molochronik

Religion als natürliche Sache
Daniel C. Dennett: »Breaking the Spell«
PLUS: Erste Molochronik-Umfrage

Eintrag No. 275{Hiermitz beginne ich mal, mehr von meinen Sachbuchausflügen zu berichten. Immerhin pendel ich mit Vorliebe zwischen allen möglichen Textsorten bzgl Phantastik herum.}

Kennengelernt habe ich Daniel C. Dennett als Mitherausheber (neben Douglas R. Hofstadter) von »Einsicht ins Ich«, einer munteren Esaay- und Kurzgeschichten-Antho über Fragen & Spekulationen zum menschlichen Bewußtsein.

Gefreut hat mich, daß Dennett als respektabler Wissenschafts-Philosoph seine Sympathie für Phantastik und dessen Genre zeigt, z.B. indem er zu den Dokumentationen über Philosophie und technisch-gesellschaftliche Wurzeln der »Matrix Experience«-DVD beitrug.

Aus Daniel C. Dennett »Breaking the Spell – Religion as a Natural Phenomenon« (448 Seiten incl. Anhang, Fußnoten, Bibliographie & {ordentlicher!} Index; Viking, 2006, ISBN gebunden: 0-670-03472-X):

Fünf Thesen über den gegewärtigen Stand und die kommenden Entwicklung von Religion/Wissenschaft. Hemdsärmelig (aber hoffentlich nicht unkorrekt) von mir übersetzt (Seite 35 f). — Freilich gibt es noch mehr Annahmen über die möglichen Entwicklungen von Religion, aber Dennett meint, daß die folgenden fünf Szenarios die extremsten Positionen gut umreißen.

RELIGIÖSE WENDE Die Aufklärung {Enlightenment} ist lang vorbei: die schleichende ›Sekularisierung‹ der modernen Gesellschaften verpufft vor unseren Augen. Szenario: Gezeitenwechsel. Religion wird wieder wichtiger denn je. Religion nimmt bald wieder die herrschende gesellschaftliche und moralische Rolle ein, die sie inne hatte, vor dem Aufstieg der Wissenschaften seit dem 17. Jhd. Während die Leute sich von Technologie und materiellen Komfort erholen, steigt die spirituelle Identität zur meistgeschätzten Eigenschaft einer Person auf. Gesellschaften teilen sich schärfer gemäß der Zugehörigkeit in Christen, Moslems, Juden, Hindus usw. Schließlich wird — erst in vielleicht 1000 Jahren, oder durch große Katasthrophen schon früher — eine einzige Religion den Planeten umspannen.

ABSTERBEN DER RELIGION Religion liegt in den Todeszuckungen; die gegenwärtigen Ausbrüche an Inbrunst und Fanatismus sind Symptome des Übergangs zu einer wirklich modernen Gesellschaft, in der Religion höchstens noch eine zeremonielle Rolle spielt. Szenario: Obwohl es zeitliche und örtliche Wiederbelebungen und gewaltätige Katasthrophen geben mag, werden die großen Religionen genauso aussterben, wie heute hunderte von Religionen schneller verschwinden, als Anthropologen sie verzeichnen können. In der Lebenszeit unserer Enkel wird aus dem Vatikan das Europäische Museum für Römisch-Katholisches Christentum, und Mekka wandelt sich zu Disneys Magisches Königreich Allahs.

TRANSFORMATION DER RELIGION Aus Religion werden Institutionen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat: größtenteils uneigennützige Zusammenschlüsse die Selbsthilfe anbieten und moralische Gemeinschaftsarbeit ermöglichen. Zeremonien und Tradition dienen um Beziehungen zu festigen und ›Langzeit-Fan-Treue‹ zu schaffen. Szenario: Mitglied einer Religion zu sein, wird immer mehr dem ähnlich, heute ein Bayern München- oder HSV-Fan zu sein. Es gibt dann verschiedene Farben, Lieder und Jubelrufe {cheers}, unterschiedliche Symbole und lebhafter Wettbewerb — würden Sie Ihre Tochter einen Frankfurter Eintracht-Fan heiraten lassen? — doch von ein paar renitenten Wenigen abgesehen, weiß jeder die Wichtigkeit von freidlicher Koexistenz in der Globalen Liga der Religionen wertzuschätzen. Religiöse Kunst und Musik blüht auf, und freundliche Rivalität führt zu abgestuften Spezialisierungen. Eine Religion mag wegen ihrer Anwaltschaft für die Umwelt {enviromental stewardship} berühmt sein, und Millionen mit sauberem Wasser versorgen. Eine andere Religion mag für die Verteidigung von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Ausgeglichenheit bekannt sein.

MARGINALISIERUNG DER RELIGION Das Ansehen und die Sichtbarkeit von Religion schwinden. Wie Rauchen wird es zwar toleriert, da es immer welche gibt die behaupten nicht ohne leben zu können. Doch man ermuntert nicht dazu. Kindern, die leicht beeindruckbar sind, Religion zu lehren wird in den meisten Gesellschaften scheel beäugt, in einigen wird es sogar verboten. Szenario: Politiker die immer noch praktizierend religiös sind, müssen ihre Ämtertauglichkeit durch andere als religiöse Verdienste um die Gemeinschaft beweisen; nur wenige Politiker würden mit ihren religiösen Überzeugungen hausieren gehen. Die Aufmerksamkeit auf die Religion eines Menschen zu lenken, wird als ungehobelt betrachtet, wie auch öffentliche Kommentare über das Geschlechtsleben, oder Fragen danach, ob jemand geschieden ist oder nicht.

WELTENDÄMMERUNG Das Jüngste Gericht ist da. Die Gesegneten steigen leibhaftig gen Himmel auf, alle anderen bleiben zurück und erleiden die Qualen der Verdammnis, wenn der Antichrist unterliegt. Szenario: Wie die Prophezeiungen der Bibel weissagen, sind die Geburt des Staates Israel im Jahre 1948 und der fortwährende Konflikt um Palestina deutliche Zeichen für das Weltenende, wenn wie Wiederkehr von Christus alle anderen Hypthesen vom Tisch wischt.

•••• Und weils so schön ist …

Was meint der Molochronik-Leser: Welche der beschriebenen Entwicklungsmöglichkeiten in Sachen Religion wird wohl am meisten die Zukunft prägen?

Religiöse Kehrtwende
37,5% (3 Stimmen)
Absterben der Religion
0% (0 Stimmen)
Transformation der Religion
50% (4 Stimmen)
Marginalisierung der Religion
0% (0 Stimmen)
Weltendämmerung
12,5% (1 Stimme)
Summe: 8 Stimmen

Die erste Stimme {Transformation} entspricht meiner bescheidenen Pi-mal-Daumen-Wahl.

