Austin Grossman: »Soon I Will Be Invincible«, oder »Dr. Impossible schlägt zurück«
Eintrag No. 519 — Kurze Meldung zu einem Buch, das ich Ende letzter Woche bei meinem Frankfurter Lieblingsbuchladen »Readers Corner« am Eschenheimer Turm entdeckt habe.
Typische Comic-Stoffe in Prosa zu erzählen ist ja eine spezielle Genre-Phantastik-Kunst für sich. Gibt nicht so viele Autoren, von denen ich sagen kann, dass sie sowohl die entsprechenden Schreibkniffe souverän beherrschen als auch die notwendige Extraportion wahnwitziger Einfälle dazu mitbringen (beispielsweise Kim Newman mit seinen »Anno Dracula«- und »Demon Download«-Bänden, Neil Gaiman mit »American Gods« und »Anansi Boys«, Stephen Fry mit »Der Sterne Tennisbälle« und Hugh Laurie mit »Der Waffenhändler«). Der aus der Computerspiele-Branche kommende Amerikaner Austin Grossman legt mit »Soon I Will Be Invincible« ein beeindruckendes und kurzweiliges Debut hin. Auf grad mal 280 Seiten reißt er ein munter geschriebenes Superhelden-Abenteuer vom Zaun, für das man als Comic viele viele Einzelheftchen zusammenstellen müßte. Dabei folgt er mit großem Geschickt der Tradition von Marvell und DC; versteht es mit Können, die ernsten und berührenden Untertöne anklingen zu lassen, durch welche sich die besseren Superhelden-Comics auszeichnen; nimmt aber auch beherzt die typischen Macken und Formeln dieses sehr amerikanischen, mittlerweile aber globalen Genres aufs Korn.
Kurz: die perfekte Lektüre für alle, die gerne mal eine richtig gute, umfangreiche Superhelden-Geschichte als Prosa lesen wollen.
Kapitelweise abwechselnd erzählen zwei Figuren. Zum einen die neue im Team der Guten, der weibliche Robocob Fatal (Andreas Eschbachs »Der letzte seiner Art« … duck dich und nimm dies!!!). Aber den Anfang macht der im Sondergefängnis einsitzende Doctor Impossible, ein Erzbösewicht der schon x Mal scheiterte, die Weltherrschaft an sich zu reissen. So klingt der Beginn in meiner schnellen Übersetzung:
Sechshundertundachtundsiebzig nutzen ihre Kräfte um Verbrechen zu bekämpfen, während vierhundertundeinundvierzig sie einsetzten um Verbrechen zu begehen. Vierundvierzig sind gegenwärtig in speziellen Sicherheitseinrichtungen für außergewöhnliche Kriminelle eingesperrt. Es ist beachtenswert, dass ungewöhnlich viele von diesen Letztgenannten einen IQ von 300 und höher haben — achtzehn, um genau zu sein. Einschließlich mir selbst.
Die irre doll gestaltete Flash-Site zum Roman bietet ausführlicher viele der Hintergrundinfos, die knapper auch als Anhang des Buches dienen (Auszüge aus der Metahuman-Datenbank und eine Chronologie). Als besonderes Zuckerl bietet die Taschenbuchausgabe von Penguin auch wunderschöne Illustrationen des Zeichners Bryan Hitch.
21. März. 2009, EDIT:
Der Roman ist nun, wie tkl freundlicherweise bescheid gibt, auch auf Deutsch erschienen. Anders als tkl finde ich die Umschlaggestaltung gar nicht schlecht, sondern sogar ganz okey. Nicht super, aber eben auch nicht schlimm. — Ungewöhnlich, dass »Dr. Impossible…« bereits im Oktober 2008 als eBook auf Deutsch erschienen ist (un dich habs verpennt), und jetzt im Mai 2009 als Taschenbuch folgt (und bald auch latürnlich als gekürztes 4-CD-Hörbuch, gelesen von Ralf Schmitz & Annette Frier).
