»Eine andere Welt« (12) — Kap. X: Revolution im Reich der Pflanzen von Grandville & Plinius dem Jüngsten
Eintrag No. 714 — Zur Inhaltsübersicht.
Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.
Auf Gurken! Zu den Waffen! Neue Marseillaise.
In diesem Kapitel werden die Pflanzen aus dem revolutionären und gemüsigen Gesichtspunkte betrachtet.
Lieber Getreuer! Dein erhabenes Manuscript ist mir ohne Tintenfleck und die Flasche ohne Sprung angekommen. Du findest hier die Denkschrift beigeschlossen, die ich der Neugöttlichen Akademie über Deine Entdeckungen überreicht habe, so wie einen genauen Bericht von dem, was sich mit mir seit Deinem Untertauchen zugetragen hat. — Ich bitte Dich, meiner Abhandlung über die unterseeischen Rassen freundliche Aufmerksamkeit zu widmen; ich führe in derselben Deine Ansichten über das Vorhandensein einer eigenen Tierfamilie, welche die Mythe des Altertums gekannt hat oder der diese vielmehr ihren Ursprung verdankt, weitläufig aus. Die Tritonen und Nereiden find Proben existierender Gattungen, welche nur momentan verloren gegangen sind; die Constatierung dieses Factums wird uns bei den Männern der Wissenschaft den größten Ruhm erwerben.
In diesem Augenblicke bin ich damit beschäftigt, die Liquidation meines Hauses für physiologische Verkleidungen abzuschließen; dies Geschäftchen hat hübsche Procente getragen; es war eine glückliche Idee, die ich Dir verdanke; der bereits realisierte Gewinn setzte mich in den Stand, den Januar und einen Teil des Februar ganz behaglich hinzubringen; um mich während der Fastenzeit durchzuschlagen, sinne ich jetzt auf eine neue Speculation; aber, wie soll man an seine kleinlichen Interessen denken dürfen, wenn man die Übel in das Auge fasst, welche die Menschheit bedrohen!
Ein ganzes Naturreich empörte sich! Das ist die grässliche Neuigkeit, die ich Dir mitzuteilen habe. Du kennst meine Liebe für den Gartenbau, diese Erholung aller großen Seelen; auf meinem Fensterbrett stehn zwei Monatsrosen und eine Fuchsia in Töpfen. Dank meinem gründlichen orientalischen Studien, die Blumensprache ist mir geläufig. — Neulich nun, als ich mich meinem hängenden Garten näherte, um die Fortschritte und Wirkungen des Frühlings zu beobachten, belauschte ich das Geheimnis einer Verschwörung, deren Loosungswort der Westwind von einem Kelche zum anderen trug; einen besseren Mitverbündeten konnten sich die Blumen wahrlich nicht gewählt haben.
Das Volk (der Samenkapseln) steht auf, der Sturm (der Staubfäden) bricht los gegen die Menschheit. Treibhaus und Krautgarten reichen sich die Hand, bald werden die Glasglocken zum Sturm läuten; der Geist der Verschwörung hat sich in alle Kelche geschlichen, die Sonne und die Rache machen alle Pistille ausschwellen. Die Artischocke wetzt stillschweigend ihre Stachelspitzen; die Melone bereitet sich eine Schaalenrüstung, die dem schärfsten Messer Trotz bietet; ich hörte einen Chor von Gurken singen:
Das Volk steht auf, der Sturm bricht los! Wer legt noch die Hände feig in den Schoß? Pfui über die Buben dort an den Spalieren, Mögst Du durch Urban† getroffen erfrieren! Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht. Eine treue Rebe umarmt Dich nicht. Eine blecherne Gießkann’ erquickt Dich nicht, Ein ehrlicher Spaten häufelt Dich nicht. Stoßt mit an! Mann für Mann! Wer sich emporranken kann! †{Bezieht sich wahrscheinlich auf Urban einen Wetterzauberer im tirolischen Pustertal des 17. Jahrhunderts.}
Als ich dies vernahm, machte ich eine botanische Exkursion und brachte eine ganze Kapsel voll Kleinigkeiten mit; heimliche Schauer durchzogen die Beete mit jungen Bohnen; ein verdächtiges Flüstern verbreitete sich vom Kopfsalat bis zum Spinat und von diesem drang es weiter zur Cichorie und zum Sellerie. Die Verschwörer erwarten das Signal zum Aufstande.
Eine Königskerze, geschworene Feindin aller Empörungen, und eine loyale Immortelle, eine begeisterte Freundin des Bestehenden, haben mir alle Einzelheiten des Complots vertraut. Eine ganz gemeine Pflanze, aus den niedrigsten Klassen der Botanik stammend, kurz eine obscure ranglose Distel hat den rechten Plan ausgeheckt und sich an die Spitze der Revolution gestellt; nur Leute, die Nichts zu verlieren haben, sind begeistert für gewaltsame Umwälzungen.
In das Geheimnis eingeweiht, begab ich mich nun an den Versammlungsort der Verschworenen. Hier überzeugte ich mich, dass die Pflanzen schon lange eine geheime Verbindung organisiert haben, welche in Kränzchen, Sträuße und Girlanden zerfällt; diese Klassification, von der die Polizei eben so wenig ahnt, wie es Linné und Jussieu taten und Schleiden und Endlicher jetzt tun, flößte mir eine hohe Meinung von der politischen Bildung der Verbündeten ein.
