molochronik
Mittwoch, 16. Mai 2012

Und nochmal: »Das Ende der Science Fiction«

Kleiner Stegreif-Vortrag, der mir gerade aus dem Hirn gepruzelt ist, eigentlich für den entsprechenden Thread im SF-Fan-Forum. Sollen aber die Molochronik-Leser auch was von haben.

Bei der Frage zum »Ende der SF« kommen schnell mal mindestens folgende drei Auffassungen des Genre-Begriffs ›SF‹ einander ins Gehege:

  1. SF, so wie der Handel, das Marketing sie verstehen, aufs Buch pappen (oder auch nicht). So ärgerlich eine Praxis hier zuweilen sein kann, ermuntere ich dazu, mal gelassen zurückzutreten und sich zu besinnen: »Ach ja, hier geht es ums Ansprechen und Zum-Produkt-Lotsen von potentiellen Käufern. Also letztendlich um Aufmerksamkeitsmanagement« (nannte sich früher: Marktschreierei). — Wollen wir also die Zurechnungsfähigkeit dieser Art von ›Deutungshoheit‹ den Genre-Begriff SF betreffend mal mit großer Vorsicht genießen, ohne zu vergessen, jenen Verlagen und Programmgestaltern unseren Respekt und Dank zu zollen, die auf diesem Felde (noch) keinen (kompletten) Schindluder treiben.

    Wenn sich bei den Gepflogenheiten, wie und ob und was als SF etikettiert wird merklich etwas so geändert hat, so dass man von einem »Ende der SF« unken kann, dann liegt das sicher zum einen an einer mutmaßlichen oder gut extrapolierten Sondierung des möglichen gesamten Publikums (vulgo: des Mainstreams oder Ottonormalpublikums); und (bei den umsichtigeren Programmgestaltern) auch an den Stimmungslagen, die dem Fachpublikum (also: SF-Fandom) abgelauscht werden. Also, spielt eine Rolle auch der SF-Genre-Begriff von …

  2. … der Peer-Group, der Leserkreise, die mehr oder minder ausschließlich, oder zumindest mit großem Interesse und einhergehender Leidenschaft ›auch‹ SF lesen und entsprechend in eine vom Fandom gepflegte Diskurs-Tradition eingebunden sind. Wenn ich als Stichpunkte anführen darf, dass …
    • a) durch das Pendeln der Kreativen zwischen Markttauglichkeit (Wiedererkennbarkeit, Genre-Formel) und — man verzeihe mir den hehren Ausdruck — ›künstlerischer Ambition‹ (Originalität, Abweichung) …
    • b) … im Laufe von Jahren eine Genre-Dialektik der Ausreifung, Verfestigung, Hochblüte, Selbstbezüglichkeit, Überstrappazierung, Routinie-Ermüdung, Neulandsuche, Grenzüberschreitung, Abzweigung und Ausdifferzierung stattfindet, und es …
    • c) … deshalb logischerweise viele verschiedene Gruppen gibt, die z.B. einer bestimmten Spielart der SF die Treue halten, so ist es nicht verwunderlich, wenn …
    • d) … die Gespräche der Kenner über SF (und was SF sei) mitunter wie ein babylonisches Gezeter anmutet.
    (Notfalls hier einfach an Morgan Freeman in dem Costerner-»Robin Hood« denken: »Gott liebt die wunderbare Vielfalt.«)

    Schnell vergisst man da die Einigkeit der Liebe für das Genre angesichts der schier unüberschaubaren verschiedenen und teils einander widerstrebenden Sichtweisen. Die Klage der einen über ein »Ende der SF« mag dann durchaus begründet sein, weil eben ihre Variante im Rückgang befindlich ist; während andere, neue Varianten, Wiedergeburten des Genres noch oft genug gedreht, gewendet und von genügend Lesern abgeschmeckt werden müssen, bis sich verfestigt, dass es sich hier ›auch‹ tatsächlich um SF handelt (egal was Gruppe 1) auf den Umschlang etikettiert, oder kritische (oder einfach nur besonders hartnäckige) Mengen von Gruppe 2) noch abschlägig herumdefinieren).

  3. Schließlich der einzelne Leser, bei dem es eben vor allem darauf ankommt, wie seine ureigenste Lesereise sich gestaltet und gestaltet hat, wie der Verlauf dieser Reise wiederum seine Kenntnis, sein Urteilsvermögen, seinen Geschmack geformt hat. Nicht zuletzt hängt die Beantwortung der Frage nach einem »Ende der SF« durch diesen gedachten einzelnen SF-Lesern davon ab, wie seine Kenntnisse des Genre-Begriffes geartet sind, z.B. stur dem folgend, was Gruppe 1) deklariert (wie brunzdumm das auch teilweise sein mag); oder einem essentialistischen Genre-Verständnis folgend mit fixen EIn- und Ausschlusskriterien; … diese beiden Beispiel-SF-Fans werden öfter herbe Enttäuschungen verbuchen müssen angesichts des Wandels der Moden und Begrifflichkeiten als z.B. SF-Fans, die sich lieber pragmatisch mit Einzelfällen auseinandersetzen, denen ein-eindeutige Schubladen-Taxonomien suspekt sind, und die über genug gedankliches Slalom-Geschick verfügen, auch mal etwas als SF zu nehmen, das weder von einer Quelle kommt, die SF-Stallgeruch hat, noch dass SF drauf steht.

Ich persönlich z.B. kann durchaus der Aussage zustimmen, dass ›SF‹ als Marktschreier-Anpreisungs-Schlagwort in den letzten Jahren von bestimmten Verwerten gemieden wird, sich de facto aber die SF als Ganzes, mit mannigfachen verschiedenen Erscheinungsformen tummelt und sprießt wie Bolle. — Oder, wie auch schon mal gesagt wurde, nicht nur von mir: SF hat gewonnen, sie wird deshalb seltener augenfällig ausgeschildert, weil man stillschweigend davon ausgeht, dass die SF-Zeit schon da ist (nur eben — William Gibson folgend — nicht gleichmäßig verteilt, und sicher nicht mehr so optimistisch Pfadfinder-fröhlich zu haben wie in manchen vergangenen Segmenten des Annodunnemals).

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