Jetzt lief die ›Blasphemie‹ und kein Blitz, kein Heuschreckenschwarm, keine Schrift an der Wand

(Gesellschaft) — Christenmenschen haben einen Glauben. Das ist an sich weder was grausliges, noch ist es etwas edles, denn es kommt auf den jeweiligen religiösen Menschen an, was er aus seiner Religiösität macht.

Schlimm aber gestern abend die Sicherheits-&-Diskursvorführung der kleinen, harmlosen und alberenen (und nicht kritischen) Pilotfolge von »Popetown«.

Da wurde von allen Seiten, den Fürsprechern und Gegnern der Sendung viel Wind gemacht. Eine ältere Dame, die man auf der Straße befragt hat, bringt den ganzen Medienschwurbel am genauesten auf den Punkt: Mündige Bürger entscheiden selber, ob sie sich sowas anschaun. — Ich steh ja auch nicht jeden Sonntag vor der Kirche, und protestiere gegen den hahnebüchenden Wunderaberglauben, den Transzendenzjunkies verbreiten. Die sollen da in der Kirche unter sich bleiben.

Auf einer Skala von 1 (würg) bis 10 (jubel) würd ich der Folge eine 5 geben (taugt als einmal-Gucken-Unterhaltung).

Beste Figur: Schwester Maria, weil sie so wunderbar ›in die Luft starrt‹ und nicht weiß, daß der Zahlenstrang kein Ende hat.

Größter Interpretationsfehler in der MTV-Diskurssendung: Einige meinten, daß die Folge sich über Behinderte lustig mache, Rollstuhlfahrende ›in den Dreck ziehe‹. Was wird genau gezeigt?: Jugendliche gelähmte Waisen kommen aus Leeds zu Besuch nach Popetown. Die Popetown-PR-Nonne Penelope ist genervt, weil die Kinder nicht ›arm, traurig und verzweifelt‹ sind, sondern weil die kleinen Racker quicklebendig mit ihren Rollstühlen rumkajolen, sich fibbrig aufgregt auf die Begegnung mit dem Papst freuen. Der Höhepunkt der Nervigkeit dieser behinderten Kinder ist ihr Gesang: Gitarre und falscher Kinderchor eben — ALLE Kinderklassen singen eher schief, warum sollten Gehbehinderte da eine Ausnahme bilden? Ansonsten werden eben nicht diese Rollstuhlkiddies ›in den Dreck gezogen‹, sondern die Erwachsenen, und ihre Routinen, mit denen sie sich diesen Kindern nähern, um die Kinder medienwirksam auszubeuten. Das kennen wir von Politikern und Diktatoren, wenn sie sich kleine Kinder herzend und deren Müttern Kränze reichend den Massen zeigen.

Größter Nationalchauvinismus des Diskurses: Der Popetown-Papst (¿oder Pipst, oder Popst?) verirrt sich in die unterirdischen Hostienfabriken, in denen Zwangsarbeiter schuften. Sofort brabbeln einige Diskursteilnehmer von ›abgemagerten Gestalten, wie in den KZs‹, und daß (wenn sonst schon nix) dann dieser ›Gäg‹ zu weit gehe.

—Hey, liebe deutsche Gutmenschen! Nicht alle ausgemergelten Zwangsarbeiter sind ein Verweis auf die Arbeitslager und KZs des Dritten Reiches. Schon bei den Römern schufteten Kinder in Erzminen. Die Kulturgeschichte der Menschheit verzeichnet schon lange Zwangsanstrengungsgemeinschaften, und nicht alle Arbeiter haben (wie die Pyramidenbauer) ihr rituelles heiliges Bierchen zu Feierabend bekommen. Wie freiwillig und angenehm war das mit dem Eisenbahnbau in den Alpen im vorletzten Jahrhundert?.

Gerade die katholische Kirche hat eine zünftige Beziehung zu Sklavenhandel-Gewinnlern in der Vergangenheit gepflegt. Die mutigen Christen, die gegen die Macht- und Profit-Praxis ihrer ›Klientel‹ protestierten, waren und sind in der Minderheit. Statt sich über MTVs Programm könnten sich christliche Mahner hierzulande z.B. über HARTZ IV, die Aussaht von Gen-Mais und Getreide, Kinderarmut usw protestieren. Hört man da viel? Nö. Aber den Blasphemieparagraphen verschärfen und Sendern die Lizenz entziehen wollen.

Hey, führen wir doch gleich wieder den Pranger ein, entscheiden Korruptions- und Steuerhinterziehungsschuldigkeit wieder mit Gottesbeweisen und wiederbeleben die hochnotpeinliche Befragung! — Also bitte, das nächste Mal wenn Zwangsarbeiter in einem Cartoon oder sonstwo vorkommen, ruhig auch an südarfikanische Silberminen, Baumwollfelder in Lousiana, die Zuckerrohrplantagen der Karibik denken, von mir aus auch an Schwabenkinder, und nicht immer und exklusiv nur über Nazi-KZs lossirenen (das ist nämlich auf Dauer supereitel, alle Übel der Welt immer nur auf die eigene National-›Spitzenleistung‹-Leistung in Sachen Unmenschlichkeit zu beziehen!).

Aussterben — Eine edle Kunst

(Gesellschaft) — Die Deutschen sterben aus, werden zur Seltenheit. Darüber sind einige Programmatiker und Placebopolitiker entsetzt. Das Volk vögelt, aber es ist dabei zu unchristlich und will nur Spaß & Erholung. Ein ›guter Fick‹, so die verbreitete Meinung, ist ein solcher, bei dem man sein Weibchen nicht befruchtet.

Persönlich fand ich es bereits als junger Teen grotesk, was für ein sorgfältiges Gewese z.B. um Moped- und Autoführerschein gemacht wird, sich aber jeder Dolm und jede Dolmin ungeprüft reproduzieren dürfen. Winkel von Dachschrägen (selbst von Hundehütten) bei Neubauten werden hierzulande genauer in Augenschein genommen, als die Fortspflanzungstauglichkeit und pädagogische Befähigung von Theo Mustermann und Ließchen Müller.

Warum haben so viele keine Lust mehr das deutsche Volk zu vermehren? Vielleicht aus dem selben Grund (nur invertiert), warum so viele Deutsche unegwillt sind, dunkelhäute und exotische Menschen aus dem Ausland schnell und unkompliziert als Deutsche anzuerkennen. Da funken der Masse bei uns halt diese ›Kulturnation‹-Mythen durchs Blut und Hirn.

