Deutsche (Bullshit-Bingo)Fantasy: zwei Beispiele
Eintrag No. 604 — Unsortierte Gedanken die in meinem Hirn herumschwirren, seit ich die Uffegung über deutsche Fantasy im »Reality Sucks«-Blog entdeckt und kommentiert habe.
Dem Tenor der dortigen Klage stimme zwar zu (die hiesige Fantasy ist vergleichsweise mau, denn es gibt keine Tradition auf die man bauen könne), auch wenn ich in den Kommentaren relativiere (gibt wohl eine Tradition an fantasyartiger deutscher Phantastik, nur baut man eben zu wenig darauf).
Bereits geäußert habe ich den Verdacht, dass die neuere deutsche Fantasy, vor allem da wo sie erfolgreich ist, erstaunlich und zeihenswert wenig auf literarischem (Traditions-)Bewußtsein fußt, sondern ihre Mühlen vielmehr und nervigerweise überwiegend von Franchise- und Derivat-Strömungen antreiben läßt.
Am vielleicht meisten irritieren mich dabei die Mängel, dass Figuren und Weltenbau vieler Bücher heimischer Produktion geprägt sind von minderem Oberflächenglitzer, Posertum und dadurch die gerade für Phantastik so wichtige Glaubwürdigkeit der Handlung & des Weltenbaus schnell verlustig geht.
Zwei Beispiele aus Romanen von erfolgreichen deutschen Autoren. Um dem Verdacht vorzubeugen, dass ich nur hämisch vorzuführen will, lasse ich Titel und Namen ungenannt.
- Eine mittelalterlich anmutende Fantasywelt. Ein Verurteiler wird bestraft, man sperrt ihn in einen Eisenkäfig in dem er verhungern soll. Das ist ja bekannt aus Spielen wie »Stronghold« oder Filmen wie »Der König der letzten Tage«. Da dient diese Art der Bestrafung dazu, die Bevölkerungsmoral zu zähmen, und durch Einstreichen einer Besichtigungsgebühr Gewinn zu machen. In dem Fantasyroman aber bringt man den Käfig in einen abgelegen Teil des Waldes, womit die ganze Aktion ihre gedachte Wirkung einbüßt. Noch dazu gäbe es in dieser Fantasy-Welt eine billige Möglichkeit für Rohstoffgauner an Metall zu kommen.
- Eine Alternativwelt-Version der 1920er-Jahre mit Fabelwesen und Magie. Im fernen Asien hat ein Tyrann in großer Berghöhe eine Palastfestung, vollgestopft ist mit wertvollem Zeug. Darunter auch ein Gemälde von Caspar David Friedrich. Der Roman erwähnt, dass es kalt ist (es ist Januar) und die Bediensteten des Tyrannen deshalb in dicken Klamotten rumlaufen. Nun sind Ölgemälde sowohl klima- als auch temperaturempfindlich. Ein Ölgemälde würde bei derart ungünstigen Raumklima schnell Schaden nehmen, die Farbe brüchig werden, reißen und platzen. Also: so ehrenwert es ist, Lesern mittels eines Homage-Cameoauftritts die schönen Künste nahezubringen, so wenig durchdacht ist die Platzierung und damit der gutgemeinte Effekt perdü.
Beiden Szenen begegnet der Leser sehr früh zu Beginn der beiden Romane. Muss ich noch extra erwähnen, dass es nach solchen Schnitzern schwer ist, den Rest dieser Bücher ernst zu nehmen?; Und dass man somit verführt wird, sie gegen den Strich zu lesen und sich seine Lesefreude dadurch zu bereiten, indem man Genre-Fantasy-Bullshit-Bingo spielt?
simifilm
Da bin ich wirklich erstaunt – der Grossraumphantast molo entpuppt sich als Wahrscheinlichkeitskrämer! ;)
molosovsky Besitzerin
Hi Simi.
Ich finde, Du tust mir (wenn auch nur scherzhaft) Unrecht. Meine Haltung als Hypermaximalparagroßraumphantast und die Forderung an Fiktionen gewissen Plausibilitätskriterien genüge zu tun ist ja kein Widerspruch.
lomax
Was mich an den beiden Beispielen hier stört ist, dass es eben Beispiele sind. Man findet so was in allen Büchern, je besser man sich in einzelnen Fachgebieten auskennt, umso eher. Als studierter Historiker hab ich beispielsweise in meinem Leben noch keinen Fantasy- oder auch historischen Roman gelesen, wo nicht das ein oder andere drin stand, bei dem ich mir dachte, "das funktioniert so nicht" ... selbst bei Mieville kann man so was finden ;-)
Was also bei Beispielen immer fehlt, ist die Repräsentativität. Zum Problem wird es ja nicht, wenn der Autor einmal bei all den tausend Details, die er in einem Roman präsentiert, etwas übersehen hat und ihm ein Fehler unterlaufen ist. Zum Problem wird es erst dann, wenn Unplausibilitäten zur Regel werden; wenn sie sich also bei gutwilligem Lesen aufdrängen und man nicht nur darauf stößt, wenn man danach sucht.
