Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«, oder: Leinen los, oh Ihr Gefährten der Fährnisse!
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Eintrag No. 614 — Eingedenk meiner eigenen, in der Erschöpfung versackten Ersterfahrung mit Thomas Pynchon (1937) und seines Rufes, ein Autor extrem vertrackter Romane zu sein, bin ich erstaunt, wie leicht es mir gefallen ist, »Gegen den Tag« zu verschlingen. Immerhin brechen sich an Pynchon, genauer gesagt seinem Werk (denn der Mensch Pynchon ist extrem medienscheu und entsprechend wenig greifbar, von Mythen und Kolportagen abgesehen), seit dem Erscheinen der fulminanten Phantasmagorie »Die Enden der Parabel« (Amerikanisch 1973 als »Gravities Rainbow«, deutsch 1981) die Diskurswellen über das, was man ›postmoderne‹ Literatur nennt. Für die einen hat sich Pynchon durch diesen abseitigen und ungestümen Roman, der mit Bananengemansche beginnt, und dann Raketen-Ballistik und Erektionen, Mathematik und Esoterik, Halluzinationen und Rausch vor dem Hintergrund der Kriegsjahre 1944/45 auffährt, als König der versponnenen Großfabulierer etabliert. Für die anderen ist dieser Roman ein Musterexempel verwirrender und sinnloser Geschmacks- & Planlosigkeitszumutungen. Bis dato bin auch ich noch nicht wirklich warm geworden mit »Die Enden der Parabel« und habe das Trumm nach einem Drittel erstmal beiseite gelegt, unter anderem weil mich beispielsweise ein seitenlanges Fäkaldelirium vor den Kopf gestoßen hat, bei dem eine Figur im Tagtraum einen Kloabfluss hinabgespült wird[01], aber vor allem, weil Pynchon hier den Kniff des fließenden Perspektiven- und Ebenenwechsels derart auf die Spitze treibt, dass ich allerweil auf nebenbei gemachte Notizen zurückgreifen musste, um nicht völlig die Übersicht zu verlieren. Klarer Fall: ein Buch für mehrere freie Tage und dann heißt es, mit wenig Schlaf und mit Schmackes einfach durch. Immerhin gibt’s auch fetzige Erzphantastik nach meinem Gusto, zum Beispiel wenn ein Tagtraum äußerst munter schildert, wie eine Riesenamöbe London unsicher macht und wie man ihr vergeblich beizukommen trachtet.
Ganz anders der Riesenroman »Gegen den Tag«, der mich von der ersten bis zur letzten Seite derart heftig mitgenommen und für Pynchon eingenommen hat, dass ich in rascher Folge seine beiden ersten Romane »V.« (1961, dt. 1968) und »Die Versteigerung von No. 49« (1966, dt. 1973) las, und siehe: vor allem zweiterer ist alles andere als sperrig.[02]
Einige Leserstimmen intonierten den vertrauten Klagegesang über den zerfaserten Handlungsverlauf von »Gegen den Tag«, vermissen einen klar ersichtlichen Hauptplot der einen bei der Stange hält. Zudem tummeln sich in dem dicken Ding etwa eineinhalb Dutzend Hauptfiguren und zig Neben- und Randfiguren, und die Pausen zwischen Absetzten und Wiederaufnehmen eines Hauptfigurenstranges können bei diesem Übertausendseiter schon mal hundert Seiten und länger sein. Mit der Erwartungshaltung »Ich will einen klar verständlichen Plot!« wird man hier sicher nicht froh, und ich verweise daher auf dessen ausgeprägten Panorama-Charakter. — Kurzer Geschichtsausflug: als Panorama wurden im 19. und 20. Jahrhundert jene begehbaren, mit allen Tricks der illusionserzeugenden Theatermalerei- und Kulissenkunst ausgestatteten 360°-Rauminsterllationen bezeichnet, in denen sich das wunderschausüchtige Publikum in den wuchernden Großstädten der ersten Welt vergnügen konnte. In solchen Panoramahäusern konnten zuhause gebliebene Ottonormalverbraucher sich einen Eindruck verschaffen von Eiswüstenein, neuweltlichen Pionierlandschaften, oder Schlachtengetümmel.[03] — Nun sind Romane zwar keine überdimensionierten Wimmelbilder, über die der Blick der Betrachter frei schweifen kann, denn Leser sind genötigt, sich linear von der ersten bis zur letzten Seite durchzufräsen. Jedoch ermuntern gelungene Romane dazu, nachdem man alles gelesen hat, die Gesamtschau im eigenen Kopf zu veranstalten. Einerseits ist die bildnerische Gesamtschau von »Gegen den Tag« episch, enorm detailreich, und die Art, wie die thematischen Felder und Spannungen kombiniert oder auf- und gegeneinander gewichtet sind, scheint mir vom technisch-mathemathischen Verständnis des gelernten Ingenieurs Pynchon geprägt zu sein. Der Zwang zum linearen Erlesen lässt es andererseits zu, dass man Romanen eine gewisse Verwandtschaft mit den musikalischen Künsten andichten kann, und Pynchon ist nun ein Musikfan, vor allem ein Jazzfan, aber statt klarer Entwicklung bekommt man virtuoses Improvisieren geboten, mit allem, was zu dieser Kunst gehört, vom blödelnden Variieren der Situationskomik bis hin zur meditativen Versenkung in Stimmungen.
