Und nochmal: »Das Ende der Science Fiction«
Bei der Frage zum »Ende der SF« kommen schnell mal mindestens folgende drei Auffassungen des Genre-Begriffs ›SF‹ einander ins Gehege:
- SF, so wie der Handel, das Marketing sie verstehen, aufs Buch pappen (oder auch nicht). So ärgerlich eine Praxis hier zuweilen sein kann, ermuntere ich dazu, mal gelassen zurückzutreten und sich zu besinnen: »Ach ja, hier geht es ums Ansprechen und Zum-Produkt-Lotsen von potentiellen Käufern. Also letztendlich um Aufmerksamkeitsmanagement« (nannte sich früher: Marktschreierei). — Wollen wir also die Zurechnungsfähigkeit dieser Art von ›Deutungshoheit‹ den Genre-Begriff SF betreffend mal mit großer Vorsicht genießen, ohne zu vergessen, jenen Verlagen und Programmgestaltern unseren Respekt und Dank zu zollen, die auf diesem Felde (noch) keinen (kompletten) Schindluder treiben.
Wenn sich bei den Gepflogenheiten, wie und ob und was als SF etikettiert wird merklich etwas so geändert hat, so dass man von einem »Ende der SF« unken kann, dann liegt das sicher zum einen an einer mutmaßlichen oder gut extrapolierten Sondierung des möglichen gesamten Publikums (vulgo: des Mainstreams oder Ottonormalpublikums); und (bei den umsichtigeren Programmgestaltern) auch an den Stimmungslagen, die dem Fachpublikum (also: SF-Fandom) abgelauscht werden. Also, spielt eine Rolle auch der SF-Genre-Begriff von …
- … der Peer-Group, der Leserkreise, die mehr oder minder ausschließlich, oder zumindest mit großem Interesse und einhergehender Leidenschaft ›auch‹ SF lesen und entsprechend in eine vom Fandom gepflegte Diskurs-Tradition eingebunden sind. Wenn ich als Stichpunkte anführen darf, dass …
- a) durch das Pendeln der Kreativen zwischen Markttauglichkeit (Wiedererkennbarkeit, Genre-Formel) und — man verzeihe mir den hehren Ausdruck — ›künstlerischer Ambition‹ (Originalität, Abweichung) …
- b) … im Laufe von Jahren eine Genre-Dialektik der Ausreifung, Verfestigung, Hochblüte, Selbstbezüglichkeit, Überstrappazierung, Routinie-Ermüdung, Neulandsuche, Grenzüberschreitung, Abzweigung und Ausdifferzierung stattfindet, und es …
- c) … deshalb logischerweise viele verschiedene Gruppen gibt, die z.B. einer bestimmten Spielart der SF die Treue halten, so ist es nicht verwunderlich, wenn …
- d) … die Gespräche der Kenner über SF (und was SF sei) mitunter wie ein babylonisches Gezeter anmutet.
Schnell vergisst man da die Einigkeit der Liebe für das Genre angesichts der schier unüberschaubaren verschiedenen und teils einander widerstrebenden Sichtweisen. Die Klage der einen über ein »Ende der SF« mag dann durchaus begründet sein, weil eben ihre Variante im Rückgang befindlich ist; während andere, neue Varianten, Wiedergeburten des Genres noch oft genug gedreht, gewendet und von genügend Lesern abgeschmeckt werden müssen, bis sich verfestigt, dass es sich hier ›auch‹ tatsächlich um SF handelt (egal was Gruppe 1) auf den Umschlang etikettiert, oder kritische (oder einfach nur besonders hartnäckige) Mengen von Gruppe 2) noch abschlägig herumdefinieren).
- Schließlich der einzelne Leser, bei dem es eben vor allem darauf ankommt, wie seine ureigenste Lesereise sich gestaltet und gestaltet hat, wie der Verlauf dieser Reise wiederum seine Kenntnis, sein Urteilsvermögen, seinen Geschmack geformt hat. Nicht zuletzt hängt die Beantwortung der Frage nach einem »Ende der SF« durch diesen gedachten einzelnen SF-Lesern davon ab, wie seine Kenntnisse des Genre-Begriffes geartet sind, z.B. stur dem folgend, was Gruppe 1) deklariert (wie brunzdumm das auch teilweise sein mag); oder einem essentialistischen Genre-Verständnis folgend mit fixen EIn- und Ausschlusskriterien; … diese beiden Beispiel-SF-Fans werden öfter herbe Enttäuschungen verbuchen müssen angesichts des Wandels der Moden und Begrifflichkeiten als z.B. SF-Fans, die sich lieber pragmatisch mit Einzelfällen auseinandersetzen, denen ein-eindeutige Schubladen-Taxonomien suspekt sind, und die über genug gedankliches Slalom-Geschick verfügen, auch mal etwas als SF zu nehmen, das weder von einer Quelle kommt, die SF-Stallgeruch hat, noch dass SF drauf steht.
