Umberto Eco: »Mögliche Wälder« — Zusammenfassung
Eintrag No. 87 — Wieder ist es ein Text von Umberto Eco, in dem ich hilfreiche Anregungen gefunden habe, um die die Frage nach den Qualitäten von guter Science Fiction (oder allgemein Phantastik) zu verhandeln.
Die Havard-Vorlesungen aus dem Jahre 1994 »Mögliche Wälder« umfaßt 25 Seiten (zu finden in Im Wald der Fiktionen — Deutscher Taschenbuch Verlag 1996, S. 101ff).
••• Musik beim Zusammenfassen: H.R.Kunze »Korrekt«, Track 01: Der Wald vor lauter Bäumen.
Gemeinsam mit der Zusammenfassung des Vortrages »Die Welten der Science-Fiction« (und erst recht, wenn man Eco selbst kosultiert) hoffe ich allen Phantastik-Lesen ein wenig Handhabe liefern können, mit der sich ahnugslose Verächter und Geringschätzer von SF-, Horror- und Fantasyliteratur schön genüßlich in der Luft zerpflücken lassen.
Zusammenfassung »Mögliche Wälder«:
Eröffnungs-Anekdote: Über die Lächerlichkeit der Frage von König Vittorio Emanuel III anläßlich seiner Betrachtung eines Gemäldes (ländliche Idylle):
Grundregel Fiktionsvertrag:
(Zitat Coleridge:
= willentliche, freiwillige Aussetzung/Unterlassung der Ungläubigkeit/des Zweifels)
- Der Autor tut so, als ob er die Wahrheit sagt;
- Der Leser tut so, als wäre das, was Autor erzählt, wirklich geschehen.
Ecos Beobachtung: bis zu einer Auflagenstärke von einigen 1000 Büchern kennen die Leser den Fiktionsvertrag; aber spätestens ab einer Millionen haben viele scheinbar nie von ihm gehört.
Beispiel: Ein Leser des »Foucaultschen Pendels« (der moniert, daß ein Brand aus wirklicher Welt in der Beschreibung Paris fehlt) geht also für Eco zu weit, …
Also:
z.B. wenn Leser bei den Brüdern Grimm zwar den sprechenden Wolf akzeptieren, jedoch erstmal annehmen, daß Rotkäppchen tod ist, ›nur‹ weil der Wolf sie gefressen hat.
Die Frage von König Vittorio Emanuel III ist also gar nicht sooo lächerlich, denn der Zauber jeder erzählenden Fiktion ist, …
{Wobei entsprechend ihrer Art eine Fiktion ›Ernst zu nehmen‹ sich zwei verschiedene Grundhaltungen unterscheiden: einerseits der des logischen, andererseits der des empathischen Mitdenkens und Nachvollziehens.}
Fiktive Welten basieren immer auf der realen Welt.
Manzonis {»Die Brautleute«} Landschaftsbeschreibung gründen auf geographischen Merkmalen der realen Welt. Kafka führt in »Die Verwandlung« die ungeheuerliche Veränderung von Georg Samsa vor dem Hintergrund einer realistischen Welt ein (sprich: das Zimmer, die Reaktion der Familie). Noch unwahrscheinlicher als Kafka: Edwin Abbott und sein »Flatland«: Die Beschreibung einer zweidimensionalen Welt, deren Bewohner und ihrer Kultur;
Beispiel: Kastenunterschiede der Bewohner von Flatland aufgrund der Anzahl der Ecken, genaue Erläuterung von Wahrnehmungsprozessen der Flatlander ect. Abbotts Welt ist geometrisch und perzeptorisch {die Wahrnehmung betreffend} möglich. (Oder bei den Grimms: sprechende Wölfe sind zumindest physiologisch durchaus auch möglich: Stimmorgane und Hirn haben sie ja.) Abbotts mögliche Wesen kommen also mittels konventioneller Beglaubigungsverfahren zu fiktionaler Existenz.