Auf welches Hauptthema man »Gegen den Tag« auch verkürzen will, man kann diesem Riesenschinken dabei nicht gerecht werden. Forsch drauf los behauptet, schlage ich vor, dass die große Themenlandschaft von »Gegen den Tag« aufgefaltet wird durch Fragen über die, und Zweifeln an der (Un-)Zielgerichtetheit der Geschichte der modernen Welt und ihrer Individuen. Dazu spannt das Buch einen Zeitbogen von der Großen Weltausstellung in Chicago 1893, bis knapp nach Ende des Ersten Weltkrieges. Eine ungeheure Milieu- und Umgebungs-Vielfalt wird aufgeboten um zu illustrieren, wie sich damals die Weltläufte beschleunigt und sich zerfasernd in jene unheilvollen Strudelbewegungen bezogen wurden, die zu den großen (größtenteils menschengemachten) Katastrophen des 20. Jahrhunderts führten. Den Reigen der Bösewichter führt dabei der vulgärkapitalistische Industriekapitän Scarsdale Vibe an, der seine gewissenlosen Handlanger unter anderem ausschickt, um unbequeme Bergarbeiter-Sozialisten zu meucheln. Von den gegen solche wie Vibe revoluzzenden Verkündern des Evangeliums des Sabotage-Dynamits bringt einer, Moss Gatling, den »Gegen den Tag« und gegen die Kontroll- und Unterwerfungsabsichten gerichteten Impuls des Widerstands mit folgenden Worten auf den Punkt:
Egal, wie sehr man sich nun dafür ins Zeug legt, Pynchon zum Großmeister der engagierten, modernen Anspruchsliteratur zu stilisieren, man mindert den Status dieses Autor keineswegs, wenn man ihn ›nur‹ als Lieferanten ausufernder Abenteuerlichkeiten und Blödeleien nimmt (inklusive alberner und zotiger Lieder, die von den Figuren immer wieder angestimmt werden). Die für die E-Literaturmedien schreibenden Rezensenten drücken sich nicht selten davor, auf die ausgesprochen heftigen Phantastikstrahlung von »Gegen den Tag«hinzuweisen, doch hier, in einem Phantasten-Blog, ist dieser Aspekt des Buches natürlich besonders zu betonen.
Den deutlichsten roten Phantastikfaden liefern die an die ›scientific romances‹ von H. G. Wells und die ›voyages fantastique‹ von Jules Verne erinnernden Luftschiffabenteuer der ›Gefährten der Fährnisse‹[05] (deren Vornamen — Chick, Miles, Lindsay, Randolph und Darby — alle von Größen des Jazz entliehen sind; außerdem gehört noch der intelligente Hund Pugnax zur Crew). Da wird die Hohlwelt durchquert, oder sich so weit in astrale Höhen vorgewagt, bis man in Gegen- und Nebenwelten wieder runterkommt. Auch wühlt man sich in einem Land-U-Boot unter der asiatische Wüste hindurch, um in Städten, die schon vor langen Zeiten vom Sand verschluckt wurden anzudocken.
