molochronik
Samstag, 15. Januar 2011

Jakob Arjouni: »Chez Max«, oder: Let’s crush the motherfuckers before they crush us

Eintrag No. 691 — Aufmerksame Molochronik-Leser haben womöglich mitbekommen, dass ich hie und da erwähnte, ein Fan von Arjounis in Frankfurt angesiedelten Kayankaya-Krimis zu sein. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass »Chez Max« das erste Nicht-Kayankaya-Buch von Arjouni ist, das ich mir vorgenommen habe. Warum hab ich zuschlagen? Weil es sich hierbei um einen waschechten Science Fiction-Roman handelt, und ich neugierig war, was ein bewährter Krimiautor aus diesem Genre rauskitzelt. Logo, dass Arjouni keine SF von der Art liefert, wo der Technobabbel-, Aliens- und Äktschn-Punk abgeht, sondern — da bleibt der Autor sich treu — kriminalistische Social-SF, bei der die Figuren und ein bissiger Blick auf die Gesellschaft im Zentrum stehen.

Drei Attraktionen kann ich benennen:

Erstens ist der Roman so schnörkellos geschrieben, dass ich die 222 Seiten in eineinhalb Tagen wegschlürfen konnte. Arjouni lässt alles Überflüssige beiseit, hält sich nicht mit ausufernden Stimmungs- & Umgebungsbeschreibungen auf, sondern liefert knapp und pragmatisch die Infos, die man zum Verständnis der Handlung, des SF-Weltenbaus und der Zwickmühlen der Figurenkonstellationen braucht. Dialoge nehmen dabei viel Platz ein, und die sind so flockig zu lesen, dass es sich anbieten würde, aus diesem Buch einen feinen Fernsehfilm oder auch ein Theaterstück zu machen. — Mit Bewunderung habe ich verfolgt, wie Arjouni ohne Verwirrung zu stiften geschickt Gegenwart-Ereignisse mit Erinnerungen und Erläuterungen verschachtelt. Die Komplexität dieser Verschachtelungen drängt sich weder auf, noch hemmt sie den Lesefluss. Kurz: strukturell makellos und vorbildlich gebastelt.

Dann ist da zweitens natürlich die SF-Spekulation, die schildert, wie es im Paris des Jahres 2064 wohl zugehen mag, wenn Entwicklungen, die seit IX.XI im Gange sind, oder durch dieses Ereigniss verstärkt wurden, sich zum Alltag verfestigen; als da wären insbesondere der ›War Against Terror‹, die allgegenwärtige Bespitzelung der Bürger, die scharf gehütete Einzäunung und Grenzkontrolle der Wohlstandszonen, sowie die durch militärische Truppen aufrecht erhaltene wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd. De fakto herrschen in »Chez Max« beispielsweise auf den Zuckerrohrplantagen des Südens wieder Zustände, wie zur knackigsten Sklavenausbeuterzeit. — Das Szenario ähnelt in vielerlei Hinsicht dem, das Jean-Christophe Rufin bereits 2004 in seinem SF-Thriller »Globalia« geschildert hat, und zu dem Rufin Anfang der 90-er das Sachbuch »Das Reich und die neuen Barbaren« vorlegte.