Ich denk mir, zum einen vielleicht, weil als Volk freiwillig auszusterben wohl eines der edelsten Großunternehmen ist, dessen sich ein kulturell als zusammengehörig deklariertes Gemensche hingeben kann. Die wohl wahrscheinlichere tragisch-praktische Ursache aber dürfte sein, daß Kinder Verantwortung mit sich bringen. Kurz und deutlich (wird aber in den Medien nie so vbeim Namen genannt): Kinder machen enorm erpressbar. Und zudem gehts ja alles andere als sozial gerecht zu bei uns. Schulen sortieren immer noch mehr die Bälger gemäß des Status und Wohlstandes. Wer kann sich schon seinen Optimismus bewahren, wenn er ein enges Leben führt um seine Kinder groß zu ziehen, nur um zu erleben, wie Bälger der ›Vitamin B‹-Schichten bevorzugt werden. — Tja, da klopf ich allen Generationsgenossen und -Genossinnen die wie ich an der Fortpflanzungsfront streiken kammeradschaftlich auf die Schulter. Sollen doch die Reichen und Schönen wieder Orgelpfeifensippen generieren, wenn sie die deutsche Kulturnation erhalten wollen. Vielleicht sind bald die Entscheidungsmächtigen verzweifelt genug und stellen für ein Dutzend selbstgeugter Kinder die Verleihung der Adelswürde in Aussicht. So gäbe es dann neben dem soldatischen und dem Beamten dann die Sparte des Kinderadels, was ja eine nette Aussicht ist. — Leider die einzige optimistische, die ich diesem Thema abgewinnen kann.

Harold als Morpheus.

(Gesellschaft, Literatur) — Kaum begeistert mich ’ne Lit-Nobelpreisrede, schon finde ich mich wieder in einer Ecke, aus der man nur noch verwundert auf die bezahlten Meinungsschieber gucken kann. Von wegen, daß Harold Pinters Rede dem ›Niveau‹ des Nobelpreises unwürdig wäre.

Ich zumindest finde es ausgesprochen erfreulich, daß ein alter Knacker wie Pinter seine Erklärung anbietet, was die Matrix unserer Zeit sei:

Politische Sprache, so wie Politiker sie gebrauchen, wagt sich auf keines dieser Gebiete, weil die Mehrheit der Politiker, nach den uns vorliegenden Beweisen, an der Wahrheit kein Interesse hat sondern nur an der Macht und am Erhalt dieser Macht. Damit diese Macht erhalten bleibt, ist es unabdingbar, dass die Menschen unwissend bleiben, dass sie in Unkenntnis der Wahrheit leben, sogar der Wahrheit ihres eigenen Lebens. Es umgibt uns deshalb ein weitverzweigtes Lügengespinst, von dem wir uns nähren.

Oder, wie ich das wahrnehme: Die ganzen ›sauberen‹ Routinen des Kalten Krieges dienen weiterhin dazu, die Konkurrenz im Verwöhnungsressourcenkampf auszutricksen.

Und mir nun nicht wie Harold ›Antiamerikanismus‹ vorwerfen, denn ich denke nicht, daß ›die USA‹, oder ›die Amerikaner‹ die Schuldigen sind. Die USA sind selbst ja nur ein ablenkendes Tarnmäskchen, oder genauer: das A-Liga-Spielbrett des Hartbandagenkampes um die Zukunft. Wir leben im Zeitalter des Infowars, ein weiterer Abschnitt des Kampfs der Utopien.

Lesende Weltenwanderer

(Gesellschaft, Phantastik) — Bücher SIND (buchstäblich) magische Gegenstände: sie ermöglichen uns Kontakte mit entfernten und verstorbenen Menschen. Allein beim Lesen, und doch zusammen mit einem kleinen Fruchtprodukt eines anderen Menschen, egal, wo der im Augenblick als Person sein mag. Schriftzeichen reihen sich aneinander, sprechen zum Leser, erzählen, beschreiben, argumentieren — und graphische Elemente erhellen als optische Ideen- und Zeitkapseln die Bleiwüste der Lettern.

Ganz schnell der Hinweis, daß ich mich seit kurzem auch bei Bibliotheka Phantastika herumtreibe. BibPhant ist eine der besten deutschsprachigen Seiten zu phatastischer Literatur, spezieller zur Fantasy. Viele Rezensionen, interessante Theorie-Texte und ein sehr munteres und angenehmes Forum bietet die Seite.

Neben meiner Vorstellung im Forum hab ich mich zuerst der Klassiker-Problematik gewidmet und meine (recht grobe und willkürliche) Top Ten an Phantastik BIS J. R. R. Tolkien (also bis zum Ende der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts) geliefert. Aus einer Bemerkung von mir über meine Tolkien-Skepsis, die ich fauler Sack anhand eines Links auf China Miévilles Text »MITTELERDE TRIFFT AUF MITTELENGLAND — Eine sozialistische Tolkienbetrachtung« verdeutlichen wollte, entstand dann der mittlerweile über 50 Seiten lange Thread »China Miéville vs JRR Tolkien«. Auf diesen langen ›Über Gott und die Welt‹-Thread folgten nun weitere Threads, und meine letzte Antwort in »Welchen Nerv trifft Tolkien/Fantasy?« möcht ich hier auch den Molochronik-Lesern anbieten, da ich dabei auf zwei aktuelle Magazine verweisen kann.

•••

Stichpunktartig meine Zusammenfassung von Norbert Bolz seinem Beitrag im »Cicero« 12/2005.

Ich meinte ja, das dies Teichs Frage vielleicht beantwortet:

Welchen Nerv trifft Tolkien/Fantasy allgemein und welche Umstände in unserer Gesellschaft führen dazu, das scheinbar immer mehr Fantasy gelesen/geschaut wird?

»Warum Brown und Potter?« soll wohl dem Cicero-Leser eine Draufsicht-Erklärung bieten, warum (eine gewisse) Phantastik so populär ist. In einem Kasten hats die 10 erfolgreichsten Bücher des 2005er-Jahres: Sechs Titel sind Genre-Kernbereich (Brown mit »Sakrileg« und »Diabolus«, Rowling mit HP6, Schätzing mit »Schwarm«, Funke mit »Tintenblut«, Colfer mit »Artemis Foul«), drei weitere rechne ich zum Randgebiet der Phantastik (Coelho mit »Zahir«, Lelord mit »Hectors Reise« und Leon mit einem Brunetti-Krimi) und nur ein Titel der kaum phantastisch ist (Fröhlich mit »Familienpackung«).