Geisterhafte Erscheinungen treten regelmäßig auf, mal in Gestalt einer jungen Frau (Yashmeen Halfcourt), die so grazil und anmutig ist, dass zuweilen das Licht durch sie hindurchscheint; mal als Vatergeist, der bevorzugterweise bei Eisenbahnfahrten oder im Traum einem seiner Söhne als anspornender Rachemahner erscheint; mal als grausamer österreichischer Offizier, der aufgrund seines Sadismus als Vampir gilt; ein andermal treibt ein gutbetuchter englischer Dandy seine nocturale Empfindsamkeit soweit, dass er vorzieht wie eine Fledermaus im Keller kopfüber schlafend zu verbringen. – Verschiedene nach der Weltherrschaft strebende Mächte strecken ihre Hand nach dem geheimnisvollen Islandspat aus, das die Eigenschaft besitzt, Dinge die man durch ihn sieht zu verdoppeln. Das Motiv der Verdoppelung wird weitergetrieben zur Bifuraktion, was einige Figuren bis hin zur Kunst bringen, zugleich an zwei Orten zu sein, zum Beispiel, wenn jemand bequem im Sessel liest, und sich zugleich in der Arktis befindet. — Auf Konferenzen beschäftigen sich Wissenschaftler seltsamer Disziplinen mit den Möglichkeiten der Zeitreise und den Geheimnissen des Aethers, oder trachten danach, die Turbulenzen und Vibrationen von Tornados in Sprache zu übersetzten, um im entsprechenden Code mit den schicksalsmächtigen Wirbelwinden kommunizieren zu können. — Ein indischer Yoga-Wissenschaftler, beherrscht die Kunst, durch komplizierte Verrenkungen (sprich: dimensionale Krümmungen des Raumes) sein körperliches Aussehen (bis hin zum Geschlecht) zu verändern, so wie unsereins mittels Fernbedienung den Sender wechselt. — Zeitreisende aus der Zukunft, und Flüchtende von den Massakern der kommenden Weltkriege und womöglich auch der ihnen folgenden Stellvertreterkriege des Kalten Krieges und des Krieges gegen den Terror schleichen durch die Welthintertüren. — Ein sprechender, gutmütiger Kugelblitz, begleitet kurz eine Familie. — Ein den Atlantik überquerendes Passagierschiff verwandelt sich gleitend in ein Schlachtschiff. — Mit einem raffinierten Lichtspielapperat kann man nicht nur aus einem beliebigen Photo die Vergangenheit wieder erscheinen lassen, sondern bei entsprechender Manipulation der analysierten Lichtkonserve lassen sich auch alternative Seitenpfade des Möglichkeitsgeflechts ersehen.
Das größte phantastische Ereignis wird in »Gegen den Tag« von einer Katastrophe verursacht, die nur zu deutlich zeigt, was die tatsächlichen kosmischen Bedrohungen aus der Wirklichkeit für alle menschengemachten Pläne sind: Naturkatastrophen, hier der Meteoreinschlag Tungkuska vom 30. Juni 1908. Es folgt eine kurze Kostprobe der Kapriolen, die in Pynchons Welt dem Kosmosschlag auf den Percussionskörper Erde folgen:
Ebenso reichlich geboten wird prickelnde Situationskomik (wenn ein kauziger Wild West-Fuzzi sich auf eine sinnliche Eskapade mit einem Schoßhündchen einlässt), haarsträubende Äktschn (wenn ein Abenteurer in einer Lebensmittelfabrik vom schrecklichen Tod durch Mayonnaise bedroht wird), bezaubernde Liebes- und Erotikabenteuer, Einblicke in Elends- und Luxuswelten mit all ihren durch von ideologischen, politischen, spirituellen und transzendenten Verblendungen befeuerten Intrigen. Zwar mag »Gegen den Tag« unverschämt vollgestopft mit Details und ausufernd bei seiner Weltenwanderei sein, aber folgt man den Rat von Pynchon-Veteranen, und schert sich (beim ersten Mal) einfach nicht um Fragen aufwerfende Stolperstellen, sondern liest mit gebotener Sturheit weiter, dann kann man wahrlich etwas erleben.
SERVICE:
Ausführliches Inhaltsverzeichnis zu »Against the Day«
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Thomas Pynchon: »Gegen den Tag«; Deutsch von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren; 1596 Seiten. Gebundene Ausgabe: Rowohlt Verlag 2008; ISBN: 978-3-498-05306-2. Taschenbuch: Rowohlt Verlag, 2010; ISBN: 978-3-499-24609-8:
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ANMERKUNGEN:
[02] Der Griff zu »Die Versteigerung von No. 49«, dem kürzesten Roman von Pynchon, sei als Einsteig für Neugierige angeraten, die bezweifeln die Ausdauer/Konzentration für seine dicken Romane aufbringen zu können. Am erstaunlichsten ist, wie dieser von Verschwörungsunsicherheiten gesättigte Roman trotz, oder gerade wegen seiner Kürze durch Ideenfülle und Quadruppel-Bödigkeit brilliert.
