molochronik
Donnerstag, 7. Juli 2011

»Eine andere Welt« (16) – Kap. XIV: Die Kunstausstellung der Marionetten von Grandville & Plinius dem Jüngsten

Eintrag No. 730Zur Inhaltsübersicht.

Die Illustrationen einer alten französischen Ausgabe habe ich dem flick-Album von blaque jaques entnommen.

XIV. Die Kunstausstellung der Marionetten.

Die Kunst, die Kunst ist heilig! Sämmtliche Berichte.

Weiter Nichts als die Fortsetzung des Vorhergehenden.

»Wie?«, sagte Schwadronarius zu sich, »es gibt also überall Akademien und ein Comité übt hier wie auf der Erde sein Recht über Leben und Tod von Kunstwerken aus. Auch hier werden gute Bilder verworfen und schlechte mit dem Preise belohnt und angekauft und Dame Fortuna treibt ihr loses Spiel bis zu Ende dieses Trauerspiels, indem sie noch zu guter Letzt Vulcan, wie er Mars und Venus ertappt, einem Priester, Leda mit dem Schwan der Vorsteherin einer Töchterschule oder das Portrait des heiligen Ignatius einem Generalsuperindentenden zuwirft. Ihr armen Künstler, wie seid Ihr zu bedauern!«

In demselben Augenblick wurden drei Frachtwagen voll von Meisterwerken im Hofe des Gebäudes, in welchem die Ausstellung Statt fand, abgeladen. Es waren Gemälde der berühmtesten lebenden Künstler, die erst ankamen, als die Ausstellung schon begonnen, und dadurch nach weiser Berechnung die Aufmerksamkeit des Publicums auf sich ziehen mussten. Einer jener großen Meister, der schon seit langer Zeit den Genius noch dem Ellenmaße zu schätzen pflegte, hatte sogar die Erlaubnis erhalten, die Tor- und Türflügel ausheben zu lassen, da sein unsterbliches Werk zu groß war, um auf gewöhnlichem Wege in den Saal zu gelangen.

Es war ein Stossen, Drängen, Treiben, im Hofe wie in den Gemächern, wovon man sich keinen Begriff macht. Tapezierer nagelten den Ruhm der Künstler fest; Tagelöhner schleppten ihn auf den Schultern herbei; dazwischen Maler, die sich schon an dem Strahlenschein ihrer Unsterblichkeit sonnten, welche die Journalreferenten ihnen fest versprochen, verkannte Genies, deren außerordentliche Leistungen durch die Kabalen der Akademiker zurückgewiesen worden, Gaffer und Recenzenten, Kunstfreunde und Kunsthändler; Alle trieben sich bunt durch einander und erwarteten mit Ungeduld den Augenblick, in welchem das Heiligtum der Künste dem Publicum zugänglich fein würde.

Endlich schlug die heißersehnte Stunde; Alles eilte herbei und Schwadronarius sah sich plötzlich, wie durch ein Wunder, von der Menge getragen, in den Salon versetzt.

Einer seiner Nachbarn ließ seinen Catalog fallen, setzte aber, seltsamer Weise, seine Wanderung durch die Säle fort, ohne sich im Mindersten darum zu kümmern. Schwadronarius hob den gedruckten Führer auf, und suchte in demselben nun eifrig diejenigen Nummern, die seine Aufmerksamkeit besonders fesselten. Es waren nur solche, welche die Marke »Preisstück« oder »Verkauft« trugen und deren nähere Beschreibung wir hier folgen lassen.

Verzeichnis der in der 1777 Ausstellung der Königlich Ypsilonischen Akademie zu Tezett befindlichen Werke der Kunst.

Raphael Weiß aus Sandathen, gegenwärtig in Tiberias. 100. »Der Engel der Vernunft, der Gottes Gnade für das Comité anfleht.«

Caspar Grünkohl aus Krautstadt. 200. »Virgils Eloge«: Tityre tu patulae recubans sub tegmine fagi Sylvestrem tenui musam meditaris avena. {Anfang der ersten Ekloge von Virgil: Tityrus, unter dem Dach der gebreiteten Buche gelagert; Sinnst du, ein ländliches Lied zarthalmigem Rohr zu entlocken.}

Jeremias Bibeler aus Mühlnachflorenz. 410. »Der Durchgang durch das Rote Meer.«

Fortunio Zange aus Sandathen. 329. »Torsos zweier Vestalinnen.«

Herrmann Maienlust aus Dusselstadt. 802. »Kinder, die mit Maikäfern spielen«. Der kunstreich geschnitzte Rahmen hat die Inschrift: Maikäferlein, des Frühlings Kind, Das sich von Grase nähret lind, Ist schöne Zierde der Natur Und Lust der Jugend auf der Flur.

Nicolaus Hundepieter aus Zaanredam. 101. »Tobende Wellen«. — (Preisstück)

Michael Lack aus Fabrikenlust. 1843. Deckel einer Tabaksdose, das Jüngste Gericht darstellend, auf Porzellan gemalt.

Hans Bräunler, Hofmaler des Fürsten von Hammeldorf. 130. Rückenbild der Frau von Icks! — Lebensgröße, in Öl all prima, in drei Minuten gemalt. — Eigentum des Originals.