Warum Donna Leon für mich sehr Phantastik-ähnlich ist: weil Krimi als Genre viele Gemeinsamkeiten mit anderen U-Genres hat; und Venedig ist für viele Leser sicherlich genauso gut als Exotik vergnüglich, wie erfundene Welten. — Zudem ist Brunetti eine Serie, also auch bessere Soap. Viel Genre-Phantastik kommt als Serie mit mehr oder minderen Soap-Charakter daher.

Der Nebentitel des Bolz-Beitrages lautet »Die Konjunktur der Deutungsmächtigen in einer entzauberten Welt«. — Auch Bolz umschreibt also die Moderne und Aufklärung als Entzauberung. Er schreibt:

»Im Zeitalter der Informationsüberlastung wird Bedeutsamkeit zum ultimativen Luxus.« … »Wir erinnern uns: Aufklärung bedeutet Enttäuschung††. Der Prozess der Wissenschaft beraubte uns der Einfachheiten und Naivitäten.«

†† Man beachte den Doppelsinn: ›Enttäuschung‹ als was trauriges, weil sich etwas nicht erfüllt, vertrauen gebrochen wurde und ›Ent-täuschung‹ als etwas Befreiendes, Klärendes, Durchschauendes.

Die Welt ist also im Fortgang der Moderne gehörig komplizierter geworden, das Leben wurde zwar durch allerlei ›Schnickschnack‹ erleichtert, aber insgesammt alles andere als einfacher. Überall wimmelt es von Zeichen, Symbolen und Bedeutungen, alles mögliche will gewartet, programmiert, mit persönlichen Einstellungen versehen werden.

Bolz führt — wie ich finde sehr richtig — den Detektiv und Spion als die neue Archetypen der Moderne an, denn sie…

»üben die neue Optik des Dechifrierens ein. Nun erscheint uns die Welt nicht mehr als vertrauter Horiziont, sondern als unverstandener Text. Und der Kryptologe, der Code-Brecher wird zum Helden der modernen Welt. Wo wir nur sinnlose Daten und Zeichen sehen, zaubert er Bedeutung hervor.«

Das gilt auch für Genre-Leser oder Phantastik-Leser. Jeder Leser entschlüsselt beim Lesen. Und Fantasy-Welten verlangen einiges Geschick vom Leser, wenn er sich mit all den exotischen und fremdartigen Dingen was Sinnvolles vorstellen will.

Dieser Zugang zu Bedeutung, Wahrheit fasziniert. Symbole zuordnen zu können, die Kompliziertheiten der Welt aufgedröselt zu bekommen, wie dies eben Brown-Held ›Symbologe‹ Robert Langdon macht, oder die Gut-Böse-Milieus von Fantasywelten a la Potter (oder Tolkien) vorführen.

Bolz wertet diese Angebote als

»›Heilmittel‹ gegen das Chaos, gegen die Regellosigkeit und Unübersichtlichkeit unserer Welt«

und meint zum Ende:

»Uns fehlt heute die Horizontbegrenzung, die früher der Mythos leistete; also das was Nietzsche als ›umhüllenden Wahn‹ bezeichnet hat. Und wir spühren heute, das uns ein funktionales Äquivalent für die Mythen fehlt, die Wache an der Grenze zum Unvertrautem hielten. Gegen die Entzauberung der modernen Welt durch Wissenschaft und Technik setzt ein Marketing heute auf Strategien der ästhetischen Wiederberzeuberung. {…} Das religiöse Bedürfniss siedelt sich auf dem Ulterhaltungsmarkt an — in einer Welt der Magie, des Totemismus und Fetischismus.«

Da ballt sich einiges, und mag ein bischen schwurbelig klingen. Je nachdem, wie man ›Religion‹ und ›Mythos‹, ›Fetischismus‹ usw versteht, kann man diese Bolz-Sätze ganz schon respektlos deuten oder quer in den Hals kriegen. Ich les so was meist mit großer Gutmütigkeit.

Ergänzend dazu ein weiterer aktueller Lese-Tip:

Die aktuelle Ausgabe von »Literaturen« widmet sich dem Glauben, und bietet Herrn Safranskis knappe Unterscheidung zu ›heißer‹ und ›kalter‹ Religiösität an:

»In der christlichen Überlieferung kommt alles darauf an, dass Gott ein transmundanes, weltjenseitiges Etwas ist: eine Größe, die es mir erlaubt, im Akt des Glaubens in der Welt zu sein, aber ganau diesen Schritt des Transzendierens vollziehen zu können. Und es gibt eine ganz andere Art von Religiosität, die ehr monistisch verfasst ist. Ihr geht es darum, eine Vertiefung der Erfahrung zu ermöglichen, die uns an den Weltengrund bringt, der in uns selbst als Spiritualität enthalten ist.«

Entsprechend denkt Safranski nicht, daß das neue Interesse an Religion den Offenbahrungsreligionen gilt, sondern

»ehr einer psychotechnischen Religiosität. {…} Jeder bastelt im Hobbykeller seine eigene Religiosität mit esoterischen Einschlägen.«

Unterm Strich: als Hobby-Semiotiker interssieren mich schon läger diese Übergänge aus Zeichendeutungs-Freude und Sinnmach-Systemen. Phantastik-Literatur und ihre Genres bieten wunderbare Übungs- und Unterhaltungsparkours zum Deuten und Sinn-Ausprobieren an. Ich stimme hierbei Eco zu, daß

»Indem wir Romane lesen, entrinnen wir der Angst, die uns überfällt, wenn wir etwas Wahres über die Welt sagen wollen.«

Entsprechend möchte ich auch Bolz widersprechen, wenn er sagt, daß es heute so gar keine funktionalen Mythen gibt. Ich sage: sie machen sich schon seit seit einiger Zeit immer mehr im Mainstream breit (indikatorisch für mich die ersten Generationen, die mit Blockbuster-, Serialien-Stories, RPG-Welten, Computer-Spielen aufgewachsen sind). Auch geforscht wird dazu, z.B. bezüglich Subkulturen und Urbanen Legenden.

Die Genres selbst zeigen grobe Bereichsumgrenzungen der modernen Mythen: Agenten, Spione, Piloten, Prospektoren, Wissenschaftler aller Art (vor allem solche, die mit Seltsamkeiten in Kontakt kommen, wie Zoologen, Geologen, Ethnologen, Quantenschieber usw). Räuber und Gendarm treiben sich verwandelt ebenfalls noch im Mainstreambereich herum, ebenso die Reichen und Schönen sowie die Ausgestoßenen und Verdammten.

