Kino- & DVD-Schau: Kapitalismuskritik a la Tykwer, Liam Neeson gibt Mr. Gnadenlos, Tarantino zündelt mit Nazis
Eintrag No. 585
»The International« Im Zeitalter des inflationären Einsatzes von Wackelkameras ist der ruhige, schwebende Kamerastil eines Tykwer-Films eine willkommene Abwechslung. »The International« erzählt mit der trockenen Art eines (im besten Sinne) »Tatort«-de Luxe vom Versuch eines Interpol-Ermittlers (herrlich zerknautscht: Clive Owen) und einer New Yorker Staatsanwältin, einer mächtigen, global agierenden Big Player-Bank ihre kriminellen Machenschaften nachzuweisen. Sehr angenehm ist dabei, dass hier keine üblichen Bösewichter finster herumglucksen, sondern die ›Bösen‹ als tödlich-pragmatische, aber im Grunde (allzu)menschliche Geschäftsleute gezeigt werden. — Der Film orientiert sich dabei an einem wahren Fall aus den Achtzigerjahren und es ist gruselig, wenn ein fiktiver italienischer Politiker nüchtern erklärt, dass es im Grunde darum geht, wer die Schulden von Waffendeals und großen Geschäftskrediten kontrolliert, denn wer die Schulden kontrolliert, kontrolliert alles andere.
Ein besonderes Zuckerl ist für mich auch das subtile Augenmerk, das Tykwer und sein Team der Inszenierung von Architektur widmen, sowie den verschiedenen Begegnungs- und Geschäftsprotokollen. Vor allem, was sehr schwer ist, eine Zufallsbegegnung auf den Straßen New Yorks wirkt glaubhaft. Dann bietet der Film auch einige äußerst gelungene Verfolgungssequenzen sowie eine effektvollen Ballerei an einem prominenten Ort. Und schließlich endet der Film mit einer überraschenden Pointe, die mich noch lange nach-schmunzeln ließ.
Fazit: Kühler Thriller mit gutem Ensemble der im Regen mit einem trügerischen Hoffnungsregenbogen in Berlin beginnt und in der blendenden Abendsonne der Wahrheit über den Dächern Istanbuls endet. — 8 von 10 Punkten.
»96 Hours« Ich muss Oli für seine Empfehlung danken (siehe Verknüpfung beim Filmtitel und Plakat), denn diese schnörkellose ›Einer gegen Alle‹-Gemme wäre mir sonst glatt entgangen. Es ist eine Wonne Liam Neeson als skupellosen Ex-SpecialOps-Agenten zu sehen, spielt der Mann doch in den letzten Jahren vornehmlich sanftere Typen. Nun also besucht er (endlich!) wieder das Rollenfach des ›Ruck-Zuck iss die Fresse dick‹-Rächers (wir erinnern uns mit Wonne an »Darkman«).
»96 Hours« nimmt sich am Anfang schön Zeit, uns Neesons Figur als verkrampften Ruhestand-Looser vorzustellen, der seiner Ex-Frau (ahhh, die Janssen, selbst als überspanntes Bitch noch hinreissend) und Teen-Tochter mit seiner Paranoia auf die Nerven geht. Wie er sich aber dann in Paris auf eigene Faust, alle Regeln missachtend, durch die Ränge eines albanisch-französischen Frauenhändlerringes kämpft, um seine entführte Tochter zu retten, ist eine wuchtige Schau. — Die Erbarmungslosigkeit des Helden ist eigentlich zutiefst unsympathisch und bei einigen Wendungen sogar abstoßend. Das kleine Wunder dieses Films aber ist, das wir trotzdem zu ihm halten und am Ende mit ihm fühlen.
Fazit: Jack Bauer kann so was von einpacken. — 8 von 10 Punkten.
»Inglourious Basterds« Vorweg (1): Ich mag Tarantinos Filme und finde auch den Popstar Quentin amüsant (meine Sympathien gründen etwas irrational auf dem Umstand, dass er ebenfalls am 27. März Geburtstag hat). — Vorweg (2): Obwohl ich durchaus querbeet Filme aus allen möglichen Epochen, Genres & Ländern verköstigt habe, bin ich doch weit davon entfernt, ein derartig ›belesener‹ Filmfreak zu sein, um alle Verweise, Zitate, Hommagen und Anspielungen eines hypertextgeilen Regiesseurs wie Tarantino zu bemerken. Ich denke aber nicht, dass dies zwingend notwendig ist, um seine Filme genießen oder verstehen zu können. — Vorweg (3): Ich will hier nichts groß von der Handlung des Filmes verraten, deshalb nur ganz allgemeine Stichpunkte.
