Flucht- und Fliehmomente, oder: Wieder Mal Fantasy und die Medien
(Eintrag No. 549; Alltag, Woanders, Literatur, Phantastik) — Erstmal einige Links zum Blog von Thomas Plischke (ja, dem Mann, dessen »Die Zwerge von Amboss« mich so (wenn auch nicht ganz vergnügungslos) ›verstört‹ hat). Seit einiger Zeit führt Plischke die quixot’sche Lanze der (ab und zu arg spöttisch-flappsigen) Erwiderung gegen Flachdenk-Artikel der großen Medien & des Feuilleton in Sachen Fantasy und Phantastik.
Ich bin (als mehr oder minder unfreiwiller Phantastik-Elitarist) zwar mit Plischkes Polemiken gegen dumme phantastik- und fantasyskeptische-Artikel nicht immer ganz glücklich, da Plischke darin Autor(innen) wie Stephenie Meyer verteidigt (die hat eh (zu)viel Erfolg, liefert aber Bücher von – für mich – äußerst zweifelhafter Qualität). Dennoch hier eine kleine Übersicht der Dummschwätzartikel und der Erwiderungen von Thomas:
- »Susanne Weinhart, die Fantasy und wir« (16. März ‘09): Der dümmste Spruch aus dem Weinhart-Artikels in der »Süddeutschen Zeitung« lautet:
Die Gegenaufklärung hält sich: Fantasy-Literatur und Computerspiele erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit.
- »Es geht schon wieder los« (26. März ‘09): Erwiderung auf einen Artikel von Armgard Seegers im »Hamburger Abendblatt«.
- »Titus Arnu, die Fantasy und wir (diesmal mit einer Extraportion Vampir)« (3. April ‘09): In diesem Kontra zu einem abermaligen Text der »Süddeutschen Zeitung« steigert sich Plischke am Ende in eine ›Apologie‹ und Lobpreisung der Fantasy rein, die ich für als Fürsprache für dieses Genre für unzuträglich erachte. Was also machen mit dem Eskapismusvorwurf, der so oft gegen die Fantasy und Phantastik erhoben wird? Plischke bietet da folgendes:
Der Eskapismusvorwurf an die Fantasy ist schlichtweg unfair, denn etwas umformuliert lautet er ungefähr: Warum lasst ihr euch durch das Bunte, das Exotische – und ja, auch durch das Rückwärtsgewandte und Vereinfachende – so leicht verführen?
Meine Antwort sähe unter Umständen so aus: Weil gute Fantasy ein Versprechen abgibt, das sie erfüllt.
Sie verspricht den Tumult eines Basars statt der Ordnung einer Aldi-Filiale.
Das Spaßbad mit zwölf verschiedenen Rutschen statt des einfachen Freischwimmerbeckens.
Den Vollrausch anstelle eines Angeschickertseins.
Die Achterbahn mit vier Loopings, nicht das Kettenkarussell.
Gut möglich, dass man kotzen muss, falls man es übertreibt – und manche Menschen haben einen empfindlicheren Magen als andere oder leiden unter diversen Unverträglichkeiten –, aber das ist ein Risiko, das jeder mit sich selbst auszumachen hat. Mit dem Bluttrinken ist das übrigens ähnlich…Für mich wird hier ›das Vergnügen‹ oder ›die Leselust‹ welche Phantastik- und Fantasyliteraturen zu bereiten vermögen zu knallig-einseitig auf ›Spaß, Gute Laune, Halligalli‹ verkürzt. Es ist ja mitnichten so, dass Fantasy und Phantastik nur von Anhängern einer ›unreflektierten‹ Spaßfraktion mit Genuß goutiert werden kann.
- »Der Spiegel und die Fantasy« (4. Mai ‘09): Hier bietet Thomas einen zurückhaltender tönenden und solide durchdachten Leserbrief zu einem Artikel von Urs Jenny (dessen Text über den Fantasy-Boom zwar auch durch einige der üblichen Recherche- und Denkschwächen gezeichnet ist – z.B. dass der
AmerikanerIre C. S. Lewis wieder Mal zum Engländer mutierte –, der aber schon mal um einige Tacken besser ist, als die oben verlinkten Artikel von Weinhart, Seegers und Arnu.
Der Höhepunkt aber, der sich in dieser ganzen Angelegenheit in Thomas Plischkes Blog ereignet, findet sich in dem Linksammlungs-Eintrag »Es regt sich Widerstand«. Vor allem beim Wortwechsel zwischen dem von mir geschätzten Literatursachverständigen Ralf Reiter (vom »Inklusorium«-Blog) und dem Journalisten Thomas Klingenmaier (Autor des »Hauptfilm, Trailer, Extras«-Blogs für die »Stuttgarter Zeitung« und als tkl auch kommentierender Molochronik-Leser) wird sehr klug und erhellend das ganze seltsame Phänomen besprochen, warum es die Phantastik und ihre Genre (vor allem eben die Fantasy) immer noch so schwer haben in der Medien- und im Feuilltonlandschaft. Vor allem die analytische Zusammenschau von Klingenmaier ist es wert, zur Kenntnis genommen zu werden, wenn er diese sechs Punkte zusammenfasst: (1) die Konkurrenz der Themen; (2) die Konkurrenz der Autoren; (3) die Zugewinnrechnung; (4) die Themen-Redundanz; (5) das Schreckbild vom unreifen Leser; (6) die Wertungsungewissheit.