Safranskis Religiositäts-Unterscheidung kommentier ich im Geiste u.a. so: ›kalt‹ ist individualisierte Spiritualität nicht nur, weil ›wir Konsumenten und Hobbysinnmachmaschinen-Bossler‹ zwischen der eigenen Spiritualität und der rational-sekular formatierten Gesellschaftverfassung unterscheiden, und uns vom Absolutheitsanspruch (auch Ausrichtung des Lebens, der Gesellschaft nach spirituellen Richtlinien) distanzieren; ›kalt‹ ist diese auf dem Markt und in Fan-Kreisen gehandelte Spiritualität auch deshalb, weil an ihr Firmen als unterhaltungsindustrielle Teilnehmer mitgestalten.

Einen Ausblick, was das auch bedeutet, bietet der Artikel »Der Mensch als Tourist« von Krystian Woznicki bei Telepolis.

Von Bolz und Safranski (oder anderen öffentlichen Deutern) kann man halten was man will. Safranski schätz ich schon (gute Schopenhauer-Bio von ihm gelesen), Bolz kenn ich nur von kurzen Texten. Beide dünken mir aber ganz interessante, moderne Köpfe in einem sonst doch mMn recht biederen intellektuellen Medien-Milieu.

»Ich mach mir die Welt, wiediwidi-wie sie mir gefällt.« — Ganz so einfach ist das zwar nicht, aber es ist eine gute Praxiseinstellung.

Über DEN Interaktions-Kitt

(Gesellschaft) — Als Phantast machen mir Sprüchlein über die Relativität von Begriffen wie ›Wirklichkeit‹ und ›Realität‹ große Freude. Meistens gelingt es mir mit Humor zu ertragen, wenn Ideologien (oder auch nur Alltagsmenschen) mir die Beschaffenheit von Wirklichkeit reinreiben wollen, als ob es sich dabei um etwas Festes, Firmes, Marmornes handlte. Schon vor X-Millionen Jahren hat der Ur-Schluri Heraklid den Gäg vom »Fluß den man nicht zweimal durchqueren kann« gescored, meinend, daß sich sowohl der Fuß ständig ändert (plätscher plätscher), als auch man selbst (Haare wachs, Meinung änder, Laune hab).

Heute habe ich einen schönen, neuen Spruch für meine Sammlung, und er kommt wieder mal von meinem derzeitigen (deutschen) Leib- und Magenphilosophen Peter Sloterdijk. »Realität« sei ihm zu Folge »ein depressives Konstrukt für Leute, die sie noch nötig haben«. Sloterdijk ließ den Satz heute in einem Interview mit der »Rheinischen Post« im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen los. Er schlägt vor, daß man die Meinungsforschung besser kontrollieren sollte. Tja die Bundestagswahlen 2005.

Was wird Molosovsky wohl wählen?

(Gesellschaft) – Hier meine Antworten auf die Wahl-O-Mat-Fragen der Bundeszentrale für politische Bildung.

Fett sind die Fragen, die ich als mir besonders wichtig im Test markiert habe (wurden doppelt gewertet). In Klammern die Parteien, die mehr oder weniger meine Position vertreten.

Laut Wahl-O-Mat-Ergebnis bin ich ein SPDler, in weiterer (absteigender) Reihenfolge bin ich Linker (oh je), Grüner, FDPler und Unionist. Sagt aber noch gar nichts darüber, was ich denn nun ankreuze (ich bin ein notorischer Nicht-Stammwähler).

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01. Generelles Tempolimit auf Autobahnen! — Ja. (LINKE) Bin für eine Reform von Pendlerentlastung, grob nach der Linie: Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und Bildung von Fahrgemeinschaften fördern, Single-Autofahrer zur Kasse bitten (Außenhandelsvertreter freilich nicht). Güter auf die Schiene wo es geht.

02. Der Kündigungsschutz soll gelockert werden. — Ja. (FDP / UNION) Damit Deppen und Frühstücksdirektoren leichter abgebaut werden können.

03. Am geplanten Ausstieg aus der Atomenergie soll festgehalten werden. — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN) Unbedingt.

04. Benzinsteuern senken! — Nein. (SPD / GRÜN) Bin sogar für eine Erhöhung. Der Individualbewegungsluxus ist eines der großen Übel der Epoche und schlimmer als Pornographie und Drogenmißbrauch.

05. Die Türkei soll vollwertiges Mitglied der Europäischen Union werden können. — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN / FDP) Wer die Türkei nicht zum europäischen Kulturraum zählt, hat keine Ahnung von Geschichte oder von der Natur von Peripherien.

06. Die Mehrwertsteuer muss erhöht werden! — Nein. (SPD / LINKE / GRÜN / FDP) Schlecht für Konsum und Handel.

07. Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns! — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN) Eine Maßnahme der sinnvolleren und gerechteren Arbeitsvfairteilung. Sollte verbunden werden mit einer 30-Wochenarbeitsstunden-Grenze. Wer mehr verdient durch Mehrarbeit, zahlt auch mehr. Unbedingter Überstundenabbau. Geben Sie dem Volk Freizeit, Sire!

08. Erhöhung der Steuern für Spitzenverdiener/innen! — Nein. (FDP) Kommt darauf an wie. Vertreiben darf man Geldsäcke auch wieder nicht, sonst bleibt man nur noch auf Bauern und Arbeitern sitzten.

09. Das Dosenpfand soll abgeschafft werden. — Nein. (LINKE / GRÜN / UNION) Schützt den öffentlichen Raum bisher ganz gut gegen herumliegenden Getränkemüll.

10. Alle Bürger/innen sollen sich in einer gesetzlichen Krankenkasse versichern müssen. — Neutral. (—) Fragt sich, wie man das gestaltet. Bin unsicher.

11. Im Ausland lebende Deutsche sollen in Deutschland Steuern zahlen müssen. — Neutral. (—) Wie soll das gehen. Dazu braucht es vor allem internationale Regelungen. Besser, man kümmert sich verstärkt z.B. um die Etablierung einer Tobin-Steuer auf (und eine Bändigung) hochspekulativer Börsengeschäfte.

12. Die europäischen Agrarsubventionen müssen deutlich gesenkt werden. — Ja. (SPD / GRÜN) Weg mit dieser mittelalterlichen Lummerland-Matrix.

13. Die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik soll ausgebaut werden. — Ja. (SPD / GRÜN / FDP / UNION) Schwierige Frage, aber ohne Muskel keine Mitgestaltungsmöglichkeiten auf dem Bellezismus-Spielbrett, und auch die Pazifisten brauchen eine Pöppelaufstellung, um das Spiel langfristig zu überwinden.

14. Die deutsche Steinkohle soll weiter subventioniert werden. — Nein. (LINKE / GRÜN / FDP / UNION) Diese Subventionen sind zu teuer, ›nur‹ damit das Proletariat des Ruhrpotts zahm bleibt.