Self-Voiding-Fiction, das sind narrative Texte, die ihre eigene Unmöglichkeit demonstrieren, wie in »Die blaue Villa in Hongkong« von Robbe-Grillets . Hier gibt es:
- a) widersprüchliche Versionen ein und desselben Ereignisses;
- b) ein und derselbe Ort (Hongkong) ist und ist zugleich nicht Ort der Handlung;
- c) widersprüchliche Zeitfolge (A dann B, aber auch B dann A);
- d) ein und dasselbe fiktive Wesen auf mehreren Existenzebenen (als Person, Skulptur, Theateraufführung ect). — Vergleich mit der optischen Illusion der unmöglichen Stimmgabel, oder anderer Motive die durch M.C. Escher bekannt wurden: Hier kommt Verwirrung auf, weil die Regeln der 2-D-Geometrie und die Regeln der perspektivischen Darstellung von 3-D-Objekten zugleich gelten sollen.
Das läßt Eco schlußfolgern:
Bedeutet: alle fiktiven Welten sind Parasiten der wirklichen Welt {Warum nicht auch/oder Symbionten?}. Es gibt keine Regel, wie viele fiktive Elemente ein Text maximal fassen kann, im Gegenteil: große Flexibilität ist möglich; und was nicht speziell erwähnt wird, stimmt wohl mit wirklicher Welt überein (oder ist nicht wichtig für die Handlung).
Beispiel: (beabsichtigter) komischer Effekt in einer Geschichte von Campanile, wo ein Mann seinem Kutscher sagt:
Kontrast-Beispiel eines nicht erwähnten Pferdes bei Nerval, weil es eben nebensächlich ist. Eine Kutschfahrt ohne Pferd böte ansonsten Stoff für eine Gothic Novel, oder ein Märchen wenn z.B. Mäuse statt Pferden vorgespannt sind.
Die Rex Stout-Krimis mit Nero Wolfe spielen in New York, sind also kontrollierbar. Über literarische Fanship und Pilgerstätten der Belletristik: Die Bakerstreet in London (siehe Sherlock Holmes); Bloomsday in Dublin (siehe »Ulysses«). Eine Taxifahrt in New York zum Alexanderplatz wäre also ein klarer Fehler, unwahr und unmöglich in der wirklichen Welt. Aber: Kafkas phantastische Welt in »Der Prozess« ist wie ein elastischer nicht-euklidischer Kaugummi, denn die Ausgänge eines Hauses führen in verschiedene, von einander entfernt gelegene Stadtteile. Eco unterscheidet dann:
- A) Fiktionales Universum ist viel kleiner als reale Welt (nur einige wenige Personen, wohldefiniert sind Ort und Zeit); oder
- B) Fiktionale Welt fügt realer Welt Personen und Ereignisse hinzu, endet nicht, sondern dehnt sich ständig weiter aus. — Obwohl Parasiten, ermöglichen kleinere Welten eine Konzentration auf endliche, der unseren sehr ähnliche Welten. Das Überschreiten der ontologischen Grenzen ist den fiktiven Welten nicht möglich, also verlegt man sich hier auf die Erforschung der Tiefe.
Über eine Figur bei Standal (»Rot & Schwarz«) weiß man mehr (nämlich: alles was man wissen muß; z.B. Unwichtiges wie das erstes Spielzeug wird deshalb nicht erwähnt), als über eigenen Vater. — Gegen-Beispiel der Autorin Invernizio, die zuviel erzählt, sprich: etwas für die Geschichte nicht wichtiges (Aussehen des Turiner Bahnhofs). — Der Leser der den fehlenden Brand in »Foucaultschen Pendel« bemängelt, akzeptiert also nicht, daß eine fiktive Welt kleinere Dimension hat als die reale Welt hat. — Umgekehrt (löblich): Leser haben Paris nach Beschreibung im »Pendel« geformt (machten außschließlich Photos von Dingen, die im Roman auch vorkommen).