Zum anderen möchte ich darauf verweisen, dass es nun in der Bücherrundschau bei »Perlentaucher« auch eine Kategorie für Fantasy- und Science Fiction gibt. Ich habe vor einiger Zeit eine Leser-eMail an die Perlentaucherredaktion geschrieben, ob sie sich prinzipiell vorstellen könnten, neben ihrer Krimikolumne »Mord und Ratschlag« auch eine Phantastik-Kolumne anzubieten. Die Antwort lautete, dass man durchaus gerne machen würde, aber leider nicht genug Kapazitäten dafür hat. Naja. Vielleicht ändert sich das ja mal.
Zum Abschluss zitiere ich (wieder Mal) aus Umberto Ecos »Der Name der Rose«, wo gezeigt wird, dass Eskapismus und nerdiges Geektum keineswegs allein eine Sache von jugendlichen (oder nicht erwachsen gewordenen) Fantasy-Fans ist. — Bei einer der nächtlichen Exkursionen in der geheimnisvollen Bibliothek meint William von Baskerville zu seinem Schüler Adson (S. 399):
simifilm
Ich glaube, ich werde nie verstehen, warum sich manche bei diesem Thema so ereifern können ...
juyooh
Also ich kann schon nachempfinden, dass einen das Thema ärgert.
Ich bin selbst Fantasy-Autorin, und die stereotypen Anfeindungen oder dünnlich (und nicht selten auch dümmlich) argumentierenden Spießer-Hochkultur-Vertreter ärgern mich schon auch. Insofern kann ich Herrn Plischke schon verstehen. Ich fühle mich oft genug auch zum Bildungsbürger-Bashing verleitet. In meinem eigenen Blog habe ich das gelegentlich ja auch gemacht. Und ich will mich auch gar nicht hier wiederholen.
Ob die Art und Weise, wie das von Herrn Plischke – oder von mir – gemacht wird, gut ist oder nicht? Wer weiß.
Auf alle Fälle, denke ich, gehen wir beide am Kernpunkt vorbei. Denn der Kernpunkt ist gar nicht: ist Fantasy gut oder schlecht? Das kann man genauso wenig allumfassend beantworten wie: sind Krimis gut oder schlecht? Oder: sind Reiseführer gut oder schlecht?
Der Kernpunkt ist, dass es überhaupt nicht um Fantasy geht.
Es geht um die Selbstdarstellung einer bestimmten Sorte von Kritikern, die sich innerhalb einer elitären Gruppe gehobenen Bildungsbürgertums abbilden möchten. Die Medien spielen da mit, weil a) Fantasy als Thema zieht - und sie b) auch ihr Image an dem Gegenpol der 'Unkultur' reiben möchten. Es geht also auch den Medien nicht um Berichterstattung, sondern um Imagepflege.
Ein Journalist, der über die wirtschaftliche Entwicklung berichtet, sollte zumindest wirtschaftliche Grundkenntnisse besitzen. Ein Journalist, der über die Politik berichtet, sollte zumindest politische Grundkenntnisse besitzen.
Ein Journalist, der über Fantasy schreibt, braucht nie ein entsprechendes Buch in der Hand gehabt zu haben. Denn es geht nicht um Inhalte, sondern um eine gewisse meritokrate Klasseneinstufung – des Journalisten mehr als der Fantasy. Wenn man schon sonst nichts weiß, kann man immer noch Fantasy schlecht finden, und schon hat man sich anhand dieser Meinung profiliert.
Dabei ist es ziemlich einerlei, ob S. Meyer wirklich gut ist oder nicht (ich habe sie nicht gelesen) oder ob Harry Potter unerreicht ist oder nicht (da gibt's schon auch noch andere…) und ob die Fantasy-Verlage sich bereits goldene Nasen auf Halde legen (tun sie weiß Gott nicht). Das ist, um mit den Worten meiner Heimat zu sprechen, 'eh wurscht'. Hier dem einen oder anderen Journalisten/Medium Nachbesserungen angedeihen zu lassen, bleibt somit ziemlich ergebnislos, denn es setzt voraus, irgendjemand dort wäre an einer zuverlässigen Berichterstattung zu diesem Thema in irgendeiner Weise interessiert.
Ich würde mich vielmehr freuen, wenn es etwas mehr Mut gäbe. Nicht von uns, den Fantasy-Autoren – wir sind schon mutig genug, wie wir uns aus dem Hinterhof-Slum-Image der Kultur nach vorne auf die Büchertische kämpfen. Mühsam. Mit – tatsächlich – mit Phantasie.
Nein, ich wünsche mir mehr Mut zuzugeben, dass die Welt sich nicht in U- und E-Kultur teilt; Mut zuzugeben, dass einem auch etwas gefallen kann, das einem nicht den Bildungsbürger-Silberrücken stärkt; Mut, aus dem DIN-genormten Kulturdenken mal auszubrechen.