Auch beim Weltenbau kann ich genussvoll anerkennen, nämlich, mit welch glücklichen Händchen Arjouni viele kleine Ideen platziert und mit ihnen gegenwärtiges Zeitgeschehen kommentiert. — Knapp ein paar Beispiele für Spekulationen, die ich für plausibel halte, und deren Präsentation mich schmunzeln (und / oder auch schaudern) ließen: Die USA sind pleite und haben sich überwiegend zu einer Agrarnation zurückentwickelt. Fernost (vor allem China) und die Kernstaaten der EU, haben die USA aufgekauft. Abkommen zwischen Fernost und der EU führten zu großen Einwanderungswellen, so dass es z.B nun in Paris ganze Bezirke gibt, in denen überwiegend aus China stammende Menschen wohnen. — Es gibt elektronische Simultanübersetzer zum ins Ohr stöpseln, aber nur bestimmte Sprachen der EU und Asiens sind erlaubt, gewisse andere Sprachen bleiben geduldet, der Rest (vor allem arabische und afrikanische Sprachen) sind verboten, und ihre Verwendung steht unter Strafe. — Filme können in den Himmel projiziert werden, was aber eigentlich nur die Spanier mögen, denn die bleiben gerne bis in die Puppen auf. In Paris wird die Technik dagegen unter großem Jubel gerade zum ersten Mal dafür verwendet, die Bürger mit einem künstlichen Regenbogen zu beglücken. — Es gibt Sex-Simulationsanzüge. Mit speziellen Kameras kann man beliebige Personen aufnehmen und somit zum Avatar für die virtuelle Schnackselei machen. — Landkarten! Nur die ›demokratische, zivilisierte & aufgeklärte‹ erste Welt darf auf offiziellen Karten gezeigt werden. Alle außerhalb des Wohlstands-Schutzzaunes gelegenen Weltgegenden werden ausgeblendet und als Ozean dargestellt.

Die dritte Attraktion muss ich — um nicht zu viel von den Twists des Buches zu verraten — umständlich schildern. Erst aber ein paar Worte zu den ersten Takten der Handlung. Max betreibt seit vielen Jahren ein feines Restaurant in Paris. Das dient aber vor allem als Fassade für seine Überwachungstätigkeit als Mitarbeiter der Ashcroft-Behörde. Diese versucht, Verbrecher dingfest zu machen, bevor sie ihre Taten begehen. Max ist ziemlich frustriert, a) weil seine Aufklärungsquote merklich gesunken ist, seit er die ungehobelte Intelligenzbestie Cheng zum Partner hat; b) weil der letzte Übeltäter, den er melden konnte, sein einziger Kumpel Leon war, ein Maler mit Schaffenskrise, der immer noch raucht (total verboten) und vorhatte, sich mit Drogenschmuggel über Wasser zu halten. Im Zusammenhang mit einem Haus, in dem sich mutmaßlich illegale Einwanderer verstecken, und das genau auf der Grenze der Bezirke liegt, für die Max und Cheng zuständig sind, ergiebt sich für Max eine Möglichkeit, seinem verhassten Partner am Zeug zu flicken. Ein Katz und Maus-Spiel beginnt.

Der Roman hat mich sehr belustigt, ist spannend, und bietet eine fiese & erstaunliche Bespiegelung verschiedener Charaktere. Womit ich bei der dritten Attraktion bin, die ich nicht en detail schildern will. Soviel sei verraten: Wer überraschende Wendungen mag (die z.B. Filme wie »The Sixth Sense«, »Fight Club« oder den Roman »Drood« von Dan Simmons zu solch grandiosen Erlebnissen machen), also Handlungen, die einen geschickt auf eine falsche Fährte lotsen, wird bei »Chez Max« wahrscheinlich auf seine Kosten kommen. — Das ›an der Nase herumgeführt‹-Werden, welches Arjouni seinen Lesern angedeihen lässt, liefert ein kritisches und doch vergnügliches Vexierspiel dazu, wer der eigentliche Unsympath des Romanes, wer der moralisch integere Typ, und wer der Depp ist.

Fazit: »Chez Max« überzeugt mich, weil der Roman vorbildlich zeigt, dass zugängliches und kurzweiliges Erzählen nicht im Widerspruch dazu stehen müssen, dem Leser knifflige Bewertungs-Herausforderungen zu stellen. — Schließlich freut es mich, dass Arjouni sich zu den Kreis der deutschsprachigen Mainstream-Autoren gesellt hat (siehe z.B. auch Christian Kracht, Thor Kunkel und Cord Hagen), die gute SF vorlegen, welche geeignet ist, das Ansehen des Genres jenseits der SF-Szene zu mehren.

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Jakob Arjouni: »Chez Max«; Sieben Kapitel auf 222 Seiten; Diogenes Verlag; Gebunden 2006; ISBN: 3-257-06536-1. — Taschenbuch 2007; ISBN: 3-257-23651-4.

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