Ich persönlich z.B. kann durchaus der Aussage zustimmen, dass ›SF‹ als Marktschreier-Anpreisungs-Schlagwort in den letzten Jahren von bestimmten Verwerten gemieden wird, sich de facto aber die SF als Ganzes, mit mannigfachen verschiedenen Erscheinungsformen tummelt und sprießt wie Bolle. — Oder, wie auch schon mal gesagt wurde, nicht nur von mir: SF hat gewonnen, sie wird deshalb seltener augenfällig ausgeschildert, weil man stillschweigend davon ausgeht, dass die SF-Zeit schon da ist (nur eben — William Gibson folgend — nicht gleichmäßig verteilt, und sicher nicht mehr so optimistisch Pfadfinder-fröhlich zu haben wie in manchen vergangenen Segmenten des Annodunnemals).
Sven Jüngerkes
Ach, die Enden, ein schöner Beitrag. Aber welche literarische Gattung hat nicht schon ihr "Ende" gesehen? (Die "große Erzählung", der "historische Roman", der Realismus, Naturalismus, ja der Roman selbst, die Lyrik nach A..., zuletzt die Moderne und jetzt auch die SF, es endet immer irgendwie irgendwann.) Viel spannender ist doch nach den Anfängen zu fragen: Wer, warum, wie, wann ... SF? Und ausgehend davon zu fragen, inwieweit sich die Bedingungen der Gesellschaft ändern, um (bestimmte Formen der) SF zu schreiben -- und natürlich zu rezipieren. Konkret (nach
Klar, auch SF kann sich den Bedingungen der kapitalistischen Buchproduktion nicht entziehen, aber ich war schon immer der Meinung, dass gute Literatur nicht gegen oder trotz des Marktes entstand, sondern in ihm (Schnabel, Zola, Fontane, Hofmannsthal, Mann usf.). Wobei natürlich die spannende Frage wäre: Warum blieben die übrig, während Freytag oder Heyse heute keiner mehr kennt? Übertragen auf die SF: Wird Herbert Frank bleiben, während Peter Hamilton oder Alastair Reynolds in 20 Jahren als wortreiches Blabla gilt? Und warum (vielleicht weil ein Werk von Frank "unfertiger" ist, eher zum Anknüpfen, weiterdenken, weiterspinnen anregt, eher mit Archetypen spielt? Vielleicht ist es aber auch Zufall, denn so schlecht ist bspw. Freytag gegenüber bspw. Raabe auch nicht. Ich weiss es nicht.)? Ich denke, das ist mitunter spannender als die Frage nach dem "Ende".
So gesehen: "dass die SF-Zeit schon da ist", würde ich unterschreiben wollen und sogar erweitern, nämlich dahingehend "dass die SF-Zeit schon immer da ist". Alles andere wäre vielleicht auch beunruhigend.
molosovsky Besitzerin
Das mit dem ›schöner Beitrag‹ kann ich zurückgeben, Sven. Interessant, dass die Dath’sche Krisendiagnostik aus dem Jahre 2004 stammt. Ich persönlich kann viel mit Dath anfangen, vermute aber, dass seine Art bei vielen Unmut und Widerwille hervorrufen (z.B. wenn er die ›gültige SF‹ benamst dafür ein hübsches Bündel eher bis deutlich links zu verortender Autoren nennt).
Auch das Anti-Amazonoiden-Sprüchlein von Harrison erscheint mir etwas zu harsch oder überspitzt für sachliche Auseinandersetzung.
Richtig aber ist, dass sich neue Arten von SF derzeit (womit ich die letzten paar Jahre meine) auftun. Zum Teil ist diese neue SF zu erkennen, weil nicht mehr SF auf ihr drauf steht.
Fragen dazu, wer bleiben wird und wer nicht, hängt von zu vielen Faktoren ab, als dass ich darauf eine Antwort wüsste. Mir fällt da der Fallada ein. Wer bei uns zwar immer irgendwie ein Gutteil erhältlich, aber groß getummelt hat sich nix zu diesem Klassiker der Moderne. Plötzlich entdecken die Engländer seine Sachen, und also sprießen auch bei uns wieder mehr Früchte der Beschäftigung mit Fallada.
Was Frank Herbert angeht, wage ich die Prophezeiung, dass er für ›Wüstenplanet‹-Fans klarerweise ein Klassiker bleiben wird. Literaturgeschichtlich aber denke ich, wird ehr eher untergehen oder randständig bleiben, da er schlicht nicht gut genug geschrieben hat (›getretener Brei, breit nicht stark‹). Medien- und Franchisegeschichtlich hat Herbert allerdings mit mehrfachen Verfilmungen gegenüber Hamilton und Reynolds einen Vorteil.