Der Film ist ›Zwoter Weltkriegs-Fantasy‹, ein Märchen für große Kinder. — Es ist eine Wonne zu erleben, wie hervorragend sich eine Schaar exzellenter deutschsprachiger Schauspieler(innen) in so einem knackigen Film macht. Ein ähliches Vergnügen hatte ich so zuletzt bei Dietels »Schtonk!«. Neben dem vielfach gelobten Christoph Waltz will ich hier besonders Diane Krüger und August Diehl erwähnen. — Vorsicht: es wird sehr viel in verschiedenen Sprachen geredet (GOttseiDank) und ziemlich wenig geballert und geprügelt. Wer also einen atemlosen Äktschnfilm erwartet, wird wohl enttäuscht. — Verstörend: die Nazis sind durchwegs kultivierter, schneidiger als die Basterds. Der Ami Tarantino traut sich, die Amis als ziemlich grobgeschnitze Bullies zu portraitieren, die mit der Bauernschläue von Schnappsschmugglern gesegnet sind.
Fazit: Komplexes und zünftiges Äktschn-Komödien-Märchen über Nazis, Rachejuden, deutsche Widerstandskämpfer und Wendehälse. — 9 von 10 Punkten.
•••••
simifilm
Über Meister Tarantinos neues Opus haben wir ja schon an anderer Stelle gesprochen, aber wie Du zur Wertung von Tykwers paneuropäischem Architekturthriller (von subtil kann keine Rede sein, die Architektur ist der einzige echte Wert des Films) kommst, ist mir schleierhaft. Der Film hat so viele logische Löcher und Drehbuchdurchänger, dass es zum Heulen ist. Und ja – bei einem Thriller erachte ich das als wichtige Eigenschaft.
Nehmen wir die zentrale Szene mit dem Attentat. Wozu dieser ganze Tanz mit den beiden Attentätern, wenn der korrupte Polizist den "falschen" Attentäter ohnehin erschiesst? Warum überhaupt zwei Attentäter? Da wirft das Drehbuch viele Nebelpetarden und tut raffiniert, ohne dass etwas dahinter wäre.
Dann nach dem Attentat: Grosses Chaos, alle rennen herum, und plötzlich, wie aus dem Nichts, sieht Clive den Attentäter und rennt ihm nach. Warum, wieso? An was erkennt er ihn?
Oder vorher das Gespräch mit dem Ermordeten: Clive ermittelt seit Jahren, alles, was für seinen Fall entscheidend ist, erzählt ihm aber dieser Italiener fünf Minuten, bevor er ermordet wird. Da frage ich mich doch, was der gute Clive all die Jahre gemacht hat.
Und auch sehr "raffiniert" gemacht, dass der Killer den beiden in Manhattan zufällig über den Weg läuft …
Immerhin: Die Schiesserei im Guggenheim ist lustig. Auch wenn es in dem Film verdammt einfach ist, Waffen ins Guggenheim zu bringen.
Dafür, dass der Film den Anspruch hat, irgendwie politisch relevant und kritisch zu sein, ist das Drehbuch viel zu schluddrig gestrickt. Auf der Ebene des Plots stimmt da wenig.
molosovsky Besitzerin
Mir sind die Logiklöcher nicht so aufgefallen, bzw. als störend aufgestoßen. Als Zuschauer bekommen wir keinen tieferen Einblick in die internen Querelen der Bank, außer, dass es sie wohl gibt.
Die Zufallsbegegnung auf den Straßen New Yorks hab ich ja angesprochen. Eigentlich ein Unding, aber wie ich finde durchaus glaubwürdig inszeniert. Zugegeben: Owens Charakter hat wohl einen ›sechsten Sinn‹, als er dem Attentäter im Hotel folgt. Aber auch das nehme ich dem Film ab.
Dass der erste Attentäter von dem korrupten Bullen erschoßen wird, ist nachvollziehbar. Mörder gestellt, Zeuge beseitigt, Fall für die Öffentlichkeit und Justiz erledigt.
molosovsky Besitzerin
Sehr lesenswert die lange Besprechung »Was haben uns die Basterds gebracht?«.