molochronik
Montag, 1. Dezember 2003

Schönheitsideal der Politik: fett und fetter werden.

(Gesellschaft) - Der Refrain ist bekannt: Unsere derzeitigen Probleme verdunsteten geschwind in der hoffentlich jeden Augenblick aufgehenden Strahlesonne properen Wirtschaftswahstums. Mir läuft bei derartig kindlicher Mehr-Mehr-Naivität immer ein kalter Schauer über die Seele. So freute ich mich, in der Novemberausgabe meiner Lieblingszeitung Le Monde diplomatique einen Artikel zu lesen, den ein bekennender Wachstumsverweigerer verfaßt hat.

Serge Latouche, ein emeritierter Professor in Frankreich schreibt fein von meinem Knochenmark ab. Auch wenn Latouche die Politik(er) seines Landes kritisiert, kann sein Text ohne Abstriche auf Deutschland oder die Erste Welt übertragen werden.

Linke wie rechte Politik lebt in der Kleinkinderphantasie, daß alle Probleme sich geben, feuert die Düse des Wachstums uns nur weit genug in den Wohlstands-Orbit. Geld und Einkommen gibt es genug, es ist (wird) nur ungerecht verteilt … aber hey: mit genug Wachtum sortiert sich das von selbst. Als ob ein blutrünstiger Hund plötzlich nett und freundlich wird, nur weil man ihm noch mehr Babys zum knabbern hinwirft.

Hunger in der Welt, Radikalisierung der Ideologien, Zernichtung der Umwelt, Degeneration der Instinkte, kommerzielle Psychagogie, alles nur vorrübergehende Wehwehchen, denn wenn wir nur mehr produzieren und mit dem Krempel profitieren … ja wenn also das Sackerl voller, die Kaka größer wird und der Konsum nicht mehr nur rattert sondern brummt, dann wird Gott höchstpersönlich das Ortschild Erde wieder gegen Paradies austauschen. Tatsächlich kommt diese Haltung allen entgegen, die mit der Weltraumkolonisierung nicht früh genug anfangen können, denn mit einer nur an Wachstum sich orientierenden Gesellschaft überschreitet man irgendwann (ehr früher als später) die Grenzen der terristischen Biosphäre und müßte woanders Wachstum betreiben gehen.

Schön auch der Ausdruck Ökologischer Fußabdruck , will heißen: Auf Fläche Land umgerechnet braucht jemand wieviel davon zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandarts? Ein US-Amerikaner 9,6 Hektar, ein Canadier 7,2, ein Druchschnittseuropäer 4,5 ... leider weiß ich nicht, ob im Leben oder im Jahr oder am Tag – ich vermute zweiteres. Beim derzeitigen Stand der Weltbevölkerung wären übrigens 1,4 Hektar pro Person gerecht.

Wäre es also nicht besser, der Zeit ein wenig mehr Zeit zu geben (sag ich nur: Entschleunigung) und zu überlegen, wie man eine Entwicklung der Wachstumsrücknahme so gestaltet, daß die Leute friedlich und nett zueinander bleiben … konivial steht im Artikel, ein tolles Wort.

Der Artikel führt drei Beispiele auf, wo man mit Wachsumsrücknahme anfangen könnte:

Personen- und Wahrenverkehr in Frage stellen. Nörgel ich schon seit Vorkindergartenzeit drann rumm. Tourismus, Straßen- und vor allem der individuelle Personenverkehr verlocken mit dem windigen Freiheitsversprechen und Unabhängigkeit. Dabei ist der PKW nichts anderes als eine zivile Weiterentwicklung einer Gefängniszelle. (Ich persönlich frage mich ja, wann mir der die Weltgemeinschaft dafür dankt, daß ich keinen Führerschein habe.) • Reißerische Reklame in Frage stellen. Werbung hat zu einem erschreckenden (Groß)Teil keine nachweisbaren Auswirkungen auf das Käuferverhalten, ist aber dazu angetan unsere Vorstellungswelt verheerend zu dressieren. Die Werbung ist der Züchter des Pavlovschen Hundes in uns. • Produktion von Wegwerfartikeln und Gadgets in Frage stellen. Ja, leider ist z.B das klassische Ideal der Sparsamkeit im Materialverbrauch ist voll out. Unsere Konsumwelt versucht, uns wohl getarnt das Gefühl überzustülpen, daß es uns nur gut geht, wenn wir Mist und Dreck veranstalten, immerfort Krimskrams für unsere Dauerübersprüngshandlungen erzeugen.

Schön auch die sechs Schritte, mit denen sich daran machen könnte, die Wachstumsrücknahme anzugehen: Neubewerten • Umstrukturieren • Umverteilen • Reduzieren • Wiederverwenden • Recyceln

Und natürlich die Wertvorstellungen, die sich ändern müßten, für eine Kulturphase des Wachstumsrückgangs (ich würde sagen: an die 50 bis 100 Jahre sollten wir das schon durchziehen): • Alturismus statt Egoismus • Kooperation statt ungezügelter Konkurrenz • Muße statt zwanghafter Arbeit • Gesellschaftliches Miteinander statt grenzenlosen Konsum • Spaß am schönem Einzelergebnis statt produktivistischer Effizienz • Vernunft statt Rationalität

So. Solche Artikel sind der Grund, warum ich einmal im Monat die TAZ kaufe, und verpasse ich die entsprechende Freitagsausgabe, in der die monatliche deutsche Le Monde diplomatique beiliegt, dann geb ich ernsthaft die 3,60 für 24 Seiten Zeitung aus. Es lohnt sich.

••• BEARBEITUNG 18. okt. 2004: Fehler ausgebessert und neu formatiert. •••

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