Über Romane als Spiel meint Eco:
= therapeutische Funktion der erzählenden Literatur, und Grund des Geschichtenerzählens. Mythen geben dem Wust aus Ereignissen, Dingen und Erfahrungen eine Form {Alle Narrationen und damit z.B. Religionen sind Sinnmachmaschinen wie Rüdiger Safranski im »Philosophischem Quartett« mal so schön gesagt hat}.
Gespenst Wahrheit.
Wahrheit ist wohl leicht bestimmbar in wirklicher Welt (Ecos augenblicklicher Vortragsort, Vortragsdatum, Ort und Zeit des Todes von Napoleon). In fiktiven Welten ist etwas wahr im Rahmen der möglichen Welt. Beispiel: Heirat Hamlet & Orphelia = unwahr. Heirat Scarlett O'Hara & Rett Bulter = wahr.
Über den Wahrheitsbegriff: Die Wahrheit des Vortragsdatums ist abhängig vom Bezugsrahmen des Gregorianischen Kalender. Die Farbebezeichnung für Ecos Kravatte beim Vortrag blau ist heute wahr, aber unwahr nach antiker Farbauffassung, die einen anderen Grenzverlauf zwischen Blau und Grün bevorzugte. Alle Wahrheitsbestimmung gründet also auf hollistischen Annahmen. Eco demonstriert während des Vortrages eine Möglichkeit unmittelbarer Kontrolle von Wahrheit. Ist hinter ihm ein Gürteltier? Er sieht sich um und kann feststellen, daß dies unwahr ist.
Dazu nun der Begriff von der Kulturellen Enzyklopädie (der Begriff stammt von Hillary Putnam): zu neun Zehnteln verläßt sich ein Mensch bezüglich des Wissens, über das was wir Welt nennen, auf andere (z.B. ob es eine Stadt wirklich gibt, in der man noch nie war; wann und wo Napoleon gestorben ist). Die Erfahrung lehrt Eco: Die Kulturelle Enzyklopädie liefert ein zufriedenstellendes Bild der Welt, aber:
Unterscheidung: Sprechende Wölfe im Märchen {oder bei Disney} sind akzeptabel, aber bei Begegnung mit echten Wölfen orientiert man sein Verhalten besser nach einem Zoologiewerk. Es ist schwer, genau zu erklären warum wir so entscheiden. Es ist komplexer zu entscheiden, ob Aussagen der Kulturellen Enzyklopädie zu Napoleons Tod wahr sind, als zu entscheiden, ob Scarlett & Rett aus »Vom Winde verweht« verheiratet sind.
Beispiele:
- A) In Dumas Musketier-Fortsetzung »Zwanzig Jahre danach« ersticht Athos den Sohn von Milady (beide Männer sind erfundene Personen), bleibt also in fiktiver Welt wahr, solange ein Exemplar des Buchs existiert;
- B) In »Die Drei Musketiere« wird Lord Buckingham von Felton erstochen (beides historsich reale Personen). Bei neuem Fakt der Geschichte müßten Historiker ihren Text korrigieren, die Welt von »Die Drei Musketiere« zweigt aber dann nur weiter in Richtung Fiktion ab (Uchronie), bleibt dort aber wahr.
Fiktive Welten haben also ein Wahrheitsprivileg, in ihnen kann der Wahrheitsbegriff nicht in Frage gestellt werden. Das Wahrheitsprivileg liefert auch Maßstäbe für die Grenzen der Interpretation {… wenn Jack the Ripper seine Taten anhand seiner Bibelauslegung begründete, würde wohl jeder sagen: Du spinnst, Alter!}
Beispiel einer abwitzigen Rotkäppchen-Interpretation (als alchemistische Anleitung zur Trennug von Quecksilber und Schwefel). Eco dazu:
{Doppel- und Mehrdeutiges nicht willkürlich zu etwas Eindeutigem auflösen, siehe »Total Recall«-Ende mit Schwarzenegger.}
Zweifel an realer Welt:
Waren die Amerikaner wirklich auf dem Mond? (Leichtere Wahrheitsentscheidung in Fiktion: Flash Gordon war auf dem Planeten Mungo). Für Ecos wurde die Mondlandung hinreichend beglaubigt, mittels der Bestätigung durch den USA-Konkurrenten UdSSR. Die Entscheidung was in wirklicher Welt wahr ist, erfordert Entscheidung darüber, wieviel Vertrauen man der Gemeinschaft entgegenbringt, welche Teile der Globalen Kultrurellen Enzyklopädie man anerkennt, vertraut und welchen nicht.