Übersetzt hat den Roman Jürgen Langowski. Ich bin gespannt. Die Leseprobe läst mich ein wenig zittern, denn da finden sich in dem ersten Absatz schon einige komische Verrenkungen, die mir eine Spur zu umständlich dünken (trau ich mich mal als Just-For-Fun-Übersetzer zu kritteln); Lösungen wie ›Verteidigungsministerium oder dessen ausländischen Äquivalenten‹ und ›Spezialgefängnissen für verstärkte Kriminelle‹.
Noch gespannter bin ich freilich, wie Langowski den von mir überaus hoch geschätzten Nick Harkaway und dessen »The Gone-Away World« gemeistert hat (die Übersetzung soll im Herbst 2009 bei Piper-Taschenbuch erscheinen).
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Deutsch: »Dr. Impossible schlägt zurück«; aus dem Amerikanischen übertragen von Jürgen Langowski; 400 Seiten; Droemer/Knauer (eBook 2008) Taschenbuch 2009; ISBN: 978-3-426-50045-3.
tkl
Ein wirklich schöner Tipp, molosovsky. Die Wegnahme des Comic- oder Filmbilds, das ist der Kryptonittest für den Superhelden. Ich akzeptiere sein absurdes Dasein (eventuell), wenn ich ihn sehe. Wenn ich ihn mir erst ausmalen muss, schießt der (kleine) erwachsene Teil meines Gehirns Zweifel und Einwände quer. Bin schon sehr gespannt, ob und wie Grossman damit fertig werden kann.
Auch wenn ich auf Verdacht 10 Klagenfurt-Teilnehmer-Lebenswerke gegen einen Superheldenroman tauschen würde: wer das Teil auf Deutsch haben will, wird wohl seinen eigenen Verlag gründen müssen.
(In Überschrift und Text ist übrigens der Buchtitel ein paarmal verstruwwelt: "Soon I Am..." statt "Soon I Will Be..." /tippexman)
molosovsky Besitzerin
wie ich vermuten möchte. Also mal gucken, ob in den nächsten 12 bis 48 Monaten doch ein »Bald werde ich unbesiegbar sein« irgendwo erscheint. Wäre eigentlich ein perfekter Titel für Haffmans bei Zweitausendeins.
Ach ja, ganz vergessen: Wie man Superheldengeschichten exezllent in Prosa erzählt hat ja schon George R. R. Martin als Herausgeber von »Wild Cards« gezeigt. Da gab es, glaub ich, auch deutsche Ausgaben. Aber, und auch da erinnere ich mich hoffentlich richtig, von den ca. 18 Bänden der Kurzgeschichten-Antho »Wild Cards« wurde nur ein Teil übersetzt. Also ein Flopp bei uns. Insofern ist Deine Skepsis, tkl, was eine hiesige Ausgabe von Grossmans Roman angeht wohl angebracht.
Ach ja. Wie gerne erinnere ich mich an Thomas Steinfeld, der vor ein paar Jahren als Bachmann-Juror darüber sprach, dass (ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis) »die modernen, popkulturellen NeoMythen-Welten der Filme, Comics und Videospiele durchaus Tiefe und Komplexität bieten und es wert sind, dass man Anstrengungen unternimmt, ihren Gehalt zu ergründen und in literarisch-narrativer Form zu beackern«.
lucardus
Endlich fliegt Supermolo wieder durch das Internet! :)
Superhelden in Prosa hatte ich vor etwa 1 bis 2 Jahren bei Lethems "Festung der Einsamkeit", wobei hier neben einem Flugring das eigentliche Superheldendasein nur am Rande vorkam. Wichtiger dabei war aber, dass ich als Comic-Verächter u. a. durch diesen Roman wieder auf den Geschmack gekommen bin und seitdem die Sandman-Neuausgabe verfolge und als langjähriger "Schläfer" endlich Alan Moores Welten entdeckt habe, während ich zur Jugendzeit ab und an mal mit Der Spinne gemarvelt habe und den Eisernen auf diversen Flügen begleitet habe, wobei mir dann Perry Rhodan deutlich spannender kam und die Comicwelt irgendwann unbeachtet blieb.
