molochronik
Sonntag, 18. Oktober 2009

Ju Honisch: »Das Obsidianherz« oder: Dämonen- und Zauberschrifthatz im königlich-bayerischen München

Gestern Abend hat Ju Honisch den Deutschen Phantastik Preis 2009 für das beste deutschsprachige Debüt bekommen. Das freut mich ungeheuerlich, nicht nur, weil dieser Anerkennungserfolg der Vorhersage meines letzten Satz der folgenden Empfehlung aus »Magira 2009« folgt.
Anders als sonst (sonst lasse ich mindestens ein halbes Jahr verstreichen zwischen Druckveröffentlichung und Internetaufbereitung) veröffentliche ich also zu Ehren der Preisträgerin heute die Eröffnungsrezi aus meinem Text »Wonniglich verirrt im Labyrinth der Phantastik«.

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Eintrag No. 591 — Den üblichen Gewohnheiten des Rezensionenschreibens zuwiderlaufend, beginne ich einen Tacken persönlicher als üblich über »Das Obsidianherz« und seine Autorin zu berichten. Bevor ich Ju Honisch die Schriftstellerin kennen lernte, war sie mir bereits eine gutbefreundete Nachbarin, denn sie wohnt keinen Kilometer weit weg von mir. Sie gehört zu den großzügigsten und bestkochensten Gastgeberinnen die ich kenne, wir tauschen fruchtbar Lese- und Filmempfehlungen, unsere musikalischen und kulturgeschichtlichen Vorlieben überschneiden sich auf vielen Gebieten, und wir genießen gemeinsame Besuche von Chor-Konzerten klassischer Musik oder von Auftritten von Irish Folkgruppen wie Celtic Chacra. Aus meiner Sicht gehört Ju gehört zur Phantastik-Fandom-Pioniergeneration der Siebziger/Achtziger, was mir beispielsweise klar wurde, als ich einer ihrer Erzählung von einer Leonard ›Mr. Spock‹ Nimoy-Minicon in den frühen 80er-Jahren lauschte. Ju’s erstes kreatives Betätigungsfeld war, neben dem Theaterspiel, die Musik und damit auch die Lyrik, und mit unerschütterlichem Engagement globetrottet sie seit Jahren durch die internationale Filk-Szene, und hat zusammen mit der Sängerin Kerstin Dröge CDs eingespielt. Wenn die Pratchett-Verehrerin Ju die Gitarre rausholt und ihre Filk-Gemme »Terror Time in Lancre« anstimmt, um über die Badefreuden von Nanny Ogg zu singen, scheint diese lebenslustige Landhexe tatsächlich für eine Weile unter uns zu weilen. Magische Augenblicke sind das dann.

Dass Ju Honisch auch in verschiedensten Erzählstimmlagen knackige Ideen offerieren kann, belegt sie mit den in ihrem Kurzgeschichtenband »Bisse« (Hexentorverlag) versammelten Texte. Wie es sich für gute Genre-Phantastik gehört, verführen ihre Geschichten zu schrägen, verschmitzten, zuweilen mitfühlenden und ja, auch hämischen Blicken auf die Welt (beispielsweise wenn die kleine Welt einer einsamen alte Damen und die kleine eines »Star Trek«-artigen Raumschiff aufeinanderprallen). Sie tappt dabei weder in die Bequemlichkeitsfalle und brüht mit zu mageren Variationen Altbekanntes auf, sie überspannt aber den Bogen auch nicht ins gegenteilige Extrem und versucht verkrampft hyperoriginell zu sein. Damit empfiehlt sie sich meiner Meinung nach als eine ideale Autorin für alle, die egal von welchen Extremregionen sie kommen, ab und zu gerne einige Lektüremeilen auf dem goldenen Mittelweg spazieren. Die Mitte hat es ja in unseren Zeit der sich in zig Richtungen auseinanderdifferenzierenden Geschmacksvielfalt schwer, denn schnell mal heißt es ungerechtfertigterweise, das dies oder jenes wirklich etwas für jeden bietet. Da das oft eben nicht stimmt, häuft sich Skepsis gegenüber der vermeintlich lauen Mitte, gegenüber guten Kompromissen an. Dabei sind es die faulen Kompromisse der Mittelmäßigkeit, vor allem auf sozialen und politischen (aber auch kulturellem) Felde, weshalb ›die Mitte‹ und ›der Kompromiss‹ in Misskredit geraten sind.