Führt der Leser einen Irrtum beim Lesen ein (glaubt z.B., daß zur Zeit von »Krieg & Frieden« die Kommunisten in Russland herrschen), bleibt das eine Privatsache. Jedoch liefert ein Text das Profil für seinen Modell-Leser (z.B. durch den langen Dialog in Französisch zu Beginn von "Krieg & Frieden«). Ein Autor muß also nicht nur die wirkliche Welt als Hintergrund voraussetzten, sondern dem Leser auch Infos über die wirkliche Welt liefern, über die der Leser womöglich nicht verfügt {Beispiele: Die ganze Mathe in »Cryptonomicon« um Davenports Charakter erfassen zu können; die Details über Ringkampf um Garp von John Irving verstehen zu können.} — Ecos Beispiel: Rex Stout erwähnt Kreuzung 4. und 10. Straße (Sonderfall im West Village, aber nicht wichtig für Handlung) in New York. Wer die Stadt grob kennt, könnte verwirrt sein, denn dort heißt es gewöhnlich Kreuzung aus Street (Breiten) & Avenue (Längen).
Ausklang: Von Walter Scott, der die Voranstellung historischer Infos in einem Roman für nötig hält; Über Washington Irvings Paralipse:
Bis zu Ann Radcliff, die bezüglich des Aussehens von Südfrankreichs selbst irrte, oder aus hohler Unkenntnis ihr Südfrankreich für »Mysteries of Udolfo« einfach zurechterfand.
ECO ENDE
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Weitere grundsätzliche Beiträge zu Literatur, Science-Fiction, Fantasy und Phantastik:
- Molosovskys Wahrheitsbegriff (schnelle Fassung) — Über Fiktions- und Wahrhaftigkeitsverträge, Verschwörungen und die Kulturelle Enzyklopädie.
- Tolkien schrieb: »Selbstverständlich ist ›Der Herr der Ringe‹ ein durch und durch religiöses und katholisches Werk…« — Betrachtung Mittelerdes als exzentrische Christen-Mystik.
- Zusammenfassung von Umberto Ecos »Die Welten der Science-Fiction« — Über die vier Wege der Phantastik und die umgekehrte Symmetrie von Wissenschaft und SF.
- Zusammenfassung von Marcus Hammerschmitts »White Light / White Heat« — Über die SF als Hofnarr, kleine und große Forscher, die Stadt und die Dinge, Entenhausen, Sekten, Terror und Mahner.
david ramirer
übrigens denke ich, dass hier auch dazupasst, dass in der beschäftigung mit bildender kunst ein wenig fortgeschrittene menschen die trennung von "abstrakt" und "realistisch" irgendwann nicht mehr benötigen, weil der übergang zwischen beiden "extremen" derart fliessend und beides immer in jedes bild, in jede zeichnung eingebettet ist.
denn: ist nicht jede, noch so realistische wiedergabe der "wirklichkeit" (was immer auch darunter verstanden wird) nur eine abstraktion (denn bei jedem bild verlier- und damit abstrahieren wir ja eine (die dritte) dimension?
und: ist nichtauch die abstrakteste und haptischste und gestischste und reduzierteste wiedergabe innerer gefühle und musikalischer strukturen und geometrischer strukturen nicht auch eine wiedergabe realer erkenntnisse und daher in hohem grade "greifbar" und "erfahrbar" und also daher höchst real?
der verlust der separation in abstrakt und realistisch markiert wohl in jeder bildend künstlerischen beschäftigung und entwicklung einen markanten punkt, und dennoch lebt vieles an bildender kunst aus diesem hin- und her zwischen beidem.
habe mich daran bei deiner tollen zusammenfassung wieder erinnert. es scheint bei bücherschreibern also ähnlich zu sein...