Dazu fehlt mir hier eigentlich jede Aussage. Ich wüsste jetzt immer noch nicht, ob die genannten Beispiele für die erwähnten Bücher typisch sind - oder nur willkürlich herausgegriffen, weil sie gerade schön geeignet waren, um eine eigene Stimmung zu bestärken.
A bisserl motzen muss ich im übrigen auch über den "auslösenden Artikel" mit dem wohlfeilen Motzen über den Ist-Bestand der deutschen Fantasy. Da kam ja der Vorwurf auf, dass deutsche Fantasyautoren den Rückbezug auf eigene literarische Tradition meiden - und die Beispiele für "Surrealismus" lenkten den Blick dann recht deutlich auf den Gegensatz einer "generischen Fantasy" zu einer "klassischen Phantastik", in der sich die phantastischen Elemente in Nicht-Typisch-Fantasy-Kontext befinden.
Nun muss ich als Fantasyautor allerdings feststellen, dass meine Schubladen voll sind mit Phantastik und dass ich mich selbst eigentlich nur am Rande als "reinen" Fantasy-Autor sehen würde. Nur: Die anderen Konzepte bleiben in der Schublade, weil sie sich schlichtweg nicht verkaufen lassen. Ausnahmen bestätigen die Regel, und wer will schon für ein Nischenpublikum schreiben in der Hoffnung, zufällig ein Thema zu treffen, das ein wenig mehr Aufmerksamkeit findet?
Ich denke also, im Großen und Ganzen schreiben die deutschen Fantasy-Autoren genau dasselbe wie die englischen oder die amerikanischen: Nämlich Bücher, von denen sie mit einiger Hoffnung davon ausgehen können, dass sie auch gekauft und gelesen werden. Alles andere wäre nämlich Zeitverschwendung. Ich habe da manchmal schon das Gefühl, dass manche gehobenen "Phantastikfans" ganz gerne an Verschwörungstheorien stricken, warum denn die Bücher, die sie gerne lesen, so selten sind, weil sie sich der traurigen Wahrheit entziehen wollen, dass letztlich zu wenige Leser denselben Geschmack haben wie sie ;-)
Ich für meinen Teil kann jedenfalls festhalten, dass ich supergerne meine surrealistischen Phantastik-Romane schreiben würde, wenn es denn einen Käufer dafür gäbe. Aber so, wie die Lage derzeit ist, hab ich sie erst mal ganz nach hinten geschoben und halte, wenn es denn was anderes sein soll als "reine Fantasy", selbst die Thrillerschiene mit Mystery-Touch noch für deutlich aussichtsreicher.
Was natürlich auch nur meine Einschätzung und Meinung zu dem Thema und zur Marktlage ist, und wenn ich falsch liege, werde ich es hoffentlich rechtzeitig bemerken ;-)
molosovsky Besitzerin
Hi Lomax.
Also: erstmal ist es nur fair, festzustellen, dass derartige Mängel natürlich keine ausschließliche Qualität deutscher Gegenwarts-Fantasy ist.
Die angeführten Beispiele habe ich nicht gesucht, sondern sind mir beim gutmütigen Lesen eben aufgefallen. Und es sind die jeweils ersten groben Stolperstellen für meine Leserbringschuld meinen Zweifel zurückzustellen. Beide Romane trachten trotz (oder auch: wegen) aller phantastischen Anteile danach, einen grundsätzlich plausiblen Weltenbau zu vermitteln. Die Beispiele stehen nun für Unplausibilitäten aufgrund mangelnder Recherche (der Teufel steckt eben im Detail). Vor allem beim ersten Beispiel häufen sich dann weitere Glaubwürdigkeits-Mängel, die aber nicht nur solche der Recherche sind, sondern z.B. auch solche der Figurenzeichnung (über-affektierte Dramatik), Praktikabilität und Maßstäben (Kulisse sieht cool aus, ist aber unsinnig, außer in einem B-Movie oder eben Groschenheft).
Das erste Beispiel mit dem Eisenkäfig ist schlimmer, da eine ganze mehrere Seiten lange Szene drumherumgestrickt wurde. Kleine Details die schief sind, kratzen mich nicht, aber bei Szenen (oder eben Szenerien) hege ich schon gewisse Ansprüche. Beim zweiten Beispiel mit dem Ölgemälde in der Kälte ist die Galerie ebenfalls Bestandteil einer Kulisse, die das ganze Kapitel umfaßt.
Auf Deine Anmerkung zu dem Beitrag »Deutsche Fantasy – Ein Rant« will ich nicht ausführlich reagieren, denn da befinde ich mich sozusagen zwischen den Fronten. Ich kann vor allem den Affekt des Rants von »Reality Sucks« nachvollziehen/nachempfinden, stimme aber auch den allermeisten Argumenten Deiner Erwiderung zu.
Nur eines möchte ich markieren: dass ich hier nicht über Markt- und sich daraus ableitende Zwangslage von deutschen Genre-Schreibern sinniere, sondern über Sorgfalt(vernachlässigung) beim Genre-Weltenbau- und Schreib-, Probeles- & Lektorierhandwerk. Klar bauen da eben nicht nur die Deutschen Mist. Derivative, flachgedachte und zuvördest Oberflächeneffekten geschuldeten Schluder schreiben auch Autren anderer Sprachen.