Mit ihrem gelungenen Romandebüt »Das Obsidianherz« erzählt Ju Honisch bezaubernd leichtfüßig über eine leicht neben dem 19. Jahrhundert angesiedelte Alternativwelt, welche mich mit ihrem dort abgefackelten Magie-, Liebschaften-, Intrigen- Mantel- und Degen-Feuerwerk ergötzte. Da ich ein männlicher Rezensent bin, will ich erstmal die ›typisch männlichen‹ Facetten der Handlung vorstellen. Im Edelhotel Nymphenburger Hof zu München im Jahre 1865 wurde ein Magier, der aus England ein beunruhigend machtspendendes Zaubermanuskript geklaut hat, gekillt. Bevor er aber im Kampf mit einem schemenhaften Monsterdämon unterlag, hat dieser Magier das Hotel mit einem unsichtbaren Barrierespruch versiegelt: nichts was magisch ist, ob Objekt oder Wesen, kann das Haus verlassen. Die Wege verschiedener Interessengruppen kreuzen sich nun im Nymphenburger Hof, meist recht plötzlich und im Laufe des Romanes mit viel Handgemenge, Flüchten, in Deckung hechten und (im besten Sinne) Geschmachte. Das klingt dann zum Beispiel so:

Leutnant Udolf von Görenczy vom Königlich Bayerischen 3. Chevaulegers-Regiment Herzog Karl-Theodor und Leutnant Asko von Orven vom Königlich Bayerischen 1. Jägerbataillon König rannten den Hotelkorridor entlang und passierten just das Zimmer mit der Nummer 312, als lautes Schreien anhub. Sie hörten zwei schrille Frauenstimmen, deren Intensität und Lautstärke die dicke Holztür nur unwesentlich dämpfte. Sie hielten abrupt inne, wobei ihr Schwung sie fast zu weit trug.[01]

Udolf und Asko sind im Auftrag von ›Märchenkönig‹ Ludwig II. vor Ort, um den Machenschaften auf den Grund zu gehen. In Kooperation mit den Beklauten, wird ihnen von der britischen Botschaft ein Agent für besondere Aufgaben, Colonel Delacroix, der mit einem finsteren Fluch geschlagen ist, sowie der schottische Meister des Arkanen Aengus McMullen zu Seite gestellt. Die gerade erwähnten Damenschreie stammen von Corrisande Anthea Jarrencourt, einer jungen, zierlichen englischen Dame die in Bayerns Adleskreisen nach einem passenden Gemahl sucht und die im Lauf des Romanes entdecken wird, was sie eigentlich für ein Wesen ist, und ihrem Dienstmädchen Marie-Jeannette Bouchard, einer rotlockigen und für eine Zofe etwas zu frech-eigenwilligen Französin. Als moralischer Kompass, sprich Anstandsdame, wacht die Witwe Mrs. Parslow über die beiden jungen Dinger. Zudem schleichen Widerstandskämpfer einer ungarischen (anti-österreichischen) Terroristenzelle durch das Hotel und wollen das Zaubermanuskript als Druckmittel gegen die Unterdrückung ihrer Heimat durch die K. & K.-Authoritäten an sich bringen. Der jahrhundertealte Graf Arpad, eine Art Gentleman-Vampir (›windswept & dangerous‹) und freischaffender Geheimagent, führt diesen Haufen an. Als weitere, einigen der Herren die Sinne verwirrende Herzensdame, tritt desweiteren die kapriziöse Opernsängerin Cérise Denglot auf. Und komplettiert wird der Machtkampfstadel durch die sinistere und rücksichtslose Fundamentalistengruppe der katholischen Bruderschaft des Lichts.