15. Die Bundeswehr soll für Aufgaben der inneren Sicherheit verstärkt eingesetzt werden dürfen. — Nein. (SPD / LINKE / GRÜN / FDP) Nicht nötig, und wenn, dann nur im allergröbsten Katasthrophenfall (Meteoreinschlag).

16. Abgeordnete sollen verpflichtet werden, alle ihre Nebeneinkünfte zu veröffentlichen. — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN / UNION) Unbedingt. Ist ja schon sehr fragwürdig, daß Politiker überhaupt Nebeneinkünfte scheffeln können. Glasnost für Deutschland! Oder eine offene Korruptionsgesellschaft. Warum stellen sich Politiker nicht ehrlich hin und sagen: »Ich vertrete die Interessen eines international operierenden Pharmakonzerns, der sich für eine härtere Medizinalisierung von Exzentrikern einsetzt!«

17. Jedes Kind muss vor der Einschulung einen Sprachtest bestehen. — Ja. (SPD / FDP) Die Erzieher(innen) aber auch.

18. Das Erststudium soll gebührenfrei sein. — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN) Nur wenn durch Begabtenprüfungen ohne Benachteiligungen die rigide Kinder-Sortierung (Quali / MR / Abi) überwunden wird. Ich erzähle es gerne: in Österreich konnte ich nach einer Begabtenprüfung Freie Malerei und Gestaltung auch mit Realschulabschluß studieren. In Offenbach hatte ich eine von zwei 2.0-Mappen (es gab keine besseren Wertungen), wurde aber nicht mal zur Aufnahmeprüfung zugelassen, weil Nicht-Abiturienten dazu eine 1.0-Mappe brauchen. Eine 1.0-Wertung hat es aber seit Bestehen der Schule nicht gegeben (acht beurteilende Lehrer).

19. Bildungspolitik soll ausschließlich Angelegenheit der Bundesländer sein. — Nein. (SPD / LINKE / GRÜN) Damit weiterhin die Küngelei zwischen Land und Verbänden, kirchlichen Trägern usw die Kulturpolitik dominiert. Weg vom Provinzialismus! Mehr alternative Kulturträger auf lokaler und nationaler Ebene. In Sachen lokaler Gemeinde- und Landeskultur gerne mehr Gestaltungsraum, aber dafür auch bessere Aufstellung auf dem cosmopolitischen Spielbrett. Für zweiteres brauchen wir mehr nationale (besser noch: europäische und globale) Kulturpolitik. Bin z.B. für die Einführung von Englisch als zweite Amts- und Schulsprache. Komplettrücknahme und/oder -Überarbeitung der Rechtschreibreform.

20. BAföG sollte unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden. — Nein. (SPD / FDP / UNION) Kinder von Spitzenverdienern sollen die Eltern anzapfen. Stipendienkultur fördern.

21. Der Staat soll im ersten Jahr der Elternzeit ("Erziehungsurlaub") einen Lohnersatz zahlen. — Ja. (SPD / LINKE / FDP) Mindestens. Das ruinöse Uterotop Deutschland muß verbessert werden. Sowohl für Fortpflanzungwillige, wie auch für Einwanderer.

22. Frauen müssen auch ohne vorherige Beratung bis zum dritten Monat straffrei abtreiben dürfen. — Ja. (LINKE) Weg mit mittelalterlicher Medea-Dämonisierung.

23. Von allen Straftätern/innen sollen die DNA-Daten ("genetischer Fingerabdruck") zentral erfasst werden. — Nein. (LINKE / GRÜN) Nicht nötig für alle Straftäter, aber durchaus angebracht bei Schwerverbrechern.

24. Die Wehrpflicht soll abgeschafft werden. — Ja. (LINKE / GRÜN / FDP) Entweder alle in die Pflicht nehmen oder keine Art von Zwangsdienst. Die Wehrpflicht dient hauptsächlich dazu, um z.B. Krankenhäuser, Seniorenheime usw. mit günstigen Zivi-Arbeitern zu versorgen. Leider würde die ungefederte Abschaffung der Wehrpflicht den Zusammenbruch z.B. des Gesundheitssystems bedeuten. Abschaffung der Wehrpflicht hängt also entscheident von einer Neugestaltung des Gesundheits- und Sozialwesens zusammen.

25. Mehr Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen! — Ja. (UNION) Big Brother soll mich ruhig watchen.

26. Gesetzliche Gleichstellung der "Homo-Ehe"! — Ja. (SPD / LINKE / GRÜN / FDP) Weiterer Punkt der Aktion: Raus aus dem Mittelalter.

27. Bei Bundestagswahlen: Wählen ab 16 Jahren! — Nein. (SPD / FDP / UNION) Ich symphatisiere ehr mit einer Erhöhung des Wahlalters, bzw. ist das Alter eigentlich weniger markant als Kriterium für Wahlmündigkeit. Z.B. lassen sich gerade alte Menschen mit tröstlichen Anti-Tot-Märchen immer wieder für Bequemlichkeitslösungen ködern.

28. Biometrische Daten (z.B. Fingerabdruck) sollen in den Personalausweis aufgenommen werden. — Ja. (SPD / UNION) Solange biometrische Daten nicht zentral gespeichert werden (siehe Frage 23).

29. Haschisch soll legalisiert werden. — Neutral. (—) Hat mehr mit internationaler Politik als Gesundheitspolitik zu tun. Solange Drogengewinne für Waffenbestellungen bezahlen, wird es schwer sein, einen offiziellen oder alternatriven Markt für Konsum- und Wellness-BTM zu etablieren. Und nur weil es ›uns‹ Kiffern in den Kram paßt, ist ein zu schwaches Argument für eine Legalisierung. Da wäre ein Magie-/Meditationsunterricht ab der 7. Klasse besser (Unterricht zum Thema: High ohne Drogen).

30. Volksentscheide auch auf Bundesebene! — Nein. (UNION) Damit die Springerpresse und Privatmedien noch grobflächiger Herumskandalisieren können. Besser (leider) nicht.

Guck mal wer da grinst

(Portrait) – Thomas Middlehof ist auf dem Cover der »Newsweek«. Dort versucht er sich an einer Orson Wells/Dr. Lecter-Pose, aber im Heft beim Artikel über Super-CEOs darf er dann mit Bällchen spielen und quasi als normaler Mensch vor Massenfreizeitbekleidung stehen. Thomas Middelhof

Thomas Middelhof is coverboy of this weeks »Newsweek«.

