molochronik
Freitag, 27. August 2004

Douglas Coupland: »Hey Nostradamus«, oder: Traumasonate für vier Stimmen

Eintrag No. 137 – Zwischen Erst- und Zweitlektüre des hochphantastischen »Iron Council« von China Miéville, genehmigte ich mir als Balancegewicht den neuen Roman von Douglas Coupland »Hey Nostradamus« (244 Seiten, Harper, 2003).

1991 … vor dreizehn Jahren debütierte er mit »Generation X«, dessen Kultstatus vielleicht auch noch sein 1995 erschiener »Microserfs« erreichte. Für mich ist Coupland eine sichere Bank für eine anregende Lektüre. Selbst wenn – wie bei »Miss Wyoming« – mich die Geschichte nicht groß mitzittern läßt, tun sich genug interessante Dinge, und finden sich viele clevere Sätze und Dialoge, so daß ich seine übersichtlichen Romane schnell durch habe. Anregende, wenn nicht sogar atemberaubende Unterhaltung mit einer gehörigen Portion moderne Wirklichkeit, die in 12 Stunden verdrückt ist.

Nach einem Couplandbuch habe ich zudem immer einen spürbaren Weisheits-Boost. Eine sehr verführerische Wirkung und bei dem diesmaligen Thema mehr als erwünscht, denn das Buch ist die vierstimmige Geschichte eines Schulmassakers und dessen Nachwirkungen.

1988: Cheryl, siebzehn Jahre alt und letztes Todesopfer einer willenlosen Schießerei, spricht zum Leser aus dem Jenseits und lauscht den Gebeten auf ihrer Beerdigung. Auf ihr Schulheft hat sie kurz vor ihren Tod immer wieder »God is nowhere / God is now here…« gekritzelt. Vor wenigen Wochen haben sie und ihr Freund insgeheim in Las Vegas geheiratet.

(Seite 18:) It had been drilled into us that to feel fear is to not fully trust God. Whoever made that one up has never been beneath a cafeteria table with a tiny thread of someone else's blood trickling onto their leg.

Übersetzung von Molosovsky ••• Uns wurde eingetrichtert, daß Furcht zu empfinden bedeutet, Gott nicht vollkommen zu vertrauen. Wer auch immer sich das einfallen ließ, war niemals unter einem Mensa-Tisch während ihm das Blut von jemand anderem in feinen Bahnen das Bein hinab rinnt.

1999: Jason, ihr Freund, der über den Verlust nie hinwegkam, schreibt einen Schließfach-Brief, den seine beiden noch kleinen Neffen bei ihrer Volljährigkeit lesen sollen.

(Seite 87:) Maybe clones are the way out of all this. {…} as a clone, you pop off the assambly line with an owner's manual written by the previous you – an manual as helpful as the one that accompanies a 1999 VW Jetta. Imagine all the crap this would save you – the wasted time, the hopeless dreams. I'm going to really think about this: an owner's manual for me.

••• Vielleicht sind Klone die Lösung für alles {…} als Klon plopt man vom Fließband mit einem Besitzerhandbuch das von deinem vorherigen Du geschrieben wurde – so nützlich wie das Handbuch eines 1999 VW Jetta. Der ganze Miste, der einem erspahrt bliebe – die verschwendete Zeit, die aussichtslosen Träume. Ich werde wirklich mal darüber nachdenken: ein Besitzerhandbuch für mich.

2002: Heather, eine Gerichtsstenotypistin, die sich beim Kasseanstehen in Jason verliebt hat.

(Seite 111:) … Somethimes I think God is like the weather – you may not like the weather, but it has nothing to do with you. You just happen to be there. Deal with it. Sadness and grief are part of being human and always will be. Who would I be to fix that?

••• … Manchmal glaube ich, Gott ist wie das Wetter – kann sein, du magst das Wetter nicht, aber es hat nichts mir dir zu tun. Du bist einfach da. Werd damit fertig. Trauer und Schmerz gehören zum Menschsein und das wird immer so sein. Wer wäre ich, um das zu regeln?

2003: Reg, Jasons Vater, ein selbstgerechter christlicher Fundamentalist.

(Seite 156:) Inasmuch as I am a spiritual man, I do believe in God – I think that He created an order for the world; I believe that, in constantly bombarding Him with requests for miracles, we're also asking that He unravel the fabric of the world. A world of continuous miracles would be a cartoon, not a world.

••• Da ich spiritueller Mensch bin, glaube ich an Gott – Ich denke, Er hat eine Ordnung für die Welt geschaffen; Ich glaube, indem wir Ihn ständig um Wunder bedrängen, bitten wir ihn auch darum das Innere der Welt offenzulegen. Eine Welt fortwährender Wunder wäre ein Cartoon, keine Welt.

Interessant für Phantasten: die wenigen aber bedeutenden Thriller- (Geballer, Gewalt), Fantasy- (Totenwelt, Phantasie-Identitäten) und SF-Elemente (Klone, Biometrie) in einem durch und durch realitisch verorteten Roman. Die Phantastik erreicht zwar nicht so gewaltig-apokalyptische Szenarios wie in »Girlfriend in a Coma«, aber nichtsdestotrotz geht auch »Hey Nostradamus« mit mehr Science Fiction-Fusionskraft ab, als eintönige Lasercowboys- und Aliendianer-Opern.

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