Nichts ist so gefährlich wie ein Volksredner aus dem Volke; das hat mir die Distel recht deutlich bewiesen. Die Versammlung war vollzählig, alle Klassen des Pflanzenreiches hatte ihre Repräsentanten gesandt. — Der Catilina der Blumenwelt durchlief mit seinen Blicken die Reihen der Anwesenden und redete dann zu ihnen wie folgt:
Bäume und Sträuche, Büsche und Pflanzen! Blätterreiche Mitverschworene, geliebte Geschwister!
»Der Augenblick ist da, den Händen unserer Unterdrücker Spaten, Hacke und Hippe zu entreißen. Wir wollen uns nicht mehr von ihnen, nach ihrem Gutdünken, beschneiden und anbinden lassen, wollen nicht mehr eine gezwungene und noch obendrein gemischte Ehe mit einem uns fremden Pfropfreis schließen. Die Pfropfschaft ist noch tausend Mal hassenswerter und unmoralischer als die Leibeigenschaft, gegen welche sich das feige Menschengeschlecht selbst so oft empört hat.«
Zeichen des Beifalls unter den Zuhörern.
»Vergissmeinnicht, erhebt Euch aus Euren weichlichen Träumen! Rosen, Nelken, Veilchen, Jasmine, entsagt Euren entwürdigenden Liebschaften, legt Eure bunten Festkleider ab, wappnet und rüstet Euch, wenn Ihr wollt, dass der Mensch künftig nicht mehr aus Euren edelsten Säften unreine Essenzen, verhasste Waschwasser, schmierige Pomaden bereite! — Und Du, Gemüse, redliches, fleissiges, kinderreiches Volk, wirst Du es noch länger dulden, dass man Dir Dein Liebstes, Deine Kleinen, schon in zartester Jugend raube, um sie im Übermut als erste junge Erbsen, junge Bohnen zu treffen!«
Eine Zwiebel vergießt heftige Tränen.
»Für die Erstgeborenen der Artischocke — unglückliche Mutter! — ward die Folterqual der Pfefferbrühe und des Backens in Teig von den Allesverzehrenden ersonnen. Hört das Klagegeschrei der Opfer, die aus dem tiefen Grunde der Kasserolen Euch beschwören ihre Rächer zu werden!« Schauer und Zähneknirschen unter den Zuhörern.
»Mohnköpfe, wacht auf aus Eurem Schlafe, es geht Euch an den Kopf!«
»Und Ihr, aufkeimende Champignons, die man so grausam der heimatlichen Erde des friedlichen Mistbeetes entreisst, statt der den Feinschmeckern so angenehmen Säfte entquelle Euch künftig ein tödliches Gift. — Euch aber, geliebte Pfeffergurken, verdammt das grausame Menschengeschlecht nicht allein zu der ewigen Hölle des gläsernen Kerkers, es zweifelt auch an Euren geistigen Kräften.«
Murren auf der Bank der Pfeffergurken.
»Ich frage Euch, Ihr Melonen, wollt Ihr Euch auch ferner so ruhig schlachten, Euch, Ihr Radiese, wollt Ihr Euch immer so roh behandeln, Euch, Ihr Zuckerrüben, wollt Ihr stets mit Haut und Haaren Euch kochen lassen?«
»Nein, meine Freunde! So darf es nicht bleiben; der Zorn, der Euch entflammt, bürgt mir dafür. Zu den Waffen, Ihr Sprossen des Pflanzenreiches! — Mögt Ihr siegen oder fallen, Unsterblichkeit wird Euch zu Teil. Die Trauerweide wird Tränen über der Ruhestätte der Toten vergiessen und die Cypresse am Grabe ihren Ruhm den Überlebenden verkünden, den Ruhm derer, die da tapfer starben für Freiheit und Vaterland.«
Nach dieser Rede trennten sich die Versammelten, aber die höchste Begeisterung erfüllte jedes Einzelnen Brust. Die Spargel trugen den Kopf noch ein Mal so hoch und selbst der Kürbisse kaltes Innere durchflammte des Freiheitsdranges lodernde Glut. Der Taback allein blieb seinem gewöhnlichen Indifferentismus {= Gleichgültigkeit} getreu; die ganze Rede hindurch liess er seine Pfeife nicht ausgehen.
Wenn die Zwietracht sich nicht unter die Verschworenen schleicht, so ist es um unsere Küche geschehen. Aber die Moose und die Farnkräuter sonderten sich bereits ab und bildeten einen eigenen politischen Club. Zwischen der Runkelrübe und dem Zuckerrohr kam es bereits zum Zweikampf und die — leider nur zu späte — Dazwischenkunft der Mohrrübe vermochte allein die erbitterten Gegner zu trennen. Die Runkelrübe wäre sonst ganz erlegen und der Bürgerkrieg ausgebrochen.
Was rät man mir zu tun? Soll ich die menschliche Gesellschaft in Kenntnis setzen von den geheimen Umtrieben, die die Kochkunst in ihren Grundfesten zu erschüttern drohen? — Nein, ich schweige — und erfinde ein Surrogat für das Gemüse. —
Was hälst Du von der Idee?
Doch ich vergesse, geliebter Krack, dass Du aus so weiter Ferne mir nicht zu antworten vermagst, und wähne mich immer von Deinem teuren Geiste umschwebt. — Beeile Dich indessen, mir die Flasche baldigst wieder zu senden, die ich der Courierpost des Weltmeers anvertraue.
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