Auch »V.« ist reizvoll facettenreich, wenn auch schon formal schwerer, da sich hier verschiedenste Handlungsfäden und Episoden lange Zeit nur auf äußerst vage Art aufeinander beziehen. Doch auch bei V. macht die kunterbunte, humorige, manchmal sogar deftige Mischung aus Fabublödelei und hochtrabender Spekulation Laune. ••• Zurück
[03] Ein modern-einheimisches Anschauungsexempel bietet das thüringische Panorama Museum nahe Bad Frankenhausen, in dem ein zylindrisches Ölgemälde von Werner Tübke, im Format 14 x 112 Meter, mit über 3000 dargestellten Figuren, die Bauernkriege von 1524 in einer prächtigen Rundschaukunde präsentiert. ••• Zurück
[04] »Gegen den Tag«, Seite 133/134. ••• Zurück
[05] Im Original tragen sie den schmissigen Namen ›Chums of Chance‹, was auch als ›Kumpel des Glücks‹ übersetzbar wäre. ••• Zurück
mythosoph
Hallo Molo,
vielen Dank insbesondere für:
Dann werde ich die Stolperstellen jetzt einfach mal links liegen lassen; ich hab bisher knapp 800 S. gelesen - jedoch immer mit kleineren und größeren Pausen. Irgendwie bin ich die Sache bisher falsch angegangen und hab mir als Fast-food zwischendrin immer wieder "was entkrampfendes" gegönnt, und das obwohl ich den Pynchon bisher sehr mochte. Insbesondere die Abenteuerromanpassagen (ich habe da sogar so eine Stadtuntergangsszene im Kopf die mich an Lovecraft und das kosmische Grauen erinnert hat, mag sein, dass ich mich da aber jetzt gerade vertue!), aber auch das Spiel mit der Interdimensionalität haben es mir angetan. Du hattest da vor kurzem auch ein Sachbuch zum Thema erwähnt, das dir da weitergeholfen hat; im ähnlichen Kontext hab' ich parallel zum Pynchon in Michio Kakus "Im Hyperraum - Eine Reise durch Zeittunnel und Paralleluniversen" gelesen - das hat mir insbesondere was die Erwähnung von Riemann (und der Theorien die darauf aufbauen, Kaluza-Klein etc pp) weitergeholfen und die Erfahrung vertieft - dadurch das sich bei Pynchon abstrakt-theoretische Naturwissenschaft unmittelbar mit den Mitteln hoher Prosa vermischt, entsteht ein unfassbar 'phantastischer' Cocktail, wie ich finde.
Dank deiner Rezension, versuche ich mich jetzt nicht mehr so sehr aufhalten zu lassen; das Gefühl das man etwas übersieht (eine Anspielung, eine historische Begebenheit, eine literarische Hommage) muss ich also abstellen und Pynchon als Pynchon und nicht als frechen Epigonen werten ;)
Merci beaucoup für die Hilfe.
-mythosoph
molosovsky Besitzerin
… denn so albern und krampfig das klingt: gerade zu diesen vertrackten und als schwierig verschrieenen Werken versuche ich Rezi-Empfehlungen zu verbreiten, die helfen sollen, solche Monsterwerke zu genießen.
Ich kämpf mich lieber bei so einem Extremwerk durch knifflige, undurchschaubare, vielleicht auch fade Seiten Gestrüpp und genieße dann den intensiven ›Wahnsinn‹ (manche nenn es auch ›Erhabenheit‹ oder ›Phantastik‹ oder ›Krassheit‹ usw) des gleichen Werkes. Werke die hingegen auf Nummer Sicher gehen, bieten meist nur das erste, und nix oder zuwenig vom zweiten. — Allerdings lese ich sehr viel an und gründle ausgiebig. Vielleicht habe ich deshalb so viel Leseglück und Geduld mit Sachen, bei denen ich merk, MenschMolo, das ist was Besonderes. Und Pynchon ist sicher eine Liga für sich. Man kann mit seinen Büchern einfach zu viel Gaudi haben, um sich von den Komplexitäten vergraulen zu lassen.
Medienjunkie
1500 Seiten Pynchon wären mir glaube ich doch etwas zu viel des Guten. Einstweilen würde ich mich deinem Tipp für Einsteiger anschließen und diesen ebenfalls die No.49 empfehlen. Wirklich erstaunlich, wie man so viele Gedankenspiele, Geschichtsrückblicke und skurrile Personen/Situationen auf 200 Seiten unterbringen kann.
Mit "Vineland" bin ich jetzt auch durch, habe dafür aber doch 3 Wochen gebraucht. Salman Rushdies Backcover-Statement, das wäre der zugänglichste Pynchon, kann ich mich schon mal nicht anschließen, da mir da doch zu viel und zu unvermittelt zwischen den Zeitebenen und Handlungssträngen hin und her gesprungen wurde. Irgendwie endet das Ganze dann auch völlig unvermittelt, so als hätte Pynchon irgendwann keine Lust mehr gehabt, weiter zu schreiben. Jedenfalls war mein Eindruck, der Roman hätte genauso gut 100 Seiten vorher oder später enden können.
molosovsky Besitzerin
MoinMoin Medienjunkie.