übrigens: BLAU kann man auch heute nur als Platzhalter zu einer Kravatte sagen. Jeder wird darunter etwas anderes verstehen (Josef Albers, Bauhaus). Die selbe Kravatte kann dennoch für einen anderen leicht grün wirken (schon wegen des Lichtes). Die Antike hatte diesbezüglich keine anderen Probleme als wir, auch wenn sie Blau "Orange" genannt hätten. Mich würde sehr interessieren, wo diese Erkenntnis herkommt, wo doch nahezu alle Farben aus der damaligen Zeit heute längst ausgebleicht und nicht mehr analysierbar sind (mit Ausnahme der Pflanzen, natürllch) (siehe Akropolis, die ja bunt angemalt war).
molosovsky Besitzerin
Hallo mein Freund. - In der anderen Eco-Zusammenfassung findet sich ein wenig mehr zur Kulturellen Enzyklopädie. - Du hast natürlich vollkommen recht, wenn Du Gegensätze (die ja nur von irgendwem, irgendwie festgestellt, hingestellt werden) auflößt. Unter anderem dafür gibt es sie schließlich.
In der Malerei kann man die zweistufige Bertrachterhaltung so umschreiben: semantischer Betrachter guckt nur was auf einer Bildfläche zu sehen ist, ob er was erkennt und wie ihm das gefällt; ein semiotischer/ästhetischer Betrachter macht das auch, und hat Freude daran, tiefer aus dem Bild herauszulesen, was an Zeichen zu finden ist.
Oder, wie wir beide früher einzuteilen wußten: Leute die ein Bild ein paar Augenblicke betrachten um zu entscheiden ob es ihnen gefällt (sagt mir was, sagt mir nix), und Leute die länger vor einem Bild verweilen können. Mir gegenüber hat jemand mal erwähnt, wie tragisch es ist, daß kaum noch jemand in seinem Umfeld (und der Mensch arbeitet im öffentlich-rechtlichen Hörfunk) mal eine Stunde am Stück nur Musik hört. Ich fühle mich da wie er in der Minderheit.
Wichtig ist ja auch noch, daß die Kulturelle Enzyklopädie nicht automatisch Weisheit und Gewissheit zeitigt. Zu vielen Dingen hat sie wiedersprüchliche Aussagen. Weniger über solche Dinge, wie viele natürliche Trabanten wir haben (obwohl es bestimmt noch ne gute Schippe voll Anhänger des Geozentrismus gibt), aber konsultiere die EZ mal bezüglich der Existzenz Gottes: gibt es • gibt es nicht • gabs mal, pennt aber, ist tot oder hat nur Sonntags Sprechstunde …
Die Frage nach der Art, wie man wohl heute bestimmen kann, daß die Auffassung der Farbgrenzen in der römisch-griechischen Antike anders als die der moderne war, kann nicht nur-blödelnd beantworten. Gemalte Farben sind ja in der Minderheit. Ich denke, man orientiert sich als Farb-Historiker an überlieferten Beschreibungen/Klassifizierugen von solchen Dingen wie Edelmetallen, Edelsteinen, markanten Erdfarben bestimmter Regionen (nimm Indiens, Madagaskars und Südafrikas rote Erde) … alle neben Flora (und Fauna) erdenklichen Naturfarben (aus dem Meer! Korallen, Muscheln, Schuppen), die auch über längere Zeit keinen Veränderungen unterliegen (Milch, Blut, bestimmte Gewässer) usw. Einige chemische Stoffe kann man ja im Tagebau gewinnen (Schwefel, Kalk, Kohle) und spätestens mit der Chemie wird es dann interessant.