Aber wir, die wir Fantasy schreiben, haben darauf wenig Einfluss. Wenn wir bornierte Imageleiter-Kletterer wären, würden wir keine Fantasy schreiben.
In den 70er Jahren hat niemand zugegeben, Start Trek je angeschaut zu haben.
Aber jeder verstand den Satz "Beam me up, Scottie!", ohne dass man ihn erklären musste.
Das fand ich immer sehr aufschlussreich.
molosovsky Besitzerin
MoinMoin.
Sind bei mir gerade Umbau-Arbeitstage, deshalb die Verspätung und die knappe Antwort.
@simi: Ich bin auch fern aller Aufregung wegen der oben genannten Artikel. Der ganz grobe Quatsch, der darin verbreitet wird, amüsiert mich, der Rest ist halt das typische uninformierte Zeitungsgeblah. So what? —— Immerhin habe ich ansonsten den Eindruck, dass sich die feuilletonistischen Literaturgefilde schön langsam mit mehr Interesse und Verständnis der ›gute‹ (sprich: ›lütärarüsche‹) Phantastik nähern und auf den Kinder- & Jugendbuchseiten der überregionalen Zeitungen breitet sich Phantastik schon in geradezu epidemischer Vehemenz aus. —— Dazu passt der oben gelegte Link auf die neue Perlentaucher-Kategorie.
@Juyooh: Zu dem was Du schreibst, fällt mir die Sache mit dem Damentennis und dem Damenfußball ein. Damentennis war irgendwie schon immer hipp, Damenfußball aber nicht. Obwohl ja das Damenfußball eigentlich das bessere Fußball ist (ich kolportiere aufgeschnappte ›Expertenansichten‹, denn ich selber verstehe ja von Publikumssport soviel wie ein Hirsch vom Pizzabacken). —— Richtig finde ich Deine Feststellung, dass eine bestimmte Sorte von Kritikern sich halt profilieren will und Phantastik einen hervorragenden Sandsack abgibt.
Wahhhh!!! Muss zur Arbeit.
lesvodi
Nachdem es mich jetzt zwei Tage lang nicht losgelassen hat, muss ich es fragen, auch wenn ich mich jetzt als uninformierter Depp oute: Warum ist C.S. Lewis Amerikaner? Allen von mir zu Rate gezogenen Quellen zufolge ist er in Irland geboren und aufgewachsen und später nach England übersiedelt...
molosovsky Besitzerin
Stimmt. Lewis war Ire, nicht Ami oder Engländer. Verwechle Biodaten von Lewis immer wieder gerne mit denen von T. S. Eliot.
juyooh
Witzig. Die Rezeption von spekulativer Literatur scheint universell schief zu sein.
Hier der Blog von Ursula le Guin, die ich als Autorin sehr mag.
http://ursulakleguin.com/Note-Calling-Utopia-a-utopia.html
tkl
Der Fall, auf den sich LeGuin bezieht, ist aber nicht fantastik-spezifisch. Der Lektor Robert Weil könnte auch sagen: „Joyce Carol Oates schreibt keine historischen Romanzen“ oder „Stewart O’Nan schreibt keine Krimis“. Wir haben es da ganz generell mit Pfründeverteilung und Ellbogenkampf auf dem Literaturmarkt zu tun.
Im speziellen Fall Weil/Ballard könnte ein Schutzreflex eine Rolle spielen, der Bücher vor bestimmten Vermarktungsschienen bewahren will. Die Regeln für SF – die in den USA vom Großbuchhandel aufgestellt werden - sind andere als für das, was man zähneknirschend als Hochliteratur auch noch in den Laden nimmt. Will heißen, eine Ballard-Neuauflage, die ins Literatureckchen der Buchhandlung sortiert würde, könnte sich dort eventuell eher halten (bzw., der Preis, den der Verlag zahlen müsste, um sein Buch dorthin zu bekommen, wäre niedriger) als ein Ballard-TB, das sich auf dem SF-Regal gegen die Schnelldrehzahlen des Tie-Ins zum neuen Star-Trek-Film behaupten müsste.
Das muss der Lektor Robert Weil nicht im Moment durchdacht haben, es ist ihm einfach in Fleisch und Blut übergegangen: bestimmten Büchern ein bestimmtes Image zu sichern, damit sie sich optimal verkaufen können. Denn: viel Spaß dabei, den Starfleet-Reservisten, den Saug-mich-aus-Groupies oder den Gewandungshobbits Ballard nahe zu bringen.
Fantastik wie die von Ballard wird zwar schnell ins Feld geführt, um den ganzen Literaturzweig gegen den Generalverdacht der schlagerschnulzigen Weltfluchthilfe in Schutz zu nehmen. Aber dabei wird gern verschwiegen, dass die Fantastikgemeinde diese Fantastik kaum liest. Sobald wir all die mehr oder weniger polemischen Artikel über/gegen den Fantasyboom nicht als Beschreibung der Literatur selbst, sondern als Beschreibung des real stattfindenden Konsums lesen, sind sie ganz so falsch wieder nicht.