Mal was neues, meint die freundliche Welt: Urban Fantasy
(Eintrag No. 570; Woanders, Phantastik, Fantasy, Urban Fantasy) — Schon wieder »Die Welt«. Diesmal jedoch mit einem ihrer Artikel aus der Reihe: »Wir erklären Euch die Phantastik«. (Wohl ein Beitrag aus der Elternratgeberreihe: »Was ist das für ein seltsamer Quatsch, den meine Kinder lesen?«)
Wieland Freund darf da im Text »Dumbledore fährt jetzt U-Bahn« kund geben, dass ›Urban Fantasy‹ die neueste Modewelle sei. Und Urban Fantasy liegt nach Freund vor, wenn die …
Aber, Freund liefert auch diesen schönen Satz:
Passt aber irgendwie nicht. — Ich schlag mal den Vergleich vor, dass High/Epic Fantasy ist Enja und Clannad und Urban Fantasy ist Pouges und Bellowhead.
Kleine Korrektur: Jeff Vandermeers Roman »Shriek« spielt mitnichten zur Gänze in der fiktiven Zweitschöpfungswelt-Metropole Ambra. Es gibt in »Shriek« zum Beispiel ein Schlüsselkapitel, das im Waldumland der Kleinstadt Stockton spielt; ein anderes spielt in der mittelgroßen Stadt Morrow.
Seufzen lässt mich folgendes:
Da wird wieder mal stillschweigend so getan, als ob anständige Genrebegriffe klar abgrenzbar und eindeutig zu sein haben (und alles andere ist irgendwie subversiv, oder was). Nochmal: Genrebegriffe sind selten klar und einfach zu bestimmen, aber so gut wie immer eine Vereinfachung und Zurechtbiegung. Und: Einzelne Werke können sehr wohl mehreren Genres angehören. Wenn sich also gewisse Urban Fantasy wie Science Fiction lesen, ist das kein Problem, sondern ein ›Blickwinkel wechsel dich‹-Angebot.
Wiederum arg versimpelt:
Und was ist mit Gaimans erstem Roman »Neverwhere«? Was mit seinen vielen »The Sandman«-Kapiteln und Handlungssträngen die in Städten spielen (ich erwähne nur Heft 51, weil ganz besonders exemplarisch: »The Tale of Two Cities« aus dem »Worlds’ End«-Sammelband).
Dann macht Freund Werbung für Jugendbuchneuerscheinungen die wohl nur erwähnenswert sind, weil sie vom gleichen britischen Lektor vermittelt wurden, der auch Rowling entdeckt und Funke ins Englische gewuppt hat.
Ansonsten aber keine Erwähnung von Michael de Larrabettis »Die Borribles«; kein Verweis darauf, wie Pratchett mit seiner Scheibenweltmetropole Ankh-Morpork reale Urbanitätseigenheiten (vor allem die Londons) satirisch-phantastisch aufs Korn nimmt; kein Wörtchen über Miéville und seine heftige Auseinandersetzung mit Städten in der Phantastik (mit London in »King Rat« und »Un Lun Don« und jüngst mit zwiestädtischen In- & Nebeneinander in »The City & The City«). — Dass in der »Die Welt« womöglich über solche Einflüsse und Entwicklungen berichtet wird, wie sie die »World of Darkness«-Rollenspiele darstellen, erwarte ich ja schon gar nicht mehr.
Also dann: bis zum nächsten Versuch, was rundum gescheites über Fantasy zu schreiben.
simifilm
Als Teilmitglied der journalistischen Zunft frage ich mich doch ein bisschen, was Du von einem Artikel in einer Tageszeitung, der keine 8000 Zeilen lang und sich an ein allgemeines Publikum richtet, erwartest.
Wirklich gravierende faktische Fehler scheinst Du ja auch nicht auszumachen, der Hauptkritikpunkt scheint zu sein, dass vieles nicht erwähnt wird, was Deiner Meinung nach erwähnenswert wäre. Ich verstehe von der behandelten Sparte ja wirklich nicht viel, sehe aber in dem Artikel diverse Titel erwähnt und stelle überrascht fest, dass sogar Clute zitiert wird. Findest Du denn, dass in den nicht sehr langen Text noch mehr reingequetscht werden müsste, oder findest Du die getroffene Auswahl von Anfang an schief?
Und die Kritik an dem Genrezitat kann ich auch nur begrenzt nachvollziehen. Da wird im Grunde doch nur beschrieben, dass sich die Genres schlecht abgrenzen lassen, was Du ja bestätigst. Den kritischen Unterton, den Du ausmachst, kann ich auch mit viel bösem Willen nicht erkennen. Ganz im Gegenteil heisst es ja später explizit: " die Regel aber ist die Mischform."
molosovsky Besitzerin
Aufhänger ist die Annahme, dass ›Urban Fantasy‹ eine ›neue‹ Modewelle ist. Schon mal schief, denn (wie auch halbherzig angerissen) ist das eine schon etwas ältere Sache.
Moorcock ist zwar in der Tat ein wichtiger Vertreter dieser Fantasy-Spielart, aber er wird, wie ich finde, teilweise ziemlich ungeschickt vorgestellt (Tarzanherausgeber!!!). — Aber ich bin nun mal ein Moorcock-Fanboy und womöglich entsprechend dünnhäutig.
Okey, mit der Zusammendampfunng der Kernaussage von »Epic Pooh« bin ich rundum zufrieden, auch wenn das Wortspiel unterschlagen, bzw. einseitig erläutert wird (»Epic Pooh« spielt eben auch deutlich auf »Winnie the Pooh«, wie Pu der Bär im Original heißt).
Die Zusammenfassung von »Shriek« ist schlicht schlampig.
Und ich finde nicht, dass Freund den Genrebegriff so bespiegelt, dass man draufkommt, dass Genrebegriffe eher etwas unscharfes, wandelbares ist. Kann aber schon sein, dass ich da zu kritisch lese, weil mich das Thema aktuell umtreibt (feile gerade an einer Übersetzung zum Thema Genre-Theorie).
Ansonsten konzentriert sich Freund eben auf einige Neuerscheinungen der Jugendfantasy, die nun eben bei uns erscheinen.
oliverj
(gleich mal die Freischaltung ausprobieren)
Den Artikel hatte ich auch gelesen und vor allem bei der Stelle, die so tat, als wäre die Urban Fantasy gerade dieses Jahr erfunden worden, habe ich auch kräftig mit den Augen gerollt. Gleiches bei dem Stones/Beatles-Vergleich. Da hatte ich mehrere Minuten inne gehalten um das zu verstehen. Bis ich darauf kam: Der Vergleich ist Unsinn.
molosovsky Besitzerin
Ist das schön, dass es Du nun kommentieren kannst, Oliver.
Als ich noch ein bischen hinterhergedacht habe, kam der Korinthenschei**er in mir auf folgendes: Wenn man schon GenreAntonym-Paarungen vornimmt, dann gäbe es ja bereits einen Gegenpolbegriff zu High Fantasy, nämlich eben das wohlbekannte Low Fantasy. Und als eigentlich passenderer Gegenteilbegriff zur angesprochenen angeblichen ultrasuperduperneuen Urban Fantasy böte sich z.B. Rural Fantasy an (von Geringschätzern dann entsprechend als Rustic Fantasy zu verballhornen -- man denke an den fiesen britischen Offizier, gespielt von Jason Isacs, in dem wundergrauseligen Erbauungsstreifen »The Patriot«, wenn er sagt: »These rustics are so inapt!«).