Ju HonischWer auf Äktschn und Magiekämpfe steht, wird reichlich verköstigt, wenn sich mit Messern, Säbeln, Luntenpistolen, Zaubersprüchen und -Amuletten auf den Leib gerückt wird. Besonders gelungen sind auch die Passagen aus Sicht des wilden, gestaltlosen Dämon, der als Bedrohung für alle Parteien sein Unwesen treibt, und der gleich einem mörderischem Poltergeist durch das Hotel spukt.

›Typisch weiblich‹ an »Das Obsidianherz« ist das ausgesprochen geschickt gehandhabte feine erotische Prickeln, dass zwischen den verschiedenen Figuren perlt wie Champagnerblubberbläschen. Die biedere Epoche des mittleren 19. Jahrhunderts bietet für eine gewiefte Geschichtenerzählerin wie Ju eine tolle Spielwiese, da bereits kurz entblößte weibliche Fußknöchel etwas Unerhörtes sind, oder wenn es gilt, die Kunst des willentlichen Errötens und Erblassens diplomatie- und intrigentaktisch vorteilhaft einzusetzten. Gesteigert wird die Erotik freilich durch magische Aspekte, zum Beispiel wenn der sonst übermenschlich robuste Graf Arpad dann doch mal derart schlimm lädiert wurde, so dass ihm eine der Damen stärkenden Blutzoll gewährt und es dabei zu einer vorrübergehenden Seelenverschmelzung kommt. Nicht zuletzt verbeuge ich mich bewundernd davor, wie viel Vergnüglichkeit die facettenreichen Konverstionsverwicklungen bereiten, da alle Figuren gesegnet sind mit den verschiedensten Zweifeln, Sturheiten, Vorlieben und Abneigungen, die lebendig und überzeugend gezeichnet sind.

Kurz: das perfekte Buch um sich (›einfach nur‹) zurücklehnen und es zu genießen, um zu schmunzeln und mitzufiebern in einer atmosphäregesättigten magisch-bayerischen Alternativwelt. Nicht zuletzt erfüllt »Das Obsidianherz« mir eine persönliche Genre-Sehnsucht, denn dieser Roman hilft, nicht nur weil er hübsch umfangreich ist, eine Kluft zu schmälern, die sich hierzulande auftut, wenn man nach qualitätsvoller, solide geschriebener History-Phantastik für Erwachsene (ab etwa dem 14 Lebenshahr) dürstet. Genauer gesagt geht es um eine Fiktionstradition, die beispielsweise im Englischsprachigen nie verloren gegangen ist, nämlich eine prominente Epoche der Vergangenheit durch ein Zauberprisma zu betrachten, so dass eine wundersam gefärbte Alternativweltvergangenheit erscheint, deren zur Epoche passendes, typische-alltbewährtes Figurenensemble mit reichlich neuen Ecken und Kanten, Dralls und Twists versehen wurde.[02] Ich bin zuversichtlich, dass sich (vielleicht nicht nur im deutschsprachigem Raum) mit dem Erscheinen weiterer Bücher aus der »Das Obsidianherz«-Welt noch herumsprechen wird, wie gut die Unterhaltungskunst von Ju Honisch ist.

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Ju Honisch: »Das Obsidianherz«, Pro- & Epilog, 96 Kapitel, auf 809 Seiten; Gloassar & Dramatis Personæ; Feder & Schwert Origin (Taschenbuch), 2008; ISBN:

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ANMERKUNG:

[01] Beginn von Kap. 3, S. 37. ••• Zurück
[02] Ju Honisch braucht den Vergleich mit anderen Vertreter(inne)n dieser Genre-Tradition nicht scheuen, zum Beispiel Susanna Clarke (»Jonathan Strange & Mr. Norrell«), Gordon Dahlquist (»Die Traumbücher der Traumfresser«), Mark Frost (»Sieben«) oder Randall Garrett (»Lord Darcy«-Geschichten & Romane), und mit Vorbehalt, weil ich selbst sie nicht schätze, wohl auch den Vampir-History-Romanzen von Anne Rice. ••• Zurück
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