Ich kann zwar nicht auf wissenschaftlichem Niveau über die Transubstantiationsmythen eidetischer Zwerg-Ork-Hybride palavern, aber mich über Mieville, Clarke und andere außergewöhnliche Phantasten auszulassen, ohne gleich ein "den Scheiß les' ich nicht" an den Kopf geschmissen zu kriegen, würde mich sehr reizen.
Aber ich hasse ganz persönlich das Scheiben und Diskutieren mittels einer Software, die ursprünglich nur zum "Anschauen" und "Blättern" gedacht war. Es macht einfach Mühe, der ganze Text geht flöten, wenn man nicht aufpasst und die Verbindung von Höllendämonen im Untergrund abgebaut wird, während man noch nachsinnt, ob der Mann nun Peak oder Peake oder Paeke geschrieben wird.
Dumm nur, dass Mailinglisten heutzutage bloß mit Offenbarungseid oder Generalerlaubnis für SPAM zu haben sind. So was wäre mein Traum für ein lesefreudiges Trüppchen, das sich gern auch mal randwärts bewegt und keine Scheu hat Dunsany oder Alternate History von Philip Roth auf der selben Plattform zu besprechen ohne gleich mit "Bähs" oder peinlicher Betroffenheit konfrontiert zu werfen.
Das klingt vielleicht elitär oder randgruppenbevorzugend, wäre in meinen Augen aber einfach eine Nische für leicht Gestörte, die nicht jeden Tag "die Hits der 80er, das Beste aus den 90ern und sonst nix" hören wollen.
Ich habe sowas noch nicht gefunden. Darum klammere ich mich auch so an Dinge wie das oliblog und dieses hier. Aber für Diskussionen sind Blogs und Foren eindeutig nicht meine bevorzugte Plattform.
molosovsky Besitzerin
Umgekehrt ist es schön, auch wieder was von Dir hier zu lesen! Zu einigen von Dir erwähnten Dingelchen.
Lethem: Hab ich reingelesen. Mir zu umstandshuberisch. Nicht meins.
Alan Moore: Gab mit ihm gerade ein dolles, langes Interview im englischen SF-Magazin »Death Ray«. Das wichtigste: Alan wird wohl bis auf LGX mit Comics erstmal aufhören/pausieren und sich seinem großen Romanprojekt »Jerusalem« widmen, das wir frühestens um 2010 erwartetet dürfen. — Nebenbei: ich sollte mal als Fingerübung »Voice of the Fire« übersetzten :-)
Ich lese ansonsten raus, daß Du Foren und Blogs meidest und lieber eine Mailingliste hättest. Ich persönlich finde Mailinglisten ganz okey, auch wenn da schnell viel zu viel zum Lesen anfällt (bzw. eine Liste schnell verdümpelt. Es scheint da kaum einen gesunden Mittelweg zu geben).
tkl
Kleine Produktinfofußnote. Dem "Soon I Will Be Invincible"-Hardcover von Pantheon fehlen die Illustrationen von Bryan Hitch, die scheinen tatsächlich eine exklusive Dreingabe des Penguin-Taschenbuchs zu sein. Falls also jemand Hardcover & Illustrationen mag, wird er jetzt Buridans Esel. Oder rettet sich mit der Comicindustrieempfehlung: collect 'em all!
Danke für den Link zur Norman-Forumsdiskussion, molosovsky. Beim weiteren Herumschmökern dort drüben habe ich auch einen Hinweis von Dir auf dieses Lovecraft-Interview gefunden. Das Ding ist ein schön gestalteter Jux, aber eben doch ein Ulk der Nachgeborenen. (/alte-götter-dokumente-kontrollpolizei)
molosovsky Besitzerin
@tkl: Danke für die Detail-Info! Auch die UK-Hardcoverausgabe müßte die Illus enthalten (da die Anzahl der Seiten gleich ist) . Ich empfehle aber hier — wenn schon, denn schon — eh nur die die gemmigeren Gemmen.
Zur ›Echtheit‹ des Lovecraft-Filmchens sag ich nur: hihihi.
molosovsky Besitzerin
Thomas von »Schöner Denken« ist nicht so gnädig wie ich. Er bringt aber die Schwächen des Romanes schon auf den Punkt.