Narciß Scheidwasser aus Goldstadt. 9999. Außerordentlich kunstreich gearbeiteter, in Holz geschnitzter Rahmen, mit galvanoplastischer Vergoldung. Anm. Zu der Vergoldung wurden 1379 holländische Ducaten aufgelöst und verwandt.

Johann Maria Nepumuk Malz aus Bierheim. 600. »Der Zeitungsleser«

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Brillen und Lorgetten, Operngucker und Augen, Jedes bewundert diese Meisterwerke auf seine Weise. An der Tür wird das Kunstblatt, redigiert von einer Gruppe von Pinseln, feilgeboten. Schwadronarius kauft sich ein Exemplar. — Erst seit zwei Stunden ist die Kunstausstellung geöffnet und der Schußbericht des Referenten schon gedruckt hier zu lesen. Es heißt darin unter Anderem:

Die vorjährige Kunstaustellung war bei Weitem großartiger. Unsere berühmtesten Maler haben Nichts eingesandt. Die Kunst ist furchtbar in Verfall, sie liegt in den letzten Zügen, sie sank in die alte Barbarei zurück.

Ferner:

Unvergleichlich ist das Bataillenstück {= Schlachtenbild} unseres großen Meisters Johannes Mischlein. — Welche Verwirrung, welcher Kampf, welcher Wirbel, welcher Orkan der Leidenschaft! Wütende Häupter, drohende Arme, Säbel, Piken, Pallasche, Alles scheint zu leben, Alles tritt aus dem Bilde heraus. — Die Aufseher werden wohl tun dafür zu sorgen, dass die Zuschauer diesem erhabenen Bilde nicht zu nahe kommen; Unfälle würden unvermeidlich sein.

Als man heute Morgen ein Fenster öffnete, um eine Dame die von der Hitze ohnmächtig geworden war, frische Luft schöpfen zu lassen, flogen einige Sperlinge herein und wollten sich auf die Bäume der Landschaft Nr. 3734 von Heinrich Saftgrün aus Dusselstadt setzten, welche einen Kirschenberg darstellt, und die Kirschen anpicken. Das Bild, das der Meister einer russischen Fürstin und großen Kunstfreundin abgeschlagen, die ihm hunderttausend Rubel Silber dafür geboten, um es seinem Vaterlande zu erhalten, lief große Gefahr sehr beschädigt zu werden, denn die Sperlinge liessen sich mit außerordentlicher Mühe vertreiben.

Ein Sonnenaufgang von dem genialen jungen Künstler Andreas Glutschein, der eben erst aus Tiberias zurückgekehrt ist, blendete die Beschauer dermaßen, dass sie die Augen schützen mussten, um das Meisterwerk mit Genuss betrachten zu können.

Leider hat unser berühmter Austerfalk dies Mal nur ein einziges Stillleben eingereicht, ein Messerchen und eine zerschnittene Zwiebel auf einem Tischchen darstellend. — Es ist für den geringen Preis von 200 Hansd'or Eigentum des großen Kunstfreundes, des Grafen von Ricksstumpfgoldhausdorf auf Serbenhochstadthausen, geworden und bestimmt, dessen neu erbauten Speisesaal als Hauptschmuck zu zieren.

Was die Werke der Sculptur betrifft, so erwähnen wir nur »Der Finger Gottes«, ein gigantisches Werk, dessen Origialität die schönsten Conceptionen der Antike und des Cinquecento wie der Renaissance weit überflügelt. Der Meister Wilibald Haumeister hat zwanzig volle Jahre seines Lebens darauf verwandt und es erst heute Morgen mit besonderer Erlaubnis im Saale der Ausstellung selbst vollendet; eine unerhörte Gunst, in welcher man deutlich den Finger Gottes sieht. — Auch sagt man, dass Se. Majestät unser allerfrömmster König es nicht allein gekauft, um den Eingang der Hofkirche damit zu schmücken, sondern auch sogleich das noch fehlende notwendige Seitenstück, »Das Auge der Vorsehung«, bei dem großem Meister bestellt habe. Möge eine höhere Macht ihm Kraft und Gesundheit verleihen, dass er dies unsterbliche Werk — dereinst der größte Schmuck unserer sich reich ausgestatteten Residenz — glücklich ausführe!

»Wahrlich!«, rief Schwadronaius, »das nenn’ ich unparteiische Kritik!«

Unser Neugott wähnte noch auf Erden zu fein und überzeugte sich erst von seinem Irrtum, als er in einen Saal kam, vor dessen Betreten Kinder und Damen gewarnt wurden. Desto schlimmer für sie, wenn sie sich doch hinein wagten! Dieser Saal war allein für die schalkhaften Werke bestimmt, man sah hier die Kunst im Bade und die Muse im Morgenanzuge. Ehe Schwadronarius näher trat, gewahrte er noch zwei unglückliche Künstler, deren Arbeiten in Folge einer akademischen Intrigue so hoch hingen, dass sie selbst den Kopf von hinten mit dem Stocke stützen mussten, denn sie hätten sonst leicht das Genick brechen können, ehe sie noch ihre eigenen Leistungen erblickten.

Schwadronarius wollte eben jene schalkhaften Werke näherer Betrachtung unterwerfen, da schlug es drei und man zeigte ihm, wie dem gesammten Publicum, höflich die Tür.

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