Jupp, da hab ich auch nicht immer Laune zu, mir einen 1500-Seiter ans Bein zu binden. Immerhin liegt jetzt das Taschenbuch auf Deutsch vor, da kann man »Gegen den Tag« auch unterwegs besser lesen.
Rushdie schrieb ja auch, dass »Vineland« ›vermutlich‹ der zugänglichste Pynchonroman sei. Fragt sich halt: zugänglich für wen? Nicht jeder mag in weiter zurückliegende Vergangenheiten reisende historische Ausflüge. Da fallen dann »Mason & Dixon«, »Gegen den Tag« und vielleicht auch »V« und »Die Enden der Parabel« für viele wohl weg. — Dennoch, ich stimme Dir zu und würde erstmal »Die Versteigerung von No. 49« als zugänglicher als »Vineland« einstufen … außer vielleicht, man legt besonderen Wert auf einen Roman, der eben den Reagan-Achtzigern die Hippie-Sechziger entgegenstellt. — Und Immerhin: von »Vineland« hab ich die ersten zwei Kapitel auf Englisch angelesen und fand die tierisch witzig.
Ich weiß ja nicht, ob ich mich wiederhole, aber der wohl in diesem Jahr noch auf Deutsch erscheinende neuste Pynchon, »Inherent Vice«, ist für mich derzeit die erste Empfehlung als der ideale Einstiegspynchon.
lapismont
Gegen den Tag lese ich jetzt schon seit einiger Zeit immer freitags. Am Anfang dachte ich, hey da kommt man immer wieder raus und schwer rein, aber merkwürdigerweise stimmt das nicht in Gänze.
Ich hab vielmehr das Gefühl, das das beständige Wiedereintauchen die Lektüre nachhaltiger gestaltet.
Der Pynchon ist für mich quasi der leckere Wochennachtisch. Und der richtigen Portion ist es immer wieder eine Freude, diesen berauschenden Satzkunstwerken zu folgen. Auch wenn man danach nie wieder selbst einen Satz schreiben möchte.
lapismont
Moin Molo,
die Lektüre hat mich zu einem lyrischen Text verführt. Da Du daran auch irgendwie Schuld trägst, spendiere ich Dir den Link.
http://www.leselupe.de/lw/titel-Gegen-den-Tag-99016.htm
Bin im Übrigen jetzt deutlich über die Hälfte gekrabbelt und habe so eine Ahnung, wohin sich der Roman entwickelt. Das würde ich einem normalen Buch nicht verzeihen, mich 800 Seiten hin und her zu schubsen. Aber hier ... Seltsames Buch.
molosovsky Besitzerin
Eine wunderbare Entdeckung für mich, was für ein guter Dichter Du bist, lapsimont.
Danke für den Link. Gefällt mir sehr gut.
»Gegen den Tag« kann man alles verzeihen, was das Buch einem zumutet, finde ich. Ist ein Roman, der einem die Augen dafür öffnet, WAS Literatur sein kann, wenn sie richtig in die Vollen greift.
pfister
Da muss man sich durchwühlen, vielleicht sogar nebenbei Notizen machen, und nach läppischen 200 Seiten lässt einen der Roman nicht mehr los. Ab dann muss man sich zu Notizen zwingen, weil man jetzt schon die verschiedenen Zweige und Verästelung kapiert hat.
Ein ganz Großer, kenne kaum einen lebenden Literaten, der ihm das Wasser reichen kann. Allerdings glaube ich schon, dass Pynchon in "Gegen den Tag" ein Hauptthema hat und das erste Zitat der obigen Rezension bringt es doch bereits zum Ausdruck: Für mich ist Pynchon ein beinharter Systemkritiker, einer, der noch nicht verblödet und mundtot gemacht ist, der die Dinge noch beim Namen nennt, und das kann man bezüglich unserer Gesellschaft eben am besten, wenn man zu ihren Anfängen zurückgeht, oder wie unser lieber Karl Marx es auszudrücken beliebte: zur ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. Genau dort taumeln die Traverse-Geschwister und vorher der Vater durch die Zwangsläufigkeiten der Geschichte.
molosovsky Besitzerin
Dem kann ich nur zustimmen. — Es gibt wenig Romane aus den letzten 20 Jahren, die mich so beeindruckt, so eingefangen haben.
Was ich endlich mal anpacken muss, ist, meine Mathe-Kenntnisse bezüglich der im Roman genannten Gebiete zu vertiefen.