Hans Peter Duerr: Der Mythos vom Zivilisationsprozess – Freude und Inhalt

Eintrag No. 199 — Zu Beginn der Neunziger habe ich »Traumzeit« und »Sedna oder Die Liebe zum Leben«, die ersten beiden Bücher des Ethnologen Hans Peter Duerr gelesen. Im Februar 1994 habe den ersten Band des fünfbändigen Werkes »Der Mythos vom Zivilisationsprozess« {MDZ} gekauft (und gelesen) und bis diese Woche hat es gedauert, bis ich alle Teile in der für mich erschwinglichen Taschenbuchausgabe zusammen hatte.

In meinem Molochronik-Beitrag Die Hüfte habe ich versucht, einen kleinen Einblick in meine Leseerlebnisse zu MDZ zu geben. Der Wissenschaftskreisen (und wohl auch allgemein weit) verbreitete Glauben an einen Entwicklungs- oder Reifungsprozesses der menschlichen Zivilisation wird von Duerr in Frage gestellt, und wie ich finde, auch überzeugend als Glaube, Mythos oder Idee eingestuft. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei der Soziologe mit Freude am Geschichtedeuten Norbert Elias. Waren in früheren Zeiten (z.B. Antike, Mittelalter) die Menschen schamloser, gewalttätiger und unverdorbener, und haben sich erst mit der Neuzeit und der Moderne zu reiferen und affektbeherrschteren Wesen entwickelt? Sind Menschen sogenannter primitiver oder wilder Kulturen im Vergleich zu Menschen der neuzeitlichen Ersten Welt ebenso unterentwickelt, kindlicher und ungezügelter? Duerr legt deutlich dar, daß dem nicht so ist.

Nicht nur ist diese hochkpmplexe Materie von Duerr spannend aufbereitet worden, der Ethnologe platziert sich (für mich) mit dieser 3568 Seiten starken Arbeit unter die besten Stilisten und Schriftsteller, derer die deutsche Literatur sich sicher sein kann. Zugegeben ist es gewöhnungsbedürftig, ständig zwischen dem Haupttext und den reichlichen und z.T. langen Anmerkungen im hinteren Teil der Bücher und hin- und herzublättern. Mein Tip: Immer zuerst NUR den Haupttext lesen, dann kann man den das Kapitel durch gespannten Gedankenbogen gut folgen, und dies zuförderst zu tun empfehle ich sehr. Die Anmerkungen bieten manchmal lediglich Quellenangaben, oft aber noch weitere Beispiele zum Angemerkten, oder Diskurs-Beiträge, und ich habe es sehr genossen, sie bei einem Zweitspaziergang durch die Texte kapitelweise abzunicken, -schnauben und -kichern.

Überhaupt Diskurs: Da es in diesen Büchern immer schon viel um Sex, Gewalt und die cthonisch-monströsen Aspekte des Menschenlebens geht, haben sie entsprechend viel Kritik und Widerspruch auf sich gezogen. Bewundernswert ist die Ausführlichkeit mit der Duerr an ausfälligere Aufschreier mit besten Manieren Replik-Watschen austeilt, oder freundlich und pragmatisch den Stutzigen ihre Kathegorie-Knoten aufdröselt.

Hier noch ein Service, denn zumindest in meiner Taschenbuchausgabe des Suhrkamp Verlages findet sich kein Gesamtinhaltverzeichnis. Bitteschön!

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Der Mythos vom Zivilisationsprozess

Band Eins: Nacktheit und Scham (Gebunden 1988 / Taschenbuch 1994; 515 Seiten; 222 Abbildungen)

Vorwort …7 Einleitung …9 § 1 Der nachte Held im alten Griechenland …13 § 2 Der nackte Ritter oder »Ich mousz doch sêre bitten« …24 § 3 Die mittelalterlichen Badestuben …38 § 4 Die mittelalterlichen Wildbäder …59 § 5 Das Bad bei den Römern, frühen Christen, Juden und Muslimen …74 § 6 Das Baden in der Neuzeit …92 § 7 Nacktheit in Japan, Rußland und Skandinavien …116 § 8 Der indiskrete Blick …135 § 9 Der nudistische Blick …150 § 10 Privatsphäre und Phantomwände …165 § 11 Die Scham im Bett …177 § 12 Die Sexualität der kleinen Kinder …197 § 13 Der heimliche Ort und der Kackstuhl …211 § 14 Urinieren, Defäkieren und Furzen in der eigenen und in der fremden Kultur …227 § 15 Die Entblößung vor Dienern, Sklaven und Ehrlosen …242 § 16 Der Henker und die Hexe …252 § 17 Die Entblößung als Strafe …267 § 18 Das Mittelalter und die Entblößung des Leibes …283 § 19 Die Nacktheit der mittelalterlichen Schauspieler und Huren …292 § 20 Das irdische Paradies …308 § 21 Der Nachweis der Impotenz und die öffentliche Kopulation …324 Anmerkungen …337 Bibliographie … 463 Register …507

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Band Zwei: Intimität (Gebunden 1990 / Taschenbuch 1994, 625 Seiten; 217 Abbildungen)

Vorwort …7 Einleitung: Antwort auf die bisherige Kritik »Theoretische Einwände« …11 § 1 Die Polemik gegen ›Man-midwifery‹ und gegen das Medizinstudium der Frauen …25 § 2 Die Gebäranstalten und der Gebrauch des Spekulums …35 § 3 Die gynäkologische Untersuchung im 18. und im 19. Jahrhundert …44 § 4 Der Arzt und die Scham der Frau im Barock …53 § 5 Der Arzt und der weibliche Genitalbereich im Mittelalter …67 § 6 Das Beschauen des weiblichen Körpers …80 § 7 Geburtshilfe und ›innere‹ Untersuchung in der Antike, bei den Arabern und bei fremden Völkern …95 § 8 Heimlichkeiten der Geburt und der Schwangerschaft …111 § 9 Gynäkologie und ›Affektstandard‹ im 20. Jahrhundert …124 § 10 Die Genitalscham der Frauen in fremden Gesellschaften …136 § 11 Anstandsregeln für sitzende Frauen …149 § 12 Das Schließen der Schamlippen …170 § 13 ›La Nouvelle Cythére‹ oder Die Schamlosigkeit der Frauen von Tahiti …179 § 14 Die häßliche Vuvla …200 § 15 Die schöne Vulva …222 § 16 ›Theorie‹ der Körperscham …256 Anhang: Antwort auf die bisherige Kritik »Empirische« Einwände I. Noch einmal: Die Ikonographie spaätmittelalterlicher Unzucht …270 II. Prostitution im Mittelalter … 289 III. Nobert Elias im Freudengässlein …316 IV. Die Nacktheit der griechischen Athleten …331 V. Körperkult und Scham bei den Nuba …339 VI. ›Triebverzicht‹ bei den Eskimo …351 Anmerkungen …363 Bibliographie …553 Register …615