andreaffm
naja, als akademische rumwichserin steht man ja vor problemen wie der möglichst exakten, möglichst kurzen bildbeschreibung. ja, wir betreiben diese kunst noch, optisches in verbales zu übersetzen.
und dabei kann es eben nur eine übersetzung sein, denn die mittel der malerei bleiben eben der malerei vorbehalten, genau wie die mittel der englischen sprache eben der englischen sprache vorbehalten bleiben und bei einer übersetzung ins deutsche leider draußen bleiben müssen.
daher kann "über malerei sprechen" eben nur mit den mitteln der sprache geschehen - und die versucht eben, ihrem gegenstand so gut als möglich gerecht zu werden. ersetzen kann sie ihn nicht. die bezeichnungen "realistisch" (bzw. "gegenständlich", wie es korrekt heißen müßte, denn realismus ist was anderes) und "abstrakt" nähern sich dem phänomen auf der leinwand nur an und versuchen es zu fassen, sie erstzen es ja nicht. die leinwand und das was drauf ist, ist erstmal autonom - einengend ist nur die kommunikation darüber, weil die eben mit mitteln der abgrenzung (groß, klein, gerade, krumm, abstrakt, gegenständlich) arbeitet. aber, hey - das ist eben sprache! sprache versucht, das große chaos der realexistierenden phänomene ein bißchen in kästchen zu sortieren. was nichts dran ändert, daß die realexistierenden phänomene wild wuchern dürfen. sprache stellt nur ein paar wegweiser auf und zieht ein paar zäune. unter anderem gibt es einen zaun, der "gegenständlich" von "abstrakt" trennt. aber es gibt meines wissens kein schild, das das überklettern des zauns unter strafe stellt.
david ramirer
vielleicht ist dann das bild eher in deinem sinne: des malers, der ein eifriger brückenbauer ist über diesen zaun zwischen gegenständlich und abstrakt. obwohl: das überklettern hat schon auch was, wenngleich auch der zaun kaum die höhe von zwei übereinandergestellten streichholzschachteln erreicht... :-)
im übrigen: ein hoch auf die sprache (deine), und danke für die illumination (meiner düsteren worte).
david ramirer
das mit den farben ist so eine sache: da bin ich als praktiker und selbstfarbgestalter und farbwahrnehmungsbeeinflusser auf einem ganz anderen trip als der semiot- und theoretiker eco, für den es keinen großen unterschied macht, ob etwas "eher grün" oder "doch blau" ist, weil beides für ihn "nur" zeichen sind, daher für ihn aber auch schon alles, was ihn interessiert. für mich sind es eben ganz andere wesenheiten, nämlich "stellenwerte in einem gleichzeitig angebotenen system". da aber das system der antike schon zeitlich nicht wiederholbar ist, und wir die wahrnehmungen der damaligen zeit nicht wirklich deckungsgleich übertragen können (vor allem die sinnlichen erfahrungswerte der menschen, die damals lebten), wird die frage, ob blau damals vielleicht "etwas eher unserem grün entsprach" für einen theoretischen semantiker sicher fruchtbare gedanken erzeugen, für den praktischen theoretiker in der bildenden kunst aber nur einmal mehr beweisen, dass überlegungen, ob etwas "grün" oder "blau" ist, zu nichts führen, weil der einzige unterschied zwischen beiden "zeichen" kein fundamentaler ist. grün ist nämlich eine "untergruppe" von blau, und unterscheidet sich von diesem nur durch einen etwas höheren gelbanteil. also auch die chemischsten, physikalischsten und sonstigen wissenschaftlichen analysen können kaum ändern, dass in meiner wahrnehmung die frage "wie war blau in der antike" nur eine frage am rande bleibt.
grün = blau (meistens) (und umgekehrt).
wenn allerdings farben in größeren mengen vorkommen (aber in deiner knappzusammenfassung sah es so aus, als ob in der antike, laut eco, blau grünlicher eingestuft gewesen sei, und von anderen farben war keine rede) ist die formel nicht so einfach.
aber wie gesagt: das ist nur MEINE perspektive.