Montag, 14. April 2008
Angelesen: »Ich bin eine seltsame Schleife« von Douglas R. Hofstadter
Eintrag No. 506 — Zu der Handvoll Autoren die mein dilettantistisches Philosophieren außerordentlich geprägt haben gehört der US-Wissenschaftler Douglas R. Hofstadter. Nächstes Jahr feiert sein Debüt, das ›Kultbuch der Computer-Generation‹, »Gödel, Escher, Bach«, dreissigjähriges Publikationsjubiläum, und es freut mich sehr, dass Hofstadter nun nach längerer Zeit uns mit einem neuem Buch beglückt: »Ich bin eine seltsame Schleife«.
Seit gestern bin ich stolzer Besitzer dieses Bandes und kann deshalb noch nicht viele Worte darüber verliehren. Aber immerhin, habe ich auf den ersten Seiten bereits eine Gemme gefunden, eine Passage, die prägnant das wunderbare Denken von Hofstadter vorführt, wie hinreissend es dieser Kerl versteht, Wissenschaft und Kunst und persönliche Anschauung zusammenzuführen. Zudem deutet die Passage, ohne die Sache so beim Namen zu nennen, eine Umschreibung meines supermaximalistischen Phantastikbegriffs an (S. 35, Kapitel 1 »Über Seelen und ihre Größe«, Abschnitt 1 »Seelen-Scherben«), kursive Hervorhebungen von Molo:
Im Wohnzimmer haben wir einen Band mit den Etuden von Chopin. Alle Seiten sind lediglich Papierbögen mit schwarzen Flecken darauf {…} und dabei haben sie über einhundertfünfzig Jahre hinweg eine unglaubliche Macht auf Menschen in der ganzen Welt ausgeübt. Dank den schwarzen Flecken auf diesen Papierbögen haben viele tausend Menschen insgesamt Millionen von Stunden damit verbracht, ihre Finger in bestimmten, höchst komplizierten Bewegungsmustern über die Tastertur von Klavieren zu bewegen und dadurch Klänge zu erzeugen, die ihnen unbeschreibliches Vergnügen verschafften und ein Gefühl von intensiver Bedeutung. Diese Pianisten haben dann ihrerseits vielen Millionen Hörern, dich und mich eingeschlossen, die mächtigen Gefühle vermittelt, die das Herz von Frédéric Chopin aufgewühlt haben, und sie haben uns damit einen gewissen Zugang zu Chopins Innenleben ermöglicht — einen Zugang zu der Erfahrung, im Kopf oder besser in der Seele Frédéric Chopins zu leben. Die schwarzen Flecken auf diesen Seiten sind nichts weniger als Seelen-Scherben — verstreute Überbleibsel der dahingegangenen Seele Frédéric Chopins. Jede dieser fremdartigen Noten-Geometrien hat die einzigartige Kraft, ein kleines, ein winziges Fragment der seelischen Erfahrungen — der Leiden, der Freuden, der tiefsten Leidenschaften und Spannungen — eines anderen menschlichen Wesens in unserem Gehirn wieder zu beleben, und dadurch wissen wir, zumindest andeutungsweise, wie es sich angefühlt haben muss, dieses menschliche Wesen zu sein, und viele verspüren eine tiefe Sympathie für ihn. {…} es aktiviert in unserem Gehirn die wesentlichen Repräsentationen {…}, es bringt — im neuen Medium von Gehirnen außerhalb des seinen — kleine Fragmente seiner Seele wieder zum Tanzen.