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Band Drei: Obszönität und Gewalt (Gebunden 1993 / Taschenbuch 1995; 741 Seiten; 216 Abbildungen)

Einleitung …9 § 1 »Mit den Waffen einer Frau« …33 § 2 Die aggressive Entblößung der Brüste …47 § 3 Die Frau auf der Barrikade …54 § 4 Die versöhnende Entblößung der Brüste …72 § 5 Die Vulva als Schreckmittel …82 § 6 Das Lachen der Götter …91 § 7 Die Entblößung der Vulva als Beleidigung …105 § 8 Die Macht der Frauen …120 § 9 Die Frau als Vergewaltigerin …134 § 10 »Leck mich am Arsch!« …148 § 11 Der bedrohliche Phallus …158 § 12 Penisfutterale und das Problem der öffentlichen Erektion …172 § 13 Der Hosenlatz und die Schamkapsel …193 § 14 Die Wurzeln der Männlichkeit …211 § 15 Rammbock und Festungstor …220 § 16 Das »Ficken« von Feinden und Rivalen …242 § 17 Die homosexuelle Vergewaltigung …259 § 18 Die Kastration des Mannes als Unterwerfung …274 § 19 Die sexuelle Verstümmelung der Frau als Entehrung …284 § 20 Die Entblößung als Demütigung …296 § 21 Im Vorhof der Hölle …309 § 22 Die sexuelle Belästigung von Frauen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit …319 § 23 Das ›Betatschen‹ und ›Begrapschen‹ von Frauen in späterer Zeit und heute …333 § 24 Der Griff des Mannes an die Brüste der Frau …343 § 25 Der Griff der Frau an den Penis oder »Huy fotz, friss den Mann!« …354 § 26 Die Vergewaltigung von Frauen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit …363 § 27 »Schreiender Mund und nasse füd« …373 § 28 Die Täter und ihre Strafe …382 § 29 Kriegsvergewaltigung und die »Truppe der Samennehmerinnen« …391 § 30 Notzucht und Zivilisationsprozess …408 § 31 »Nix Jüdin, du Frau!« …413 § 32 Die Vergewaltigung als Entwürdigung …428 § 33 Die Lust des Täters und die Lust des Opfers …438 § 34 Der Widerspenstigen Zähmung …452 Anmerkungen …461 Bibliographie …659 Register …731

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Band Vier: Der erotische Leib (Gebunden 1997 / Taschenbuch 1999; 669 Seiten; 211 Abbildungen)

Vorwort …9 Einleitung: Paradigm Lost: Theoretische Bemerkungen zur Zivilisationstheorie …11 § 1 Die Viktorianer und das Dekollté …27 § 2 Liberté, egalité, frivolité …35 § 3 Die »ärgerlich und schändlich entblößten« Brüste im 17. Jahrhundert …46 § 4 Die jungfräuliche Königin … 53 § 5 Die »nit bedeckten Milchsäck« im Späten Mittelalter …64 § 6 Gab es im Mittelalter eine ›Oben ohne›-Mode? …74 § 7 »Das tüttel aus dem pousen sprang« 86 § 8 Die Brustscham im Mittelalter …94 § 9 »… möchte mit den Brüsten spielen« …106 § 10 ›Funktionale‹ Brustentblößung: Schandstrafen und Stillen des Säuglings …118 § 11 Die Muttergottes und sündige stillende Frauen …131 § 12 Die Angst vor dem ›Verlust der Figur‹ und die gotische S-Linie …145 § 13 Falsche Brüste …156 § 14 Das Ideal der flachen Brust und der »Bubibusen« …165 § 15 »Mammary Madness«, American Style …176 § 16 Der ›Monikini‹ und seine Folgen …196 § 17 Die freien und die unfreien Brüste …213 § 18 Das Auf und Ab des Büstenhalters …231 § 19 Der BH außerhalb Europas und das Ideal der Hängebrüste …248 § 20 Die ›Enterotisierung‹ der Mutterbrust …261 § 21 Die Töchter des Regen- und die des Handelsgottes …277 § 22 Der »hüpfende Doppelhügel« in Ostasien …289 § 23 ›Oben ohne‹ in Südostasien und Indonesien …301 § 24 Der nasse sári auf der Haut der indischen Frauen …310 § 25 Odalisken mit freien Brüsten …319 § 26 Sind Brüste auch dort erotisch, wo sie unbedeckt getragen werden? …328 § 27 Warum sind weibliche Brüste überhaupt erotisch? …343 Anhang: Antwort auf die zwischenzeitlich erschienene Kritik …354 Anmerkungen …389 Bibliographie …583 Register …653

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Band Fünf: Die Tatsachen des Lebens (Gebunden 2002 / Taschenbuch 2005; 1018 Seiten; 158 Abbildungen)

Einleitung …7 § 1 Der Geschlechtsverkehr in der Öffentlichkeit …117 § 2 Mythen vom wilden Sex der Wilden …132 § 3 Der weibliche Orgasmus unter widrigen Umständen …147 § 4 Die passive Frau …162 § 5 Die aktive Frau …177 § 6 Wer ist der sexuell »Aktive«? …206 § 7 Die weibliche Lust im 19. Jahrhundert …225 § 8 »Stoß zu, Freundchen, heut ist Zahltag« …253 § 9 »Der kützel der wollust«: Lustquell und Ärgernis …271 § 10 »Rape me, nigger, rape me!« Rassistische Sexualphantasien …305 § 11 »Geil wie ein Judd am Schabbes« …340 § 12 Lüsterne Bauern und unzivilisierte Arbeiter …361 § 13 Die Aufklärung der Kinder und der sexuelle »Diskurs« …381 § 14 Das Nachtfreien, die Hochzeitsnacht und die Ahnungslosigkeit der Braut …406 Anhang: Antwort auf die zwischenzeitlich erschienene Kritik …441 Nachwort …525 Anmerkungen …529 Bibliographie …873 Register …1003

Penetickt ter Sächsztähnte

(Portrait) – Die von der Moderne gepeinigten Lemminge der katholischen Welt dürfen sich nun diesen Herren zu Füßen werfen, und sich ihren Segen abholen. Und wenn Benedikt sagt, daß »2 plus 2 gleich 5« (oder »8,35« oder »Franziskus«) ist, dann stimmt das, da gibt nichts zu rütteln, denn der Mann ist offiziell UNFEHLBAR. Na wenn das mal nicht auch für auf ihn schießende Scharfschützen gilt.

Mahlzeit. Amen.

Benedikt XVI.
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