S. 23 u. 24):
… sowenig die utopischen Impulse der Netzgemeinschaft(en) sich gesamtgesellschaftlich umsetzten ließen, sowenig läßt sich das Intertnet je vollständig gesellschaftlich integrieren und politisch, sozial oder ökonomisch regulieren. {…} Will man das anarchistische Potential des Netzes kontrollieren, dann gibt es nur eine Möglichkeit: das Netz in seiner Gesamtheit abzuschalten. Das jedoch könnte nur ein totalitärer Weltstaat.

Und gleich der zweite Beitrag des Buches, »Remilitärisierung des Cyberspace« von Claus Leggewie, bietet weitere beherzigenswerte Gedanken zum Thema. — Da findet sich erstmal auf S. 27 der Internet-kritische Satz, dass…

{… das} Internet auch ein gigantisches Desinformationsmedium {ist}, auf dem sich unsägliche Trittbrettfahrer des Wahnsinns tummeln und den Terror der wirklichen Welt kongenial vollenden.
Ein gigantisches Desinformationsmedium zu sein, trifft aber genauso auf mancherlei z.B. privatwirtschaftlich initierte Propaganda-Kampagnen zu (siehe z.B. Privatisierung öffentlicher Güter). Abgesehen davon, pflegen auch so manche Staaten und Politiker ein entsprechend laxes Verhältnis zur Wahrheit (Rumsfeld, Barschel und Konsorten).

Noch nachdenklicher aber stimmt Leggewies Auseinanderklamüserei dazu, welche vier bedenklichen Entwicklungen die politische Qualitätsinformationen bedrohen (S. 32f):

  1. Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Medien durch Konkurrenz- und Quotendruck durch Kommerzmedien; Zuflucht zu Klamauk und Infotainment;
  2. Private Unterhaltungskonzerne wollen das Internet zu einem ihre Sender ergänzenden ›Push-Medium‹ zurechtstutzen; (kritische) Politikinhalte werden zu einem Spartenprogramm für entsprechende Freaks;
  3. Auf dem öffentliche Bildungssektor droht das Vordringen der neuen Medien zu einem Vehikel für Technik- und Ökonomisierungsoffensiven zu werden; Allgemeinbildung, Sozial- und Kulturwissenschaften werden dadurch aufs Abstellgleis geschoben;
  4. Freie Meinungsäußerung droht beschnitten zu werden, weil man aus Angst vor Radikalismus und Porno die Cyberpolizei, Zensur und Filtertechniken zu Hilfe ruft.
Leggwie resummiert desweiteren (S. 34 bis 36), dass sich das Internet als Medium bestens dazu geeignet, Einweg-Formate zwischen Sender und Empfänger zu überwinden. Nicht als Massenmedium, sondern durch seine ›klein aber fein‹-Aspekte kann das Internet …
… im Erfolgsfall weit mehr Menschen in den demokratischen Verständigungsprozess einbeziehen, als es sich herkömmliche Medien in ihrer »Interpassivität« auch nur träumen lassen können.

Oder wie ich das seh: Weg mit dem Monopol der Pyramiden, her mit dem flauschigen Gewuschel von Pilzgeflechten. — So. Jetzt hab ich Euch wieder vollgeschwätzt. Dabei wollte ich eigentlich den Lesern und Kommentiern der Molochronik ein Kompliment machen. Hier gibts bisher keine Trollereien, keine ekligen Polemiken, sondern zuweilen sogar intensiven, sich durch Respekt auszeichnenden Meinungsaustausch. Woanders mag das anders sein, aber ich bin froh und (soweit ich das Gefühl trotz Verklemmtheit zulasse) auch stolz auf Euch. Weiter so, Ihr Lieben!

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