Thomas Mann (die Zweite)
Eintrag No 642 — Beim ersten Mal (Euer Mann. Der Schmerz. Mein Wunsch. vom 12. August 2005) war die Zeichnung noch selbstmotiviert, Teil eines Galle spruckendem Abreg-Rituals.
Nun, im Auftrag für ein im Werden befindliches Buchbprojekt (Ergänz 13. November 2010: Zur Buchseite von Simon Spiegels »Theoretisch phantastisch. Eine Einführung in Tzvetan Todorovs Theorie der phantastischen Literatur«), mit mehr Respekt hier bitte schön, meine Damen & Herren, der einzige, der unvergleichlliche, DER Mann!
oliverj
Vorab, wir müssen uns ja nicht einig werden (und Du hast Dir wahrscheinlich schon gedacht, dass ich hierauf antworten werde und muss).
Ich will nur mit einem Satz sagen, warum ich spätberufen ebenfalls begonnen habe, in die Mann-Jubelarien miteinzustimmen: Ich kenne niemanden, der mit meiner Muttersprache so schön umgehen kann wie er. Das begeistert mich; ich weiß, Du siehst das sprachlich anders.
Ebenfalls spätberufen (gab ja damals schon eine Diskussion dazu hier) noch zwei ganz kleine Spitzen gegen Deinen Rant vor fünf Jahren: Wenn Du schreibst, dass Mann (damals) bereits seit 50 Jahren vermodert, bekommt das zum einen einen unangenehmen Zungenschlag, weil man da auch reinlesen kann, dass ältere Literatur automatisch (statt dies einzelfallbezogen zu werten) irrelevanter wird und zum anderen muss man zum Zeitablauf natürlich sagen, dass die "Wir treten Mann mit Schmackes in den Dreck"-Bewegung ihren Höhepunkt um 1975 (als nur und ausschließlich ständig 'politisch engagierte' Autoren gelitten waren und der großbürgerliche Habitus von TM in der Tat für diese Bewegung ein rotes Tuch gewesen sein musste) hatte und somit ebenfalls schon extrem lange her und damit dem Moder ausgesetzt ist.
Wenn Du zu Heinrich Mann schreibst, dass er wenigstens "relevantes Zeug" schrieb, solltest Du schon so ehrlich sein und schreiben, dass er Dir einfach politisch näherstehender und sympathischer ist, und mich wundert eines:
Ich würde Dir eigentlich -wie mir- unterstellen, dass Dir ein im wesentlichen an ästhetischen (womit ich seine politischen Texte schon unzulässig zurück stutze) Belangen interessierter Autor grundsätzlich auch sehr sympathisch ist, warum Du da gerade bei TM so unnachsichtig bist - ich weiß es nicht. Vermutlich einfach, weil Dir sein Stil quer sitzt und da, siehe oben, müssen wir uns ja nicht einig werden.
Eine objektive Kritik musst Du aber hinnehmen und da gibt es keine zwei Seiten: TM war ein viel zu guter Esser um so schmalgesichtig einen Stinkbolzen durchzuquarzen. Oder kenne ich ein Foto von ihm nicht, auf dem er so dünn aussieht?
molosovsky Besitzerin
Hallo Oliver.
Als jemand der, konfrontiert mit seinen eigenen Aussagen aus der Vergangenheit, sich oftmals selbst befremdet, will ich nicht unbedingt ausführlich weiter auf meinen fünf Jahre alten ›Nervenzusammenbruch‹ eingehen. Das Stichwort sollte Orientierung genug geben, für wie ernst zu nehmen ich die damalige Meinungsäußerung schon damals einschätzte.
Bleibt festzustellen, dass es mich selbst erstaunt, dass mir kein positiver, genießender Zugang zum Romanwerk von Thomas Mann gelingen will. Gerade dieses Scheitern an Thomas Manns Werk facht eine ungebührliche Trotzigkeit bei mir an, die dann eben zu keiner gerechten, sondern schon pathologisch zu nennender Einschätzung führt. Eben: Wo andere sprachliche Schönheit wahrnehmen, kommt bei mir nur ein mich unangenehm berührendes Gewahrwerden von Umständlichkeiten und Gespreitztheiten auf.
Was die literatur-›politische‹ Auseinandersetzung angeht. Mag sein, dass in den Siebzigerjahren Mann-Bashing en vogue war. Diese Schule fortzusetzten ist nicht meine Absicht. Im Gegenteil lassen die platten Anfeindung gegen Thomas Mann von damals den Autoren für mich wieder sympathisch erscheinen. — Meine abneigende Haltung wird wenn, dann von Teilen der gegenwärtigen Ehrfuctshaltungen hervorgerufen, da mir diese eben oftmals als zu unausgewogen erscheinen. — Deine Rezensionen möchte ich da übrigens ausdrücklich ausnehmen. Du schreibst auf eine Art über Deine Thomas Mann-Begeisterung, die ich (auch für Mann-Skeptiker) für bereichernd und nachvollziehbar halte.
Marengo
Da ich gerade den älteren Eintrag gelesen habe, molo, und in den Kommentaren auf deinen Aufruf gestoßen bin —
Der Kult um staatstragende Schriftsteller geht mir übrigens auch gehörig auf die Nerven. Da es sich dabei zumindest im Fall Thomas Manns um offensichtlichste bundesrepublikanische Heuchelei handelt, kann ich mir meine Mann-Vorliebe (die sich auf beide Brüder erstreckt) recht ungetrübt bewahren.
molosovsky Besitzerin
Ahhh ja, die Novelle über die Okkult- & Esotrik-Szene Münchens um die Jahrundertwende mit dem ›Gastauftritt‹ von Ludwig ›Jesus Bonaparte‹ Derleth. Kenne ich mittlerweile. Stimmt, gehört zum Besten, was ich bisher von Thomas Mann kenne … wie ich überhaupt einige Kurzgeschichten ganz gut finde. Nur die Romane, die Romane, da komm ich nicht rein.
oliverj
Danke für das Lob, molo.
Was Ihr zur staatstragenden Vereinnahmung von TM schreibt, da bin ich völlig bei Euch. Da muss man sich dann halt die positiven Seiten rauspicken: Für mich hatte es eine feine, ja wundervolle Ironie, dass ausgerechnet die Kinopremiere des in meinem Augen bös misslungenen "Buddenbrooks"-Films von Heinrich Breloer von einer Rede des (inzwischen Ex-)Bundespräsidenten eröffnet wurde.